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Bevor der berühmte serbische Architekt, Schriftsteller und ehemalige Bürgermeister von Belgrad, Bogdan Bogdanovic, vor Slobodan Milosevic und seiner Gefolgschaft ins Exil fliehen musste, schrieb er über Jahre Botschaften und Briefe an sich selbst. Diese Papiere steckte er in eine mit dunkelgrüner Tapete beklebte Waschmittelschachtel, die sich nicht öffnen ließ. Damit sollten seine Gedanken dem Zugriff der Selbstzensur entzogen werden. Jetzt lüftet Bogdan Bogdanovic das Geheimnis um "Die grüne Schachtel". Und mit ihm, dem heiteren Melancholiker, stellt man verwundert fest, dass er einer von…mehr

Produktbeschreibung
Bevor der berühmte serbische Architekt, Schriftsteller und ehemalige Bürgermeister von Belgrad, Bogdan Bogdanovic, vor Slobodan Milosevic und seiner Gefolgschaft ins Exil fliehen musste, schrieb er über Jahre Botschaften und Briefe an sich selbst. Diese Papiere steckte er in eine mit dunkelgrüner Tapete beklebte Waschmittelschachtel, die sich nicht öffnen ließ. Damit sollten seine Gedanken dem Zugriff der Selbstzensur entzogen werden. Jetzt lüftet Bogdan Bogdanovic das Geheimnis um "Die grüne Schachtel". Und mit ihm, dem heiteren Melancholiker, stellt man verwundert fest, dass er einer von Gewalt und Verfolgung geprägten Zeit "lyrische Aufzeichnungen über Vögel, Katzen und streunende Hunde, Beiläufiges über absurde Einzelheiten des Alltagslebens und haufenweise Notizen über Träume" entgegengesetzt hat.
Autorenporträt
Bogdan Bogdanovic, geboren 1922 in Belgrad und verstorben 2010 in Wien, war Architekt, Schriftsteller und emeritierter Professor der Belgrader Universität. Von 1982 bis 1986 war er Bürgermeister von Belgrad. 1993 wurde er von Slobodan Milosevic vertrieben und lebte bis zu seinem Tod im Juni 2010 in Wien. Bei Zsolnay sind bisher erschienen: Der verdammte Baumeister. Erinnerungen (1997), Vom Glück in den Städten (2002), Die grüne Schachtel. Buch der Träume (2007).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2007

Der Briefkasten der Träume
Bogdan Bogdanovic öffnet seine grüne Schachtel
Die Schachtel existiert nur noch als Titel. Der Legende zufolge war sie zu Beginn ihres Daseins „nur eine alte, etwas größere Waschmittelschachtel, die auf allen sechs Seiten mit einer dunkelgrünen, lederartigen Tapete beklebt war”. An ihrer Oberseite habe man, „wie bei alten Briefkästen, einen engen Schlitz fühlen” können, und ihre Funktion im Leben des 1922 in Belgrad geborenen Architekten und Schriftstellers Bogdan Bogdanovic war die eines konspirativen toten Briefkastens: „In den letzten Vorkriegsjahren und dann besonders in den Kriegsjahren bemühte ich mich, all meine Gedanken dem Zugriff der Selbstzensur zu entziehen, und so sandte ich mir selber Botschaften, von denen ich glaubte, ich würde sie niemals mehr lesen.”
Zuvor war der Sender selbst Empfänger gewesen und hatte vor allem seine Träume auf Zettel notiert. Doch deren Dasein in der grünen Schachtel drohte sich bald in Zettels Albtraum zu verwandeln. Je bärtiger die Männer und je haariger die Zeiten für Bogdanovic, den scharfzüngigen Miloševic-Kritiker und zeitweiligen Bürgermeister Belgrads, wurden, desto prekärer wurde auch die Lage der papierenen Sedimente. Als er schließlich seine Heimat verlassen und nach Wien emigrieren musste, hätten sie ihn begleitet. Zerknüllt und als Füllsel zwischen Töpfe und Pfannen gestopft, seien sie den „bärtigen Bösewichtern an der Grenze” unverdächtig erschienen.
Mit dieser Legende seiner Schachtel hat sich Bogdanovic die poetische Lizenz erteilt, seine Botschaften an sich selbst ungeniert zu selektieren, zu arrangieren, zu kommentieren, ihnen Zusammenhänge und Überschriften zuzuschreiben. Da feiert dann jener „Zugriff der Selbstzensur”, der hätte abgewiesen werden sollen, wieder fröhliche Urständ, und das Ganze gleicht einer späten Großform jener köstlichen Kadaver, zu denen die Surrealisten Bild- und Satzelemente vermeintlich unwillkürlich zusammenfügten und dabei gewiss kräftig mogelten. Der Künstler ist hier unüberlesbar anwesend, als kommentierender Fremdenführer durch die Hohlwelt seiner Tag- und Nachtgedanken. Manche Notizen wecken Erinnerungen; an andere Träume „kann ich mich heute wirklich nicht erinnern”. Tiere spielen eine wichtige Rolle. Hunde, Katzen, Mäuse und Vögel laufen und fliegen durch die „nächtliche Zoologie” einer Traumwelt, in der sie von der dramatischen Lage im zerfallenden Jugoslawien unberührt erscheinen.
