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In den 1920er Jahren erschienen zahlreiche populäre Schriften, die Einsteins Relativitätstheorie widerlegen wollten. Milena Wazeck zeigt, in welchem Maße der Physiker und seine Theorie von Akademikern wie auch von Nichtakademikern als fundamentale Bedrohung wahrgenommen wurden. Diese Bedrohung war so stark, dass sich ein internationales Netzwerk gegen die Relativitätstheorie formierte, dessen Existenz hier anhand neuen Quellenmaterials erstmals belegt wird.
Ausgezeichnet mit dem Georg-Uschmann-Preis für Wissenschaftsgeschichte 2009.

Produktbeschreibung
In den 1920er Jahren erschienen zahlreiche populäre Schriften, die Einsteins Relativitätstheorie widerlegen wollten. Milena Wazeck zeigt, in welchem Maße der Physiker und seine Theorie von Akademikern wie auch von Nichtakademikern als fundamentale Bedrohung wahrgenommen wurden. Diese Bedrohung war so stark, dass sich ein internationales Netzwerk gegen die Relativitätstheorie formierte, dessen Existenz hier anhand neuen Quellenmaterials erstmals belegt wird.

Ausgezeichnet mit dem Georg-Uschmann-Preis für Wissenschaftsgeschichte 2009.
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Autorenporträt
Milena Wazeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Welträtsellöser machen mobil
Lauter Käuze? Milena Wazeck spürt den Motiven der frühen Gegner von Einsteins Relativitätstheorie nach

Kaum ein Physikprofessor, der noch keine solche Post bekommen hat: Abhandlungen, in denen die Autoren - auffallend oft pensionierte Herren aus technischen Berufen - so lange Formeln der Schulmathematik umherschieben, bis sie die tiefsten Rätsel der modernen Physik gelöst zu haben glauben. Ein anderes beliebtes Thema solcher Traktate ist die Widerlegung der Relativitätstheorie.

Was heute ein skurriles Hobby einiger weniger ist, das war in den zwanziger Jahren ein breites gesellschaftliches Phänomen. Nachdem Albert Einstein im November 1919, nach der empirischen Prüfung einer Voraussage seiner allgemeinen Relativitätstheorie, praktisch über Nacht zum Medienstar geworden war, begann sich bald Widerstand zu formieren. Aber wer waren Einsteins Gegner damals? Alles Käuze, verkrachte Existenzen oder Antisemiten?

Sicher, auf die ist Milena Wazeck auch gestoßen. Doch das Bild, das die Mitarbeiterin des Berliner Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in ihrer sehr lesbaren Dissertation von den Kritikern der Relativitätstheorie in den zwanziger Jahren zeichnet, ist weit komplexer. Auf der einen Seite waren Einsteins Gegner tatsächlich schon damals zum großen Teil physikalische Laien: wissenschaftsinteressierte Bürger, die dem sozialen System Wissenschaft nicht angehörten und überdies der akademischen Welt oft ausgesprochen feindlich gesinnt waren. Wazeck nennt sie treffend "Welträtsellöser", ging es ihnen doch darum, über die Naturwissenschaften zu letzten Wahrheiten vorzustoßen. Das Phänomen der Welträtsellöser war auch ein Produkt der Wissenschaftspopularisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert, speiste sich aber aus sehr unterschiedlichen weltanschaulichen Kontexten wie dem Okkultismus, der Lebensreform oder dem Monismus.

Daneben finden sich unter den frühen Einstein-Gegnern aber auch arrivierte Professoren, darunter der Philosoph Oskar Kraus oder der Experimentalphysiker und Nobelpreisträger Philipp Lenard. Letzterer war bereits in den zwanziger Jahren ein Anhänger Hitlers gewesen und ist heute vor allem als eine der treibenden Figuren der "Deutschen Physik" in Erinnerung. Allerdings waren nicht alle Gegner Einsteins Antisemiten - einige, etwa Oskar Kraus, waren selbst jüdischer Herkunft -, und lange nicht alle, die es waren, bekämpften Einstein aus rassistischen Motiven.

Den tatsächlichen Motiven spürt Wazeck nun im Einzelnen nach und zeigt, dass sie sich bei allen Unterschieden letzten Endes auch ähnelten: Sie wurzelten in einem Substanzdenken, das sich nicht von der mechanisch geprägten Alltagsanschauung lösen kann. Bei der speziellen Relativitätstheorie etwa haperte es in den Augen ihrer Kritiker schon auf der Ebene der Grundbegriffe mit der Anschaulichkeit. Wenn zum Beispiel die Gleichzeitigkeit zweier beobachteter Ereignisse davon abhängt, in welchem Bezugssystem man sich befindet, ist das vertraute Konzept einer überall gültigen absoluten Zeit keine naturwissenschaftlich fassbare Größe mehr. Hält man dennoch an Zeit und Raum als solchen absoluten Größen fest - aber eben nur dann - , muss einem die Relativitätstheorie tatsächlich als der "logische Unsinn" erscheinen, den ihre Gegner hier zu diagnostizieren glaubten.

