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Der Fassadenraum war in Renaissance, Barock und Klassizismus ein wichtiges Element architektonischen Gestaltens. Allerdings ging man schon im 19. Jh. dazu über, offene Fassaden aus Gründen des Witterungsschutzes, der Sicherheit oder der Platzgewinnung zu verglasen, zu vergittern oder gar zu vermauern. Damit waren aber die Gliederung und das proportionale Gefüge der Fassaden ebenso gestört wie ihr Verhältnis zum Inneren und zu ihrer Umgebung. Besonders augenfällige Beispiele sind hier der Damasushof des Vatikan, der Petersdom oder das Obere Belvedere in Wien. Die Kunstgeschichte hat der dritten…mehr

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Produktbeschreibung
Der Fassadenraum war in Renaissance, Barock und Klassizismus ein wichtiges Element architektonischen Gestaltens. Allerdings ging man schon im 19. Jh. dazu über, offene Fassaden aus Gründen des Witterungsschutzes, der Sicherheit oder der Platzgewinnung zu verglasen, zu vergittern oder gar zu vermauern. Damit waren aber die Gliederung und das proportionale Gefüge der Fassaden ebenso gestört wie ihr Verhältnis zum Inneren und zu ihrer Umgebung. Besonders augenfällige Beispiele sind hier der Damasushof des Vatikan, der Petersdom oder das Obere Belvedere in Wien. Die Kunstgeschichte hat der dritten Dimension von Fassaden nie die gebührende Beachtung geschenkt. Diese Studie ruft den Fassadenraum wieder als kunsthistorische Kategorie in Erinnerung und erfasst ihn systematisch, um so buchstäblich einen neuen Blick auf die Architektur der frühen Neuzeit zu eröffnen. Zahlreiche Beispiele »vergessener Räume« an bekannten Bauwerken in ganz Europa - eine Neubewertung der Fassade als eine wesentliche ästhetische, ikonographische und soziale Größe der frühneuzeitlichen Architektur
Autorenporträt
Autor: Peter Stephan habilitierte sich mit dieser Untersuchung an der Phil. Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, wo er seit 2006 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist. Die Habilitationsschrift wurde mit dem Wetzstein-Preis für Kunstgeschichte ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2010

Vergittert, verglast und vermauert

Grundstürzend neu: Peter Stephan deckt mit seiner brillanten Studie "Der vergessene Raum" den verlorenen Reichtum historischer Fassadenarchitektur auf.

Der gewöhnliche Weg bauhistorischer Forschungen führt abwärts in das Dunkel der Nachlässe und Archive, um Vergessenes zu bergen oder Unvollendetes zu rekonstruieren. Selten hat man vom anschließenden Fall gehört, dass ein Wissenschaftler danach bei hellem Tageslicht die Augen aufschlägt und an bekannten Bauwerken etwas grundstürzend Neues entdeckt. Dieses Kunststück ist dem Freiburger Kunsthistoriker Peter Stephan mit seiner brillanten Arbeit "Der verschwundene Raum" gelungen.

Obwohl das Thema der historischen Fassadenarchitektur längst erschöpft zu sein scheint, eröffnet Stephans Untersuchung über die dritte Dimension von Gebäudefronten eine geradezu phantastische Neubewertung der letzten fünfhundert Jahre Baugeschichte. Der Autor geht von der schlichten Frage aus, wie Architekten ihre Baukörper mit passenden Fassadenmänteln für den geziemenden städtischen Auftritt ausrüsteten. Daraus entwickelt er eine gleichermaßen objekt- wie umgebungsbezogene Perspektive, die in die Häuser hinein- und in die Stadt hinaussieht. Das gelingt ihm durch die geduldige Betrachtung jener Raumschwelle zwischen Innen und Außen, die im allgemeinen Verständnis nur die Stelle ist, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.

