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Die Protokolle des Bundesvorstands der CDU gelten als eine der zentralen Quellen zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die vier ersten Bände aus den Jahren 1950-1965 wurden als "eine spannende zeitgenössische Lektüre" in der historischen Forschung gewürdigt. Der fünfte Band umfasst die Diskussionen und Auseinandersetzungen im Führungsgremium der Partei unter ihren Vorsitzenden Konrad Adenauer (bis 1966), Ludwig Erhard (1966/67) und Kurt Georg Kiesinger (ab 1967). Den persönlichen Triumph bei den Bundestagswahlen 1965 konnte Bundeskanzler Erhard nicht in politische Stärke ummünzen. An…mehr

Produktbeschreibung
Die Protokolle des Bundesvorstands der CDU gelten als eine der zentralen Quellen zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die vier ersten Bände aus den Jahren 1950-1965 wurden als "eine spannende zeitgenössische Lektüre" in der historischen Forschung gewürdigt. Der fünfte Band umfasst die Diskussionen und Auseinandersetzungen im Führungsgremium der Partei unter ihren Vorsitzenden Konrad Adenauer (bis 1966), Ludwig Erhard (1966/67) und Kurt Georg Kiesinger (ab 1967). Den persönlichen Triumph bei den Bundestagswahlen 1965 konnte Bundeskanzler Erhard nicht in politische Stärke ummünzen. An Parteiangelegenheiten wenig interessiert und daher ohne Gefolgschaft, scheiterte er mit seiner Politik - mit der Vorstellung einer "Formierten Gesellschaft", mit dem Versuch, den Bundeshaushalt auszugleichen, mit seiner Außenpolitik, der es nicht gelang, das Verhältnis zu Frankreich und den USA zu konsolidieren. Nach dem Auseinanderbrechen der Koalition mit der FDP Ende 1966 kam es in der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kiesinger zur Konsolidierung der Staatsfinanzen und zu ausgewogenen Beziehungen zu den beiden Ländern. Die zum Teil heftigen Kontroversen im Bundesvorstand um die Innen- und Außenpolitik, um das Verhältnis zu den Koalitionsparteien, zur FDP und vor allem SPD, sowie nicht zuletzt die Debatten um die programmatische (Berliner Programm) und organisatorische Modernisierung der CDU (Schaffung eines Generalsekretärs) bestimmen den Inhalt der insgesamt 28 ungekürzten Wortprotokolle in der parteipolitischen, aber auch gesellschaftspolitischen Umbruchsphase der zweiten Hälfte der 1960er Jahre.
Autorenporträt
Günter Buchstab, Jg. 1944, Dr. phil., ist Leiter des Bereichs Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin bei Bonn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2006

Das Leitlamm und der Oberlehrer
Mechanismen innerparteilicher Demokratie: Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1965 bis 1969

Diese stenographischen Berichte aus dem Inneren der Union sind wie ein ferner Spiegel. Der Bundesvorstand der CDU war nie ein Machtzentrum - das lag immer anderswo, im Kanzleramt, in der Fraktion. Doch gerade in jener langen Übergangsphase von der Ära Adenauer zum SPD-FDP-Bündnis entwickelte er sich zur wichtigen "Clearingstelle", als es darum ging, aus dem Schatten des Patriarchen herauszutreten und sich als Volkspartei eine neue, straffere Struktur zu geben. Diesen mühevollen Prozeß der Parteireform, bei der 1967 der Bundesvorstand von über 70 Mitgliedern auf 30 reduziert, ein vom Vertrauen des Parteivorsitzenden abhängiger Generalsekretär etabliert und anschließend eine breite programmatische Diskussion eröffnet wurde, spiegeln die 28 Wortprotokolle natürlich vor allem, liefern damit zugleich Einblicke in die bisweilen für alle Beteiligten - wie auch den späteren Leser - anstrengenden Mechanismen innerparteilicher Demokratie.

Aber sie tun viel mehr als das. In ihnen spiegeln sich auch die Haupt- und Staatsaktionen jener Jahre, von denen manche Elemente uns gerade heute seltsam vertraut erscheinen. Daß die SPD der Union den Fraktionsstatus abspricht, daß um die Erhöhung der 1967 neu eingeführten Mehrwertsteuer gestritten wird, daß permanent irgendwo im Lande gewählt, die SPD von links, die Union von rechts bedroht, bedrängt wird, man stets mit demoskopischen Umfragen hantiert - war's vor vierzig Jahren oder gestern? Natürlich, es war eine grundlegend andere Konstellation damals, nicht allein durch die bipolare Welt des Kalten Krieges. Die Rezession, die Haushaltskrise 1965? Im Rückblick eine Delle, eine Minikrise. Die Renten steigen zwischen 1965 und 1969 um - heute kaum glaubliche - 24,5 Prozent, wie an einer Stelle stolz vermerkt wird.