Der Narziss und sein Hund
Bogdanovic ist ein Poeta doctus, der mindestens das große Latinum und das Graecum besitzt, seine Traummitschriften gern auch „Oneirographien” nennt und sich explizit in die Rolle des Narcissus hineinträumt: „Heute Nacht, bei den Göttern der Nacht unternahm Narziss Versuche, ein Gespräch mit einem unbekannten Hund zu führen.” Der Vierbeiner, ein „düsterer canis psychopompus, ein Seelengeleiter-Hund”, scheint sich aber trotz solch hoher Aufgabe verdächtig hündisch aufgeführt zu haben, denn bald „beschnüffelt der canis psychopompus den Narziss, wedelt mit dem Schwanz, kläfft vor Glück . . . ”.
Weniger glücklich stimmt das Erscheinen von Slobodan Miloševic. Im Schutze der Dunkelheit hat sich der große Widersacher in die Wohnung des Baumeisters geschlichen und sie mit alten, zerschlissenen Tapeten vollgeklebt. Alles hat er mit Hammer und Sichel bemalt: „Offensichtlich ist er angetrunken und singt. Jener war Maler, denke ich im Traum, und der hier ist Tapezierer.” Solchermaßen mit Hitler verglichen, scheint sich der Serbenführer fortan zumindest von Bogdanovics Träumen weitgehend ferngehalten haben.
„Die grüne Schachtel” erinnert an Julio Cortázar, der sich am Hüpfspiel „Rayuela” („Himmel und Hölle”), am Modellbaukasten und am Kaleidoskop orientierte. Sie verführt dazu, das Konsekutive der Buchform wieder in ein Zettelgestöber aufzulösen und willkürlich aufzulesen, was einem da vor Augen flattert.
Wenn Bogdanovic sich in dieser literarischen Wundertüte als Biber sieht, „De Vampiribus” reflektiert oder seine mitternächtlichen „Monodialoge” erläutert, wenn er kurz vor dem Erwachen noch einmal in das Dorf Mali Popovic bei Belgrad, in seine ehemalige „Dorfschule für Philosophie der Architektur” zurückkehrt, dann sollte man nicht übersehen, dass hier auch das antike „Gnôthi seauthón”, das „Erkenne dich selbst!” kursiv gesetzt ist, als der Traum-Logik unterworfenes Traumnotat.
Wer sich der grünen Schachtel also mit seinem Wachbewusstsein zu nähern sucht, übersieht dabei womöglich eine Einladung zum Mitträumen, zu einem jener eitlen, doch niemals endenden Versuche des Gehirns, hinter dem Rücken unseres schlafenden Bewusstseins aus Gedankensplittern, unfertigen Ideen und sonstigen neuronalen Spuren etwas halbwegs Vernünftiges zusammenzufügen, was wir dann Traum nennen. Das gelingt mal mehr, mal weniger: „VAKUUM Meine Ideen sind letzte Nacht unwiederbringlich in den Wald gegangen. Wahrscheinlich haben sie sich über mich geärgert und sich zu den Partisanen davongemacht”, heißt es am Schluss: „Ich erwachte und schrieb den Unsinn auf.” Solches Understatement überrascht dann doch. ULRICH BARON
BOGDAN BOGADANOVIC: Die grüne Schachtel. Buch der Träume. Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Grießhaber. Hanser Verlag, München 2007. 335 Seiten, 23,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Serbe Bogdan Bogdanovic hat in seinem jetzt schon 84-jährigen Leben viele Berufe ausgeübt, wie Markus Clauer ausführt. Neben seinem erlernten als Architekt den des Professors der Belgrader Universität. In den Achtziger war er Bürgermeister von Belgrad, später wurde er zum Gründer einer "Dorfschule für Philosophie der Architektur" und zuletzt kam er 1993 als Exilant nach Wien, wohin ihn auch die grüne Schachtel begleitet hat. Möglicherweise hat ihn sein Leben im Exil erst zum Autor gemacht, jedenfalls taucht in seinen 1997 erschienenen Memoiren die grüne Schachtel als Gestalt gewordene Black Box auf, in der sich Notizen und Traumberichte befinden, die während seiner Zeit als Dissident unter Milosevic entstanden sind. Jetzt hat Bogdanovic die grüne Schachtel endlich aufgemacht und ausgewertet. Herausgekommen sind Nachtstücke düsteren Inhalts, die auch den Versuch darstellen, im Nachhinein die Gegenwelt der Träume zu kartographieren und entziffern, in der sich der politisch Verfolgte einzig sicher fühlen konnte. Der Rezensent findet das zwar charmant, klug und auch ein wenig geschwätzig, die "mystischen Entdeckungen" will er ihm aber nicht abnehmen. Viel lieber sieht er es als einen "späten Sieg der Fantasie gegen den Machtmenschen Milosevic" an.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein aufmerksames Buch für hellhörige Leser über den späten Sieg der Fantasie gegen den Machtmenschen Milosevic und das meistens heilsame Verschwimmen der Grenzen." Markus Clauer, Die Zeit, 22.03.07