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'Karl- Heinz Göttert meint: Nein - denn das Deutsche hat es immer vermocht, Einflüsse aus anderen Sprachen zu integrieren, ohne den eigenen Charakter zu verlieren. Mit profunder Sachkenntnis und viel Humor erzählt Göttert die spannende Biografie der deutschen Sprache, von ihren sagenumwobenen Anfängen in Germanien über den Durchbruch als Nationalsprache bis hin zur Wiederkehr der Dialekte. Das Deutsche ist nicht nur eine Sprache mit einer großen Vergangenheit und lebendigen Gegenwart, sondern auch mit einer vielversprechenden Zukunft.

Produktbeschreibung
'Karl- Heinz Göttert meint: Nein - denn das Deutsche hat es immer vermocht, Einflüsse aus anderen Sprachen zu integrieren, ohne den eigenen Charakter zu verlieren. Mit profunder Sachkenntnis und viel Humor erzählt Göttert die spannende Biografie der deutschen Sprache, von ihren sagenumwobenen Anfängen in Germanien über den Durchbruch als Nationalsprache bis hin zur Wiederkehr der Dialekte. Das Deutsche ist nicht nur eine Sprache mit einer großen Vergangenheit und lebendigen Gegenwart, sondern auch mit einer vielversprechenden Zukunft.
Autorenporträt
Karl-Heinz Göttert, geboren 1943 in Koblenz, studierte Geschichte und Germanistik und ist Professor für Ältere deutsche Sprache und Literatur an der Universität zu Köln. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die Themenfelder Rhetorik, Magie und Alltag im Mittelalter, zu denen er bereits verschiedene Bücher veröffentlichte. Er hat zuletzt 14 Jahre an der historischen Orgel einer kleinen romanischen Kirche den Dienst versehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2010

Unsere Sprache ist nicht die reine Unschuld

Der Kölner Germanist Karl-Heinz Göttert hat eine flotte Geschichte der deutschen Sprache vorgelegt, deren Brauchbarkeit leider durch viele Fehler beeinträchtigt wird. Die Gefahr, die dem Deutschen heute durch die Anglisierung droht, spielt der Autor herunter.

Drei Fragen, die sich jede Rezension stellen muss: Welche Absicht hatte der Autor? Und war die Absicht sinnvoll? Schließlich: in welchem Maß hat er sie, wenn sie sinnvoll war, erreicht? Diese Fragen sind bei einem wissenschaftlichen Werk wie hier leichter zu beantworten als bei einem literarischen. Die Absicht also war eine neue Geschichte der deutschen Sprache. Da sind wir nun freilich, so der Autor selbst, auf "sehr gut bestelltem Feld". Was nicht heißt, dass da alles definitiv beieinander wäre - immer kommt Neues, das Bestehende modifizierend, hinzu; zudem ist diese Geschichte ja nicht abgeschlossen. Es gibt gewaltige Handbücher, aber es fehlt an Synthesen. Also wäre eine neue Darstellung sinnvoll, die nicht allzu umfangreich wäre, die zusammenfasste und aufnähme, was an Wichtigem in den letzten Jahren hinzugekommen ist. Und gut wäre es, wenn sie auch den interessierten, also kultivierten Laien anspräche, denn das Interesse an der Sprache und also in den deutschsprachigen Ländern am Deutschen ist groß. In diese Richtung zielt und somit sehr zu Recht dieses Buch. Aber das Ziel, leider, wurde insgesamt nicht befriedigend erreicht.

Die Geschichte des Deutschen ist komplizierter als die seiner Nachbarsprachen, etwa die des Französischen, Englischen, Spanischen oder Russischen. Mit dem Italienischen hat das Deutsche zwei wichtige Gemeinsamkeiten: das literarische Fundament der Hochsprache und die große Stärke der Dialekte. Gerade der Vergleich ist hier lehrreich. Göttert vergleicht zu wenig. Seinen etwas überraschenden Untertitel "Biografie einer Sprache" rechtfertigt er zutreffend durch den Hinweis, um irgendetwas biologisch Vorgegebenes gehe es dabei nicht. Es ist halt so eine Metapher. Er gibt einen Rückblick auf zwölf Jahrhunderte - es ist das Alter unserer Sprache. Und er beginnt, was das Übliche ist, mit dem Beginn und geht dann bis zur Gegenwart. Man könnte auch - es wäre kühner, aber nicht unmöglich - vom heutigen Deutschen ausgehen und von dort bis zu dessen Anfängen zurückdringen: "retrochronologisch" nannte dies Harald Weinrich vor kurzem, im Unterschied zur normalen Sicht, der "rektochronologischen".

