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Man kann wirklich nicht sagen, daß er zu wenig Beachtung findet... Er hat erotische Signalwirkung für Frauen und Männer gleichermaßen. Er bekommt schon mal einen zärtlichen Klaps... oder einen kräftigen Tritt. Und er ist eine Inspirationsquelle für Beschimpfungen... Die Rede ist von einem unserer wichtigsten Körperteile: dem Hintern! Bildende Künstler haben seit jeher wenig Scheu gezeigt, dieses markante Objekt ins Blickfeld zu rücken. Doch Dichter, Philosophen und Wissenschaftler legen bis heute eine auffällige Schamhaftigkeit an den Tag, wenn von ihm die Rede ist. Dabei ist der Hintern ein…mehr

Produktbeschreibung
Man kann wirklich nicht sagen, daß er zu wenig Beachtung findet... Er hat erotische Signalwirkung für Frauen und Männer gleichermaßen. Er bekommt schon mal einen zärtlichen Klaps... oder einen kräftigen Tritt. Und er ist eine Inspirationsquelle für Beschimpfungen... Die Rede ist von einem unserer wichtigsten Körperteile: dem Hintern! Bildende Künstler haben seit jeher wenig Scheu gezeigt, dieses markante Objekt ins Blickfeld zu rücken. Doch Dichter, Philosophen und Wissenschaftler legen bis heute eine auffällige Schamhaftigkeit an den Tag, wenn von ihm die Rede ist. Dabei ist der Hintern ein lohnenswertes Thema der Kulturgeschichte. Dies belegt Jean-Luc Hennig mit dem vorliegenden Buch. Auf amüsante und geistreiche Weise betrachtet er den Po unter den verschiedensten Aspekten und entfaltet dabei ein breites Spektrum, das vom Hintern als Sujet der Literatur und Kunst über seine Rolle in der Biologie bis hin zu seiner Bedeutung für die Psychologie reicht. Abgerundet wird dieses ohne Scham und Prüderie verfaßte Werk durch Bilder der berühmtesten Hinterteile der Kunstgeschichte... denn schließlich soll das Erkenntnisinteresse nicht nur durch das Wort befriedigt werden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2000

Auch das Aussitzen ist ein Ausdrücken
Das sitzt, das sieht man: Endlich gibt es zwei Bücher über zwei viel sagende menschliche Körperteile

Über Krankheiten, an denen relativ wenige Menschen leiden, gibt es sehr viele Bücher (Leidensberichte über zu dicke Hintern und Jens Sparschuhs "Lavaters Maske" abgerechnet), dagegen null über Gesäß und Gesicht. Diese liegen und hängen im Doppelpack mal wieder zu nahe, um aufzufallen; willensstarke Kinne und flache Gesäße können sich aus Zeitgründen kaum um Physiognomie kümmern. Gesäße machen an oder törnen ab, statt überdisziplinär beleuchtet zu werden. Damit ist nun Schluss. Gesäße und Gesicht haben jeweils ihr Buch gefunden und sind also auch erkenntnismäßig im Vormarsch, und dies in bedeutsamer Reihenfolge: Ein Jahr lang blieb das Gesäßbuch separat und einsam, ehe das eigentlich unabtrennbare Gesicht nachzog und das Gesamtbild abrundete. Beide Buchcover gehören auch farblich zueinander, zeigen Hautfarbe, das Gesäßbuch etwas weniger Wettergegerbtheit.

Die Herangehensweise der Autoren Hennig und Cole differiert sehr. Wenn auch nicht ganz so sehr wie die Charakterunterschiede zwischen Gesäß und Gesicht, von denen das zweitere von x (Cole nennt deren Zahl nicht) Gesichtsmuskeln bewegt wird, derweilen das Gesäß nur aus zwei nicht weiter unterteilten Glutäen (= Pobacken) besteht, laut Hennig die größte zusammenhängende Fleischmasse des menschlichen Körpers. Cole knüpft sachlich als farbloser Musterschüler an Oliver Sacks erfolgreiche Fallgeschichten an, erzählt die Storys von Mitmenschen, die als Blinde, Autorin, Möbiuspatienten oder Entstellte unter ihren Gesichtern leiden. Hennig hingegen kreist derart lustvoll und obsessiv um das Gesäß, bis es dank Querbezügen und Weiterungen vom Homo erectus bis zur Mona Lisa kaum Themen übrig lässt, die nicht mit ihm zusammenhängen, also bis das Gesäß die Welt umfasst und den dranhängenden Autor absolviert.

