Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 51,92 €
  • Gebundenes Buch

Philosophische Entwürfe einer kosmopolitischen Weltordnung waren oft das Menetekel der nächsten Zivilisationskatastrophe. Der reine Weltstaatsformalismus blieb von der Wirklichkeit durch eine gewaltige Kluft getrennt oder diente der verschleierten Partikularität des Imperialismus als universalistische Fassade. Die vorliegende Arbeit folgt deshalb der methodischen Absicht der historisch-kritischen Dezentrierung der Philosophie und würdigt das kosmopolitische und supranationale Denken der Moderne aus der Distanz seiner Entstehungsgeschichte. Darüber hinaus bietet sie eine originelle und…mehr

Produktbeschreibung
Philosophische Entwürfe einer kosmopolitischen Weltordnung waren oft das Menetekel der nächsten Zivilisationskatastrophe. Der reine Weltstaatsformalismus blieb von der Wirklichkeit durch eine gewaltige Kluft getrennt oder diente der verschleierten Partikularität des Imperialismus als universalistische Fassade. Die vorliegende Arbeit folgt deshalb der methodischen Absicht der historisch-kritischen Dezentrierung der Philosophie und würdigt das kosmopolitische und supranationale Denken der Moderne aus der Distanz seiner Entstehungsgeschichte. Darüber hinaus bietet sie eine originelle und gründliche Aufarbeitung des Kosmopolitismus im gesamten Denken von Immanuel Kant und evaluiert dessen Einbettung in die aktuelle Diskussion. In vorangehenden Teilen wird die untergründige Präsenz weltbürgerlicher Implikationen in Texten und Argumentationszusammenhängen aufgespürt, deren Begründungsleistung man bislang einseitig in der Legitimation des modernen demokratischen Nationalstaates gesehen hat. Ausführungen zum nationalstaatlichen Sicherheitsparadox zeigen im übrigen auf, dass der kosmopolitische Diskurs nicht einem reinen Sollen verpflichtet ist, sondern auch aus der inneren Logik der Sicherheitspragmatik folgt. Die systematische Bilanz des Buches unterminiert nicht die Vielheit der Staaten, sondern liefert einen Beitrag zur Begründung prozessualer Normen für eine Verwirklichung demokratischer Rechtsstrukturen zwischen demokratischen Nationalstaaten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2003