Irgendwie, zugegeben, ist das Buch ja sympathisch. Indirekt geht es übrigens auf ein Online-Forum dieser Zeitung anlässlich des Buchs von Jutta Limbach "Hat Deutsch eine Zukunft?" (2008) zurück. Mit diesem Buch ist Göttert wenig einverstanden, obwohl es doch eher zu beschwichtigend ist als zu - wie sagt man jetzt? - alarmistisch. Ihm ist es noch nicht beschwichtigend genug. Ohne Zweifel ist Götterts Buch, seine philologisch linguistische Antwort auf das der Juristin Limbach, zu breit angelegt. Es ist nicht so eindeutig auf die Sprache konzentriert, wie es nötig wäre. Der Leser erfährt mehr, als er erfahren will, aber dann auch wieder weniger, als er erfahren müsste, eben weil das Ziel nicht intensiv genug die Sprache ist. Die Literatur, die in einer Sprache geschrieben wird, ist wichtig - wichtig in seltenen Fällen sogar für diese Sprache selbst. Aber ein Buch über die Sprache darf nicht auch noch eine kleine Literaturgeschichte sein wollen.

Dann ist, was Göttert mitteilt, auch nicht auf Anhieb durchweg so verständlich, wie es sein könnte. Es ist ihm nicht recht gelungen, sich in sich selbst ausreichende Distanz zu seinem Stoff zu schaffen, um sich so in die Lage derer versetzen zu können, die dorthin, wo er schon ist, erst gelangen wollen. Seine Schreibweise allerdings ist flott. Oft aber zu flott. Was soll zum Beispiel die Kennzeichnung des Bischofs Wulfila, der im vierten Jahrhundert die Bibel ins Gotische übersetzte, als "eine Art Luther der Germanen"? Englisch nennt man so etwas ,fegend', ,sweeping'. Und wirklich: das Buch neigt zu ,fegenden' Urteilen.

Ärgerlich kann man auch die locker sein wollenden Titel innerhalb der Kapitel finden: "Gegen nichtsnutziges Zeug und anstößiges Gesinge" oder "Eine andere Art von Versagen im Bett" oder "Von Spanferkeln und Konjugationssystemen" oder "Ilsebills Nachsalzen und Rufmord an Woyzeck". Das soll in netter Form Neugier wecken. Aber durch dergleichen fühlen sich Leserinnen und Leser nicht ernst genommen - um den drastischeren Ausdruck zu vermeiden, der sich hier aufdrängt.

Dann ist das Buch in seiner ersten Hälfte entschieden besser als in der zweiten. Genauer: in der ersten ist es weithin alles andere als schlecht. Man kann da schon etwas erfahren, lernen. Das gilt auch noch, aber weniger, für die zweite Hälfte. Das eigentliche Problem ist aber, dass, was an Information gegeben wird, immer wieder eindeutig nicht richtig ist und die Unrichtigkeiten im Fortgang zunehmen. Es fehlt Plasbergs "Faktencheck". Gleich in der Vorbemerkung geht es los. Da wird gesagt, das Deutsche lebe in der Lausitz mit dem Sorbischen zusammen, in Schleswig-Holstein mit dem Dänischen und habe "noch vor zwei Generationen im Elsass mit dem Französischen" gelebt. Alles, was recht ist: Bis zur Stunde lebt das sogenannte "Elsässische" nicht unkräftig mit dem Französischen zusammen. Oder im fünfzehnten Jahrhundert habe König Ludwig XI. "ein erstes Sprachedikt erlassen, nach dem alle Franzosen das Französische der Île de France zu benutzen hatten". Incroyable! Auch keiner der späteren und dann weit mächtigeren Könige hat ein solches "Edikt" je erlassen. In diese Richtung ging erst die nachkönigliche Sprachpolitik der Revolution. Genauer: da gab es überhaupt zum ersten Mal Sprachpolitik. Als Ludwig XIV. 1681 Straßburg besetzte, war er nicht daran interessiert, dass dort nun französisch gesprochen werden sollte. Und als Goethe neunzig Jahre später da studierte, hatte er gar nicht das Gefühl, in einer nichtdeutschen Stadt zu sein, obwohl sie doch in Frankreich lag.

