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"Für die Recherchen zu seinem Roman Die Wahrheit über Marie stieg er sogar zum ersten Mal in seinem Leben auf ein Pferd; für den gleichfalls in dem Buch beschriebenen Herzinfarkt wollte er es dann doch nicht so weit treiben, es auf einen Selbstversuch ankommen zu lassen", schreibt Bernard Pivot, Frankreichs Literaturpapst, in seiner begeisterten Kritik über dieses neue Buch Jean-Philippe Toussaints, das im März anlässlich seiner aktuellen Ausstellung im Pariser Louvre "Toussaint: La Main et le Regard - Livre/Louvre" erschien: luzide Aufsätze über Literatur, Lesen und das eigene Schreiben, eine…mehr

Produktbeschreibung
"Für die Recherchen zu seinem Roman Die Wahrheit über Marie stieg er sogar zum ersten Mal in seinem Leben auf ein Pferd; für den gleichfalls in dem Buch beschriebenen Herzinfarkt wollte er es dann doch nicht so weit treiben, es auf einen Selbstversuch ankommen zu lassen", schreibt Bernard Pivot, Frankreichs Literaturpapst, in seiner begeisterten Kritik über dieses neue Buch Jean-Philippe Toussaints, das im März anlässlich seiner aktuellen Ausstellung im Pariser Louvre "Toussaint: La Main et le Regard - Livre/Louvre" erschien: luzide Aufsätze über Literatur, Lesen und das eigene Schreiben, eine charmante Hommage an die Literatur, brillante Texte, anekdotisch-unterhaltsame Miniaturen, die mit großer intimer Kenntnis und Wissen über große Literatur sprechen. Wie beiläufig, unterhaltsam und doch so ungeheuer scharfsinnig führt Toussaint den Leser in sein literarisches Universum, erzählt von seinen Lektüren, von seinen ersten Schritten als junger Autor, von den berühmtesten der berühmten Autoren der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts und blickt humorvoll-analytisch hinter die Kulissen der Weltliteratur. Die literarischen Begegnungen mit Proust, Kafka und Dostojewski und die Erweckungserlebnisse, die diese Lektüren zur Folge hatten, runden das Bild ab. Und dann natürlich die folgenschwerste Begegnung, die Begegnung mit dem Werk Becketts, dem er dann eines Tages in einem dunklen Flur persönlich gegenübersteht. Jean-Philippe Toussaint lebt in Brüssel und auf Korsika. Zuletzt erschien in der FVA sein Roman Die Wahrheit über Marie. Der 2012 erschienene Band "Die Dringlichkeit und die Geduld" erhielt begeisterte Kritiken und erreichte Platz 2 der Essay-Bestsellerliste von L'Express in Frankreich. "Ich empfehle die Lektüre von Die Dringlichkeit und die Geduld allen, die davon träumen zu schreiben oder gerade damit angefangen haben." Bernard Pivot, Le Journal du Dimanche
Autorenporträt
Jean-Philippe Toussaint, geboren 1957, ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur und Fotograf. Er lebt in Brüssel und auf Korsika. Sein Gesamtwerk erscheint auf Deutsch in der Frankfurter Verlagsanstalt, zumeist in der Übersetzung des Verlegers Joachim Unseld. _2003 erschien in der FVA der erste Band seines Marie-Romanzyklus, »Sich lieben«, der in Frankreich schnell zum Bestseller avancierte. Es folgten die Romane »Fliehen« (FVA 2007), »Die Wahrheit über Marie« (FVA 2011) und »Nackt« (FVA 2014), mit denen er jeweils auf der Shortlist für den Prix Goncourt stand. Mit »M.M.M.M.« (FVA 2017) liegt der abgeschlossene vierteilige Romanzyklus von Jean-Philippe Toussaint auch in einem Band vor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2012

Axt & Scheide
Warum Jean-Philippe Toussaint mit Beckett Schach spielen wollte

Es ist ziemlich merkwürdig, dass der Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint in Deutschland immer noch eine Art Geheimtipp ist. Denn wer einmal angefangen hat, die Bücher des 54-jährigen Belgiers zu lesen, der abwechselnd in Brüssel und auf Korsika lebt, besonders seine Trilogie "Sich lieben", "Fliehen" und "Die Wahrheit über Marie", der bleibt ihm treu. Der will mehr von dieser betörend lakonischen Sprache. Von einer Romanwelt, die Toussaint so gerne in eine Dingwelt verwandelt, wenn er als Hintergrundgeräusch überall technische Geräte dröhnen, schnurren oder klingeln lässt. Wenn er den Sex zweier Sich-nicht-mehr-Liebender in Tokio durch ein Fax stört, das mitten in der Nacht aus Europa ankommt, oder im Zug nach Peking ein Mobiltelefon zum Protagonisten der Handlung werden lässt.