Auch in der Kunstgeschichte hat es vor Stephan keine vergleichbare Untersuchung zur Raumhaltigkeit von Fassaden gegeben, weil diese Übergangszonen und Grenzbereiche für die Raster der Ikonographie zu groß und für diejenigen der Raumstilanalyse zu klein sind. Und seitdem das zwanzigste Jahrhundert das dreidimensionale Fassadengesicht (face, faccia) unter Luxus- und sogar Lügenverdacht stellte, ist das einst vornehmste Element der Baukunst zur nahezu entstofflichten Membran geworden, deren Raumbildungskraft gegen null tendiert.

Stephans opulent ausgestattetes Buch, mit dem die Görres-Gesellschaft ihre neue kunstwissenschaftliche Reihe "Eikoniká" eröffnet, macht deutlich, in welch massivem Umfang bedeutende Bauwerke seit der frühen Neuzeit umgestaltet wurden. Würde man aus seinen Transformationsbeispielen ein Daumenkino machen, so zeigten der Petersplatz und -dom, das Obere Wiener Belvedere, Schinkels Altes Museum sowie unzählige Schlösser und Adelspaläste in Europa gleichermaßen ein progressives sklerotisches Krankheitsbild: Sämtliche Öffnungen, Durchgänge und Schnittstellen wurden spätestens seit dem neunzehnten Jahrhundert verhangen, vergittert, verglast und vermauert. Die Verstopfung der einst porösen, perforierten und zuweilen geradezu vibrierenden Häuser mit ihrem Reichtum an unverbauten Vestibülen und Loggien, Vorhallen und Freitreppen, Balkonen und Wandelgängen geschah vor aller Augen und mit Zustimmung der Denkmalpflege.

Jedesmal waren die Begründungen - Konservierung, Wetterschutz, Gebäudesicherheit - allseits akzeptiert. Nur blieb dabei ein Wesenselement der abendländischen Baukunst auf der Strecke, nämlich Erscheinungsraum der sozialen Akteure zu sein und dies mit dreidimensional geschichteten Fassadenschwellen auch sinnlich erfahrbar zu machen. Die Aufgabe dieser Transitzonen war lange Zeit die Vermittlung von heiligen und profanen Geltungsbereichen, später die Scheidung von öffentlichen und privaten Nutzungsansprüchen und durchgängig das Grenzregiment zwischen Alltag und Fest.

Raumhaltige Fassaden beschreibt Peter Stephan als genuine Schauplätze zeremonieller Ereignisse. Das geschah oft temporär, wenn etwa der Pariser Magistrat im achtzehnten Jahrhundert zu Maskenbällen die Fensterflügel und -kreuze aus der Rathausfassade entfernte oder die sächsischen Kurfürsten bei Hochzeitsfesten die Galerien und Pavillons des Zwingers in offene Zuschauerlogen verwandelten. Doch bei den meisten Prachtbauten ging schon im Entwurf die Inszenierung von Öffentlichkeit mit Gebäudeöffnungen einher. Im Hof des päpstlichen Belvedere-Palastes im Vatikan dienten die offenen Loggien bei Umzügen und Turnieren als Besuchertribünen, und den Petersplatz muss man sich ursprünglich als eine Art Palast der Winde vorstellen.

Denn einst fungierten die Säulenkolonnaden Berninis nicht bloß als Platzwand, sondern als allseits offene und raumhaltige Korridore; die fragilen Loggien des Damasushofes mit ihren Raffael-Fresken waren noch nicht zum Wintergarten hinter Isolierglasscheiben verbaut worden; und auch Madernos pompöser Fassadenspiegel des Petersdomes bildete keine flache Schauwand mit vorgeblendeten Halbsäulen, sondern eine gliederhafte Säulenvorhalle, welche durchgehend mit der päpstlichen Benediktionsloggia und offenen Zwischengeschossen perforiert war. So wie die Umbauten im Vatikan auf Kosten des einst hochgradigen kinästhetischen Raumerlebnisses gingen, so haben die heute versperrten Vorhallen und Atrien spätantiker Kirchen ihren existentiellen Charakter als Asylräume eingebüßt.

