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Ein Schuhkarton mit Theaterprogrammen führt einen jungen Studenten auf die Spur einer faszinierenden Familiengeschichte aus Buenos Aires, der Welt des jiddischen Theaters und des argentinischen Tangos. Wie kreuzen sich im 20. Jahrhundert die verschiedenen Lebenswege in Europa und Argentinien? Bei seiner Spurensuche stößt der Erzähler auf das jiddische Theaterstück 'Der moldawische Zuhälter', das in Buenos Aires 1927 uraufgeführt wurde. Es handelt von wahren Begebenheiten: von russischen Mädchen, die in Argentinien ihr Glück suchten und in den Händen des Verbrecherrings 'Zwi Migdal' landeten.…mehr

Produktbeschreibung
Ein Schuhkarton mit Theaterprogrammen führt einen jungen Studenten auf die Spur einer faszinierenden Familiengeschichte aus Buenos Aires, der Welt des jiddischen Theaters und des argentinischen Tangos. Wie kreuzen sich im 20. Jahrhundert die verschiedenen Lebenswege in Europa und Argentinien?
Bei seiner Spurensuche stößt der Erzähler auf das jiddische Theaterstück 'Der moldawische Zuhälter', das in Buenos Aires 1927 uraufgeführt wurde. Es handelt von wahren Begebenheiten: von russischen Mädchen, die in Argentinien ihr Glück suchten und in den Händen des Verbrecherrings 'Zwi Migdal' landeten. Der Bandeonspieler Samuel Warschauer liebte eins dieser Mädchen, doch er war mit einer anderen Frau zusammen.
Während die Fäden der anrührenden Familiengeschichte immer enger zusammenlaufen, verliebt sich Samuels Sohn Maxi in Paris, ohne zu wissen, daß er die Geschichte seines Vaters wiederholt.
Autorenporträt
Edgardo Cozarinsky, geb. 1939 in Buenos Aires als Sohn russischer Emigranten verließ 1974 wegen der dramatischen politischen Situation nach dem Tod Juan Peróns Argentinien und ging ins Exil nach Frankreich. Er lebt als Autor und Filmemacher in Paris und beschäftigt sich in seinem literarischen und filmischen Werk mit Borges, Cechov und Nabokov. Seine Bücher wurden bereits in viele europäische Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2007

Der erste Tango in Paris

Transatlantische Schicksale: Der argentinische Autor Edgardo Cozarinsky hat seine eigene Familiengeschichte in einen ebenso melancholischen wie virtuosen Emigrantenroman verwandelt.

Von Friedmar Apel

Die Archivfiktion ist bei der Literaturkritik nicht sonderlich beliebt, weil man einen Autor oder Erzähler, der vorgibt, nur zu dokumentieren oder aus Dokumenten zu berichten, schlechter zur Rechenschaft ziehen kann. Dabei kann literarische Philologie sehr reizvoll sein, insbesondere, wenn es sich um die Tradierung vergessener Geschichten und Schicksale handelt. Edgardo Cozarinsky, der argentinische Autor und Filmemacher russischer Herkunft, der heute in Paris und Buenos Aires lebt, hat das Verfahren schon in einigen Erzählungen des Bandes "Die Braut aus Odessa" (F.A.Z. vom 27. Dezember 2005) als poetische Erinnerungsarbeit praktiziert, um so die verstreuten Spuren von Emigrantenschicksalen aufzuspüren und zu Geschichten voller Sehnsucht nach Heimat und Identität zu gestalten.

In diesem kleinem Roman erscheint das Spiel mit der Archivfiktion als die angemessene Form eines Gesprächs, das mit den Toten geführt wird, um sich an die Lebenden zu wenden. Ein "junger Mann, der nicht einmal Jude ist", stößt im Keller des Instituts für Theatergeschichte in Buenos Aires auf Programmzettel aus den zwanziger Jahren, die von der Existenz eines jiddischen Theaters nebst subkultureller Tango-Szene zeugen. Dazu findet er den Text eines 1927 offenbar mit Erfolg aufgeführten Stücks "Der moldawische Zuhälter". Es handelt von einem leichten Mädchen, das versucht, seine Puffmutter zu ermorden. Ihr Zuhälter Méndele nimmt die Schuld auf sich und kommt ins Gefängnis. Am Ende aber werden die beiden durch die Kraft des Tangos erlöst.