Das Buch über den weniger individuellen Körperteil befleißigt sich - ohne "ich" zu sagen - der individuelleren Sprache: Jean-Luc Hennig schreibt süffig, farbig, gewandt, elegant, ulkig, zitiert Montaigne, Bataille, Sartre, Novalis, Morris, Beuys und Dali, den beim Anblick von Hoden metaphysischer Enthusiasmus überkam, gerät beim frischen Stoff-Referieren schier ins Aphorismusfähige: "Der Anblick einer einzelnen Gesäßbacke ruft im Bewusstsein ein irritierendes Gefühl des Ungleichgewichts hervor." Cole hingegen, seines Zeichens Neurophysiologe, zitiert sparsamerweise bloß Wittgenstein, allenfalls Aristoteles, Darwin und Sacks, kann seine Lehrjahre mit Schul- und Hausaufsätzen auf keiner Seite verbergen: "Ich befasste mich mit psychologischen Darstellungen des Gesichtes, Arbeiten aus der Soziologie und der Verhaltensforschung. Je mehr ich las, desto mehr machte ich mir Gedanken zum Mienenspiel." Trotz angestrebter Subjektivität verbleibt Cole im Sekundär-Jargon: "Ich hatte überlegt, ob Mimik und Stimme verschiedene Facetten emotionaler Information weitergeben. Es gibt Arbeiten, die diese These stützen. Klaus Scherer ist der Ansicht, die Mimik würde eher -" Und im Trivialroman-Sound: "Beim Abschied hatte sich David noch einmal umgedreht und gesagt: Das Leben als Blinder hat nur wenige Nachteile -" Wobei David und seine Leidensgenossen reden, wie ihr Verfasser schreibt, immer mit der Maxime: "Es ist interessant, darüber nachzudenken."

Wer die Reihenfolge der Erscheinungsdaten einhält und mit nassgelachtem Gesicht aus dem Lesespaß des Gesäßbuchs auftaucht, wird daraufhin das Gesichtsbuch etwas trocken finden. Und vice versa: Wer oben anfängt und sich von David menschlich anrühren und auch schockieren lässt, könnte anschließend das Gesäßbuch unseriös finden, feuilletonistisch, seicht. Sage mir, welches der Bücher du liest, und ich sage dir, ob du ein von der Krankenkasse anerkannter Therapeut oder ein geiler Bock bist, der mit Sinn für Kunstgeschichte auf jedem Gemälde ein Gesäß entdeckt. Bei Hennig finden sich zahlreiche Querbezüge zum Gesicht ("Gesäße können erheblich unter den dazugehörigen Gesichtern leiden"). Und leider nicht vice versa: Bei Cole finden sich keine Hinweise auf die Existenz des Gesäßes. Was bei aller Fleischkumulation nicht gerade für dessen insgesamtes Übergewicht spricht.

In summa: Obwohl am Gesäß als Phänomen nicht viel dran ist, wird mehr herausgeholt aus ihm als aus dem doch wohl brisanteren Themenfeld Gesicht, das ebenfalls mehr hergäbe, wenn die Bücher ihre Autoren tauschten. Gesucht wird also ein Autor, der die grausam auseinander gerissenen Hälften, Zahl und Wappen, hilfreich wiedervereinigte, unter Einbezug weiterer Körperteile eine Gesamt-Naturgeschichte des Körpers hinlegte und hierbei auch philosophisch und stilistisch nicht gar so gesichtslos bliebe.

Andererseits sollte keine Seele den Sachbüchern vorwerfen, dass sie in ihrem Sachbuchstatus verharren. Zwar kann nicht jeder, der mal ein bisschen interessiert sein will, sogleich als Wittgenstein oder Bataille in Untiefen sich ergehen und sich von seinen kostbaren Themen hinaufreißen lassen ins mehr als Überdurchschnittliche. Aber auch hier lassen Brisanz und Relevanz des blanken Stoffes dessen Transporteure zeitweise vergessen. Wunderbar wahnwitzige Infofülle - dass Glasaugen so seelenhaft wirken können wie Augen, da der Ausdruck von den umliegenden Muskeln erzeugt wird und nicht vom Auge selbst (Cole), oder dass Frauen, die sich Pobacken aus Silikon zulegten, diese beim Hinsetzen oft in Richtung Oberschenkel abwandern fühlen (Hennig) - rollt anregend hinweg über wenig vom Hocker reißende Plattitüdenstapel wie: "Zur Geltung kommt die Rundierung des Gesäßes jedoch vor allem in der Bewegung" oder: "Ein einziger Blick auf ein Gesicht verrät uns so viel über einen anderen Menschen." Nicht nur Jean-Luc Hennig produziert teilweise wahnhaft irreale, Raoul Tranchirer erreichende Sätze: "Die linke Gesäßhälfte ist weit vom Herzen entfernt, hat vielleicht noch nie etwas von der Existenz dieses Organs gehört und strahlt daher auch nichts anderes aus als die rechte" oder "Ein nicht zu vernachlässigendes Detail stellt allerdings die Tatsache dar, dass die Pobacken - anders als die Brüste - nicht über Nippel verfügen". Sogar Jonathan Cole erzeugt - ohne davon viel mitzukriegen - auf den drei, vier Seiten über die Evolution des Gesichts bei jedem sensiblen Gesichtsträger ebenjenes platonische Staunen, nein: jenes Rückenrieseln, ja: den heiligen Schauder, den Konrad Lorenz laut Walter Burkert auf ein Residuum von Sträubung der Rückenmähne zwecks Umriss-Vergrößerung zurückführte und zu welchem Cole nicht neigt.

