Marktplatzangebote
11 Angebote ab € 1,50 €
  • Broschiertes Buch

Einstein & sein Gehirn, & die Psychoanalyse, & moderne Kunst, & der Typus des 'mad scientist', & das Kino, & Marilyn, & Architektur, & Literatur ... In Beiträgen von Horst Bredekamp, William Clark, John Forrester, Peter Geimer, Michael Hagner, Michael Hampe, Anke te Heesen, Wolfgang Kemp, Carsten Könneker, Michaela Krützen, Barbara Orland, Philip Ursprung und Harry Walter.

Produktbeschreibung
Einstein & sein Gehirn, & die Psychoanalyse, & moderne Kunst, & der Typus des 'mad scientist', & das Kino, & Marilyn, & Architektur, & Literatur ... In Beiträgen von Horst Bredekamp, William Clark, John Forrester, Peter Geimer, Michael Hagner, Michael Hampe, Anke te Heesen, Wolfgang Kemp, Carsten Könneker, Michaela Krützen, Barbara Orland, Philip Ursprung und Harry Walter.
Autorenporträt
Michael Hagner, geb. 1960, ist Professor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2006

Die Distanz-Formel
Annäherungen an ein sich entziehendes Phänomen: Die Aufsatzsammlung „Einstein on the Beach”
Der Aufstieg der Naturwissenschaften begann mit einer Revolte gegen den Schein. Der Schein, wo immer man ihn zum Ausgangspunkt kausaler Erklärung machen wollte, erwies sich dem neuzeitlichen Naturforscher zunehmend als trügerisch. Also nahm er Abschied von den subjektiven Erlebnisqualitäten, denn der wahre Gegenstand der Forschung, meinte er fortan, erschließe sich erst in der Abwendung von sinnlichen Eindrücken, im Akt theoretisch-experimenteller Arbeit am Objekt.
Wenn Albert Einstein der sich unmittelbarer Anschauung immer weiter verschließenden Welt die tiefgerunzelte Stirn bot und dabei die charismatische Mimik hintergründigen Lächelns und melancholischen Weltschmerzes zur Schau trug, mochte sich die laszive Hoffnung ergeben, die zu Kalkülen komprimierte physikalische Wirklichkeit könnte sich noch einmal in sinnlicher Fülle entfalten: Weltmann und ‚Weltformel‘ könnten einander in Einstein noch einmal auf Augenhöhe begegnen. Denn anders als beim prototypischen Naturwissenschaftler, bei dem das ‚Leben‘ meist ganz hinter das Werk zurücktritt, zeigte sich Einstein kulturellen Deutungsmustern gegenüber offen und nährte sie.
Wenn er unbesockt, mit struppigem oder wallendem Haar aufs Podium trat, durfte man in ihm den von den Pathosformeln des akademischen Betriebs auf sympathische Weise distanzierten Nonkonformisten erkennen. Wenn er sich politisch äußerte, erschien er als der seiner Umwelt gütig zugewandte Weltweise, der, weil er auch bei den Frauen gut ankam, gleichzeitig als Gegenentwurf zum spröden Gelehrten taugte. Und wenn er mit herausgestreckter Zunge und demonstrativem Geigenspiel den Bohemien gab, wollte selbst die Symbolsprache des Popkapitalismus irgendwie auf ihn passen.
Mit Einstein ist daher leicht eine vermeintliche Vertrautheit zu erreichen, die jedoch genauso leicht auf Kaffeesatzlektüren an Haarwurzeln und Stirnfalten hinauslaufen und die mentalen Regionen zurückdrängen kann, die Einsteins eigenere Behausung waren. Zumal Einstein selbst die Kluft zwischen anschaulicher Alltagsevidenz und den konstruktiven Ausgangspunkten der physikalischen Theoriebildung stetig wachsen sah und die Vereinnahmung des Strukturellen durchs Phänomenale streng zurückwies. Trotz der Omnipräsenz Einsteins in der Alltagskultur sieht der Züricher Wissenschaftshistoriker Michael Hagner daher einen Rest von Unerklärbarkeit um das Phänomen Einstein, dem er durch die Herausgabe des Sammelbandes „Einstein on the Beach” zu Leibe rücken will. In eine Reihe zumeist anregender Analysen versucht das Buch - in Analogie zu der namensgleichen Oper von Philip Glass und Robert Wilson - Einsteins kulturgeschichtliche Wirkkraft zu erschließen.