Oder, nun etwas später im Buch: ,Eid' sei ein keltisches Wort. Aber gerade dies ist umstritten, und im neuesten "Etymologischen Wörterbuch" des Deutschen, im Kluge/Seebold, steht seit 1989 zu "Eid", dass eine "Entlehnung" der entsprechenden germanischen Wörter aus dem Keltischen "unwahrscheinlich" sei. In einem solchen Fall sollte man doch nur Unstrittiges nennen! Oder die sogenannten "Straßburger Eide" vom 14. Februar 842. Da schwor nicht Karl der Kahle aus dem Westreich in "romanischer Sprache" und nicht Ludwig der Deutsche aus dem Ostreich in "deutscher", sondern gerade umgekehrt: Karl schwor "deutsch" und Ludwig "romanisch"; jeder also in der Sprache, die nicht die ihm geläufige war, denn, dies war die evidente Symbolik: die beiden Heere sollten den Treueschwur der beiden gegen ihren Bruder Lothar verstehen können; sie sollten Zeugen sein.

Ferner: das "Latein", das damals im alten Gallien gesprochen wurde, kann man keinesfalls mehr "Vulgärlateinisch" nennen; zwischen dem alten sogenannten "Vulgärlateinischen" und dem Altfranzösischen, damals "langue d'oïl" genannt, gab es zeitlich in diesem Raum, was die Wissenschaft "galloromanisch" nennt. In der zweiten Hälfte des Buchs also nehmen die Unrichtigkeiten zu. Leibniz sei nach Paris gereist, um die "neue Bewegung der Aufklärung dort kennenzulernen". Descartes, der doch extrem vorsichtig, ja ängstlich war, habe diese "förmlich losgetreten". Mon Dieu! Dann: Mit seinem berühmten Satz "Der Stil ist der Mensch selbst" habe Buffon gemeint, "dass menschliche Leistung auf Stil beruhe"! Und in dem Hofmannsthal-Abschnitt über dessen berühmten "Chandos-Brief" wird behauptet, Francis Bacon sei ein "Erzrationalist", während er doch gerade umgekehrt die Erfahrung zur Grundlage machte und also, wenn schon, ein Erzempirist war. Da wird auch gesagt, der Sprachkritiker Fritz Mauthner habe mit seinen "Beiträgen zu einer Kritik der Sprache", die 1901/1902 erschienen, "auch Nietzsche stark beeinflusst", wo doch Nietzsche, nach über elfjähriger Abwesenheit im Wahnsinn, 1900 starb. Mit Nietzsche hat sich dann freilich Mauthner auseinandergesetzt.

Geradezu empörend sind die Unrichtigkeiten im Kapitel über Victor Klemperer. Dieser habe, weil er "mit einer Christin in ,Mischehe' lebte, die Nazi-Zeit überstanden" (also, der Nazi-Ausdruck "Arierin" wäre hier klar besser gewesen). Dann aber: "Den Verfolgungen im Anschluss an die Dresdner Bombennacht im März 1945 entging er durch die Flucht." Was ist hier eigentlich noch richtig? Die "Bombennacht" war eine Nacht und ein Tag, und sie war sehr bekanntlich nicht im März, sondern am 13. und 14. Februar (im März wäre sie moralisch noch problematischer gewesen); und danach gab es dort auch nicht mehr viel Raum für "Verfolgungen", vor allem aber: übelster Drangsalierung waren die Klemperers schon lange vorher ausgesetzt; und die "Bombennacht" brachte ihnen umgekehrt gerade die Befreiung (Klemperer hat all dies in seinem gewaltigen Tagebuch bewegend geschildert), ja, sie brachte ihm Rettung vor dem Tod, denn ohne die Bomben wäre er sicher auch noch abtransportiert worden (gerade die Bombardierung war für einige lebensrettend); in jener Nacht riss sich Klemperer den Stern ab und schlug sich mit seiner Frau nach Westen bis München durch.

