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Obwohl das freie Wochenende aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist, weiß man über die Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten der Arbeitnehmer zwischen Freitagnachmittag und Montagfrüh erstaunlich wenig. Der Autor dieses Buches zeigt, daß die zeitlichen Möglichkeiten zur Pflege sozialer Kontakte mindestens im bisherigen Umfang bestehen bleiben müssen, wenn der erreichte Zeitwohlstand ehalten und weiter ausgebaut werden soll. Andernfalls droht statt individueller Entfaltung die Vereinzelung.

Produktbeschreibung
Obwohl das freie Wochenende aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist, weiß man über die Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten der Arbeitnehmer zwischen Freitagnachmittag und Montagfrüh erstaunlich wenig. Der Autor dieses Buches zeigt, daß die zeitlichen Möglichkeiten zur Pflege sozialer Kontakte mindestens im bisherigen Umfang bestehen bleiben müssen, wenn der erreichte Zeitwohlstand ehalten und weiter ausgebaut werden soll. Andernfalls droht statt individueller Entfaltung die Vereinzelung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2000

Muße und Menschsein
Eine öffentliche Debatte über die Freizeit ist nötig

Jürgen P. Rinderspacher: Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage. Die soziale und kulturelle Bedeutung des Wochenendes. Politik im Taschenbuch, Band 28. Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2000. 160 Seiten, 19,80 Mark.

Jahrhundertelang gehörten Muße und Macht zusammen. Muße war das Privileg der Oberschichten. Die Sprache verriet die Wertung: Muße ist otium, Arbeit ist verneinte, verweigerte Muße: negotium. Der Kampf um eine verringerte Arbeitszeit hatte Erfolg. Verfügbare Zeit ist "demokratisiert" worden: Wie man sie nutzt, steht in der Entscheidung des Einzelnen.

Rinderspacher fragt nach dem Wie der Nutzung, geht auf Zusammenhänge ein und macht überzeugend deutlich: Es geht um mehr als um Ladenöffnungszeiten am Sonntag. Für ihn ist das Wochenende eine Einheit, auch wenn Samstag und Sonntag durchaus differenziert gefüllt werden. Rinderspacher sieht dieses Wochenende durch zunehmende arbeitsrechtliche Ausnahmegenehmigungen von schleichender Aushöhlung bedroht. Für ihn steht unsere Gesellschaft am Scheideweg: wollen wir die "kontinuierlich aktive Gesellschaft", den Einstieg in eine andere Ordnung der Zeit, oder wollen wir durch quantitative Vermehrung unseres Zeitwohlstandes Lebensrhythmen sprengen, kulturelle und soziale Qualität abbauen?

Das Einstiegskapitel enthält alle Grundgedanken. Rinderspacher beschreibt die historisch gewachsenen Zeitstrukturen, die uns zum erinnernden und vorausschauenden Umgang mit Zeit befähigen. Er hebt die kulturelle und sozialhygienische Bedeutung des Wochenendes hervor und verweist auf Erfahrungen von Schichtarbeitern, die Gefährdung belegen. Wenn jeder Zeitabschnitt in gleicher Weise für Arbeit oder Freizeit eingesetzt werden kann, kollektive Wochenruhezeit zugunsten einer Vermehrung von individualisierten freien Tagen aufgegeben wird, dann werden familiäre und gesellschaftliche Kontakte in Frage gestellt, droht Individualisierung in Vereinzelung umzuschlagen.

In den folgenden drei Kapiteln nähert sich Rinderspacher diesen Zusammenhängen von unterschiedlichen Gesichtspunkten her, doch es sind Variationen ein und desselben Themas. Dabei macht Rinderspacher sehr zu Recht auf die unterentwickelte und unsystematische Forschungssituation aufmerksam. Im Kapitel über die soziale und kulturelle Bedeutung des Wochenrhythmus beeindruckt, wie der Autor den Sachbezug der "Wochenmitte", den Sozialbezug des Wochenendes darstellt und fünf Funktionen hervorhebt: die (arbeitsmäßige) Schutzfunktion, die Entlastungs- und die Animationsfunktion, die Koordinations- und die Integrationsfunktion.