In denjenigen Beiträgen, die Einstein aus der Perspektive seines Fortlebens in der Kulturindustrie beleuchten, seiner Rezeption im Kino, seiner ihm angetragenen Wahlverwandtschaft mit Marilyn Monroe oder seiner Musealisierung, wird das Phänomen nur vordergründig erfassbar. Das Voraussetzungsvolle von Einsteins Theorie immunisiert ihn letztlich gegen fraternisierende Vereinnahmung auf popkultureller Ebene. Und auch wo man sich ihm über seine zum Mythos gewordenen Attribute - etwa seine wallende Haarpracht oder sein posthum zerstückeltes Gehirn - nähert, kommen zwar tragende Charakterzüge wie eine im Erwachsenenalter perennierende Kindlichkeit zum Vorschein, jedoch auch eine gewisse Oberflächlichkeit, mit der Einstein seinen Künstlerhabitus kultivierte.
Dichter werden die Bezüge, wo Einstein den benachbarten Geistesgrößen seiner Zeit gegenübertritt. In John Forresters und Horst Bredekamps Beiträgen über Einsteins Begegnung mit Sigmund Freud bzw. Aby Warburg zeigte der Physiker sich zwar als ein Intellekt, der dem anderen Kulturufer entgegenkommt und zugleich von dort als Bundesgenosse gesucht wird, der letztlich aber doch auf der Autonomie seiner eigenen geistigen Sphäre beharrt. Weder wollte er Freuds psychoanalytischer Theorie bis in ihre letzten Konsequenzen folgen, noch wollte er sich von Warburgs Bild-Symbol-Theorie die ästhetischen Prägewerte seiner physikalischen Abstraktionen aufweisen lassen.
Michael Hampes brillanter Text über die philosophische Anfeindung der Relativitätstheorie führt schließlich doch zu Einsteins oft zum Slogan verkürzter und daher missverstandener theoretischer Leistung, die aus metaphysischen Sicherheitsbedürfnissen und antisemitischem Rassenhass genauso bekämpft wurde wie von einer irritierten epistemologischen Tradition, der Einsteins Schlussfolgerungen nicht in ihr kategoriales Gefüge passen wollten.
Es ist leichter, Einstein an den Strand zu locken, als ihn dort festhalten zu können. Aller kulturgeschichtlich orientierten Wissenschaftsgeschichte zum Trotz wagt keiner der Autoren, Einsteins wissenschaftliches Werk nahtlos aus einer Alltagsphänomenologie herzuleiten. Jenseits ikonenhafter Verehrung lässt man ihn auch, Jubiläumsjahre hin oder her, weiterhin ungestört durch seine diskretere Hinterlassenschaft, das Formelwerk und seine technischen Ableitungen, walten.
THOMAS THIEL
MICHAEL HAGNER (Hrsg.): Einstein on the Beach. Der Physiker als Phänomen. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 336 Seiten. 13,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Anregend sei die von Michael Hagner herausgegebene Aufsatzsammlung, die sich mit den Spuren Einsteins in der Alltagskultur auseinander setzt, findet Rezensent Thomas Thiel. Dabei zeige sich, dass das Phänomen Einstein letztlich widerständig bleibe gegenüber popkulturellen Vereinnahmungen, die sich dem zum Mythos gewordenen Physiker über seinen Nonkonformismus oder seiner Symbolsprache anzunähern versuchen. In den Beiträgen von John Forrester und Horst Bredekamp hingegen, die sich mit Einsteins Verhältnis zu Freud beziehungsweise Aby Warburg beschäftigen, erkennt der Rezensent durchaus Bezüge innerhalb der "Kulturrufer" ihrer Zeit. "Brillant" sei der Text von Michael Hampe, der die philosophischen Angriffe auf die Relativitätstheorie unter die Lupe nehme, die aus einem Gemisch aus Antisemitismus und metaphysischem Sicherheitsbedürfnis resultierten. Das vage Fazit des Rezensenten: Zwar sei die kulturgeschichtliche Annäherung lobenswert, trotzdem habe es keiner gewagt das "wissenschaftliche Werk nahtlos aus einer Alltagsphänomenologie" herzuleiten.

© Perlentaucher Medien GmbH