Dass er die Sprache so wichtig nahm, erklärt Göttert freundlich so: "Als Philologe lebenslang mit nichts anderem umgegangen" (nie hätte sich Klemperer so schief ausgedrückt), "sah er in der Sprache eine ,Macht'". Also, wenn je irgendein Professoren-Philologe das Leben in seiner ganzen Breite bis ins Niederste hinein kennengelernt hat, so war es dieser Mann! Und dann meinte er ja doch gerade nicht eine Verführung durch die deutsche Sprache an sich, sondern durch deren Instrumentalisierung durch die Nazis. Klemperer sprach von der "Sprache des Dritten Reichs", "Lingua Tertii Imperii", "LTI". Und wenn er danach auch von einer "Sprache des Vierten Reichs", "Lingua Quarti Imperii", "LQI", redete, so meinte er keineswegs die "Fortführung" der Sprache des "Dritten Reichs" nach dessen Besiegung, sondern die Sprache des kommunistischen Regimes.

Weiter: die "Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung" gehört dem "Deutschen Sprachrat" mitnichten an (und zwar weil sie dies, vielleicht zu Unrecht, nicht wollte). Sie hat sich auch erst äußerst spät, zu spät, aber dann doch, dank Peter Eisenberg, recht wirksam, in die Rechtschreibdebatte eingeschaltet. "Wachsam" also war sie keineswegs. Oder jedenfalls zu spät. Hier lobt Göttert zu Unrecht. Dass im Präsidium der Akademie eine frühe Einladung mitzumachen in irgendeinem Papierwirrwar untertauchte und nicht beantwortet wurde, kam den Betreibern der Gräuel-Reform wie geschliffen. Nie gab es, wie unter Institutionen anständigerweise üblich, eine nachfassende Anfrage zu der ausgebliebenen Antwort (der Rezensent weiß, wovon er redet). Offensichtlich waren die Beteiligten, einige Germanisten und Kultusbürokraten, froh, die Schriftsteller ("Ach die, die haben ja sowieso keine Ahnung") draußen zu haben.

Für Göttert gibt es (darin erweist er sich wirklich als solider "Sprachwissenschaftler") eine Verführung durch Sprache nicht. Es ist nie die Sprache. Die ist immer die reine Unschuld. Daher seine Skepsis gegenüber Klemperer und anderen, etwa Dolf Sternberger und dessen "Wörterbuch des Unmenschen" (an ihm haben auch Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind mitgearbeitet). Und Göttert gehört auch zu den vielen, die sich ganz sicher sind, dass dem Deutschen keinerlei Gefahr vom Englischen droht. Darf man aber da so ganz sicher sein? Übrigens ist dies keine wissenschaftlich zu entscheidende Frage, denn da gibt es nur schwach zu begründende Vermutungen.

Götterts Argumentation ist die übliche. Es habe vormals vom Französischen her "schon brenzligere Situationen gegeben". Also wird es jetzt wieder gut ausgehen. Aber der Schluss hat kaum mehr gedankliche Konsistenz als der schöne Kölner Satz "Et hätt noch immer jotjejange" (dieser wurde schon durch Vorgänge in Köln selbst widerlegt). Drei Dinge sind hier zu sagen. Erstens ist dies ein reiner Analogieschluss. Die aber sind nie sicher. Und andere "Beweise" sind gar nicht verfügbar. Zweitens ist die Analogie nur sehr partiell: Die Dominanz des Französischen damals (ein Phänomen der Bildung und also auch des Standes) war sehr anders als die des Englischen heute. Drittens hat das Französische auch gerade deshalb das Deutsche schließlich nicht überflutet, weil es eine massive, organisierte und zum Teil hochnationalistische Gegenwehr gab - "Entwelschung des Deutschen" (so seinerzeit der überaus kultivierte jüdische Deutschtümler Eduard Engel). Also dürften die, die jetzt nirgends auch nur den Anschein einer Gefahr erkennen, sich eigentlich nicht gegen jene wenden (genau dies tun sie aber), die sich jetzt "alarmistisch", wie sie sagen, gegen das Englische im Deutschen wehren.