Vordergründig erzählt Toussaint Geschichten von Liebe und Trennung: Zusammen verreisen, sich ein Zimmer teilen, in einem eleganten Hotel in Tokio, ist in "Sich lieben" die beste Gelegenheit, um Schluss zu machen; in "Fliehen" ist die Abwesenheit des anderen die einzige Möglichkeit, einander nahe zu sein. Was wie ein beiläufiges Beziehungsdrama daherkommt, ist minutiös konstruiert, ein Spiel mit Bezügen, ein Experiment mit Kalkül und Leidenschaft. Toussaints Texte sind extrem leicht lesbar. Zugleich sind sie ein kompliziertes und sehr dichtes Gewebe.

Joachim Unseld, der den Autor seit Jahren verlegt, hat nun dessen Essays über das Schreiben übersetzt, die - typisches Toussaint-Understatement - mit der Feststellung beginnen, dass er, bis er zwanzig war, eigentlich so gut wie gar nicht gelesen, keine bestimmten Vorlieben gehabt und sich überhaupt nicht groß "für Sachen" interessiert habe: "ein bisschen für Fußball, fürs Kino". Dann, mit einundzwanzig, las er Dostojewskijs "Verbrechen und Strafe" und bekam es "voll in die Fresse": Ein Buch müsse eine Axt sein für das gefrorene Meer in uns, habe Kafka gesagt. Und Toussaint fragt: "Die Axt?" Vielmehr sei doch die Literatur die scharfe Scheide dieser Axt, die er hier zum ersten Mal habe aufblitzen sehen. Hier, bei Dostojewskij, als er sich mit Raskolnikow, dem Mörder, identifizierte, sei ihm die fürchterliche Macht der Literatur bewusst geworden. Er habe begriffen, dass eine ihrer wesentlichsten Kräfte in ihrer Zweideutigkeit liege: "Literatur, das war - und das sollte sie immer sein - wie Schwefel, wie Weißglut, wie Säure." Einen Monat später fing er selbst an zu schreiben.

Die Essays handeln von den Bedingungen, unter denen Literatur entsteht. Wir erfahren, in welchen Arbeitszimmern Toussaint welchen Roman geschrieben hat und wieso er diese Zimmer als "neutrale Orte" schätzt, als Schneckenhäuser, in denen er sich nur vorübergehend aufhält. Wir lesen, inwiefern zwei unversöhnliche Dinge, die Dringlichkeit und die Geduld, zu den Voraussetzungen des Schreibens gehören.

In den schönsten Passagen allerdings geht es um etwas anderes: um die Bewunderung für Samuel Beckett, dem Toussaint Anfang der achtziger Jahre einen Brief schrieb. Darin erklärte er ihm, dass er zu schreiben begonnen habe, und schlug ihm vor, auf dem Korrespondenzweg eine Partie Schach mit ihm zu spielen. Wenn er, Toussaint, gewinne, müsse Beckett das Stück lesen, das er gerade geschrieben habe. Wenn Beckett gewinne, würde Toussaint das Stück mit ausgeruhtem Kopf selber wiederlesen. "Für den Fall dass: Bauer auf e4", schrieb er. Und Beckett antwortete: "Schwarz gibt auf. Schicken Sie mir das Stück. Herzlich. Samuel Beckett". Dass Toussaints Romane, sehr viel später, in Becketts Verlag, den Éditions de Minuit, verlegt werden sollten, ist wohl die schönste Pointe, die man sich für einen ersten Schreibversuch denken kann.

JULIA ENCKE

Jean-Philippe Toussaint: "Die Dringlichkeit und die Geduld". Aus dem Französischen von Joachim Unseld. FVA, 90 Seiten, 14,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.11.2012