Am Anfang stehen Königsmord und Kanzlerkür. Zum letzten Mal begegnet uns Adenauer mit fast neunzig Jahren als Parteivorsitzender der Sorge: "Ich fürchte, unsere Partei wäre als Oppositionspartei nicht lebensfähig . . . Immer weitere Gefahren ziehen herauf, und wir haben keine Freunde in der Welt. Wir sind ein unstetes Volk. Es liegen vor uns grausame Jahre, insbesondere für den Bundeskanzler." Der hieß nach der gewonnenen Bundestagswahl 1965 weiter Ludwig Erhard. Im Vorstand tritt er kaum, und wenn, dann spät und zögerlich in Erscheinung. "Mir ist es immer unangenehm gewesen - ich spreche jetzt nicht von heute, sondern überhaupt -, wenn ich aufgefordert worden bin, als Bundeskanzler einen Bericht zur Lage zu geben, denn das kann doch eigentlich nur ein Torso sein", gesteht er tatsächlich in diesem Kreis. Spät greift er nach dem Parteivorsitz. Adenauer, unversöhnlich bis zum bitteren Schluß, rät ihm im Vorstand ab: "Lassen Sie die Finger davon, belasten Sie sich nicht mit Dingen, die andere verstehen und besser machen können." Der Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel tritt gegen ihn an, unterliegt knapp. Die vom neuen Parteivorsitzenden Erhard wenig stringent geführten Sitzungen verlaufen bisweilen turbulent, so daß der Vorgänger Adenauer mahnend eingreifen muß: "Bedenken Sie doch, daß Sie die Elite der Partei sind und deshalb den Vortrag mit Ruhe und Stille anhören sollten!"

Nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Sommer 1966 - ein Menetekel wie 2005 - gesteht selbst Erhard: "Es ist eine allgemeine Ermattung offenbar bei der CDU eingetreten." Aus der Runde tönt ihm entgegen, die Partei sei "in Wahrheit führerlos". Die Hatz auf das Leitlamm hat begonnen. Bundestagspräsident Gerstenmaier stellt lakonisch fest: "Für die Wähler ist die SPD am Ende doch nicht eine Katastrophe, sondern eine Alternative." Erhard will trotzdem den Haushalt ausgleichen: "Es kann ein Volk eben nicht mehr ausgeben, als es erarbeitet. Darüber hilft nichts hinweg!" Im Parteivorstand regt sich nicht nur beim Gewerkschaftsflügel Widerspruch. Hans Katzer bekennt in schöner Offenheit: "Wir sollten uns nicht zu Tode sparen und dann einer nachfolgenden SPD-Regierung einen ausgeglichenen Haushalt in die Tasche geben." Die Mehrheit denkt so.

Um Erhard wird es einsam. Bitter die zahlreichen, wertlosen Loyalitätserklärungen bis hin zu Barzels: "Wir pauken Sie raus!" Nachdem wiederum Barzel der Sorge Ausdruck verliehen hat, "daß sich SPD und FDP hinter unserem Rücken verständigen", erfolgt die harte Aufforderung aus dem Vorstandskreis: "Sie sollten die nächsten Koalitionsverhandlungen nicht führen, Herr Bundeskanzler!" Das wird Kurt Georg Kiesinger tun. Schon in der Sitzung am 29. November 1966 übernimmt er die Regie, skizziert die Ziele einer Großen Koalition - Notstandsgesetze, mittelfristige Finanzplanung, Reform der Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern, Mehrheitswahlrecht -, lobt den "ganz harten Realismus" Herbert Wehners und zeigt sich davon überzeugt, "mit der SPD aus dem Schlamassel wirklich herauszukommen". Nicht die Sozialdemokraten, sondern die rebellische FDP wird fortan intern als Hauptgegner angesehen - "Herr Mende war schlimmer als jeder SPD-Mann", heißt es nicht von ungefähr.

Nur einer warnt in dieser Runde kontinuierlich vor der Verteufelung der Liberalen, vor einem Festhalten an der für die FDP tödlichen Wahlrechtsreform, die diese zwangsläufig an die Seite der SPD treiben müsse und tatsächlich über die Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten im März 1969 in eine sozialliberale Koalition führte: Helmut Kohl. Der junge Landesvorsitzende aus Rheinland-Pfalz - Ministerpräsident wird er erst 1969 werden - ist die heimliche Haupt- und Schlüsselfigur dieser Sitzungen. Nur zweimal fehlt er überhaupt. Stets betritt er nach längerem Abwarten, dann aber entscheidend die Szene. Er nennt die Namen der fünf potentiellen Kanzlerkandidaten und Erhard-Nachfolger. Er mahnt unermüdlich Präsenz und Mitarbeit im Vorstand an, schimpft über den sich leerenden Saal nach 14.00 Uhr: "Da kann man dem Herrn Dutschke nur recht geben, die Parteien seien nicht mehr in der Lage, ihre innerparteiliche Demokratie zu repräsentieren!" Wo ein zunehmend durch den Studentenprotest entnervter Kanzler Kiesinger den APO-"Kerlen" eine Tracht Prügel wünscht, meint Kohl kühl: "Es ist doch nicht so, daß die Studenten an den Universitäten zu Unrecht gemeutert haben. Es ist doch eine ganze Reihe von Dingen nicht nur faul, sondern oberfaul". Er sorgt sich zusammen mit dem neuen Generalsekretär Bruno Heck, dem langjährigen Bundesgeschäftsführer Konrad Kraske um die "katastrophalen" Finanzen der Partei, ärgert sich schwarz über die mangelnde Zahlungsmoral vieler der 300 000 Parteimitglieder, hebt die Bedeutung einer stärkeren Repräsentanz von Frauen in der Union hervor.