HANS-MARTIN GAUGER.

Karl-Heinz Göttert: "Deutsch". Biografie einer Sprache. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 400 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.08.2010

Öffnung ins Ungenaue
Karl-Heinz Götterts „Biografie“ der deutschen Sprache
Der emeritierte Mediävist und Rhetorikforscher Karl-Heinz Göttert hat in letzter Zeit eine Reihe Bücher vorgelegt, die über sein Spezialgebiet hinausgehen. An den Schwerpunkten, die seine Geschichte der deutschen Sprache setzt, merkt der Leser aber durchaus, wo sich der Verfasser besonders gut auskennt. Über weite Strecken handelt er weniger von der Sprache als von Geschichte und Literatur, besonders des Mittelalters. Immerhin wird die Rolle des Lateinischen an vielen Beispielen gezeigt, ebenso die sprachschöpferische Tätigkeit der Mystiker, Luthers und der Sprachgesellschaften und „Puristen“. Hier findet der interessierte Laie viel Wissenswertes. Der modische Untertitel „Biografie“ legt übrigens eine organismische Auffassung der Sprache nahe, die der Autor in Wirklichkeit – glücklicherweise – nicht vertritt.
Leider sind die im engeren Sinne sprachgeschichtlichen Tatsachen, die Göttert mitteilt, teilweise so nachlässig formuliert, daß man Gymnasiasten und Studenten, die sich noch nicht sicher fühlen, das Buch kaum in die Hand geben möchte: „Nehmen wir das Wort ‚Fuß‘. Im Lateinischen heißt dies ‚pes‘. Die germanischen Sprachen machen bei der Übernahme aus dem ‚p‘ ein ‚f‘.“ Muß der unbefangene Leser dies nicht so verstehen, als hätten die Germanen das Wort aus dem Lateinischen übernommen? Ähnlich das folgende: „ . . . weshalb im Deutschen aus ‚tres‘ ‚drei‘ wurde.“ Wenn Luther schreibt „auff das er sich schetzen lies mit Maria“, sieht Göttert „das Verb in Zweitstellung“. Das trifft offensichtlich nicht zu.
Die berühmten Straßburger Eide werden bei Göttert in den falschen Sprachen gesprochen. Mauthners „Beiträge zu einer Kritik der Sprache“ konnten Nietzsche nicht „stark beeinflussen“, da dieser bereits verstorben war, als sie erschienen. Feridun Zaimoglu hat nicht den Ingeborg-Bachmann-Preis bekommen. Welche Rolle der Duden spielt, was die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Gesellschaft für deutsche Sprache sind (von letzterer behauptet er, sie sei „inzwischen mit dem ehemaligen Ostberliner Zentralinstitut für Sprachwissenschaft vereint“), das ist sachlich so verkehrt dargestellt wie die gesamte Geschichte der Rechtschreibreform. Dabei hat Göttert selbst ein reformiertes Rechtschreibwörterbuch (u.a. beim Discounter Aldi) und ein begleitendes Reclam-Bändchen („Es gibt keinen Kuß mehr“) veröffentlicht, die freilich schon eine ähnliche Unkenntnis verrieten. Warum spricht Göttert von „immerhin 37 Auflagen“ des Österreichischen Wörterbuchs, wo doch inzwischen bereits die 41. Auflage erschienen ist?
Immer wieder unterlaufen verunglückte Ausdrucksweisen: „In Polen gehört Deutsch weiter zur am meisten nachgefragten Fremdsprache.“ – „Von Anfang an wollten die Grimms den Rückgang auf die alten Sprachstufen mit einer Orthografiereform verbinden, die letztlich der des Hochmittelalters entsprach.“ – „Adelung, in Sachen Fleiß mehr als ausgewiesen . . . “ – „Eduard Engel war Jude, was die NS-Führung als Beleidigung empfand.“ Gewaltsame Überleitungen führen zu schrägen Urteilen: „Woher diese Wut? Ob Schopenhauer, Nietzsche oder Kraus: Es geht offenbar um die Verteidigung einer Bildungssprache als Garant von Kultur.“ Mit dieser gewöhnungsbedürftigen These stellt Göttert eine Verbindung zu den „Sprachdummheiten“ Gustav Wustmanns her, den man in so illustrer Gesellschaft bisher nicht vermutet hätte.