Bei weiteren Nachforschungen und Besuchen bei den wenigen Überlebenden der jüdisch-argentinischen Boheme, die er noch ausfindig machen kann, stößt er nur auf ein paar Namen und Daten, auf Fragmente der Familiengeschichte des Bandoneonspielers Samuel Warschauer, die aber keinen rechten Zusammenhang ergeben. Da er mit seiner Recherche nicht vorankommt, beschließt der dilettantische "Archäologe der jüngeren Vergangenheit", aus den lediglich erahnten Umständen heraus die Geschichte zu erfinden.

Diese erzählt nun das herzzerreißende Schicksal von Zsuzsa, der illiteraten Immigrantin, die ihr Leben im Bordell fristet. Ein Freier, der Bandoneon-Spieler Sami Warschauer, der sich in sie verliebt hat, entführt sie und kümmert sich auch weiter um sie, als er schon mit der Tangosängerin Perla Ritz liiert ist. 1945, während amerikanische Truppen auf dem Weg nach Paris sind, wird in Buenos Aires Maxi Warschauer in eine Welt geboren, von der Perla glauben möchte, dass in ihr "Juden keine Angst haben müssten". Im Alter von zwei Monaten erscheint er zum ersten Mal auf der Bühne. Auf dem Arm seiner Mutter, die eine jiddische Version von "Tipperary" singt, schwenkt er eine winzige britische Flagge. "Wohltuende Unwissenheit" aber umgibt das begeisterte Ensemble. Niemand hätte sich vorstellen können, dass der Librettist des Stücks, Fritz Löhner, einige Wochen zuvor vergast worden war. Unwissend um seine eigene Geschichte ist auch Maxi Warschauer, zu dem die Erzählung nun springt.

Wie Cozarinsky hat er mit fünfunddreißig Argentinien in Richtung Frankreich verlassen; unter dem Namen Andrés Machado präsentiert er nun Tango-Abende in den Konzertcafés um die Halles in Paris. Als er nach einer Panne auf der Périphérique einer jungen Prostituierten begegnet, entspinnt sich eine doppelt rückgespiegelte Geschichte, von der er nicht weiß, dass sie "in Verbindung zu einer anderen trat, zu der, die seine Eltern ihm verschwiegen hatten", und auch zu der, die der Erzähler im Schuhkarton gefunden hatte.

Der Erzähler aber verschweigt dem Leser bis zum bittersüßen Ende der Geschichte auch etwas. Zum Schluss kehrt er noch einmal zu seinen Recherchen in Buenos Aires zurück, um den Leser ein zweites Mal in jenes Café mit den alten Marmortischen zu führen, in dem er mit Sami Warschauer kurz vor dessen Tod noch einen Grappa getrunken hatte. Warum der gebrechliche Alte lieber an der Theke stehen blieb, wird nun erst enthüllt.

Cozarinskys erster Roman, den Sabine Giersberg, die schon die Erzählungen übersetzt hat, wieder kenntnisreich in ein elegantes Deutsch gebracht hat, ist selbst wie ein Tango: bewegend, melancholisch, sehr sentimental und doch voller Takt und Haltung, also ganz wunderbar.

- Edgardo Cozarinsky: "Man nennt mich flatterhaft und was weiß ich ...". Roman. Aus dem argentinischen Spanisch übersetzt von Sabine Giersberg. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2007. 128 S., geb., 16,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Edgardo Cozarinskys Roman über die jüdische Emigration und das jüdische Leben in Buenos Aires hat Rezensentin Margrit Klingler-Clavijo überaus beeindruckt. Dem Autor gelingt es in ihren Augen, die verschlungene Geschichte der jüdischen Emigranten in Argentinien anrührend zu entfalten. Cozarinsky erzähle von changierenden Existenzen, vom Wechsel der Länder und Lieben, von einer in Argentinien vom Aussterben bedrohten jiddischen Sprache und Kultur, hochfliegenden Träumen und unerfüllten Sehnsüchten. Klingler-Clavijo lobt den präzisen Blick des Autors, seine sorgsame Erzählweise und die gekonnnte Komposition des Buchs. Zudem bescheinigt sie ihm, sich dem Verdrängen und Vergessen zu verweigern, und, vom Tango inspiriert, auch die düsteren Seiten der Emigration zu schildern.

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