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Beflügelndes Fieber, Bauerwurzel, Stickfluß, Wiener Krankheit, die Liste der Namen für die Tuberkulose ist lang, ihre Opfer hießen Rousseau, Chopin, Pergolesi, Novalis, Runge, Keats, Paganini, Chamisso, Orwell und neben der Kameliendame noch viele andere durchsichtige Mädchenblumen. Lungentuberkulose macht blaß, traurig und interessant - sie beflügelt den Geist und die Begierden wachsen. Benn und Keats schrieben Gedichte darüber, Verdi brachte die Tuberkulose als rauschendes Fest auf die Bühne. Der jüdische Arzt Friedrich F. Friedmann (1876-1953) weihte sein Leben der Heilung der Krankheit.…mehr

Produktbeschreibung
Beflügelndes Fieber, Bauerwurzel, Stickfluß, Wiener Krankheit, die Liste der Namen für die Tuberkulose ist lang, ihre Opfer hießen Rousseau, Chopin, Pergolesi, Novalis, Runge, Keats, Paganini, Chamisso, Orwell und neben der Kameliendame noch viele andere durchsichtige Mädchenblumen.
Lungentuberkulose macht blaß, traurig und interessant - sie beflügelt den Geist und die Begierden wachsen. Benn und Keats schrieben Gedichte darüber, Verdi brachte die Tuberkulose als rauschendes Fest auf die Bühne. Der jüdische Arzt Friedrich F. Friedmann (1876-1953) weihte sein Leben der Heilung der Krankheit. Mit einem Serum aus lebenden Keimen infizierter Schildkröten gewann er in Deutschland und den USA größte Aufmerksamkeit, auch Thomas Mann gehörte zu Friedmanns Bewunderern. Zunächst von bedeutenden Gelehrten unterstützt, darunter auch Robert Koch, wurde er später als "Geschäftsmann" diffamiert und von der nationalsozialistischen Schulmedizin aus Deutschland vertrieben. Er floh nach Mont e Carlo und praktizierte weiter. Berlin, Leipzig, Monte Carlo und Washington, das Buch folgt seinen Spuren. Die Seuchen kehren zurück und auf der Suche nach neuen Methoden zur Bekämpfung der Tuberkulose werden auch Friedmanns Ideen wieder diskutiert. Professor Kaufmann, Direktor des renommierten Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie, stellt in seinem Essay den Bezug her zum heute weltweit erschreckend aktuellen Tuberkuloseproblem.
Autorenporträt
Petra Werner, Schriftstellerin und Publizistin, geb. in Leipzig, aufgewachsen in Berlin, veröffentlichte Erzählungen und Monographien zur Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie arbeitet in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und lehrt an der Technischen Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2002