Die Eindeutschungsbemühungen des 19. Jahrhunderts kündigt Göttert schicksalsschwer an: „Das Unheil wurde sofort deutlich, als Deutschland sich nach der Reichsgründung von 1871 im Aufstieg sonnte.“ Es folgen aber nur die harmlosen und nützlichen Verdeutschungen der militärischen Terminologie („Fahnenjunker“) und der Behörden- und Postsprache („Abschrift“, „Briefumschlag“). Was soll daran unheilvoll gewesen sein? Aber Göttert läßt nicht locker. Der Purismus des 19. und 20. Jahrhunderts soll einen „Entwicklungsstau“ verursacht und die deutsche Sprache „von der internationalen Entwicklung ferngehalten“ haben. Heute hole das Deutsche nach, was „andernorts bereits Normalität ist“. Was der Verfasser hier meint, bleibt so unklar wie die Forderung einer „Öffnung“ des Deutschen. Ist das heutige Deutsch etwa eine provinziell abgekapselte und daher zurückgebliebene Sprache, die endlich durch mehr (englische) Fremdwörter weltläufig gemacht werden sollte?
Das Buch läuft auf eine eigenwillige Beurteilung der heutigen Sprachsituation zu, denn Göttert will zugleich eine Antwort auf Jutta Limbachs Veröffentlichung „Hat Deutsch eine Zukunft?“ geben. Die historische Darstellung soll seine zentrale These untermauern: „Die Sprachgeschichte des Deutschen mündet in einem mehrsprachigen Deutschland.“ Ist man aber am Ende des Buches angelangt, hat man keineswegs den Eindruck einer solchen schicksalhaften Vorbestimmtheit. Der Wunsch, ein mehrsprachiges Deutschland zu schildern, verführt Göttert dazu, eine Randerscheinung wie die „Kanak-Sprak“ ausführlicher zu behandeln als die viel wirksamere Umgestaltung der Hochsprache durch die Politische Korrektheit, besonders die feministische. Wen interessiert übrigens, daß die „Kanak-Sprak“, deren Charakter als halbliterarisches Kunstprodukt Göttert keineswegs verkennt, „an der Düsseldorfer Universität Gegenstand einer Einführung in die Soziolinguistik wurde“? Das gehört zu den vielen Einzelheiten, die besser im Zettelkasten verblieben wären.
Für internationale Vereinigungen wie die EU empfiehlt er Englisch als einzige Verkehrssprache, bei gleichzeitiger Pflege der Minderheitensprachen innerhalb der Staaten. Immerhin ein vertretbares Modell, aber gerade in Deutschland gibt es keine Minderheitensprachen, mit denen das Deutsche in einem „Wettbewerb“ stünde oder in Zukunft stehen könnte. Die mehrsprachige Schweiz wird zu Unrecht als Vorbild genannt, denn hier sind alle Landessprachen zugleich prestigehaltig, was man vom Türkischen in Deutschland nicht sagen kann. Was die sprachliche Vielfalt in der EU betrifft, so ist sie kompliziert und kostspielig, aber „chaotisch“, wie Göttert mehrmals sagt, ist sie nicht. Andererseits zeigt der Sprachenstreit in Belgien und anderswo, daß es Kräfte gibt, die in seinem Modell nicht vorkommen.
Wenn innerhalb Deutschlands Mehrsprachigkeit und zwischen den Staaten englische Einsprachigkeit herrschen soll, bleibt unerfindlich, warum Göttert zugleich das Dreisprachenprojekt der EU, mit der Bevorzugung jeweiliger „Nachbarschaftssprachen“, unterstützt. Vor einiger Zeit mußten die Gerichte eingreifen, weil Eltern im Oberrheingraben sich darüber beschwerten, daß ihren Kindern Englisch zugunsten der Nachbarsprache Französisch vorenthalten werden sollte. Die anachronistische Begünstigung von Nachbarsprachen wird in der Tat erst verständlich, wenn man weiß, daß dieses Projekt vornehmlich von Romanisten stammt, die dem Französischen seinen Platz auf der Stundentafel der Gymnasien sichern wollten; um Dänisch oder Tschechisch ging es weniger.
