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Produktdetails
  • Manesse Bibliothek der Weltliteratur
  • Verlag: Manesse
  • Originaltitel: La fortune des Rougons
  • Seitenzahl: 632
  • Abmessung: 155mm
  • Gewicht: 295g
  • ISBN-13: 9783717520245
  • ISBN-10: 3717520245
  • Artikelnr.: 11833356
Autorenporträt
Emile Zola (1840-1902) war Dockarbeiter, Verlagsangestellter und Journalist. 1898 protestierte er gegen die Verurteilung von A. Dreyfus, mußte ins Exil nach England und kehrte nach einem Jahr amnestiert und gefeiert zurück. Sein Hauptwerk ist der 20bändige Romanzyklus 'Les Rougon-Macquart'.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2004

Sichere Beute der Triebe
"Das Glück der Familie Rougon" von Zola, neu übersetzt

Auch wenn es die gleiche Geschichte ist - ein Heißsporn erzählt sie anders als ein Schwermütiger, ein Wirrkopf anders als ein Bedachtsamer. "Ein Kunstwerk ist ein Stück Natur, gesehen durch ein Temperament", schreibt der Romancier Emile Zola als Sechsundzwanzigjähriger und bekennt sich damit zu einer Theorie, die von Wissenschaftlern seiner Zeit entwickelt und beschrieben wurde. Es ist eine Theorie, die sein sanguinisches Temperament mit erzähltem Leben bestätigen wird.

Arbeitseifer und Willenskraft, Selbstvertrauen und Kampfeslust werden Zola nachgesagt: Er war ein Schriftsteller, der mit energischer Sicherheit ein Programm verkündete. Bei jeder Gelegenheit griff er zur Feder wie Paulus zum Schwert auf dem Gemälde von Dürer: Mit Schnauz- und Backenbart und breiter Stirnglatze gleicht der Schriftsteller dem streitbaren Apostel aufs Haar. Seine Feder ist das Schwert, das die Wurzeln einer abgelebten Poetik durchhauen und sich naturgegebenen Gesetzen anvertrauen wird. Die neuen Erkenntnisse aus Abstammungslehre und Milieutheorie sind für Zola unabdingbare Ausgangspunkte für die erzählende Erschließung von Wirklichkeit und Wahrheit. Er plant eine Romanfolge - "die Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem Zweiten Kaiserreich" -, in der er die angestrebte Verknüpfung biologischer Eigentümlichkeiten von Menschen und ihres Zusammenlebens in der Gesellschaft unternimmt. Doch er zeichnet eine Wirklichkeit, die nur die seine, verkündet eine Wahrheit, die nur die seine ist, wie Heinrich Mann die Quintessenz dieses Werks beschreibt: Es ist ein Stück Natur, betrachtet von einem Heißsporn, der sich mit der Vererbungslehre und der Experimentalmedizin beschäftigt hat.

Doch Zola weiß, daß die Regeln der Erzählkunst ihn zu seiner eigenen Betrachtung und Beurteilung, vor allem zur Darstellung dieser eigenen Wirklichkeit verpflichten: Er stellt das erfinderische Moment über die gesetzmäßige Nötigung der Realität. Schon im "Glück der Familie Rougon", dem ersten Roman des Zyklus, gelingt es ihm, die zwanghafte Wirkkraft der Realität zu überwältigen. Der Erzähler lockt uns in eine Geschichte, deren natürliche Bedingungen und historische Richtigkeiten er ins Wahrhaftige des Kunstwerks korrigiert. Seine entworfenen Personen scheinen zwar dem wirklichen Leben entsprungen, ihre Absichten und Taten allerdings gehorchen dem Gestaltungsprinzip des Erzählers. Es ist erforderlich für die Geschichte, daß Pierre und Antoine, die verfeindeten Halbbrüder, verschieden im Wesen, doch gleich in den Vorsätzen sind: rücksichtslos gegenüber ihren Familienangehörigen, bedenkenlos jede Gelegenheit zur persönlichen Machtausübung nutzend, schäbige Gesinnungslumpen, die sich schamlos zur Auslöschung des einzigen gewissenhaften Sprosses der Familie verbünden.

So steht das französische "fortune" im Titel eher für Chance und Hasard im Glücksspiel, für erschlichene Absicht auf Erfolg, für Raffinesse, Vermögen zu ergattern, am wenigsten für Glück in seiner positiven Bedeutung. Das Glück der Familie Rougon ist ein zweifelhaftes: Aus den niederträchtigen Liebedienern der monarchistischen Reaktion geht der kalte Karrierist hervor, der über Leichen geht. Den kleinmütigen Schwachköpfen der republikanischen Bewegung erwächst ein schwärmerisches Liebespaar, das an der Verwirrtheit seiner Ideen scheitert.