Und zwar in jenen Passagen, die zwar im Gegensatz zu Schopenhauer sich um die Frage drücken, warum man mitten im Gesicht Augenbrauen trägt, oder im Gegensatz zu "Peter Moosletner's interessantem Magazin" keineswegs die Resonanzraum-Theorie und die Knautschzonen-Theorie in Sachen Evolution der Nase ventilieren, dafür aber endlich mal das bei Oliver Sacks, der das Buch klappentextlich ausgerechnet "ungewöhnlich" nennt, abgeguckte, penetrant sich "ich" nennende, arg zum Nachdenken neigende, zutiefst subjektlose Ich angenehm beiseite lässt und in sachbuchgemäß gebotener Sachlichkeit darlegt, dass an der Unterseite des bohnenförmigen, fünf Wochen alten Fötus drei Ausbuchtungen erscheinen, die bei Fischen zu Kiemen werden, bei Säugern zu Stirn, Gesicht und Kehle, wobei sich der erste Bogen hoch wölbt und zum Gesicht wird. Die wachsenden Bögen schieben sich vor, an der Mittellinie verschmelzend, einen Schlauch bildend, aus dem Därme und Lungen hervorgehen. Und schon quellen schier döblinisch Muskelschichten, Ringmuskeln, Faserbündel auseinander hervor: "Zwei weitere Entwicklungsschritte ermöglichten flexible Lippen, Wangen und damit Gesichter."

"Nachdem Riechen und Fühlen nicht mehr die dominanten Sinnesorgane waren, wurden auch die langen Gesichtshaare entbehrlich und die Muskeln, die sie kontrolliert hatten, für andere Gesichtsbewegungen frei." Unterdessen sollte - laut wiederum dem Gesäßbuch - noch viel Zeit vergehen, bis sich der haarige und nicht sehr ansprechende Hintern des Urmenschen zu dem nackten, weichen und zarten Po entwickelte, wie wir ihn schätzen. Bei Cole resultierte die Hirnvergrößerung des Urmenschen aus der Rückbildung der Kieferstruktur, wodurch Masse für ein größeres Gesicht frei wurde; bei Hennig resultiert dieselbe Hirnvergrößerung aus Proportionsveränderungen, also vor allem aus der Gesäßentstehung während des urmenschlichen Herabsteigens vom Baum.

ULRICH HOLBEIN

Jonathan Cole: "Über das Gesicht". Naturgeschichte des Gesichts und unnatürliche Geschichte derer, die es verloren haben. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Antje Kunstmann Verlag, München 1999. 293 S., Abb., geb., 39,80 DM.

Jean-Luc Hennig: "Der Hintern". Geschichte eines markanten Körperteils. Aus dem Französischen von Sabine Lorenz und Felix Seewöster. Verlag vgs, Köln 1998. 231 S., geb., 38,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ulrich Holbein, der hier in einer Sammelrezension Jean-Luc Hennigs "Der Hintern" und Jonathan Coles "Über das Gesicht" bespricht, zeigt sich erfreut, dass nun Bücher über derart unterschiedliche Körperteile vorliegen. In seiner eingehenden Besprechung vergleicht er Coles und Hennigs Untersuchungen, wobei Hennig eindeutig besser wegkommt. "Der Hintern" sei individuell und dazu "süffig, farbig, gewandt, elegant, ulkig" geschrieben. Zuweilen steigere sich der Autor ins "Aphorismusfähige", schwärmt Holbein. Dafür vergibt der Rezensent Hennig manche Plattitüde und attestiert ihm, dass er aus einem an sich wenig ergiebigen Gegenstand sehr viel herausgeholt hat. Cole dagegen wird sein "Sekundär-Jargon" vorgehalten, der das interessante Thema zu trocken abhandelt. Deutlich seien ihm seine "Lehrjahre mit Schul- und Hausaufsätzen" anzumerken. Mitunter streife das Buch im Ton sogar den Trivialroman, bemerkt Holbein abschätzig. Trotzdem seien auch in diesem Buch eine Fülle von erstaunlichen Fakten zu finden, was zu "jenem Rückenrieseln, ja: dem heiligen Schauder" führt, den sich der Rezensent offenbar erhofft hat.

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