"Ein beinahe archaischer Roman über die uralten Themen von Schuld, Sühne, Gut und Böse. Höchste Zeit, ihn wieder zugänglich zu machen." Elke Heidenreich
Filmreif erzählt Ennio Flaiano, der Drehbuchschreiber Federico Fellinis, wie ein junger italienischer Offizier durch eine Kette unglücklicher Zufälle ungewollt zum Mörder wird. Vor der überwältigenden Kulisse der nordafrikanischen Landschaft inszeniert er ein packendes psychologisches Kammerspiel.
Nach einer Autopanne findet sich der Held dieses Romans allein im äthiopischen Busch wieder. Die Begegnung mit einer rätselhaften Schönen löst eine Katastrophe aus: Durch Zufall prallt sein Schuss auf ein wildes Tier ab und tötet die Frau. Daraufhin quälen ihn nicht nur Selbstvorwürfe und die Furcht vor Entdeckung, sondern bald auch ein schlimmer Verdacht: dass er sich mit Lepra infiziert haben könnte. Von Todesangst getrieben, versucht er, sich zur Küste durchzuschlagen und ein Schiff nach Italien zu erreichen. Auf seiner dramatischen Flucht sieht der junge Soldat sich mit existentiellen Fragen konfrontiert, aber auch mit der absurden Komik scheinbar auswegloser Situationen.
Ennio Flaiano (1910-1972) ist vor allem durch seine Drehbücher zu Filmen wie "La strada" und "La dolce vita" bekannt. In diesem Roman leuchtet er präzise die Skrupel und Schuldgefühle seines Helden aus und zeigt eindrucksvoll, wie der Offizier zwischen Selbstanklage und Rechtfertigung, zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankt. "Ein Meisterwerk der Stille, der Nachdenklichkeit, der Langsamkeit. Es ist ein Buch über einen Menschen, der an seine Grenzen gelangt ist, erstaunt innehält und denkt: War das, bin das noch ich? Ein magisches Buch über den Krieg, das Töten und was das aus Menschen macht", schreibt Elke Heidenreich in ihrem Nachwort.
Ausgezeichnet mit dem "Premio Strega", Italiens höchstem Literaturpreis.
Filmreif erzählt Ennio Flaiano, der Drehbuchschreiber Federico Fellinis, wie ein junger italienischer Offizier durch eine Kette unglücklicher Zufälle ungewollt zum Mörder wird. Vor der überwältigenden Kulisse der nordafrikanischen Landschaft inszeniert er ein packendes psychologisches Kammerspiel.
Nach einer Autopanne findet sich der Held dieses Romans allein im äthiopischen Busch wieder. Die Begegnung mit einer rätselhaften Schönen löst eine Katastrophe aus: Durch Zufall prallt sein Schuss auf ein wildes Tier ab und tötet die Frau. Daraufhin quälen ihn nicht nur Selbstvorwürfe und die Furcht vor Entdeckung, sondern bald auch ein schlimmer Verdacht: dass er sich mit Lepra infiziert haben könnte. Von Todesangst getrieben, versucht er, sich zur Küste durchzuschlagen und ein Schiff nach Italien zu erreichen. Auf seiner dramatischen Flucht sieht der junge Soldat sich mit existentiellen Fragen konfrontiert, aber auch mit der absurden Komik scheinbar auswegloser Situationen.
Ennio Flaiano (1910-1972) ist vor allem durch seine Drehbücher zu Filmen wie "La strada" und "La dolce vita" bekannt. In diesem Roman leuchtet er präzise die Skrupel und Schuldgefühle seines Helden aus und zeigt eindrucksvoll, wie der Offizier zwischen Selbstanklage und Rechtfertigung, zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankt. "Ein Meisterwerk der Stille, der Nachdenklichkeit, der Langsamkeit. Es ist ein Buch über einen Menschen, der an seine Grenzen gelangt ist, erstaunt innehält und denkt: War das, bin das noch ich? Ein magisches Buch über den Krieg, das Töten und was das aus Menschen macht", schreibt Elke Heidenreich in ihrem Nachwort.
