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Ein alter Mann beobachtet heimlich ein Kind. Wie der Zehnjährige morgens zur Schule geht, wie er zu Hause am Bett des kranken Vaters sitzt, der trotz schwerster Misshandlungen das KZ überlebt hat. Wie der Junge "Moby Dick" liest, am Zeitungsstand neben der "Quick" und "Revue" die Comics entdeckt, im Café Kranzler Kakao trinkt und aus dem Klassenzimmer auf die Werbung für "Creme Mouson" schaut, daneben Frankfurt am Main in Trümmern. Wie die Jahre vergehen, das Kind zum Mann wird und gegen die übermächtige Mutter aufbegehrt, während das Land sich allmählich verändert und doch stets mit seiner…mehr

Produktbeschreibung
Ein alter Mann beobachtet heimlich ein Kind. Wie der Zehnjährige morgens zur Schule geht, wie er zu Hause am Bett des kranken Vaters sitzt, der trotz schwerster Misshandlungen das KZ überlebt hat. Wie der Junge "Moby Dick" liest, am Zeitungsstand neben der "Quick" und "Revue" die Comics entdeckt, im Café Kranzler Kakao trinkt und aus dem Klassenzimmer auf die Werbung für "Creme Mouson" schaut, daneben Frankfurt am Main in Trümmern. Wie die Jahre vergehen, das Kind zum Mann wird und gegen die übermächtige Mutter aufbegehrt, während das Land sich allmählich verändert und doch stets mit seiner dunklen Vergangenheit leben wird. Wer ist der Alte, der so viel über das Leben des Jungen weiß? Michel Bergmann erzählt eine berührende Geschichte voller Magie über eine Jugend im Nachkriegsdeutschland und über das Kind in uns, das nie alt wird - und knüpft damit an seinen großen Erfolg von Die Teilacher an.
Autorenporträt
Michel Bergmann wurde als Kind jüdischer Eltern in einem Internierungslager in der Schweiz geboren. Nach einigen Jahren in Paris ziehen die Eltern nach Frankfurt am Main. Bergmann absolvierte eine Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau, wird er freier Journalist, später Autor, Regisseur und Produzent; er verfasst Drehbücher für Film und Fernsehen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr zu empfehlen ist laut Rezensent Hans Riebsamen dieser autobiografisch gefärbte Erinnerungsband von Michel Bergmann. Melancholisch und pointenreich witzig beschreibe der Autor das jüdische Leben im Frankfurt der Nachkriegszeit. Dass Bergmann so hinreißend von "Weihnukka" mit Adorno und Hanns Eisler erzählen kann, liegt laut Rezensent zwar daran, dass vom Autor weder Chronologie noch dokumentarische Echtheit angestrebt werden, köstlich amüsiert hat sich der Rezensent aber allemal, zumal Bergmann seine Figuren liebevoll zeichnet und dem Leser letztlich ein durchaus stimmiges Bild der Trümmerzeit präsentiert, wie Riebsamen versichert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2014

Adorno als Weihnachtsmann
Michel Bergmann erzählt in "Alles was war" aus dem Frankfurt seiner Jugend

Der Katholik kommt, ob er will oder nicht, mit der Erbsünde auf die Welt. Zum Glück gibt's für ihn die Taufe, durch welche diese Schuld abgewaschen wird, die Adam und Eva mit ihrem Sündenfall allen ihren Nachkommen aufgehalst haben. Auch der Jude, zumindest wenn er nach dem Zweiten Weltkrieg das Licht der Welt erblickt hat und in Deutschland zur Schule ging, ist mit einer Erbsünde behaftet. Seine Schuld besteht darin, dass er lebt, während Millionen anderer Juden ins Gas gescheucht oder auf andere Weise ermordet wurden. "Jedes jüdische Kind im Deutschland der Fünfziger wächst am Rande eines Massengrabs auf", stellt denn auch der Schriftsteller Michel Bergmann in seiner Erzählung "Alles was war" lakonisch fest.

Dass Bergmann 1945 in der Schweiz geboren wurde, hat ihm nichts genützt. Denn er tat seine ersten Atemzüge in einem Internierungslager, und alle Menschen, die im Lager waren, so weiß der Erzähler, haben seelische Defekte. Diese Bemerkung bezieht sich auf die Mutter des Protagonisten. Sie ist "waidwund" geworden, "immer misstrauisch" ob der vielen Toten, die sie in ihrer Familie zu beklagen hat. Auch der Sohn, von dessen Jugend im Nachkriegsdeutschland das Buch berichtet, das Alter Ego seines Autors, trägt die Narben seiner Herkunft und Abkunft.

Wider Erwarten stimmt Bergmann in der autobiographischen Erzählung über seine jungen Jahre in Frankfurt am Main kein Klagelied an über verstockten Antisemitismus oder verlogene Judenfreundlichkeit, wie sie in jenen Jahren des Wiederaufbaus und der Verdrängung der bösen Geschichte hierzulande gang und gäbe waren. Er schweigt sich darüber nicht aus, aber er berichtet darüber nicht im Jammerton, sondern in einer fast ironischen Art und Weise.