„Selbst die Amerikaner halten bereits Tagungen über die Kosten ab, die ihnen die bequeme Dominanz ihrer Weltsprache beschert hat (1983 unter dem Titel ‚A nation at risk?).“ In dem amerikanischen Report steht nichts dergleichen. Englischunterricht ist für Amerikaner und Engländer weltweit ein gutes Geschäft. Nur wenige Amerikaner dürften sich darüber beschweren, daß ihre Sprache überall verstanden wird.
Der verblüffendste Satz ist wohl dieser: „In gewissem Sinne werden im Übrigen nur Verhältnisse wiederkehren, die wir schon einmal hatten: vor dem (in sprachlicher Hinsicht auf jeden Fall trostlosen) 19. Jahrhundert.“ Das neunzehnte Jahrhundert, in dem die deutsche Sprache (nach Wolfgang Frühwald) das Faszinosum der gebildeten Welt war – „trostlos“? Dafür wäre der Verfasser dem Leser wohl eine Erklärung schuldig.
Götterts Sprachgeschichte ist in munterem Ton, stellenweise geradezu flapsig formuliert und könnte einer breiteren Leserschaft empfohlen werden, wenn sie im Detail zuverlässiger und insgesamt weniger weitschweifig wäre. THEODOR ICKLER
KARL-HEINZ GÖTTERT: Deutsch. Biografie einer Sprache. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 400 Seiten, 19,95 Euro.
„Abschrift“, „Briefumschlag“,
„Fahnenjunker“ – wo verbirgt sich
das Verhängnis?
Im 19. Jahrhundert war Deutsch
das Staunen der gebildeten Welt
– was daran war trostlos?
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der emeritierte Sprachwissenschaftler Hans-Martin Gauger lässt sich eingehend zu Karl-Heinz Götterts Geschichte der deutschen Sprache vernehmen, die er nach eigenem Bekunden zwar "irgendwie sympathisch" findet, die dann aber sehr viel, sehr leidenschaftlich geäußerte Kritik einstecken muss. Die offenkundige Intention des Kölner Germanisten, eine auch den interessierten Laien erreichende, umfassende Sprachgeschichte zu schreiben, hat er in den Augen des Rezensenten schon deshalb verfehlt, weil er sich nicht genug auf sein Thema konzentriert habe und nebenbei auch noch so etwas wie eine kleine Literaturgeschichte bieten wollte. Zudem setze Göttert für die nicht Eingeweihten allzu viel voraus, so dass trotz des ausgesprochen lockeren Tons - für Gauger häufig viel zu salopp - nicht immer alles für alle verständlich sein dürfte. Schwerer aber wiegen für den Rezensenten offenkundig die vielen sachlichen Fehler, die er besonders in der zweiten Hälfte des Buches gefunden hat. Hier sammelt er akribisch die Schnitzer, die sich der Autor geleistet hat, begleitet von entsetzten "Mon-Dieu!"- und "Incroyable!"- Ausrufen. Empörung hat dabei insbesondere das Kapitel über den Philologen Victor Klemperer bei ihm ausgelöst, in dem er zahlreiche verfälschende Unrichtigkeiten gefunden hat. Schließlich findet er die Haltung des Autors gegenüber den Gefahren, die der deutschen Sprache vom Englischen her drohen, zu Unrecht heruntergespielt. Götterts Argumentation, gegenüber dem Französischen habe sich Deutsch ja auch behaupten können, ist in seinen Augen ein nur teilweise passender Analogieschluss im Kölner Geist von "Es hätt noch immer jotjejange", den Gauger durch die Geschichte hinlänglich widerlegt sieht.

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