Im folgenden Kapitel fragt er, wie die Arbeitnehmer das Wochenende nutzen, bringt Wünsche und Wirklichkeit zur Kenntnis und hebt systematisch gesellschaftspolitische Brennpunkte hervor. Zur aufgeregten Debatte um die Ladenöffnung am Sonntag lohnt es nachzulesen, was Rinderspacher kühl sachlich belegt: Die große Mehrheit der Bevölkerung will nicht am Sonntag als Feiertag rütteln, sie möchte nur statt eines Ladenschlussgesetzes die Freiheit der Anbieter. Die Statistiken, die der Autor bietet, verlangen einen sorgfältigen Leser, werden manchen vielleicht ermüden. Aber die geduldige Sorgfalt bringt wichtige Einsichten zum Beispiel über das Verhältnis von "Heimarbeit" und Einsatz für andere. Wenn auf die Frage, was man am liebsten mit mehr Freiheit tun würde, an erster Stelle geantwortet wird: verreisen, und bei der Frage, wo man denn ein besonders gelungenes Wochenende erlebt hat, die Ortsangabe "Auswärts" lautet, hätte mich allerdings die soziologische Interpretation interessiert. Sie leistet Rinderspacher im Kapitel "Wenn das Wochenende ausfällt", in dem er die Erfahrungen von Schichtarbeitern (Metall) und von Arbeitnehmern mit flexiblen Arbeitszeiten darstellt. Er fordert, die Beweislast umzukehren: Rechtfertigen soll sich der, der die Strukturen aushebeln will.

Rinderspacher hat die gesellschaftspolitische und die persönliche Bedeutung der Ordnung unserer Zeit nachdrücklich betont, doch er bleibt seltsam unklar, wenn er einige Male sagt, dass das bloße Festhalten am Gewohnten nicht ausreiche, dass möglicherweise "die intelligente Kombination traditioneller Elemente unserer Zeitordnung ... mit innovativen Zeitmustern" ein "Weg in eine zukunftsfähige Zeitordnung" sein könne. Wie das aussehen könnte, führt er nicht aus, doch ist sein Buch eine treffliche Grundlage für die notwendige öffentliche Debatte. Verfügbare Zeit soll helfen, dass der Mensch Mensch bleibt, dass er, wie vor Jahrzehnten Josef Pieper forderte, "fähig bleibt, die Welt als Ganzes in den Blick zu nehmen und hierin sich selber zu verwirklichen".

Wie kann das gelingen? Das Buch belegt: Wir schlafen länger und gehen seltener zur Kirche, mit mehr quantitativer Freizeit steigt der Medienkonsum. In der Tat: Wir müssen öffentlich diskutieren, wie ein erfülltes otium Schlüssel zu vollem Menschsein werden kann.

HANNA-RENATE LAURIEN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hanna-Renate Laurien, ehemalige Schulsenatorin von Berlin, hat dieses Buch offensichtlich mit großem Gewinn gelesen - auch wenn sie in ihrer Rezension einige kritische Anmerkungen macht. Zunächst hebt sie jedoch anerkennend hervor, dass der Autor weit mehr will, als lediglich die Debatte um die Ladenöffnungszeiten fortzuführen. Ihm gehe es vielmehr um die Frage, wie eine neue Zeitordnung die Gesellschaft verändern würde, wie flexible freie Tage möglicherweise "familiäre und gesellschaftliche Kontakte in Frage" stellen und zu einer zunehmenden "Vereinzelung" führen könnten. Zu Recht verweist der Autor dabei auf die lückenhafte Forschung in diesem Zusammenhang, bemerkt Laurien. Auch die Passagen, in denen Rinderspacher darauf eingeht, dass die Mehrheit der Bevölkerung zwar eine Ausweitung des Ladenschlusses begrüßt, dennoch aber am Sonntag als Feiertag festhalten will, findet die Rezensentin lesenswert. Allerdings kritisiert sie, dass der Autor in mancher Hinsicht zu unklar bleibt oder auf weitergehende Interpretationen verzichtet. Als Beispiel dafür nennt sie die Frage, wo die Deutschen am liebsten ihr Wochenende verbringe. Hier hätte sich die Rezensentin eine ergänzende "soziologische Interpretation" gewünscht. Aber auch wenn das Lesen des Buchs mitunter Sorgfalt und Geduld erfordere, so habe Rinderspacher hier einen wichtigen Beitrag zur Debatte über die Bedeutung des Wochenendes und die sinnvolle Gestaltung dieser freien Zeit geleistet.

© Perlentaucher Medien GmbH
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