Bei der allgemeinen Relativitätstheorie kommt hinzu, dass sie sich damals brandneuer mathematischer Konzepte bediente, die nicht nur die Ärzte und Ingenieure unter den Welträtsellösern völlig überforderten, sondern auch manche Experimentalphysiker. "Während in der Auseinandersetzung mit der speziellen Relativitätstheorie exzessiv gerechnet wurde, (. . .) versuchte kaum ein Einstein-Gegner die allgemeine Relativitätstheorie zu widerlegen", schreibt Wazeck. "Die Kritik setzte hier vielmehr gerade bei deren Unverständlichkeit, Kompliziertheit und Unanschaulichkeit ein."

Sowohl die Welträtsellöser als auch die akademischen Kritiker Einsteins vertraten demnach eine bestimmte Auffassung von Wissenschaft. Ihr zufolge hat Forschung die physikalischen Phänomene einfach - das heißt: mathematisch elementar - und anschaulich zu beschreiben und dabei das Ziel zu verfolgen, von der naturwissenschaftlichen Perspektive unabhängige und in diesem Sinne absolute Wahrheiten über die Natur zu enthüllen.

Der "metaphysische Materialismus", wie der Physikphilosoph Philipp Frank diese Vorstellung nannte, wurde in dieser auf Alltagsanschauung Bezug nehmenden Form durch Einstein unhaltbar. Seine Gegner, zunächst sehr auf wissenschaftlichen oder wissenschaftsförmigen Diskurs bedacht, sahen sich immer mehr marginalisiert und reagierten entsprechend. Zum einen mit Vernetzungsversuchen, die sich aber schwierig gestalteten. In dem berüchtigten Band "Hundert Autoren gegen Einstein" von 1931 finden sich nur 28 Originalbeiträge - der Rest sind Zitate aus früher erschienenen Schriften. Die zweite Reaktion auf die Marginalisierung ist auch von anderen Gruppen bekannt, die in wissenschaftlichen Diskursen unterliegen - bis hin zu Zeitgenossen heute, die einen Einfluss der anthropogenen CO2-Emissionen auf das Klima leugnen: Sie reagieren mit dem Glauben, nicht aus sachlichen Gründen ignoriert zu werden, sondern durch sinistre institutionelle Machtmechanismen.

Die Kontroverse um die Relativitätstheorie war nicht die letzte der modernen Physik, doch die letzte mit breiter außerakademischer Beteiligung und großer persönlicher Schärfe. Sehr viel freundlicher ging es zu, als etwas später die Quantentheorie den metaphysischen Materialismus auch in einer von der Anschaulichkeit abgekoppelten Form scheitern ließ. Nun gehörte auch Einstein zu den Unterlegenen. Indes wird der Traum, mit der noch ausstehenden Vereinigung von Relativitäts- und Quantenphysik eines Tages wenigstens zu einem metaphysischen Materialismus Einsteinscher Façon zurückzukehren, auch heute noch geträumt. Doch selbst träumen lässt er sich nach Einsteins Entdeckungen nur in der Alltagswelt weit entrückten mathematischen Sphären. Und das ist es wohl vor allem, was Welträtsellöser noch heute gegen Einstein aufbringt.

ULF VON RAUCHHAUPT

Milena Wazeck: "Einsteins Gegner". Die öffentliche Kontroverse um die Relativitätstheorie in den 1920er Jahren. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2009. 429 S., geb., 39,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit großem Interesse nimmt Rezensent Ulf von Rauchhaupt diese Dissertation der Wissenschaftshistorikerin Milena Wazeck auf, die er explizit als "sehr lesbar" lobt. Wazeck geht darin der Frage nach, was die Kritiker von Albert Einsteins Relativitätstheorie antrieb. Wie er dem Buch entnommen hat, waren (und sind) tatsächlich viele Einstein-Gegner verschrobene "Käuze, verkrachte Existenzen oder Antisemiten". Aber nicht alle. Bei vielen wurzelte die Ablehnung auch, wie Rauchhaupt erklärt, in einem "Substanzdenken, das sich nicht von der mechanisch geprägten Alltagsanschauung lösen" konnte. Auch die neuen mathematischen Konzepte haben die Laien unter den "Welträtsellösern" einfach überfordert. Und schließlich hat Einstein mit einem "metaphysischen Materialismus" aufgeräumt, der sich absolute und eben anschauliche Wahrheiten über die Natur der Dinge verspricht.

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"Eine Studie, die Beachtung verdient." (Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 01.03.2010)