Aus dem Schrecken geboren
Francis Cheneval erkundet die Philosophie der Weltbürger
Wir verstehen den Weltbürger vor allem politisch. Mit dem Ehrentitel darf sich schmücken, wer von den vielen Grenzen, die die Menschen trennen, vor allem die staatlichen, aber auch die ethnischen, sprachlichen und religiösen Barrieren relativiert. Vielleicht lehnt er sie sogar, was politisch freilich noch folgenlos bleibt, ganz ab. Schon vom Anfang der Philosophie, von den Griechen, kennen wir aber eine mehr als nur politische, eine umfassende Bedeutung. Gegen den hochnationalen Partikularismus seiner Hellenen erklärt Demokrit, dem weisen Mann stehe die ganze Erde offen, das Vaterland der guten Seele sei das Universum. Der Grund liegt auf der Hand; er besteht im Medium der Philosophie, der jede politische Grenze übersteigenden, allgemein menschlichen Vernunft.
Trotzdem denken von den Großen der Philosophie nur wenige wirklich kosmopolitisch. Die überragende Ausnahme, Immanuel Kant, wird von manchen schon zur Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution, damals als „zweite republikanische Revolution”, erinnert. Denn bei Erscheinen der Kantischen Friedensschrift rühmte man selbst in Paris ihren Republikanismus, jetzt aber „nicht nur Frankreichs, sondern der ganzen Welt”. Im Gefolge der rasch anschwellenden, bald uferlosen Literatur steht eine Zürcher Habilitationsschrift, die sich mit neuen Texten oder aber neuen Fragen an bekannte Texte an einer Gesamtdarstellung versucht: Francis Cheneval geht den philosophischen Grundlagen des kosmopolitischen Denkens der Moderne nach.
Ungeschriebene Lehren
Der erste Teil erinnert an Leibniz’ politische Philosophie, die wie Hobbes’ „aus dem Schrecken geboren” sei, den Schrecken aber nicht methodisch auswerte, sondern metaphysisch überhöhe. Das kosmopolitische Potenzial, das in Leibniz’ Reichsgedanken trotz Engführungen steckt, könnte man freilich noch stärker ausloten. Auf Leibniz’ „metaphysische Weltstaatsbegründung” folgt die seltener beachtete „vernunftrechtlich-subjektive Transformation”, durch den damals wirkungsmächtigsten Leibniz-Schüler, durch Christian Wolff.
Obwohl sich Cheneval auch der „genuin historischen Methode” unterwirft, geht er im zweiten Teil mit dem „Erbe von Thomas Hobbes” bei Spinoza, Pufendorf und Locke zunächst hinter Leibniz zurück, behandelt dann einige weniger bekannte Autoren teils vor, teils nach Wolff, um schließlich eine „,ungeschriebene’ Lehre Rousseaus” zu rekonstruieren. Das Leitwort dieses Teiles, der Kontraktualismus, spielt aber auch bei Wolff eine Rolle. Da diesem eine Schlüsselstellung eingeräumt wird, sähe man ihn gern direkt mit Hobbes und seinem Erbe konfrontiert. Und bei Leibniz möchte man erfahren, ob in seinem Werk der Vertragsgedanke ganz fehlt und gegebenenfalls, warum. Der dritte Teil ist zu Recht ausschließlich Kant gewidmet,seinem weltbürgerlichen Philosophiebegriff, seinem Kosmopolitismus in der Geschichtsphilosophie und dem Kosmopolitismus in Recht und Politik.
Hier wie auch sonst entfaltet der Autor große Gelehrsamkeit. Er kennt die Texte und die immense Literatur, trägt manche Kritik an früheren Studien etwas übereilt vor. Gelegentlich schätzt er auch seine eigene Leistung zu hoch ein. Dass beispielsweise der „durch eine internationale Rechtsgemeinschaft zu garantierende Friede ein Grundmotiv nicht um des politischen, sondern des gesamten Denkens” von Kant bildet, steht schon in einem Kommentar zu Kants Friedensschrift aus dem Jahr 1995.
Für den größeren Zeitrahmen, den er in den Blick nimmt, schraubt Cheneval ein Weitwinkelobjektiv auf, mit dem er manch übersehenen Hintergrund und Zusammenhang hervorhebt. Bei so zentralen, aber auch viel interpretierten Passagen wie Kants unterschiedliche Aussagen zum höchsten Gut wären aber ein Teleobjektiv und Mikroanalysen willkommen. Da Kant den Höhepunkt der Studie bildet, verdiente sein noch umfassenderer Kosmopolitismus eine stärkere Beachtung. Zumindest drängt sich die Frage auf, ob Kant in der Sache nicht außer dem politischen und geschichtspolitischen auch einen moralischen und einen ästhetischen, vor allem aber jenen epistemischen Kosmopolitismus vertritt, der sich im Gedanken des synthetischen Apriori bündelt und aus Demokrits Aphorismus ein detailliert ausgearbeitetes Philosophieprojekt macht.
Die These wiederum, Kants dreistufige Konstruktion von Staatsrecht, Völkerrecht und Weltbürgerrecht breche mit dem Prinzip des einen gesellschaftlichen Grundvertrages, wäre mit dem neuen methodischen Status zu konfrontieren. Als ein rein rationaler Begriff, als eine Idee der reinen praktischen Vernunft, ist der Gesellschaftsvertrag für Kant ein einziger, allerdings im Sinne eines Kriteriums, an dem sich alle drei Dimensionen des öffentlichen Rechts, das Staats-, Völker- und Weltbürgerrecht, zu messen haben. Auch an anderen Stellen erweist sich Cheneval als nicht ganz interpretationssicher.Wenn er von der Transzendentalphilosophie Kants – gemeint ist wohl die Kritik der reinen Vernunft – sagt, ihr sei die Moral fremd, so wüsste man gern, wie man die dritte Antinomie, die Idee des höchsten Gutes und überhaupt das moralisch-praktische Grundinteresse verstehen soll, das die zweite Vorrede betont. Auch vertritt Kant durchaus eine Einheit von Natur und Moral, aber nicht von einem einheitlichen Ursprung, sondern von jenem Endzweck her, auf den Cheneval selber viel Wert legt. Schließlich wird manches Versprechen nicht eingelöst. So wird nicht gezeigt, dass Kants neue politische Theorie nicht nur modern sei, sondern geradezu modisch „zu einer diskursiven Theorie der Politik führt”. So ist die Gesamtdarstellung, die durchaus vorliegt, folglich ein gelehrter Entwurf, der bald einmal zu einer runden Studie wird.
OTFRIED HÖFFE
FRANCIS CHENEVAL: Philosophie in weltbürgerlicher Bedeutung. Über die Entstehung und die philosophischen Grundlagen des supranationalen und kosmopolitischen Denkens der Moderne. Schwabe Philosophica, Band IV. Basel 2003. 687 Seiten, 68,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Weltbürgerliches Denken kümmert sich nicht um Grenzen: nationale zuerst, aber auch solche der Religion, der Sitten und so weiter. Dieses Denken ist es, dem die Habilitationsschrift von Francis Cheneval in historischer Analyse nachgeht. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung stehen Hobbes (und sein Erbe), Leibniz (samt Nachfolgern und Umfeld) und vor allem Kant. Der Rezensent Ottfried Höffe bedauert, dass eine vergleichende Betrachtung des Hobbesianischen und des Leibnizianischen Denkens ausbleibt. An der Kant-Darstellung bemängelt er, dass die Einbettung in die Zeit in allzu groben Strichen gezeichnet wird. Zudem findet Höffe den Autor nicht immer "ganz interpretationssicher". Eine Erkenntnis des Rezensenten gibt er überdies als eine eigene aus, was dieser verklausuliert, aber sichtlich verstimmt konstatiert. Dabei will er das Buch gar nicht verreißen, lobt die ersichtliche Gelehrsamkeit - und hat Probleme, wie es scheint, eher im Detail.

© Perlentaucher Medien GmbH