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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Aufbau Taschenbücher
  • Verlag: Aufbau TB
  • Seitenzahl: 263
  • Gewicht: 225g
  • ISBN-13: 9783746670355
  • ISBN-10: 3746670357
  • Artikelnr.: 24029301
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.04.2001

Nie wieder normal
Das deutsche Wesen: Ein polemischer Krankheitsbefund über die Berliner Republik

Johannes Klotz/Gerd Wiegel (Herausgeber): Geistige Brandstiftung. Die neue Sprache der Berliner Republik. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2001. 208 Seiten, 16,90 Mark.

Das Titelbild zeigt Zeitungsblätter in einem lodernden Feuer. Zwischen den Flammen sind die "Berliner Zeitung", die F.A.Z. und "Der Spiegel" deutlich zu erkennen. Sie haben sich der "geistigen Brandstiftung" schuldig gemacht, suggeriert der Titel. Hinter dem brennenden Inferno des Buchdeckels sind die glühenden Verschwörungsphantasien von fünf Autoren versammelt, die sich um den Nachweis mühen, daß Gerhard Schröder, Rudolf Augstein, Frank Schirrmacher, Martin Walser und viele andere einflußreiche Männer offen oder versteckt an einer Geschichtsrevision und der Wiedererweckung des nationalen Selbstbewußtseins der Deutschen arbeiten.

Vier der sechs Beiträge befassen sich mit Martin Walser. Eine "Spurensuche" im Stil linker Germanistikseminare fördert aus Walsers Werken "Antisemitismus zwischen den Zeilen" und eine "aggressive Rückwärtsgewandtheit" zutage. Frank Schirrmacher wird beschuldigt, Walsers "rechte Lesart" interpretierend voranzutreiben und ihren "doch sehr eindeutigen Gehalt" so zu modifizieren, "daß er annehmbarer und konsensstiftender wird". Während "der antijüdische Reflex" Walsers in seiner literarischen Sprache versteckt ist, "operiert" Rudolf Augstein nach Auffassung der Textexegeten schon lange mit dem relativierenden Begriff des "gewissen Antisemitismus" und kaschiert "seine antisemitischen Ressentiments nicht". Er bediene sich zur Erklärung des Antisemitismus "gleich eines ganzen Bündels antisemitischer Stereotype" und ende im Kern bei Treitschkes "Die Juden sind unser Unglück". Schlimmer aber noch schlägt für Augstein als Geistesbrandstifter zu Buche, daß er den eigenen Vater, trotz dessen Ressentiments gegen Juden, für einen anständigen Menschen hält.

Die rot-grüne Bundesregierung beanspruche - "anknüpfend an neokonservative Selbstverständnisse" - das "Selbstbewußtsein einer erwachsen gewordenen Nation". Die politische Klasse wünsche sich, "daß die Gestaltung der Gegenwart und vor allem die Zukunft der Berliner Republik nicht mehr durch die NS-Vergangenheit behindert werden solle". Gerhard Schröder wird als einer der Mitverantwortlichen des "unverkrampften Ablaßkaufs für ehemalige Zwangsarbeiter" beschimpft, wobei er "nicht nur die spezielle Vergangenheitsbewältigung der Deutschen auf die Spitze" getrieben habe: "Er setzte vielmehr die Schlußstrich-Argumentation intellektueller Vorredner wie Martin Walser und Rudolf Augstein in aktuelle Politik um." Der Kanzler vertrete "den staatsoffiziellen Geschichtsrevisionismus, der die deutsche Schuld für Faschismus, Krieg und Verbrechen relativiert".

Die eigentliche Überraschung des Buches ist die historische Einordnung der alten Bundesrepublik und der DDR. Bis zur Wiedervereinigung war demnach alles im Lot. Keiner von beiden Staaten konnte machen, was er wollte. "Die alte Bundesrepublik war gebunden an und begrenzt durch die NS-Vergangenheit." Erst mit der Wiedervereinigung bot sich die Möglichkeit zum Ausstieg aus der Geschichte. Nun zwitscherten die Jungen nicht mehr, wie die Alten sungen. Mit einem Mal sollte "Schluß sein mit Antifaschismus und dem Antimilitarismus als historische und handlungsleitende Kategorien, die vor allem in Ostdeutschland noch über eine spezifische Tradition verfügen".

In Ostdeutschland, wo der weitaus höhere Anteil von ausländerfeindlichen und antisemitischen Zwischenfällen registriert wird, wo es bis 1989 eine Nationale Volksarmee, Betriebskampfgruppen, Fahnenappelle und bei allen möglichen Anlässen uniformierte Aufmärsche mit und ohne Stechschritt gab, wo der Wehrkundeunterricht die Schulen militarisierte und achtjährige "Junge Pioniere" Handgranatenwerfen und Heimatlieder lernen mußten - ausgerechnet dort soll eine "spezifische Tradition" des Antimilitarismus ihre Wurzeln geschlagen haben?