Seine Kindheitsbeschreibung steckt voller Witz und komischer Geschichten, voller liebevoll gezeichneter Figuren: Ilona Kranzler, die Chefin des gleichnamigen Cafés, die aus Wien an den Main gekommen ist und über die Österreicher feststellt: "Ein verlogenes, hinterfotziges Pack. Die schlimmsten Nazis." Oder die Mischpacha, die Familie, heute abfällig Mischpoke genannt, mit Onkel Siegfried und Tante Sophie aus Paris, die einen Fleisch-Supermarkt nach dem anderen aufgezogen haben, und Onkel Jack, der zur Barmizwa des Knaben aus New Jersey angereist ist und seinen schwarzen Cadillac DeVille mitgebracht hat, in dem die ganze Verwandtschaft mitfahren will.

Eine der hinreißendsten Geschichten spielt im ehemaligen Frankfurter Jüdischen Krankenhaus, das 1949 eine halbe Ruine ist, in der jüdische Überlebende provisorisch Unterschlupf gefunden haben. Auch die Familie des Knaben. Sie hat eine christliche Waise aufgenommen, ein herzensgutes naives Geschöpf, das von allen Bewohnern des Krankenhauses geliebt wird. Dieser Frieda wollen sie, die Juden, ein Weihnachtsfest ausrichten mit Tannenzweigen, Kerzen, Äpfeln. Professor Theodor Wiesengrund aus dem dritten Stock, nachmalig bekannt unter dem Namen Adorno, gibt den Weihnachtsmann. Ein gewisser Hanns Eisler, der ein berühmter Komponist und eingefleischter Bolschewist sein soll, erklärt sich gequält bereit, auf seinem Akkordeon "O Tannenbaum" und "Stille Nacht" zu spielen. "Warst du auch schön brav?", fragt Weihnachtsmann Wiesengrund und nimmt Frieda in die Arme, Eisler spielt dazu "Die Internationale", und allgemeine Fröhlichkeit kehrt ein in dem zur Weihnachtsstube umfunktionierten jüdischen Betsaal, als plötzlich der Rabbiner Riesenfeld angekündigt wird und Panik ausbricht. Zu dieser Pointe setzt Bergmann noch eine zweite, die hier nicht ausgeplaudert werden soll.

Wie viel in diesem Kapitel mit der Überschrift "Weihnukka" erfunden und wie viel Bergmann von dem, was er erzählt, erlebt hat, sei dahingestellt. "Alles was war" ist schließlich keine Dokumentation, sondern Literatur, der es nicht auf die Wahrheit jedes Details ankommt, sondern darauf, dass ein stimmiges Gemälde einer vergangenen Zeit gezeichnet wird - der Trümmerzeit mit einer zertrümmerten jüdischen Gemeinschaft, die aus Überlebenden besteht, die es nicht nach Amerika oder Israel geschafft haben und sich nun in Deutschland durchstrampeln müssen mit ewig schlechtem Gewissen, im Lande der Mörder zu wohnen.

Bergmann erzählt nicht chronologisch, sondern assoziativ. Es ist eine untergegangene Welt, in der Frankfurt noch vielerorts aus Trümmergrundstücken besteht, an der Alten Oper keine Ampel den Autofahrern den Weg weist, sondern Herr Seidel, der Polizist, auf einer rot-weiß gestreiften Kiste steht. Mit Melancholie schaut Bergmann auf die verlorene Zeit zurück. Und lässt doch keinen Zweifel daran, dass es für einen jüdischen Jungen keine heile Welt war.

"Jüdisch zu sein ist eben etwas anderes als katholisch oder evangelisch", schreibt der Autor und verfällt plötzlich in die Gegenwart und die Ich-Form. Heute komme der Risches, der Judenhass, im Gewand des Antizionismus daher, stellt Bergmann fest. Niemand interessiere sich für die Konfession der Vorstände von Daimler, Siemens oder Samsung. Aber sobald Manager wie Zuckerberg oder Soros involviert seien, schnappe die Judenfalle zu, schimpft er.

Die jüdische Erbsünde, sie wird dem Knaben und späteren jungen Mann nicht von Jahwe, sondern von der Umwelt, von ignoranten Mitmenschen aufgezwungen. Ein wenig hat sie Bergmann hoffentlich mit dieser hinreißenden Erzählung abwaschen können.

HANS RIEBSAMEN

Michel Bergmann: "Alles was war". Erzählung.