Ausgezeichnet mit dem "Premio Strega", Italiens höchstem Literaturpreis.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009Ich soll das getan haben, ich?
Was vom Krieg bleibt: Ennio Flaianos Roman "Alles hat seine Zeit" ist so zeitlos wie aktuell.
Von Tilman Spreckelsen
Ein italienischer Oberleutnant verirrt sich in Abessinien, trifft eine Einheimische, schläft mit ihr und erschießt sie. Er kehrt zur Truppe zurück, versucht seine Tat zu vertuschen und begeht dafür neue Verbrechen, am Ende beichtet er sie einem Offizier und kommt mit heiler Haut davon.
Etwa so könnte man den Inhalt von Ennio Flaianos Roman "Tempo di uccidere" zusammenfassen, mit einigem Recht, schließlich steht all das im Buch. Und doch begäbe man sich damit nicht nur auf schwankenden Grund, man liefe sogar Gefahr, das Eigentliche des Romans vollkommen zu verfehlen, das, was ihn unter den vielen Kriegserinnerungsbüchern des zwanzigsten Jahrhunderts so einzigartig macht.
Denn diesen Handlungsfaden verdanken wir einem Ich-Erzähler, der sich im Laufe des Romans als äußerst unzuverlässig erweist. Sicher nicht aus Freude am Lügen, Übertreiben oder Vertuschen, sondern weil ihn das, was ihm begegnet, merklich überfordert. Was da an Realität auf ihn einstürmt, kann er nicht fassen, und sein Bericht setzt sehr auffällig mitten im Geschehen ein: "Ich war erstaunt, am Leben zu sein, doch ich war es müde, auf Hilfe zu warten", so fängt das Ganze an, und man kann das auf die unmittelbare Situation des, wie sich herausstellt, kurz zuvor mit einem Lastwagen verunglückten Erzählers ebenso beziehen wie auf seine generelle Lage seit Monaten als Teilnehmer an Mussolinis Abessinien-Krieg der Jahre 1936 und 1937.
Dieser Feldzug gehört zu den grausamsten der Moderne. Die von der italienischen Armee eingesetzten Mittel, darunter Giftgas und der systematische Terror gegen Zivilisten, widersprachen allen internationalen Übereinkünften, und dass die Protagonisten dieses Romans allesamt Entsetzliches gesehen, verübt oder erlitten haben, steht außer Zweifel.
Nur der Leser erfährt davon nichts. Jedenfalls wird er nicht zum Augenzeuge, weil er nur das sieht, was ihm der Erzähler mitteilt. Der aber taumelt durch einen Albtraum, in dem die Bäume wie aus Pappmaché geformt, die Landkarten irreführend, die Abkürzungen unauffindbar oder tatsächlich Umwege sind, eine Welt, in der die verwesenden Leichen von Maultieren den Weg anzeigen, den die Kameraden des Erzählers gegangen sind, oder in der urplötzlich Erhängte, Erschossene, Vergaste ins Blickfeld geraten - kurz, eine Welt, in der es schwer erscheint, zwischen dem allgegenwärtigen Grauen und dem eigenen Anteil daran sauber zu unterscheiden. Geschildert werden nicht die Kampfhandlungen, sondern ihr Echo.
Ennio Flaiano, der von 1910 bis 1972 lebte, war Journalist und Autor, er hat für Federico Fellini eine ganze Reihe von Drehbüchern geschrieben, darunter meisterliche wie "La Strada", "Le Notti di Cabiria" oder "La Dolce Vita". Sein Tagebuch aus dem Abessinien-Krieg, an dem er sechs Monate lang teilgenommen hatte, wurde ihm zur Quelle für den Roman, den er elf Jahre später schrieb und dessen Titel "Tempo di uccidere" eigentlich "Die Zeit des Tötens" bedeutet, in den beiden deutschen Ausgaben des Romans aber zu "Frevel in Äthiopien" oder, beinahe etwas zu harmlos, "Alles hat seine Zeit" geworden ist.
