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Produktdetails
  • Quartbuch
  • Verlag: Wagenbach
  • Seitenzahl: 250
  • Deutsch
  • Abmessung: 220mm x 145mm x 25mm
  • Gewicht: 429g
  • ISBN-13: 9783803132024
  • ISBN-10: 3803132029
  • Artikelnr.: 20779451
Autorenporträt
Martin Page, geboren 1975, Studium der Anthropologie. Der Autor lebt bei Paris.Er ist einen Meter achtzig groß, trinkt gerne Tee und achtet nicht auf seine Figur.

Marcus Seibert, 1964 in Aachen geboren, ist Autor für Fernsehserien und Redakteur einer Filmzeitschrift. Neben verschiedenen Filmprojekten hat er u. a. Übersetzungen von Eric Rohmer, Catherine Deneuve, Martin Page und zuletzt von Michel Georges-Michel veröffentlicht.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Schillernde Merksätze und hohe politische Relevanz attestiert Rezensentin Gisa Funck dem dritten Roman von Martin Page. Wie schon bei seinen Kritiken der Börse und des Kunstbetriebes nehme der Autor dieses Mal die Filmbranche zum Ausgangspunkt für einen tiefen Blick in die Aporien der französischen Gegenwartsgesellschaft. Und erneut, so die Rezensentin, erzähle der Autor in einem zeitgemäßen "lapidaren Schnoddersound" von einer moralischen Erweckungsgeschichte des Helden. Ein Filmproduzent wird von Schicksalsschlägen in Form von Liebesgeschichten heimgesucht und erkennt sich selbst als erstes Opfer der Film- und Traumindustrie, der er bisher Erfolg und Glück verdankt hat. Das Happy-End fällt zwar vergleichsweise trivial aus, moniert die Rezensentin, was sie aber nicht so stört wie die Tatsache, dass man diesen hollywoodgerechten Ausgang schon viel zu früh riechen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2006

Der Traum vom Apfelkuchen
Martin Page beschreibt das Lebensgefühl der "Génération Précaire"

Die Strategie, moralische Botschaften durch eine humoristische Verpackung leichter verdaulich zu machen, ist ein altbewährtes Erfolgsrezept, das vor allem in der anglo-amerikanischen Literatur eine lange Tradition besitzt. Mit der Abkehr vom romantischen Genie-Kult und dem Siegeszug einer auf Verständlichkeit bedachten Erzählweise ist der amüsante Belehrungsroman auch in Deutschland und Frankreich seit gut zehn Jahren zum Bestseller-Genre avanciert. Und spätestens seitdem gilt auch hier das Gebot: kein Bekenntnis ohne lakonisch-kumpelhaften Witz! Schließlich sind die großen Allheil-Lösungen in den westlichen Mediengesellschaften der Postmoderne längst diskreditiert, goutiert ein ironisch geschultes Lesepublikum beispielhafte Läuterungsgeschichten allenfalls noch in süffisanter Form. In heutigen Erfolgsromanen mit moralischem Anspruch (etwa jenen von Nick Hornby oder Eric-Emmanuel Schmitt) erscheint die Frage nach dem Sinn der Existenz darum meist unterhaltsam auf Alltagsformat geschrumpft, um sich oft genug bereits in der Entscheidung für die "richtige" Plattensammlung oder den selbstgebackenen Apfelkuchen zu erschöpfen.

Amélie Poulain und ihre "Fabelhafte Welt" lassen grüßen - auch beim neuen Lieblingsstar der französischen Literaturszene: dem dreißigjährigen Martin Page. Denn auch Page schreibt augenzwinkernde Moralpredigten, deren bissige Komik sich vor allem daraus speist, daß hier das hehre Ideal vom ethisch guten Leben mit dem ganz normalen Wahnsinn zusammenkracht. Was dann nicht nur zu ebenso vergnüglichen wie provokanten Gegenwartsbefunden führt, sondern auch stets im derzeit so beliebten Loblied auf das kleine Glück, die kleinen Freuden und die kleinen Antworten einmündet. Dafür bürgt bei Page immer schon ein rettungslos korrumpiertes Berufsumfeld seiner Helden, das faule Kompromisse verlangt.

Nach der profitgierigen Börse ("Antoine oder die Idiotie") und dem übereitlen Kunstbetrieb ("Die Libelle des achten Jahres") steht nun im neuen, gerade auf deutsch erschienenen Roman die Illusionsmaschinerie der Filmbranche im Mittelpunkt. Und - erneut - am Pranger. Dabei ist Elias, der in Paris wohnende Hauptheld, auf den ersten Blick eigentlich jemand, der alles richtig gemacht zu haben scheint. Gerade einmal achtundzwanzig Jahre alt, gehört er bereits zur ersten Riege französischer Filmproduzenten und verfügt in seiner Firma über die "finanziellen Mittel eines kleinen Gottes". Allein: "Sterne sind nicht gemacht, um vom Himmel geholt zu werden", schwant Pages Bilderbuch-Karrieristen selbst schon zu Anfang seiner Geschichte, um wenig später erfahren zu müssen, wie hoch der Preis für seinen kometenhaften Aufstieg tatsächlich war.