Stephans Hauptthese lautet, dass raumhaltige Fassaden stets Schutzzonen mit festlich-rituellem Charakter waren und zu einer zentralen architektonischen Würdeformel aufstiegen. Deren Urbild ist das sogenannte "Theatermotiv", welches - etwa am Erschließungsring der römischen Kolosseumsfassade oder an der Porta Nigra - die Säulenkolonnaden mit Wandarkaden kombinierte und dadurch die griechische Glieder- und römische Wandbauweise vereinte. Minutiös und anschaulich arbeitet der Autor die tektonische Wirkung dieser Motivkreuzung nicht nur in den Aufrissen römischer Pilgerkirchen heraus, sondern kann ihre Kraftentfaltung bis in die Grundrisse und Raumsequenzen hinein verfolgen. Nach der Lektüre ist man für die Ammenmärchen der Moderne von der Kulissenhaftigkeit historischer Architektur und von der konstruktiven Ehrlichkeit des zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr empfänglich.

An Sangallos Modell von St. Peter sowie an Berninis Kirche St. Andrea und Borrominis St. Ivo verdeutlicht Stephan schließlich, wie Fassadenräume von theologischen Weisheitslehren und liturgischen Inszenierungen durchdrungen waren. Dabei endete die Baupolitik der Päpste und ihrer Architekten nicht an den Gebäudegrenzen, sondern setzte sich mit einem großmaßstäblichen Beziehungsnetz von Tugend- und Heilswegen in der Stadt fort, die sich laut Stephan in "konfessionelle Disziplinarräume" verwandelte.

Mit dem Bedeutungsverlust gesellschaftlicher Glaubensvorstellungen und geistiger Elitenrepräsentation wurden diese architektonischen Schaufenster geschlossen. Gleichwohl bleibt angesichts der heutigen Bunkerphysiognomie versiegelter Kirchen- und Palastfassaden die Frage, was der zeitgenössischen Architektur einfällt, um einem längst mythologie-, religions- und oft auch politikfrei gewordenen öffentlichen Raum wenigstens baulich wieder zu etwas höheren Vergesellschaftungsqualitäten zu verhelfen.

So knüpfen flimmernde Medienfassaden und "public viewing"-Leinwände virtuell an die alte Raum- und Schaulust vor Fassaden an. Und das neu-expressionistische Architektur-Branding versucht sich in baulicher Oberflächenvergrößerung, um mit Hilfe skulpturaler Dramatisierung den toten Aggregatzustand von fixierten Teilräumen über Schnittstellen und Schwebezustände zu beleben. Doch was dabei an kommerziellen Festräumen, Autohäusern und Shopping-Malls herauskommt, ist bislang wenig geeignet, die seit alters läuternde, sublimierende Kraft von Schwellen-, Tor- und Grenzdurchschreitungen "sub limen" zu entfalten, welche einst den Umschlagspunkt von individueller zu kollektiver Teilhabe ausmachte.

MICHAEL MÖNNINGER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der hier rezensierende Kunsthistoriker Michael Mönninger rühmt Peter Stephans Studie zur Raumkunst historischer Fassaden als bahnbrechende Arbeit, die einem vermeintlich eingehend erforschten Gebiet etwas gänzlich Neues abzugewinnen vermag. Der Freiburger Kunsthistoriker macht in der Studie die Funktion von Schwellenzonen in Fassaden - also beispielsweise Fenster, Kolonnaden, Vestibüle oder Loggien - als Transitschwellen zwischen profanen und säkularen, öffentlichen und privaten oder alltäglichen und festiven Räumen plausibel, erklärt der Rezensent. Der Autor weist nach, wie spätestens im 19. Jahrhundert diese Öffnungen systematisch verschlossen wurden, in der Moderne schließlich als reinen Kulisse verlacht wurden, die man auch auf den üppigen Abbildungen des Bandes nachvollziehen kann, so der Rezensent gefesselt. Für Mönninger wirft dieser Band auch die Frage auf, wie zeitgenössische Architekten heute mit diesen Transiträumen umgehen sollen, um ihnen verloren gegangene "Vergesellschaftungsqualitäten" zurückzugeben.

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