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2015 wird die Universität Wien 650 Jahre alt. Doch dieses Jubiläum gibt nicht nur Anlass zum Feiern. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählte die Alma mater Rudolphina zu den weltweit führenden Universitäten. Ein Jahrhundert später rangiert sie in so gut wie allen internationalen Hochschulrankings jenseits der ersten hundert.
Vieles ist über die Geschichte des Niederganges der Universität Wien ab 1938 bekannt. Unerforscht blieb bis jetzt jedoch der intellektuelle Aderlass, der bereits nach dem ersten Weltkrieg an der Universität einsetzte. Bereits um 1918 erkämpften sich antisemitische,
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Produktbeschreibung
2015 wird die Universität Wien 650 Jahre alt. Doch dieses Jubiläum gibt nicht nur Anlass zum Feiern. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählte die Alma mater Rudolphina zu den weltweit führenden Universitäten. Ein Jahrhundert später rangiert sie in so gut wie allen internationalen Hochschulrankings jenseits der ersten hundert.

Vieles ist über die Geschichte des Niederganges der Universität Wien ab 1938 bekannt. Unerforscht blieb bis jetzt jedoch der intellektuelle Aderlass, der bereits nach dem ersten Weltkrieg an der Universität einsetzte. Bereits um 1918 erkämpften sich antisemitische, anti-linke und frauenfeindliche Professoren die Hegemonie an der Universität Wien, bis sie schließlich 1938 die Herrschaft an der Hochschule antreten konnten.

Diese und andere unangestastete Themen bringt Klaus Taschwer zur Sprache und bricht damit mit der bisherigen Uni-Geschichtsschreibung. Anlässlich ihres Jubiläums gibt er einen freien Blick auf die Tatsachen und Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts, die sich um diese österreichische Institution ranken.
Autorenporträt
Klaus Taschwer, geboren in Judenburg, Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie in Wien. Lektor am Institut für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung der Universität Wien sowie Gründungsredakteur des Wissenschaftsmagazins 'heureka'. Des Weiteren arbeitet Klaus Taschwer als Journalist beim Falter. 2013 erster Journalist-in-Residence am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2015

Als die Physiker der Metaphysik zu Leibe rückten
Kleiner Zirkel mit großer Wirkung: Karl Sigmund macht mit dem "Wiener Kreis" bekannt, und Klaus Taschwer beschreibt den Niedergang der Universität Wien

Logischer Empirismus, wissenschaftliche Weltauffassung, wissenschaftliche Philosophie, Einheitswissenschaft: so lauteten programmatische Kennwörter, unter denen sich im Wien der zwanziger Jahre eine Gegenbewegung zur etablierten akademischen Philosophie formierte. Was die Mitglieder und Sympathisanten des "Wiener Kreises" miteinander verband, war die Überzeugung, dass Philosophie weder auf privilegierte Erkenntnisweisen pochen könne noch auf Gegenstandsbereiche, die den anderen Wissenschaften prinzipiell entzogen sind. Die Wissenschaften, insbesondere die neue Physik, sollten vielmehr die Taktgeber sein. Der Prüfbarkeit entzogene "metaphysische" Aussagen galt es beiseitezuräumen, methodische Klärung und Förderung wissenschaftlicher Welterkenntnis war die Aufgabe.

Die Geschichte des "Wiener Kreises" selbst war kurz, beendet bereits mit der ständestaatlichen Diktatur von 1934, besiegelt mit dem "Anschluss" vier Jahre später. In den dreißiger Jahren emigrierten fast alle seine noch lebenden Mitglieder - und sorgten dafür, dass sein Erbe in der angelsächsischen Welt aufging. Die Forschung hat sich dem "Kreis" und seinem Umfeld erst von den späten siebziger Jahren an mit Nachdruck gewidmet. Seitdem sind exzellente Studien zu vielen seiner Facetten erschienen, samt Vorgeschichte, Nachwirkungen und Texteditionen.