Als seine alkoholkranke Freundin Clarisse ihn verläßt, an deren Seite sich Elias wie ein starker Retter fühlen durfte, verliert das scheinbar so glamouröse Produzentendasein unverhofft seinen Haltepunkt. Auf einmal klappt alles um Elias wie ein Kartenhaus zusammen. Und eine "neue Zeit der Katastrophen" bricht über den Erfolgsverwöhnten herein, die sich allerdings schnell als weniger katastrophal denn kathartisch herausstellt. Schließlich trägt Pages strauchelnder Aufsteiger nicht ohne Grund einen biblischen Namen, ist die Handlung nicht zufällig in der dreiteiligen Form eines Triptychons aufgebaut.

Page erzählt eine Saulus-Paulus-Geschichte im lapidaren Schnoddersound, deren eigentlich ernste Grundaussage einmal mehr durch Witz und Slapstickeinlagen humoristisch abgefedert wird. Zum blutigen Erweckungserlebnis für seinen fehlgeleiteten Homo novus wird da eine Tracht Prügel, die ihm ein väterlich zugeneigter Filmregisseur verabreicht. Dieser wirft Elias, während er ihn mit Fußtritten malträtiert, vor: "Du erinnerst mich an einen ziemlich schlauen Spion, aber an einen ohne eine Sache, für die er kämpft. Ohne ein Land oder eine Partei, für die er arbeitet." Man könnte das Vergehen des jungen Produzenten auch kürzer und nüchterner auf den Begriff der "Selbstentfremdung" bringen. Demnach hat dieser - darauf geeicht, "Menschen gegen Geld mit Träumen aus zweiter Hand zu beliefern" - sich bislang zuwenig zu einem eigenen Leben aufgerafft, zu einer eigenen Leidenschaft, zu einer eigenen Version seiner Geschichte.

Lieber und risikoloser ließ Elias statt dessen andere für sich leben, lieben und träumen. Was im Roman dann sogar in der plakativen (und aus dem Kino abgeschauten) Pointe gipfelt, daß der verunsicherte Karrierist für sich selbst einen Privatdetektiv engagiert, um herauszufinden, "wer ich eigentlich bin". Die Antwort auf diese heikelste aller Fragen samt Elias' seelischer Errettung indes naht - wie könnte es bei einer Geschichte aus der Kinobranche anders sein - durch Amors Pfeil. Beziehungsweise: in Gestalt einer jungen Frau. Die Schriftstellerin "Margot Lazarus", deren Biographie Elias verfilmen soll, trägt nicht nur einen ähnlich biblisch-sinnträchtigen Namen wie er. Sie, die als immer wieder enttäuschte "Liebes-Hypochonderin" bereits mehrere Selbstmord-Versuche hinter sich hat, verweigert sich hartnäckig der Verantwortung fürs eigene Schicksal.

Die entscheidende Schwäche von Pages Herzschmerz-Happy-End liegt weniger darin, daß es das typische Hollywood-Happy-End ist - als darin, daß es viel zu früh absehbar ist. Schon ab der Mitte seines Romans ist klar, dass Margot Elias liebt und umgekehrt. Der Rest wirkt danach nahezu wie unnötig drangeklatscht. Dennoch verzeiht man dem französischen Bestsellerautor diesen dramaturgischen Fauxpas, weil er auch diesmal wieder mit einer ganzen Reihe ebenso lapidarer wie lebenskluger Bemerkungen aufwartet. Etwa: "Einen Preis muß man über sich ergehen lassen wie einen Arztbesuch." Oder auch: "Der beste Dienst, den uns unsere Freunde erweisen können, ist der, uns beizubringen, was wir längst wissen." Sätze, die wie kleine Diamanten in diesem Text funkeln und dem Leser haften bleiben.

Pages bewährtes Schlußplädoyer für einen Rückzug ins Private liest sich dagegen diesmal wie eine binsenweise Hausfrauen-Sentenz. "Wir kommen schon irgendwie zurecht in dieser Welt", räsoniert sein geläuterter Held da. "Wir müssen nur versuchen, die glücklich zu machen, die wir lieben, und es zulassen, wenn auch sie uns glücklich machen wollen." Das klingt insgesamt weniger nach froher als nach resignierter Botschaft. Doch es trifft im Tonfall wohl genau das desillusionierte Lebensgefühl jener "génération précaire" heute fünfundzwanzig- bis dreißigjähriger Franzosen, die ihre tiefe Enttäuschung über Politik und Institutionen gerade massenhaft bei Straßenprotesten kundtaten.

GISA FUNCK

Martin Page: "An Weltuntergänge gewöhnt man sich". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Marcus Seibert. Wagenbach Verlag, Berlin 2006. 250 S., geb., 19,50 [Euro].

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