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In seinem zweiten Prosawerk gerät das lyrische Ich des Autors von Bild zu Bild, gerät der Leser in einen Strudel der Wahrnehmungen und Assoziationen, erobern sich die Sinne einen neuen, ganz eigentümlichen Zugang zur Welt. In einer sinnlichen und farbenreichen Bildsprache verleiht Bleier den Sätzen, den Worten eine tiefere Bedeutung, haucht er den Objekten seiner Prosa eine janusköpfige Vielsichtigkeit ein. Surreale Akteure beleben das Umfeld des kalbsköpfigen ICH, Hirnhäusler und Kopffüßler stehen am Wegesrand der Reise und werfen ihre widernatürlichen Schatten. So wie die Dinge beseelt…mehr

Produktbeschreibung
In seinem zweiten Prosawerk gerät das lyrische Ich des Autors von Bild zu Bild, gerät der Leser in einen Strudel der Wahrnehmungen und Assoziationen, erobern sich die Sinne einen neuen, ganz eigentümlichen Zugang zur Welt. In einer sinnlichen und farbenreichen Bildsprache verleiht Bleier den Sätzen, den Worten eine tiefere Bedeutung, haucht er den Objekten seiner Prosa eine janusköpfige Vielsichtigkeit ein. Surreale Akteure beleben das Umfeld des kalbsköpfigen ICH, Hirnhäusler und Kopffüßler stehen am Wegesrand der Reise und werfen ihre widernatürlichen Schatten. So wie die Dinge beseelt erscheinen - ohne dabei menschlich zu wirken - präsentiert sich der Mensch als Leibmaschine ohne Seele. Das lyrische Ich schafft sich, indem es die Vorgänge um sich herum bezeichnet, seine Welt ganz neu und verzettelt sich in seinen Gedanken. Wolfgang Bleier gestaltet ein alptraumartiges Szenario, in dem seine Figuren und Worte unbeirrt voranschreiten."Immer wieder fliege ich an derselben Stelle über die Wörter. Ein Haufen Köpfe raucht auf der Erde. Zwei Züge fahren über die Grenze. Das Kommando ergeht, es ist ein Befehl; der Vater steht da wie ein Fels. Auf der Straße tragen Menschen Schafsgesichter. Krähen, alte Leute, reden. Wir melden uns zu Wort: so flüstern andere als wir, wie Schnee vom Himmel fällt. Ich blähe mich auf, auf unsanfte Art, ganz aufgetrieben, rücken Worte als Soldaten aus."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2007

Fin de Siècle, warmgehalten
Sprachkrise: Wolfgang Bleiers Kapitulationsprosa

Mein Ruin ist, in Kürze, dieser: Würde das vorliegende Buch in einer jener Sendungen vorgestellt, die in etwa drei Minuten das "Wer, Wo, Wann" klären und dann zum nächsten Band übergehen, dann dürften auch routinierte Inhaltsangeber ganz schön ins Schwitzen kommen: Schon die drei W-Fragen lassen sich hier nicht ohne weiteres beantworten. Auf einer Seite ist Frühling, auf der nächsten Herbst, die Orte sind wechselnde Baum- und Traumlandschaften, und auch das dichtende Ich gleicht sich von einer Aufzeichnung zur anderen mitunter wenig. Noch dazu steckt in vielen Wendungen eine lyrische Mehrdeutigkeit und ein weiter Assoziationsraum. Das beginnt schon beim ersten Satz: "Damals hatte ich die Morgenröte im Kopf, und die Morgenstunde hatte das Maul voller Gold."

Nicht nur wird hier poetisch ein Erwachen beschrieben, sondern es soll wohl auch Nietzsche mit anklingen. Nun wäre es freilich allzu beliebig, aus einer heterogenen Aphorismensammlung wie der "Morgenröthe" ein Motto als Vorlage herauszuklamüsern; aber zumindest die Widersprüchlichkeit der Aufzeichnungen wäre ein Vergleichspunkt, und der Verweis auf Nietzsche darf wohl gewissermaßen symbolisch für die Verunsicherungen der morgendämmernden Moderne verstanden werden.

Beim zweiten Teil des Zitats wird es schon spezieller: Die dort stattfindende Sprichwort-Ruinierung erinnert an sprachkritische Dichtung wie etwa Enzensbergers "Landessprache", die im Haus der deutschen Redewendungen keinen Stein mehr auf dem anderen ließ. Beide Satzhälften zusammen ergeben die Mischung aus anbrechender und reflektierter Moderne, die für Bleiers Technik kennzeichnend ist. Die modernistische Kritik an erstarrten Sprachbildern und konventionellen Metaphern, die in den sechziger Jahren wieder sehr in Mode kam, macht er sich von neuem zu eigen, um sie dann in eine Produktivkraft zu verwandeln.

Die ein- bis zweiseitigen Abschnitte, in die Bleiers Buch sich unterteilt und aus denen der Titel "Verzettelung" erhellt, sind Erzählversuche, die sich der Landschaft wie der Biographie widmen, meist beidem zugleich. Sie als "Prosa" zu bezeichnen ist dennoch eine Einengung und wohl nur den Konventionen des Buchmarktes geschuldet, die eine Gattungsbestimmung erfordern. Denn die Textstücke sind dicht und stark interpretationsbedürftig. Der hier spricht, buchstabiert moderne Befindlichkeiten wie "Entgrenzung" und "Ich-Dissoziation" nochmals durch: Lord Chandos und Malte Laurids Brigge lassen grüßen.

Ist das also epigonal? Tatsächlich ist die literarische Disposition heute keine andere als zu Hofmannsthals und Rilkes Zeiten: Dem Erzählen ist Sinn und Zusammenhang abhandengekommen, weil unser Erlebnis von Wirklichkeit sich nicht mehr mit der Linearität und der Ordnung herkömmlicher Erzählungen deckt. So unpopulär diese Erkenntnis heute sein mag - sie ist doch noch legitim. In Bleiers Kapitulationsprosa klingt sie so: "Kurz bevor ich aus dem Jahrhundert wieder auftauche, schwappt die Grundsuppe natürlich darüber." Sein lyrischer Zettelkasten ist ein einsames Symptom dieser Verfassung in Zeiten, da avantgardistische Texte im "Kerngeschäft" des Literaturbetriebs kaum noch vorgesehen sind.

JAN WIELE

Wolfgang Bleier: "Verzettelung". Prosa. Otto Müller Verlag, Salzburg 2007. 127 S., geb., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jan Wiele begrüßt diese Textsammlung als seltenes Ereignis im heutigen Literaturbetrieb. Nicht für epigonal, sondern für avantgardistisch hält er Wolfgang Bleiers "lyrischen Zettelkasten", weil ihm die thematischen Vorgaben ("Entgrenzung", "Ich Dissoziation") heute so aktuell erscheinen wie zu Zeiten von Hofmannsthals "Lord Chandos" und der Autor "modernistische" Sprachkritik ins Produktive wende. Dass sich die Texte genremäßig schwer einordnen lassen (Wiele nennt sie "Erzählversuche"), stört den Rezensenten nicht. Die in ihrer Dichte begründete Herausforderung zur Interpretation nimmt er gerne an.

© Perlentaucher Medien GmbH