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Der Taktstock: Zauberstab oder Zepter? Waffe oder Werkzeug? Notwendig oder überflüssig? Zwischen Flughafen und Podium, in Hotellobbys und Künstlergarderoben hat Eckhard Roelcke vierzig Dirigenten und Dirigentinnen zum Reden gebracht: über ihr Instrument, den Taktstock. Während der Interviews entstanden eigens für dieses Buch die Fotos: Porträts der Musiker und Nahaufnahmen der Hände, wo Dirigenten zeigen, wie sie - mit oder ohne Taktstock - präzise und hart oder ausdrucksvoll und weich den Takt "schlagen".

Produktbeschreibung
Der Taktstock: Zauberstab oder Zepter? Waffe oder Werkzeug? Notwendig oder überflüssig? Zwischen Flughafen und Podium, in Hotellobbys und Künstlergarderoben hat Eckhard Roelcke vierzig Dirigenten und Dirigentinnen zum Reden gebracht: über ihr Instrument, den Taktstock.
Während der Interviews entstanden eigens für dieses Buch die Fotos: Porträts der Musiker und Nahaufnahmen der Hände, wo Dirigenten zeigen, wie sie - mit oder ohne Taktstock - präzise und hart oder ausdrucksvoll und weich den Takt "schlagen".
Autorenporträt
Eckhard Roelcke, geboren 1960, Studium der Musikwissenschaft, Redakteur im Feuilleton der Zeit, seit 1993 freier Journalist. Regelmäßige Mitarbeit beim Kultur-Spiegel. Radio-Moderator beim Hessischen Rundfunk und beim Sender Freies Berlin. Er lebt in Berlin. Bei Zsolnay erschienen: Der Taktstock. Dirigenten erzählen von ihrem Instrument (2000), "Träumen Sie in Farbe?". György Ligeti im Gespräch mit Eckhard Roelcke.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000

Lieben Sie Bompopoff?
Dynamik braucht hölzernes Dynamit: Der Taktstock macht den Dirigenten zum großen, eleganten Herrn / Von Julia Spinola

Unter den kostbaren Andenken, die Alban Berg in seiner "Mahler-Schachtel" aufbewahrte, befand sich neben Fotografien, einem handschriftlichen Brief sowie Skizzenblättern zur dritten und neunten Symphonie auch ein Taktstock: Der knapp zwanzigjährige Schönberg-Schüler hatte ihn nach einem von Mahler dirigierten Konzert "erobert". Nun war Berg kein backfischartiger Fan und bekanntlich auch kein Mystiker, sondern ein äußerst konstruktiv und formbewußt denkender Komponist. Den Stab Mahlers aber hat er wie eine Reliquie sein Leben lang gehütet, gerade so, als stecke in ihm noch etwas von der künstlerischen Energie des verehrten Vorbilds.

Zauberstab oder Waffe, Instrument, Werkzeug oder Zepter: die Bedeutung des Taktstocks scheint höchst eigentümlich zu oszillieren zwischen der Funktion eines technischen Hilfsmittels auf der einen und der Magie eines kultischen, gleichsam mit dirigentischem Charisma verwachsenen Objekts auf der anderen Seite. Was wie selbstverständlich zum gängigen Bild des Kapellmeisters gehört, erweist sich bei genauerer Betrachtung oft als blinder Fleck: Wofür braucht der Dirigent den Stab eigentlich? Braucht er ihn überhaupt?

Eckhard Roelcke hat Dirigenten nach ihrem "Instrument" befragt. Zwischen Konzertpodium und Flughafen, in Cafés, Künstlergarderoben und Hotellobbys brachte er neununddreißig sehr unterschiedliche Musiker dazu, jeweils etwa eine halbe Stunde lang über dieses, will man Eliahu Inbal Glauben schenken, durchaus intime Thema zu plaudern. "Kollegen sprechen sehr wenig miteinander über ihre Taktstöcke", stellt Inbal fest, "sie sprechen auch nicht über ihre Unterhosen." Entstanden ist eine Sammlung größtenteils recht prägnanter Porträts, deren ungewöhnliche Perspektive oft mindestens ebensoviel Licht auf die Persönlichkeit des Dirigenten wirft wie auf sein mysteriöses Werkzeug aus Holz, Glasfiber oder Kunststoff. Fotos von Steffen Ramlow und Hannes Ravic ergänzen den Band.

Ingo Metzmacher, Christoph Eschenbach, Hans Zender, Bernhard Haitink, Neeme Järvi, Marc Albrecht - die meisten der befragten Dirigenten liefern eine sehr klare Erklärung der technischen Vorteile des Dirigierens mit Taktstock: Nicht um ein Macht-, sondern um ein Präzisionsinstrument handele es sich, das die Arbeit mit dem Orchester exakter und einfacher mache - ermöglicht die Verlängerung des Armes doch eine große Sichtbarkeit schon der kleinsten Bewegungen des Handgelenks. Zudem ist Dirigieren auch Schweißarbeit, die durch Bewegungsökonomie erleichtert werden kann. Gerade bei Werken mit großer Orchesterbesetzung, vollends bei Opern, so erfährt man, seien Musiker und Sänger auf die Orientierung an der hellen Spitze des Stabs angewiesen. Schließlich geht es wohl auch um Fragen der Eleganz: Natürlich könne man auch ohne Messer und Gabel essen, räumt die australische Dirigentin Simone Young ein, sie esse aber lieber mit Besteck, und manchmal setze sie den Taktstock ein wie ein Florett.