Bengalische Bakterien
Der Tuberkuloseforscher Friedrich F. Friedmann
Weltweit sterben jährlich zwei Millionen Menschen an Tuberkulose. Tuberkelbakterien operieren wie Schläfer. Sie nisten sich meistens in der Lunge ein und bleiben jahrzehntelang infektiös. Irgendwann, wenn es schlecht kommt, zerfällt das Gewebe der befallenen Organe. Schon 1890 glaubte der Berliner Arzt Robert Koch, mit dem Tuberkulin ein Heilmittel gefunden zu haben. Er blamierte sich gründlich. Bei Versuchen starben Patienten. Die Franzosen Albert Calmette und Camille Guérin entwickelten ab 1906 den Lebendimpfstoff „BCG”, der gegen Tuberkulose im Kleinkindalter hilft. Gegen die Lungentuberkulose der Erwachsenen richtete „BCG” wenig aus. Heute kennt man die Gründe. Die Antikörper, Erfolgsgaranten aller Impfstoffe, versagen gegen Tuberkelbakterien, wenn sie nicht gemeinsam mit besonderen weißen Blutkörperchen angreifen. Die Koordination der beiden Schutztruppen klappt(e) aber nicht. Deshalb gibt es keine spezifische Immuntherapie.
Der jüdische Arzt Friedrich F. Friedmann (1876 - 1953), der gegen die Tuberkelbakterien und die Feinde seiner Impf-Methode gleichermaßen heftig gekämpft hatte, behauptete am Ende: „Definitive Heilung und Ausrottbarkeit der Tuberkulose 100000fach nachgewiesen.” Er täuschte sich und andere. Umso tiefer sind die Krater, die sein Wirken in der Medizingeschichte hinterließ.
„Ein Schwindler? Ein Fälscher? Ein entgleister Gott? Oder vielleicht doch ein Prophet und verdienstvoller Gelehrter?” So fragt die Berliner Wissenschaftshistorikerin Petra Werner. Sie hat im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, in zwölf weiteren Archiven und (erstmals) im privaten Friedmann-Nachlass in Monte Carlo recherchiert und die Schauplätze seines Schaffens besucht.
Die Autorin hat keine Angst vor Kitsch. Doch vergisst sie über der empfindsamen nicht die wissenschaftshistorische Perpektive. Der Fall Friedmann handelt von der kaiserzeitlichen Medizin als Wissenschaft, Geldmaschine und Jahrmarkt der Eitelkeiten. Tuberkulose verursachte 40 Prozent der Todesfälle in der Arbeitsbevölkerung Preußens. Sie stand im Fokus der Öffentlichkeit. Es gab Heilungstourismus, bei dem viele Unheilbare in Hotelzimmern zugrunde gingen. Friedmann gewann 1898 mit einer später zur Doktorarbeit ausgebauten Schrift über „Gaumentonsillen als Eingangspforte für die tuberkulöse Infection” den Preis zur Gedächtnisfeier für Friedrich Wilhelm III. Fünf Jahre später interessierten sich Forscher aus aller Welt für den Bazillenstamm, den der 27jährige aus den Lungenflügeln einer im Berliner Zoo verendeten Meeresschildkröte gewonnen hatte. Der Heiler ließ sich, angefeuert vom berühmten Frankfurter Kollegen Paul Ehrlich, alle möglichen Emulisionen, Suspensionen, Kataplasmen und Salben patentieren. Die Farbwerke Hoechst nahmen ihn unter Vertrag – und verstießen ihn bald wegen zweifelhafter Erfolgsaussichten. Petra Werner zufolge verstand es Friedmann, „den einfachsten Vorgang unter bengalischer Beleuchtung ablaufen zu lassen”. Das war sein Erfolgsrezept und seine Crux. Anlässlich einer USA-Reise 1913 wurde er von den Zeitungen wie ein „Christus-Bonaparte” gefeiert, speiste mit Präsident Wilson – und musste für sein Serum wenig später Paul Ehrlichs Unbedenklichkeitsatteste anfordern, um nicht als zynischer Geschäftemacher davon gejagt zu werden.
Dank sorgfältiger Archivarbeit kann Werner im Blick auf den Fall Friedmann die Berliner Wissenschaftspolitik vor und nach dem Ersten Weltkriegs aufblenden. Der Streit um Friedmanns eigenes Forschungsinstitut, das er 1919 mit Unterstützung des preußischen Kulturministers Konrad Haenisch eröffnete und 1920 nach Streitigkeiten mit den undurchsichtigen Geldgebern Alexander Helphand und Georg Sklarz wieder schloss, ist ein Institutionenkrimi. Friedmann wich nach Leipzig aus und baute die „Tuberkulose-Heilstoff-GmbH” auf, die 1934 von den Nazis beschlagnahmt wurde – ein Jahr, bevor der Entrechtete nach Monte Carlo ins Exil ging..
Petra Werner entnimmt Friedmanns Schrift „Warum noch immer Tuberkulose?” eine „bittere Lebensbilanz”: Vermögen verbraucht, jede Menge Feinde gemacht, den Seelenfrieden verloren. Das Medikament „Anningzochin” aber, das Friedmann nach seiner Gefährtin Anna Maria Zoch benannte, wurde noch bis vor kurzem produziert.
ARNO ORZESSEK
PETRA WERNER: Der Heiler. Tuberkuloseforscher Friedrich F. Friedmann. Koehler & Amelang Verlag, München u. Berlin 2001. 298 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Arno Orzessek zeigt sich recht angetan von Petra Werners Biografie über den jüdischen Arzt und Tuberkuloseforscher Friedrich F. Friedmann (1876 - 1953), der sich und andere täuschte, als er behauptete, Heilung und Ausrottbarkeit der Tuberkulose nachgewiesen zu haben. Für ihre Arbeit über Friedmann hat die Wissenschaftshistorikerin im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, in zwölf weiteren Archiven und (erstmals) im privaten Friedmann-Nachlass in Monte Carlo recherchiert und die Schauplätze von Friedmanns Schaffen besucht, berichtet Orzessek. Er hebt hervor, dass die Autorin trotz einiger Anflüge von Kitsch die wissenschaftshistorische Perspektive fest im Blick behält. Dank sorgfältiger Archivarbeit kann Werner nach Ansicht des Rezensenten mit dem Fall Friedmann zugleich die Berliner Wissenschaftspolitik vor und nach dem Ersten Weltkriegs erhellen.

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