Arche-Literatur Verlag, Zürich 2014. 128 S., geb., 14,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.11.2014

Resignation eines Heimatlosen
In seinem neuen Buch „Alles was war“ erzählt der Autor Michel Bergmann von einem jüdischen Jungen im
Nachkriegsdeutschland, von den Erinnerungen eines alten Mannes, von Judenhass und „Weihnukka“
VON EVA-ELISABETH FISCHER
Ein alter Mann schaut zurück auf eine Kindheit, die unausgesprochen, aber wahrscheinlich seine eigene ist. Solche Rückschau verspricht Distanz. Und auch wieder nicht. Denn das Kind, das man einmal war, das lebt ja in einem weiter. Es fragt sich nur, inwieweit man es befragt und mit dem Älterwerden zu Wort kommen lässt. Am Ende schließt sich ein Kreis – in diesem Fall ist es der Aufbruch des Jungen in die Eigenständigkeit. Die passiert, als er 13 Jahre alt ist bei seiner Bar Mitzwa, bei seiner Rede anlässlich seiner Religionsmündigkeit. Für einen jüdischen Jungen Mitte der Fünfzigerjahre ist es ein Aufbruch unter schwierigsten Bedingungen, weil die Eltern körperlich und seelisch beschädigt sind. Traumatisiert. Der Bogen führt zur Resignation des Alten über ein Land, in dem das Heimischwerden vielleicht doch eine Illusion ist.
  Es erzählt also Michel Bergmann, Sohn von Holocaust-Überlebenden, die sich 1949 im zerbombten Frankfurt am Main niederließen, abermals vom täglichen Lebenskampf nach der Schoah, nur diesmal in einer Erzählung mit dem Titel „Alles was war“ (Arche). Es ist, als komprimierte und kondensierte er nunmehr auf 125 Seiten, was er vorher in einer Romantrilogie aufgeschrieben hat, beginnend mit den „Teilachern“ Ende der Vierzigerjahre, den fliegenden Händlern, die von Haus zu Haus zogen, um gebrauchte Kleidung und Waren aller Art zu verkaufen, über die „Machloikes“ (Durcheinander) bis hin in die Gegenwart mit dem ungleichen Brüderpaar in „Herr Klee und Herr Feld“, wobei der eine fromm, der andere hingegen ziemlich zynisch die Existenz Gottes infrage stellt und damit jedes religiöse Ritual als (möglicherweise tröstlichen) Mummenschanz.
  Wie der Junge, dessen Bar Mitzwa-Rede vor versammelter Gemeinde vom Rabbiner jäh unterbrochen wird, als er die Frage nach Gott während der Schoah stellt. Wie der Alte, der es satt hat, sich in Deutschland immer wieder für die Politik Israels zu rechtfertigen und sich der unziemlichen Deckung von Antisemitismus und Antizionismus ausgesetzt sieht. „Heute kommt der Risches ( Judenhass, Anm. der Redaktion ) im Gewand des Antizionismus daher, das ist praktisch. Auf Israel herumzuhacken ist einfacher als auf der syrischen Regierung. Die kann Palästinenser in Lagern verhungern lassen, sei’s drum. Sind ja keine Juden involviert“, so der innere Monolog des betagten Erzählers, der zu dem Schluss kommt: „Das Leben hat mich desillusioniert.“
  Es gibt viele bittere, sehr wahre Sätze in „Alles was war“, etwas diesen: „Jedes jüdische Kind im Deutschland der Fünfziger wächst am Rand eines Massengrabs auf.“ Und „Jüdisch zu sein ist eben etwas anderes als katholisch oder evangelisch. Schon das Kind spürt das.“ Oder auch der Hinweis auf den wirtschaftlichen Erfolg zurückgelassener Verwandter in Frankreich, woher die Familie nach Deutschland zog: „Früher haben sie Pferde stückweise verkauft, heute sitzen sie drauf. Sei’s drum, die Metzger bleiben für den wahren Geldadel Parvenüs.“ Allem geschliffenen Wortwitz zum Trotz – dem Judenhass ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Und im Deutschland der Fünfziger waren die Juden immer auf dem Quivive, saßen auf den sprichwörtlich gepackten Koffern in teils zerbombten Häusern, wo sie ums tägliche Brot kämpften und dabei den Grundstock der größten jüdischen Gemeinde Nachkriegsdeutschlands bildeten.
  Am lustigsten ist sicherlich das Kapitel „Weihnukka“, die Synthese von Chanukka, dem jüdischen Lichterfest, und Weihnachten. Wie andere DP–Familien ist die des Jungen im heilen Teil des ehemaligen Jüdischen Krankenhause untergekommen und feiert dort das christliche Fest für ein schlesisches Mädchen – der Komponist Hanns Eisler spielt „O Tannenbaum“ am Klavier und ein gewissen Theodor Wiesengrund gibt den Weihnachtsmann. Auch die jüdische Mimikry im Nachkriegsdeutschland wird Rachel Salamander möglicherweise mit Michel Bergmann diskutieren, wenn er an diesem Montag aus „Alles was war“ liest.
Michel Bergmann: Alles was war , Lesung, Montag, 3. November, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1 
Das lustigste Kapitel von „Alles was war“ spielt im ehemaligen Jüdischen Krankenhaus in Frankfurt, hier in einer Aufnahme von 1930. In dem von Bomben nicht zerstörten Teil kamen nach dem Krieg jüdische Überlebende unter, die in einer improvisierten Betstube auch ihre Feiertage begingen.
Foto: Bildarchiv Pisarek / akg-images
Der Journalist, Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schriftsteller Michel Bergmann .
Foto: Anke Apelt
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Eine Geschichte voller Magie über eine Jugend in Deutschland nach dem Krieg. Buch aktuell, November 2015