Der Kunstgriff seines buchstäblich überwältigenden Buches, die tradierte literarische Technik des fragwürdigen Ich-Erzählers auf die Spitze zu treiben und den Oberleutnant in seiner Verstrickung dem von ihm selbst aufmerksam registrierten beginnenden Wahnsinn preiszugeben, lässt das Buch erstaunlicherweise jeden Vergleich mit dem ähnlich gelagerten "Schuld und Sühne" oder den Poe-Erzählungen "Das verräterische Herz" und "Die schwarze Katze" aushalten. Und natürlich wird der Leser auf die begrenzte Weltsicht des Erzählers geradezu gestoßen, wenn der die Äthiopier entweder als irgendwie tierhaft oder als Träger uralter Mysterien wahrnimmt, wenn er in allem, was ihm widerfährt, das "Wirken eines heimtückischen Plans" erkennt oder überwach und offenbar als einziger ständig Verwesung wittert.
Ein Antikriegsbuch, sicher, eines, dass eigenständig, stilsicher und fast wie eine Autopsie darlegt, was der Krieg in denen anrichtet, die ihn führen müssen und fortwährend mit den zivilen Opfern konfrontiert werden. Darum ist der Roman so zeitlos wie aktuell, man kann ihn im Irak so gut lesen wie in Afghanistan. Und darum kommt die Neuausgabe so gelegen.
Ennio Flaiano: "Alles hat seine Zeit". Roman. Aus dem Italienischen von Susanne Hurni. Mit einem Nachwort von Elke Heidenreich. Manesse Verlag, Zürich 2009. 512 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was vom Krieg bleibt: Ennio Flaianos Roman "Alles hat seine Zeit" ist so zeitlos wie aktuell.
Von Tilman Spreckelsen
Ein italienischer Oberleutnant verirrt sich in Abessinien, trifft eine Einheimische, schläft mit ihr und erschießt sie. Er kehrt zur Truppe zurück, versucht seine Tat zu vertuschen und begeht dafür neue Verbrechen, am Ende beichtet er sie einem Offizier und kommt mit heiler Haut davon.
Etwa so könnte man den Inhalt von Ennio Flaianos Roman "Tempo di uccidere" zusammenfassen, mit einigem Recht, schließlich steht all das im Buch. Und doch begäbe man sich damit nicht nur auf schwankenden Grund, man liefe sogar Gefahr, das Eigentliche des Romans vollkommen zu verfehlen, das, was ihn unter den vielen Kriegserinnerungsbüchern des zwanzigsten Jahrhunderts so einzigartig macht.
Denn diesen Handlungsfaden verdanken wir einem Ich-Erzähler, der sich im Laufe des Romans als äußerst unzuverlässig erweist. Sicher nicht aus Freude am Lügen, Übertreiben oder Vertuschen, sondern weil ihn das, was ihm begegnet, merklich überfordert. Was da an Realität auf ihn einstürmt, kann er nicht fassen, und sein Bericht setzt sehr auffällig mitten im Geschehen ein: "Ich war erstaunt, am Leben zu sein, doch ich war es müde, auf Hilfe zu warten", so fängt das Ganze an, und man kann das auf die unmittelbare Situation des, wie sich herausstellt, kurz zuvor mit einem Lastwagen verunglückten Erzählers ebenso beziehen wie auf seine generelle Lage seit Monaten als Teilnehmer an Mussolinis Abessinien-Krieg der Jahre 1936 und 1937.
Dieser Feldzug gehört zu den grausamsten der Moderne. Die von der italienischen Armee eingesetzten Mittel, darunter Giftgas und der systematische Terror gegen Zivilisten, widersprachen allen internationalen Übereinkünften, und dass die Protagonisten dieses Romans allesamt Entsetzliches gesehen, verübt oder erlitten haben, steht außer Zweifel.
Nur der Leser erfährt davon nichts. Jedenfalls wird er nicht zum Augenzeuge, weil er nur das sieht, was ihm der Erzähler mitteilt. Der aber taumelt durch einen Albtraum, in dem die Bäume wie aus Pappmaché geformt, die Landkarten irreführend, die Abkürzungen unauffindbar oder tatsächlich Umwege sind, eine Welt, in der die verwesenden Leichen von Maultieren den Weg anzeigen, den die Kameraden des Erzählers gegangen sind, oder in der urplötzlich Erhängte, Erschossene, Vergaste ins Blickfeld geraten - kurz, eine Welt, in der es schwer erscheint, zwischen dem allgegenwärtigen Grauen und dem eigenen Anteil daran sauber zu unterscheiden. Geschildert werden nicht die Kampfhandlungen, sondern ihr Echo.
