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Produktdetails
  • Verlag: Bernard & Graefe
  • Seitenzahl: 528
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 1230g
  • ISBN-13: 9783763762163
  • ISBN-10: 3763762167
  • Artikelnr.: 09008718
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2001

Außen hart und innen ganz weich
Die neuen Leiden der Militärs und das therapeutische Menschenbild: Ein Handbuch zur Psychologie von Katastrophenhelfern

Nach der politischen Umrüstung des soldatischen Männerbildes vor Jahrzehnten zum Staatsbürger in Uniform steht der Bundeswehr heute ein zweiter Paradigmenwechsel bevor. Will man den Beiträgern dieses Handbuchs der neuen Truppenpsychologie glauben, ist er sogar schon geraume Zeit im Gang, ohne daß die Öffentlichkeit dessen Bedeutung zur Kenntnis genommen hat. Auf die Demokratisierung folgt nun die Psychologisierung; statt dem Staatsbürger wendet sich die Aufmerksamkeit dem Menschen, ja, der Seele in Uniform zu.

"Psychologie für Einsatz und Notfall" ist ein ausgesprochenes Fachbuch, und die gut sechzig Aufsätze deutscher, aber auch einiger Experten aus Österreich und der Schweiz wenden sich an einen entsprechend kleinen Kreis von Fachleuten, der sich nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch bei der Feuerwehr, der Polizei, in Krankenhäusern und bei Hilfsorganisationen aller Art mit den besonderen Problemen der Helfer befaßt. Es geht hier, und zwar in verständlicher Sprache, nicht um das klassische Helfersyndrom in pädagogischen und therapeutischen Berufen, das Hilfe für Klienten und Patienten so dysfunktional macht. Das Handbuch widmet sich den Berufskrankheiten jener Menschen, die sich auf die Bearbeitung von Katastrophen natürlicher, ziviler oder kriegerischer Art spezialisiert haben und dabei riskieren, ihr Leben, ihre körperliche und seelische Gesundheit zu verlieren.

Handbücher werden ja selten von A bis Z durchgearbeitet, und eine gewisse Redundanz ist bei einem zukunftsweisenden Unternehmen mit ökumenischer Grundhaltung auch nicht zu vermeiden. Eine kursorische Lektüre ist aber allen zu empfehlen, die über Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der Nato und der Vereinten Nationen grübeln. Empfohlen sei die Lektüre auch allen, die bei Katastrophen jedweder Art über nichts als über Schuldzuweisungen und Schadenersatzforderungen zum Politisieren kommen. Viele oft sehr anrührende Texte beweisen einmal mehr, daß die Zivilisierung und Humanisierung in Zukunft vermutlich eher über die Bearbeitung von Kleinkram und Einzelfällen statt über Grundsatzdebatten laufen wird.

Ein Militärbeobachter wird zusammen mit Kollegen aus anderen Nationen zur Geisel eines Politgangsters (so würden wir ihn nennen - vor Ort sieht das anders aus). Er lebt nicht nur fern von der Heimat und seiner Familie, er muß in unwirtlichen Gegenden mit Krankheit und Todesdrohungen zurechtkommen. Als er erschossen werden soll, um den Forderungen des Bandenchefs Nachdruck zu verleihen, opfert sich ein älterer Arzt aus der Schweiz mit der Begründung, daß er eben nicht nur viel älter, sondern seine Kinder auch längst erwachsen seien. Ein Bundeswehrarzt läßt sich beurlauben, um medizinische Hilfe nach Afghanistan zu schmuggeln. Es ist die Zeit vor der Wiedervereinigung, und es gibt allgemein Sympathien für die afghanischen Widerstandskämpfer. Der Arzt klappt schließlich zusammen; denn hat er schon im Krieg der afghanischen Widerstandskämpfer fast gelernt, die wie im Mittelalter vollzogene brutale Tötung von sowjetischen Kriegsgefangenen zu übersehen, so gelingt es ihm dann nicht mehr, den Tod eines Jungen zu verkraften, den sein Vater, ein islamischer Patriarch, stoisch opfert.