Wie dem auch sei, seit "mit dem anachronistischen sowjetischen Sozialismus zugleich die kritischen Gesellschaftstheorien auf den Müllhaufen der Geschichte" geworfen wurden, kennt der Geschichtsrevisionismus keine Grenzen mehr, weder innerdeutsche noch geistige: "Politiker, Intellektuelle, Wirtschaftsleute, aber auch Wissenschaftler treiben die Entkoppelung von NS-Vergangenheit und Gegenwart voran", und "das Jahrhundertverbrechen deutscher Faschismus wird so aus der nationalen Identität weiter zurückgedrängt". Dies wird unternommen, um dem wiedervereinigten Deutschland einen Anschein von Normalität zu verleihen.

Wer aber erst den Begriff der Normalität verwendet - und das tat zum Entsetzen der Autoren sogar Jürgen Habermas -, will "aus der Geschichte aussteigen und die Zukunft von der Gegenwart aus bestimmen". Nach Habermas treten im Kontext des Verschwörungsszenarios die Minister Scharping und Fischer auf. In der Absicht, "außenpolitische Interessen mit militärischen Mitteln zu verfolgen", hätten sie "die Erinnerung an Auschwitz zur propagandistischen Hauptwaffe der deutschen Kriegsbeteiligung" gemacht und seien damit dem "neokonservativen Ansinnen der F.A.Z." gefolgt, "die aus der Vergangenheit begründeten Beschränkungen einer aggressiven Außenpolitik zu überwinden".

Als "Prototyp des mediengeleiteten Paradigmenwechsels" freilich gilt den Autoren der "geistigen Brandstiftung" die "Frankfurter Rundschau". Die Debatte über die Hamburger Wehrmachtsausstellung habe offenbart, wie sogar in einer liberalen Zeitung ein "abschreckender Feuilletonjournalismus und ein Verfolgungswahn" Platz griff, "der nicht mehr zur Kriegsgeneration, sondern zur ,Bewältigungsgeneration' auf Distanz geht". Mit den Angriffen auf den Ausstellungsmacher Hannes Heer - ohne Zweifel ein Prototyp der Bewältigungsgeneration schlechthin - werde versucht, die gesamte 68er Generation "in Sippenhaft zu nehmen und unter Ideologieverdacht im Sinne falschen Bewußtseins zu stellen".

Kein Zweifel, die Autoren dieses Sammelbandes wähnen sich im Besitz des richtigen Bewußtseins. Urteile zum deutschen Wesen und Schuldzuweisungen an "geistige Brandstifter" gehen ihnen locker von der Hand. Über ihren eigenen Standort geben sie indes in dem ansonsten mit Meinungsäußerungen übersättigten Buch kaum Auskünfte. Man ahnt jedoch die hohle Gasse, aus der das kommt, wenn einmal am Rande von der Marginalisierung des Spektrums links von der "taz" die Rede ist und ein anderes Mal "ein konsequenter linker Antinationalismus" vermißt wird. Die "Frankfurter Rundschau" übrigens befindet sich trotz des ihr angelasteten Paradigmenwechsels nicht unter den Zeitungen, die auf dem Titelbild der Buches ins Feuer geworfen werden. "Brandstiftungs"-Mitherausgeber Klotz ist selbst Rundschau-Autor - und geistige Selbstverbrennung wäre des Gutgemeinten nun doch zuviel.

JOCHEN STAADT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Reichlich genervt zeigt sich Jochen Staadt von diesem Band, bei dem er sich schon am Cover stört, auf dem etliche deutsche Zeitungen abgebildet sind, die in Flammen aufgehen. "Glühende Verschwörungstheorien" verbergen sich nach Staadt hinter diesem Cover, die den vermeintlichen Antisemitismus zahlreicher prominenter Persönlichkeiten (von Gerhard Schröder bis Rudolf Augstein) aufdecken wollen. Doch weder die angeführten Beispiele für solch einen Antisemitismus findet der Rezensent überzeugend, noch kann er sich für den "Stil linker Germanistikseminare", der in diesem Band vorherrsche, begeistern. Dass gar der Antimilitarismus in der DDR gepriesen wird, findet Staadt darüber hinaus völlig unverständlich, und er erinnert an den damals üblichen Wehrkundeunterricht, in dem schon Achtjährige Handgranaten werfen mussten. Insgesamt bemängelt der Rezensent, dass den Autoren "Schuldzuweisungen (...) locker von der Hand" gehen und sie sich allein "im Besitz des richtigen Bewusstseins" wähnen. Etwas mehr Selbstkritik hätte nicht geschadet, deutet Staadt an.

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