Kiesinger, das belegen die Protokolle, hatte, hierin Erhard ähnlich, kein rechtes Interesse an der Parteiorganisation. Er regierte präsidial nach außen, streng nach innen: "Ich schicke dem Außenminister Brandt dreimal eine Note an die Sowjetunion korrigiert zurück, bis zum vierten Mal die Note so aussieht, wie ich sie haben will." Leider dürfe derlei in einer Großen Koalition nicht sichtbar werden. Dennoch seien die - von der SPD raffiniert lancierten - Gerüchte über seine "Führungsschwäche" lächerlich. Weniger lächerlich war für ihn eine andere Angriffsfront: "Der Kanzler sei ein Nazi gewesen. Ich war kein Nazi. Aber was soll man machen, wenn es die Leute sagen?" Kiesinger war 1933 als junger Anwalt in die NSDAP eingetreten, 1940 in die Propagandaabteilung des AA berufen worden, aber - wie die demnächst erscheinende Studie von Philip Gassert ausführlich belegen wird - kein tiefbrauner "Pg". Allerdings sah er sich als Kanzler einem Feldzug gegenüber, den an erster Stelle Beate Klarsfeld führte, deren Ohrfeige auf dem Berliner Parteitag 1968 er nicht vergaß. Noch Monate später beschwerte er sich bitter im Vorstand, daß diese sich "als Hausfrau auf dem Kirchentag der EKD ausschleimen" dürfe.

Kiesinger, der das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und zu Frankreich tatsächlich "wieder in Ordnung" gebracht und erste tastende ostpolitische Schritte zur Lockerung von Hallstein-Doktrin und Alleinvertretungsanspruch zugelassen hatte, etwa durch die Annahme des Briefes von DDR-Ministerpräsident Stoph, die neuerliche Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Jugoslawien, kehrte wie der Parteivorstand nach dem sowjetischen Einmarsch in die CSSR zur strikten Ablehnung jeglicher Anerkennung des "Gebildes" DDR zurück und erkannte nicht, daß gerade die Ostpolitik die von ihm von 1968 an zunehmend gefürchtete "Mini-Koalition" der "Anerkennungsbefürworter" - der Terminus durchzieht viele Seiten - in SPD und FDP zusammenkitten würde. Noch etwas erkannte Kiesinger nicht: die langfristige Gefahr einer sich ausweitenden Staatsverschuldung, die mit seiner Regierung begann. Er rief dem Parteivorstand zu: "Wir müssen unsere Wähler daran gewöhnen, daß sie vor dem Wort ,Kredit' nicht sofort zurückzucken!" So würde heute allenfalls noch Oskar Lafontaine formulieren. Für diese Protokolle gilt insgesamt, was Bruno Heck am Ende einer Sitzung resümiert: "Nun haben wir heute nicht geschwätzt, sondern ganz ordentlich diskutiert."

DANIEL KOERFER

Kiesinger: "Wir leben in einer veränderten Welt". Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1965-1969. Bearbeitet von Günter Buchstab. Droste Verlag, Düsseldorf 2005. 1570 S., 78,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Wie ein ferner Spiegel" muten Daniel Koerfer die nun vorliegenden Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1965 bis 1969 an. So bieten die Wortprotokolle für ihn nicht nur Einblicke in die "anstrengenden Mechanismen innerparteilicher Demokratie", sondern spiegeln auch die Haupt- und Staatsaktionen jener Jahre. Manches erscheint Koerfer gerade heute seltsam vertraut, etwa dass die SPD der Union den Fraktionsstatus abspricht oder um die Erhöhung der Mehrwertsteuer gestritten wird. Ausführlich geht er auf die teils turbulenten Sitzungen des CDU-Bundesvorstandes ein, berichtet über die Führungsschwäche Erhardts und Kiesingers, die Auseinandersetzungen mit SPD und FDP und über das Auftauchen des jungen Helmut Kohl. Insgesamt gilt für die Protokolle nach Koerfers Ansicht, was der damalige CDU-Generalsekretär Bruno Heck am Ende einer Sitzung resümiert habe: "Nun haben wir heute nicht geschwätzt, sondern ganz ordentlich diskutiert."

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