Karl Sigmund, Professor für Mathematik in Wien, hat diesen Untersuchungen nun nicht eine weitere hinzugefügt, sondern, gestützt auf die mittlerweile erschlossenen Quellen, eine breit angelegte, Umfeld und Hintergrund berücksichtigende Darstellung mit einführendem Charakter geschrieben. Der Leser muss also nicht befürchten, kopfüber in voraussetzungsreiche Debatten gestürzt zu werden. Sigmund skizziert Lebensgeschichten und biographische Konstellationen, resümiert bündig die philosophischen und methodologischen Einsätze, weiß dabei Anekdotisches ebenso wie die zitierten Äußerungen seiner Protagonisten gut zu wählen.

Die ideelle Vorgeschichte des "Kreises" weist weit ins neunzehnte Jahrhundert zurück. Aber im engeren Sinn beginnt sie mit Ernst Mach, der zu seiner Patenfigur wurde. Die prononcierte Ablehnung von Metaphysik, ein dagegengesetzter unorthodoxer Empirismus, eine Wissenschaftsphilosophie mit Sinn für historischen Kontext und Spielräume, die Vertrautheit mit Physik ohnehin und auch mit der Mathematik - bei Mach kamen wichtige Facetten zusammen, die für den "Kreis" Bedeutung gewannen.

Der Physiker Ernst Mach war 1895 auf einen neu eingerichteten Lehrstuhl der Wiener Philosophischen Fakultät für "Philosophie und Geschichte der induktiven Wissenschaften" berufen worden. Sein unmittelbarer Nachfolger war Ludwig Boltzmann gewesen, auch er ein philosophierender Physiker - und vier Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schloss der noch junge, gerade erst in Kiel zum Ordinarius bestellte Moritz Schlick mit seiner Berufung nach Wien an diese Tradition an. Schlick, der bei Max Planck in Berlin dissertiert und sich dann insbesondere mit seinen Interpretationen der Relativitätstheorie - die Albert Einstein überzeugten - einen Namen gemacht hatte, wurde zur Integrationsfigur des 1924 im Mathematischen Seminar der Wiener Universität seine Zusammenkünfte beginnenden "Kreises".

Zum inneren Zirkel zählten mit Hans Hahn, Philipp Frank und Otto Neurath Mitglieder, die bereits vor dem Weltkrieg eine Gesprächsrunde initiiert hatten, über die allerdings wenig bekannt ist. Ab Mitte der zwanziger Jahre aber entwickelt der "Kreis" Strahlkraft. Sigmunds Darstellung zeigt deutlich genug, wie verschieden dabei die Haltungen und Temperamente selbst innerhalb seiner Kerngruppe waren. Als 1929 die Selbstdarstellung "Wissenschaftliche Weltauffassung - Der Wiener Kreis" erscheint, gibt der linke, entschieden politisch engagierte Flügel den Ton an. Zuvörderst Otto Neurath, eng mit dem "Roten Wien" verknüpft, aber auch der Mathematiker Hans Hahn, einziger Ordinarius in der Vereinigung sozialistischer Akademiker, und der 1926 nach Wien gekommene Rudolf Carnap. Für sie ist die wissenschaftliche Philosophie auch ein gesellschaftlich-politischer Einsatz.

Dem Nationalökonomen und marxistischen Soziologen Neurath gilt die bekämpfte Metaphysik letztlich als falsche Tiefe, hinter der sich die bourgeoisen Interessen verschanzen: Nichts ist verborgen, alles hängt an der übersichtlichen Darstellung der Oberfläche im wissenschaftlichen Geist.

Schlick hält von dieser Motivation des Kampfs gegen die Metaphysik nichts; und erst recht nicht der ziemlich unzugängliche, 1929 sich nach Cambridge verabschiedende Wiener Philosoph, den Schlick zum Ärger Neuraths sehr bewundert: Ludwig Wittgenstein. Dass es nichts in der Tiefe Verborgenes zu entdecken gibt, kann eigentlich auch als dessen Maxime gelten - und steht bei ihm doch für einen ganz anderen Gestus. Aber Neurath kann auf seine Weise, so überzogen manchmal seine Positionen wirken, Carnap von manchen Vorstellungen, wie eine rationale Rekonstruktion unseres Weltverhältnisses auszusehen habe, abbringen. Auch diese Diskussionen, die auf spätere Entwicklungen in der von Carnap mitgeprägten angelsächsischen analytischen Tradition vorausweisen, reißt Sigmund an. Und er zeichnet die Verbindungen nach zum erweiterten Kreis, zu eher lose assoziierten Mitgliedern und Sympathisanten, auch zu anderen Wiener Diskussionszirkeln.