Ennio Flaiano, der von 1910 bis 1972 lebte, war Journalist und Autor, er hat für Federico Fellini eine ganze Reihe von Drehbüchern geschrieben, darunter meisterliche wie "La Strada", "Le Notti di Cabiria" oder "La Dolce Vita". Sein Tagebuch aus dem Abessinien-Krieg, an dem er sechs Monate lang teilgenommen hatte, wurde ihm zur Quelle für den Roman, den er elf Jahre später schrieb und dessen Titel "Tempo di uccidere" eigentlich "Die Zeit des Tötens" bedeutet, in den beiden deutschen Ausgaben des Romans aber zu "Frevel in Äthiopien" oder, beinahe etwas zu harmlos, "Alles hat seine Zeit" geworden ist.
Der Kunstgriff seines buchstäblich überwältigenden Buches, die tradierte literarische Technik des fragwürdigen Ich-Erzählers auf die Spitze zu treiben und den Oberleutnant in seiner Verstrickung dem von ihm selbst aufmerksam registrierten beginnenden Wahnsinn preiszugeben, lässt das Buch erstaunlicherweise jeden Vergleich mit dem ähnlich gelagerten "Schuld und Sühne" oder den Poe-Erzählungen "Das verräterische Herz" und "Die schwarze Katze" aushalten. Und natürlich wird der Leser auf die begrenzte Weltsicht des Erzählers geradezu gestoßen, wenn der die Äthiopier entweder als irgendwie tierhaft oder als Träger uralter Mysterien wahrnimmt, wenn er in allem, was ihm widerfährt, das "Wirken eines heimtückischen Plans" erkennt oder überwach und offenbar als einziger ständig Verwesung wittert.
Ein Antikriegsbuch, sicher, eines, dass eigenständig, stilsicher und fast wie eine Autopsie darlegt, was der Krieg in denen anrichtet, die ihn führen müssen und fortwährend mit den zivilen Opfern konfrontiert werden. Darum ist der Roman so zeitlos wie aktuell, man kann ihn im Irak so gut lesen wie in Afghanistan. Und darum kommt die Neuausgabe so gelegen.
Ennio Flaiano: "Alles hat seine Zeit". Roman. Aus dem Italienischen von Susanne Hurni. Mit einem Nachwort von Elke Heidenreich. Manesse Verlag, Zürich 2009. 512 S., geb., 22,95 [Euro].
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"Schilderungen von magischer Dichte - jedes einzelne Bild ein poetisches Fanal, jede Gefühlsregung des Protagonisten wie unterm Brennglas gebannt." Peter Henning, "du"
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ob man dieses Buch nun wirklich im Irak "so gut lesen kann" wie in Afghanistan, wie Rezensent Tilman Spreckelsen schreibt bzw. ob sich an Ort und Stelle auch jemand findet, der das unternimmt - wer will das sagen? Spreckelsen aber hebt damit auf die zeitlose Aktualität des von Fellinis Drehbuchautor Ennio Flaiano mit Hilfe seines Kriegstagebuches aus Abessinien erstellten Romans ab. Spreckelsen fasziniert nicht so sehr die Handlung, sondern wie der Autor das Grauen des von Mussolini geführten Feldzuges durch den Realitätsverlust und die Orientierungslosigkeit seines Helden "stilsicher" vermittelt. Eine Ahnung vom Albtraum des Krieges bekommt der Rezensent indirekt, als Echo der Kampfhandlungen, wie er erklärt. Die Fragwürdigkeit des Erzählers aber wirkt auf eine Weise, die Spreckelsen das Buch mit "Schuld und Sühne" vergleichen lässt oder mit einigen Erzählungen von Edgar Allan Poe. Dennoch hält er es für ein ganz und gar eigenständiges Antikriegsbuch. Eines, dessen Neuauflage – es erschien erstmals 1947 – er nur begrüßen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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