Der Autor als
Tiefentaucher
Jean-Philippe Toussaint
gibt Einblick in sein Schaffen
„Ich glaubte, die Literatur zu lieben, aber es war wohl die Liebe zum Schreibwarenhandel, Ehrenwort!“, gesteht Jean-Philippe Toussaint beiläufig an einer Stelle dieses Buchs. Tatsächlich ist darin ausführlich von Notizheften, Schreibtischen, Schreibstiften und Computern die Rede. Die Erinnerung an die besondere Tischform, Papierbeschaffenheit, Sommerhitze oder an sonstige Umstände bei der Entstehung seiner Werke dient dem Autor als Vorwand, über einige Aspekte seines Schaffens nachzudenken. Hinter dem Materialfetischisten tritt so in den elf Aufsätzen dieses Bändchens der scharfe Selbstanalytiker hervor, der auch anregende Seitenblicke auf Marcel Proust, Dostojewski oder Samuel Beckett zu werfen versteht.
  Er sähe das Schreiben gern als einen locker übers Papier huschenden Gedankenrausch, bekennt der Autor, doch sei es, zumindest bis zu seinem vierten Roman „Der Köder“ (1991), eher ein mühevolles Satzstemmen gewesen. Aus dieser Erfahrung ergab sich ein persönliches Schaffensrezept, das er im Titelaufsatz dieses Buchs nun zu einer Art poetologischem Programm ausformulierte. Normalerweise galoppiert die Dringlichkeit der Eingebungen der schleppenden Geduldsarbeit des Formulierens davon. Es gibt aber berühmte Ausnahmen wie Proust oder Kafka. Ihrer Schaffensweise sieht Toussaint sich selber verwandt.
  Dringlichkeit bedeutet für ihn nicht das passive Hinnehmen von Eingebungen im Sinne des romantischen Inspirationsmythos. Sie ist ein mit Kraftanstrengung verbundenes Suchen, Vordringen, Abtauchen, wie Tiefseetaucher es kennen. Der Grund ist nur über mehrere Etappen sorgfältiger Dekompression erreichbar. Bei 130 Metern wird es dunkel, die Erinnerung an reale Personen verschwimmt hinter den Schwärmen umrisshaft sich nähender Fiktionswesen, bei 200 Metern herrschen Finsternis, Stille und ungeheure Druckverhältnisse, in denen unerschöpfliche neue Lebenspotenzialitäten gedeihen.
  Dort setzt für Toussaint die Dringlichkeit ein. Alles, was oben an Wirklichkeit aufgeschnappt wurde, kann aus dieser Tiefenlage des Schreibens neu gefasst werden. In dieser Dringlichkeit wird „die Welt wiederhergestellt“. Die Dinge kommen dann plötzlich wie von allein, alle Bezüge auf die Wirklichkeit werden beliebig, denn das innere Auge hat sich genügend geweitet, um die feinsten Regungen zwischen Phantasie und Realität wahrnehmen zu können. „Die Dringlichkeit ist ein Zustand des Schreibens, den man nur mit unendlicher Geduld erreichen kann.“
  Vor diesem Hintergrund wird die für Toussaint übliche Dreijahresfrist zwischen den Büchern verständlich. Er mag mit seinen Muji-Notizheften im A-6-Format und seinen Uni-Ball-Eye-Stiften von Mitsubishi durch Brüssel, Korsika, Tokio oder Berlin streifen, der eigentliche Schreibprozess ist bei ihm eine Konzentrationsübung, die ihre Zeit braucht. Deren Geheimnisse sind bei diesem Erfinder der Molekularliteratur – wie andere Meister die Kunst der Molekularküche erfanden – kaum anders als über Koketterie und Anekdoten darstellbar. Damit hält dieses Buch nicht zurück.
  Wir erfahren von Toussaints prägender Lesebegegnung mit Dostojewski, seinen ersten Schreibversuchen, seinem Interesse fürs Kino, seiner Beziehung zu seinem Pariser Verleger Jérôme Lindon, der ihn entdeckte, seiner Verehrung für Beckett. Kenner seines Romanwerks finden auch zahlreiche Detailinformationen, wie der Autor etwa die in seinen Büchern häufig vorkommenden Hotels konstruierte, das eine muffig, das andere hoch modern, wieder ein anderes – in dem Roman „Das Badezimmer“ – ganz ohne Fassade und ohne Eingang: ein namen- und ortloser Raum irgendwo in Venedig.
  Wer von Jean-Philippe Toussaint noch nichts kennt oder zu ihm bisher keinen Zugang fand, bekommt hier eine zweite Chance. Ein großer verschwiegener Gegenwartsautor outet sich als Plaudertasche, übersetzt wiederum von seinem zuverlässigen deutschen Verleger, der auch dieses Register vorzüglich beherrscht.
JOSEPH HANIMANN
Die Geheimnisse des Schreibens
lüftet Toussaint in Form von
Anekdoten und Koketterien
  
  
    
Jean-Philippe Toussaint: Die Dringlichkeit und die Geduld. Aus dem Französischen von Joachim
Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2012. 89 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wer den Autor noch nicht kennt, dem rät Joseph Hanimann zur Lektüre von Jean-Philippe Toussaints Essays unter anderem über seine Liebe zur Schreibwarenwelt. Genau, nicht die Literatur, sondern das Papier, der Stift etc. haben es dem Autor anfangs angetan. Aber das ist nur ein Aspekt seines Schreibens, beruhigt uns Hanimann, der die elf Aufsätze als kleine Poetologie Toussaints liest. Der Autor schreibt anekdotisch über die Kraftanstrengung des Schreibens, über Konzentrationsübungen, große Vorbilder (Kafka, Beckett, Dostojewski) und gibt Details preis aus seiner Roman-Werkstatt. Eine Gelegenheit, einem großen Gegenwartsautor ein bisschen ins Notizbüchlein zu schauen, freut sich Hanimann.

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