Getötete Frauen, tote, womöglich sogar verstümmelte Kinder, daneben Hunger, Armut und unbekanntes Elend können Soldaten im Einsatz traumatisieren. Anderen macht der Anblick eines toten Kameraden schwer zu schaffen. Interessant, daß bei der Luftwaffe auch in friedlichen Zeiten jeder einunddreißigste Aktivist tödlich verunglückt. Schon das Hantieren und Üben mit Waffen für den Notfall belastet also. Verglichen mit diesen Todesdrohungen, mögen Probleme mit der Freundin, Ehekonflikte und Familiendramen albern erscheinen. Sie sind es aber nicht, wie der Leser erfährt. Schade, daß in diesem Handbuch ein Resümee des Vietnam-Kriegs fehlt. Viele Eingezogene behalfen sich damals mit drugs and rock 'n' roll, und manche geistern noch heute als Veteranen durch die Straßen amerikanischer Städte. Andere drehten durch, liefen Amok und wurden wegen der Ermordung von Frauen und Kindern in My Lai verurteilt.

Waren Kriegsverbrechen früher das Resultat ideologischer Verblendung, so sind sie heute eher Folge einer individuellen Psychopathologie, die der alte Militärapparat unter den Teppich kehrte. Er kannte nur körperlich Verletzte und Simulanten. Wer im Fundamentalpazifismus der Nachkriegszeit mit Parolen wie "Nie wieder Krieg" oder "Soldaten sind Mörder" sozialisiert worden ist, könnte genauso wie jeder militaristische Hardliner versucht sein, über den Einzug des therapeutischen Denkens in die Bundeswehr Hohn und Spott zu gießen. Daß Soldaten schon beim Unfalltod von Kameraden (oder sollte man nicht lieber von Kollegen sprechen?) im Manöver unter Umständen behandlungsbedürftige Reaktionen zeigen, womöglich gar das posttraumatische Belastungssyndrom entwickeln, finden nämlich Pazifisten alten Schlags ebenso albern wie traditionelle Militärs. Die einen verstehen nicht, warum jemand, der an Gewalt und Waffen glaubt, auf ihren Einsatz kränklich reagiert. Hat er nicht die Alternative zum Pazifisten gehabt? Die andern bemängeln neben Fehlern in der Ausbildung den Verrat am Ideal des Soldaten neueren Zuschnitts, der schweigsam und pflichtgetreu seinen Dienst tut. Als Techniker verkörpert er ein Männerbild, das ohne die großen Erzählungen von Volk und Nation auskommen muß. Aber auch die kleinen Erzählungen von Waffensammeln und Ruhestiftung sollen nach Meinung vieler Traditionalisten ohne Krankenscheinzuteilung über die Bühne gehen.

Das Handbuch, überwiegend bestritten von Psychologen, die bei der Bundeswehr Dienst tun, opponiert, und das zu Recht. Der neuerliche Paradigmenwechsel hat zwei Ursachen. Einerseits schwimmt die Bundeswehr - anders als zu Zeiten der Weimarer Republik - wie der Fisch im See namens Gesellschaft. Das therapeutische Menschenbild, das ihr heilig ist, hat auch das Militär ergriffen. Militaristische Ideale existieren fort, aber sie rangieren weit hinter der Aufforderung, Individuen und ihre Konflikte genau wahrzunehmen. Angehörige der Bundeswehr orientieren sich primär an den Werten der Gesellschaft, nicht an der Subkultur des Militärs. Das macht sie anfällig für Störungen, aber auch fähig zur Hilfe, so wie sie heute benötigt wird.

Zum anderen ist Truppenpsychologie, so wie sie in diesem Handbuch entworfen wird, der Pfad zur Zivilisierung, den wir beschreiten müssen. Die Bundeswehr, und nicht sie allein, braucht viele Leute, deren Stärke nicht den Preis einer Machopersönlichkeit kostet. Gewünscht hätte man sich aber eine deutlichere Evaluation bisheriger Bundeswehreinsätze, ob in Afrika oder auf dem Balkan. Soldaten tun dort ihren Dienst - nicht im Namen von chauvinistischen Großmachtansprüchen, sondern von Menschenrechten. Getrennt von ihren Lieben, ihren Frauen und Kindern, setzen sie sich für das Recht Fremder ein, zu leben und zu lieben wie in Paderborn und anderswo. Allzu naiv scheinen auch die Beiträge zur Aufschließung deutscher Militärs für fremde Kulturen. Das Aufbrechen von Vorurteilen ist etwas anderes als die Durchsetzung von Menschenrechten.