Leicht ist natürlich nicht immer zu resümieren, was da an (meta-)mathematischen, (wissenschafts-)logischen, ökonomischen oder allgemeiner spieltheoretischen Konzepten, die Epoche machten, auf den Weg kam. Aber Sigmund versteht es, diese Ideen knapp zu erläutern, ob nun die Probleme der mathematischen Grundlagentheorie nach Hilbert, Kurt Gödels große Theoreme oder Oskar Morgensterns Weg zur Spieltheorie. Die Biographien und ihre Verflechtung bleiben dabei immer präsent.

Der Zerfall des "Kreises", sein Ende mit der Ermordung Moritz Schlicks zwei Jahre nach der Errichtung des österreichischen Ständestaats kommt für den Leser nicht überraschend. Sigmunds Darstellung lässt erkennen, mit welchen Widerständen er von Anfang an auf dem Wiener akademischem Terrain zu kämpfen hatte: gegen überaus einflussreiche konservative Seilschaften und vor allem auch gegen deren Antisemitismus. Ein Mann wie Neurath kam gar nicht erst auf den Gedanken an eine akademische Karriere, sondern hielt sich an Organisationen des "Roten Wien", und Schlick musste eine Reihe von jungen Mitarbeitern am akademischen Rand über Wasser halten.

Will man sich diese rechtskonservativ-antisemitische Prägung der Wiener Universität der Zwischenkriegszeit näher vor Augen führen, kann man zu einer anderen Neuerscheinung greifen. Der Wiener Wissenschaftsjournalist Klaus Taschwer stellt sie in seinem Buch über den "Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert" mit einer Fülle von eindrucksvollen, also erschreckenden Belegen dar. Sie geben kein unerwartet neues, aber ein sehr detailreiches Bild und lassen vor allem sehen, dass die antisemitischen Intrigen fast unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg einsetzten. Das Wiener akademische Terrain erweist sich eher als Avantgarde denn als annektiertes Gebiet der Tendenzen, die dann nach 1934 und 1938 zu eindeutigen Verhältnissen führten.

Der Abstieg der Universität Wien war damit besiegelt. Nach 1945 hielten sich Versuche, ins Exil gegangene Wissenschaftler nach Wien zurückzuholen, in allerengsten und bloß der Form geschuldeten Grenzen: Man blieb unter sich und versank in weiten Bereichen in internationale Bedeutungslosigkeit. Bei Sigmund findet man einen kurzen Epilog, der die entsprechend betrübliche Entwicklung am Wiener Philosophischen Institut in Erinnerung ruft. Bei Taschwer kann man dazu noch einige Quellen und erstaunliche akademische Lebensläufe mehr nachlesen. Die Universität Wien feiert in diesem Sommer 650 Jahre ihres Bestehens. Zum Programm gehört auch eine von Karl Sigmund mitkuratierte Ausstellung über den "Wiener Kreis", deren stattlicher Katalog allerdings noch nicht erschienen ist.

HELMUT MAYER

Karl Sigmund: "Sie nannten sich ,Der Wiener Kreis'". Exaktes Denken am Rand des Untergangs.

Springer Spektrum Verlag, Wiesbaden 2015. 361 S., Abb., br., 19,99 [Euro].

Klaus Taschwer: "Hochburg des Antisemitismus". Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert.

Czernin Verlag, Wien 2015. 312 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Helmut Mayer weist am Ende seiner umfangreichen Besprechung zu Karl Sigmunds Geschichte des Wiener Kreises auf Klaus Taschwers Buch hin, das den Antisemitismus der Wiener Universität im 20. Jahrhundert beleuchtet. Mayer lernt vom Wissenschaftsjournalisten Taschwer, dass Wien von 1934 an mit viel eigenem Elan - und ganz ohne von deutschen Nazis dazu gezwungen werden zu müssen -  die jüdischen Wissenschaftler zu vertreiben begann und auch nach 1945 kaum Anstrengungen machte, sie zurückzuholen. Der Abstieg ins Provinzielle war damit für die Universität besiegelt.

© Perlentaucher Medien GmbH