Darin, daß man letztlich "mit" wie "ohne" gute Musik machen könne, stimmen die meisten Kollegen überein. Bravourös würde etwa Pierre Boulez mit seinen bloßen Händen all das erreichen, was so mancher mit dem schönsten Taktstock nicht schafft. Auch er bekommt, neben weiteren stablos dirigierenden Kollegen wie Kurt Masur, Ton Koopman, Peter Eötvös und René Jacobs, in Roelckes Band Gelegenheit, über sein Verhältnis zu jenem Objekt zu sprechen, das in der Phantasie seiner Benutzer eine Fülle verschiedener Gestalten annehmen kann: Vom "Amorpfeil" Leif Segerstams über den Zauberstab, den Glücksbringer oder eine Waffe scheinen den Vergleichen - bis hin zu Telefon (Kent Nagano), Füller (Bernhard Haitink), Pinsel (Semyon Bychkov), Angel (Colin Davis) und Ballettschuh (Lothar Zagrosek) - keine Grenzen gesetzt.

In den Gesprächen entpuppt sich der Taktstock freilich vor allem als Seismograph unterschiedlicher Temperamente und Charaktere. Bei manch einem, etwa Michael Tilson Thomas, hält so ein Ding jahrelang, andere zerbrechen sie ständig und verwenden sie danach, wie Bernhard Haitink, fürs Barbecue. Der eine kann, wie James Levine, gar nicht genug von ihnen bekommen und archiviert seine Karriere in einer Sammlung von Stäben mit eingravierten Konzert- und Premierendaten; ein anderer, wie Marc Albrecht, schwört auf Entzauberung ("Plastik, fünfzehn Mark!") und kennt nicht einmal den Namen des Herstellers. Ein Analytiker wie Michael Gielen legt sich logisch präzise Rechenschaft darüber ab, wie mit dem Stab, den er letztlich doch als ein Herrschaftsinstrument betrachtet, verantwortlich umzugehen sei. René Jacobs schließlich sieht in ihm schlichtweg eine "faschistoide Erfindung".

Daß viele Dirigenten es von Besetzung und Werkcharakter abhängig machen, ob sie die Klänge mit oder ohne Taktstock entlocken, leuchtet ein: Einen Chor animiert man anders als ein Kammermusikensemble oder ein Brucknersches Riesenorchester. Daß für unterschiedliche Werke unterschiedliche Stäbe verwendet werden, scheint hingegen schon ein wenig ins Mystische zu weisen. Daß man sich seinen Stock von einem in der "Szene" berühmten Taktstockbauer nach individuellen Bedürfnissen gleichsam auf den Leib schneidern läßt, verweist auf ein sehr persönliches Verhältnis. Daß man schließlich das eine, nicht kopierbare Modell in Massen aufkauft, weil es womöglich demnächst nicht mehr hergestellt wird, hat fast etwas Panisches. Und jener Stock, dem Konstanzia Gourzi auf der Bühne nicht "kalt" begegnen will, den sie daher vor dem Auftritt in der Jacke versteckt, um ihn auf dem Podium im strengen Wortsinn aus dem Ärmel zu ziehen - der scheint wahrlich ein Zauberstab zu sein.

Letztlich scheint die Magie eine erhebliche Rolle zu spielen. Und noch etwas macht Roelckes amüsant-verspieltes Buch klar: Wann immer der Taktstock eine Waffe ist, richtet er sich gegen seinen Benutzer. Die Liste der Verletzungen ist lang und blutig, reicht von im Handteller abgebrochenen Stabspitzen über Schläge, die ins Auge gingen, bis hin zu durchbohrten Trommelfellen. Und dennoch: "Mit einem Stab ist es einfach schön" (Colin Davis).

Eckhard Roelcke: "Der Taktstock". Dirigenten erzählen von ihrem Instrument. Mit Fotografien von Steffen Ramlow und Hannes Ravic. Zsolnay Verlag, Wien 2000. 192 S., geb., 45,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Neununddreißig Dirigenten hat der Autor nach der Bedeutung des Taktstocks für ihre Arbeit befragt und, so schreibt Julia Spinola, sehr unterschiedliche Antworten bekommen. Nicht jeder gebraucht überhaupt einen, dann wieder gebraucht einer nur Maßgeschneidertes, der andere Stöcke aus Plastik für `fünfzehn Mark`; wieder einer dirigiert mal mit dem einen, dann dem anderen, je nach der Musik, um die es geht; der eine findet es ist ein `Präzisionsinstrument`, der andere, es sei eine `faschistoide Erfindung`. Das alles zählt die Rezensentin amüsiert und angeregt auf, findet das Buch und seine Fotos `amüsant-verspielt` und begreift: der Taktstock ist zuallererst `Seismograph unterschiedlicher Temperamente und Charaktere`. Wer hätte das gedacht!

© Perlentaucher Medien GmbH"