Es knistern die Nerven

Wie gern bin ich zu einem Gedankenspiel mit der Poetologie dieses mechanistischen Materialismus bereit! Ich wünsche dem Leser Geduld und Aufmerksamkeit bei der Lektüre, am besten läßt man sich die Wörter und Sätze lustvoll im Munde zergehen, denn in der neuen Übersetzung von Caroline Vollmann kann man förmlich die Nervenstränge knistern und die Körpersäfte glucksen hören. Emile Zola erweckt die wissenschaftlichen Theorien erzählend zu einem poetischen Leben, das keine Mystifikationen duldet, dafür den Eros der Sprache sich entfalten läßt. Er ist weit davon entfernt, die Urmutter der Familie Rougon-Macquart mythologisch zu überhöhen als "Trägerin des Muttertums", das Bachofen noch Mitte des neunzehnten Jahrhunderts für den nachromantischen deutschen Geisteskreis beschwor. Adelaide, ein zuchtloses Scheusal von Weib, mästet das Unheil im Mutterkuchen. Und Zola setzt seine ganze Kunst daran, sie schließlich in einen widerlichen Altersschwachsinn zu stürzen.

Pascal, ihr völlig aus der Art geschlagener Enkel, der als "Doktor Pascal" im letzten Band der Romanfolge den großen Forscher spielen wird, charakterisiert früh schon den verhängnisvollen Lebensantrieb seiner Familie: "Hysterie oder Begeisterung, niederer Wahnsinn oder erhabener Wahnsinn: Immer diese teuflischen Nerven!" So ist der reaktionäre Staatsstreich, der Louis Napoléon und die Monarchie wieder an die Macht bringt, auf dem platten Lande kein Waffengang, sondern ein Nervenkrieg, der eine Horde bauernschlauer Akteure ins Spiel bringt. Ein verirrter Flintenschuß beendet das Lokalstück: "Die Kugel zerschlug einen prächtigen Spiegel, der vom Kamin bis an die Decke reichte und im Rufe stand, einer der schönsten Spiegel der Stadt zu sein."

Plassans, der Ort des gesellschaftlichen Zusammenspiels, hat die widersprüchlichen Charakterdarsteller hervorgebracht, die in diesem Nervendrama ihre feste Rolle einnehmen. Und doch: Die im Wesen ungleichen Brüder, vom verhängnisvollen Beschaffensein des Milieus gleich gemacht, folgen den Launen der Natur, die ihre Symmetriebedürfnisse befriedige, wie Zola schreibt: Und folgerichtig führt er vor, wie eigene Eigenschaften eingesetzt, fremde Eigenschaften ausgenutzt werden, in den gesellschaftlichen Machtspielen "Bäumchen, Bäumchen, wechsle dich!" zu spielen. Der gekränkte Adel, der verschlagene Klerus, das lavierende Bürgertum: ihre Repräsentanten treten in dieser Varieténummer auf, die selbst gesellschaftliche Gruppen als Verkörperer persönlicher Eigenheiten erscheinen läßt. Der gelbe Salon der Rougons ist ein Bestiarium: Ein Stadtrat sieht aus wie eine Mastgans, "die in der heilsamen Furcht vor dem Koch ihr Futter verdaut", ein Marquis wie eine dürre Heuschrecke, ein Bürger wie eine schleimige Kröte, ein Militär wie eine zahnlose Dogge. Im gelben Salon hatte man "das belustigende Gefühl, in eine Menagerie geraten zu sein".

Trotz ironisierend beschriebener Charakterzüge, trotz satirisch erzählter Handlungsteile: Die Geschichte endet nicht komisch, auch wenn Zola, wissenschaftsbesessen, dem Blut in den verschiedenartigsten Spielarten seine Geltung verschafft. Den provinziellen Theatercoup ins Possenspiel stilisierend, bemächtigt er sich der schlafenden Eheleute Rougon, "die das Verbrechen in ihre Laken schwitzten und im Traum einen Blutregen in ihr Zimmer herabfallen sahen, dessen dicke Tropfen sich auf den Fliesen in Goldstücke verwandelten". Und mit dem blutroten Satinbändchen in Rougons Knopfloch, einem blutbefleckten Absatz unter dem Bett, einem blutenden Kerzenlicht im Straßendunkel - und einer Blutlache auf einem Grabstein im alten Friedhof beschwört der Erzähler ein letztes Mal den unseligen Körpersaft, der das Leben seiner Geschöpfe speist: "Diese ewig Unbefriedigten, diese ausgehungerten Raubtiere, die gerade eben erst auf die Genüsse des Lebens losgelassen worden waren, jubelten dem aufgehenden Kaiserreich, dieser Herrschaft der Beutegier zu."