KATHARINA RUTSCHKY

Klaus J. Puzicha, Dieter Hansen, Wolfgang Weber (Hrsg.): "Psychologie für Einsatz und Notfall". Internationale truppenpsychologische Erfahrungen mit Auslandseinsätzen, Unglücksfällen, Katastrophen. Bernard und Graefe Verlag, Bonn 2001. 525 S., Abb., geb., 48,- DM.

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001

Einsatz und Notfall
Ein Sammelband über
Psychologie in der Bundeswehr
Der erste Weltkrieg mit seinen erstarrten Fronten und erschöpfenden Materialschlachten markiert eine Zäsur in der Geschichte militärischer Kriegsführung. Und er verändert das Soldatendasein grundlegend. Auf einmal werden sie mit bis dato ungekanntem seelisch-körperlichen Druck konfrontiert, der ein neue Art von Patienten hervorbringt: die „Kriegszitterer”. Sie leiden unter starken motorischen Störungen.
The war is not over when the shooting stops zitiert Reinhard Erös, Oberstarzt der Bundeswehr, in seinem Aufsatz „Psychotraumatisiert in Afghanistan” ein englisches Sprichwort. Es bringt präzise die Situation auf den Punkt, in der sich Erös 1989 als ärztlicher Leiter einer Hilfsorganisation in Afghanistan befindet. Sukzessive hat der Krieg den erfahrenen, aber psychologisch unausgebildeten Arzt in Depression und Aggression versetzt. Bis der Tod eines befreundeten afghanischen Jungen zum Zusammenbruch führt. Nach seiner Rückkehr nach Pakistan beginnt Erös zu trinken, sich nicht mehr zu waschen und bricht jeden sozialen Kontakt ab. Bis er zu einem Therapeuten geht. Dessen Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung.
Erös’ Bericht ist einer von 60 informativen Texten, die der soeben erschienene Band zur Psychologie für Einsatz und Notfall vereint, in dem Erfahrungen mit Auslandseinsätzen, Unglücksfällen und Katastrophen verarbeitet sind. Die Autoren – Psychologen, Ärzte, Theologen, Offiziere – geben umfassenden Einblick in den gegenwärtigen Stand der Truppenpsychologie, die angesichts der zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr (Somalia, Mazedonien, Kosovo) aber auch ihrer Hilfe bei Notfällen (Eisenbahnunglück von Eschede) immer wichtiger geworden ist. Der Fall Erös legt davon beredt Zeugnis ab.
flow
KLAUS J. PUZICHA et al. (Hg.): Psychologie für Einsatz und Notfall. Internationale Erfahrungen mit Auslandseinsätzen, Unglücksfällen, Katastrophen. Bernhard&Graefe Verlag, Bonn 2001. 528 Seiten, 48 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der erste Weltkrieg hat einen neuen Typus Patienten hervorgebracht, schreibt der mit "flow" zeichnende Rezensent: den Kriegszitterer. Veränderte Kriegsführung und Materialschlachten hätten das Soldatsein grundlegend verändert, schließlich, so wird ein englisches Sprichwort zitiert, ist der Krieg nicht zu Ende, wenn das Schießen vorbei ist. Das Buch kreist in 60 (!) Einzeltexten um dieses Motto. Es reflektiert aber weniger diese veränderten Bedingungen als vielmehr die psychologischen Folgen für die Beteiligten, die sich heutzutage nicht in klassische Kriege verwickelt sehen, sondern an Armeeeinsätzen in Katastrophengebieten oder bei Unglücksfällen beteiligt sind. Die Autoren des Bandes zur Truppenpsychologie sind, laut "flow," selbst Soldaten, Ärzte, Psychologen oder Theologen. Das Buch liefert also Erfahrungsberichte aus den unterschiedlichsten Perspektiven

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