Es glucksen die Körpersäfte

Obwohl man diese vom Zeitgeist der Epoche abhängige materialistische These der "Weitergabe von Störungen der Nerven und des Bluts" für überholt und nicht für übertragbar auf die Literatur hält: Man übersieht dabei die wesentliche Voraussetzung für Kunst überhaupt. Nicht nur am Anfang jeder wissenschaftlichen Erkenntnis, auch zu Beginn jedes Schreibens steht das Experiment. Indem es seine Ergebnisse auf Lehrmeinungen stützt, ist Zolas Erzählen ein experimenteller Akt. Claude Bernards Körpertheorie verbindet sich mit Emile Zolas Seelentheorie, analog zum naturwissenschaftlich beschriebenen Kosmos des Leibs entwirft Zola seine erzählte Welt der Leidenschaften. Das poetische Experiment seiner Zeit, das er in seiner Schrift "Der Experimentalroman" darlegt, heißt "Naturalismus".

"Wie schön wäre es, sein ganzes Dasein an ein Werk hinzugeben, in dem man sich bemühen müßte, die Dinge, die Tiere, die Menschen, die ungeheure Arche Noah hineinzubringen! Und zwar nicht nach der Vorschrift der Philosophiehandbücher, nicht nach der dummen Rangordnung, in der unser Stolz es sich wohl sein läßt, sondern vom vollen Fluß des allumfassenden Lebens -, eine Welt, in der wir nur eine Zufälligkeit wären, in der der Hund, der vorüberstreunt, und sogar der Stein am Wege uns vervollständigen und Aufschluß über uns geben würden", sagt der Schriftsteller Sandoz, Zolas zweites Ich im vierzehnten Roman der Rougon-Macquart. Unbeirrt geht es aus dem braven Realismus in den radikalen Naturalismus über, aus der Waldeinsamkeit ins Bergwerk, aus der Gartenlaube in die Mietskaserne, von behaglichen Amtsstuben in Bordelle und Hospitäler.

Der Literaturwissenschaftler Fritz Martini merkt an, daß man in Frankreich schon den Mut zu einer desillusionierenden Psychologie des modernen Lebens besessen habe, "als der deutsche Roman noch einen verinnerlichten und versöhnenden Diesseitsglauben aus der Kraft des Gemütes verteidigte". Noch heute, mehr als hundertzwanzig Jahre nach Zolas Romanexperiment, hat das Wort Naturalismus in deutschen Ohren einen unangenehmen Nachhall. Hierzulande fand sich kein Schriftsteller von Rang, der bereit und fähig war, eine Erzählsprache zu entwickeln, in der die Wörter Schweiß und Kot, zusammengefegter Dreck und verfaultes Fleisch, Gewalt und Wahnsinn ihre sinnlichen Obsessionen entfalten. Es ist müßig, den Inhalt dieses großen französischen Romans nachzuerzählen, in dessen eindringlicher Sprachkraft Dostojewskis außenseiterische Dämonie und Tolstois soziales Ethos auf radikale Weise nachklingen. Das an die Wurzel des Existentiellen heranreichende politische Bekenntnis Zolas betont Manfred Gsteiger in seinem Nachwort zum "Glück der Familie Rougon" ausdrücklich als "die Koinzidenz seiner Auffassung von Literatur mit der republikanischen Staatsform". Er zitiert Zolas berühmten Satz, die Dritte Republik müsse "naturalistisch" sein. Welch eine wegweisende Zusammenführung von politischer und poetischer Weltanschauung! Dem Leser sei die Lektüre mit der List des Verführers ans Herz gelegt: Hier wird die Welt nicht schöngeredet, sondern wahrerzählt.

Emile Zola: "Das Glück der Familie Rougon". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Caroline Vollmann. Mit einem Nachwort von Manfred Gsteiger. Manesse Verlag, Zürich 2003. 635 S., geb., 26,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hier wird die Welt nicht schöngeredet, sondern wahrerzählt!" feiert Rezensent Ludwig Harig diesen Roman, der jetzt in deutscher Neuübersetzung wieder aufgelegt wurde. Harig ist sichtlich fasziniert, wie der "Heißsporn" Emile Zola in seinem Roman "Das Glück der Familie Rougon" die "zwanghafte Wirkkraft der Realität" überwältigen kann, um sie seinen eigenen Gesetzen zu unterwerfen. Es ist müßig, die Handlung dieses großen französischen Romans nachzuerzählen, schreibt der Rezensent, der in Zolas eindringlicher Sprachkraft Dostojewskis außenseiterische Dämonie und Tolstois soziales Ethos auf radikale Weise nachklingen hört. Hierzulande habe sich kein Schriftsteller von Rang gefunden, der fähig gewesen wäre, eine Erzählsprache wie Zola zu entwickeln, "in der die Wörter Schweiß und Kot, Gewalt und Wahnsinn ihre sinnliche Obsession" entfalten. Auch erwecke Zola wissenschaftliche Theorien erzählend zu einem poetischen Leben. In Caroline Vollmanns Neuübersetzung sind dem Rezensenten die Wörter und Sätze lustvoll auf der Zunge zergangen: sie hat ihn das Nervensträngeknistern und die Körpersäfte förmlich glucksen hören lassen.

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