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Seit dem späten 14. Jahrhundert, verstärkt seit der Eroberung Konstantinopels durch das Osmanische Reich, sah sich das »christliche Europa« einer wachsenden äußeren Bedrohung gegenüber. Der Zusammenhang zwischen dieser Bedrohung und ihrer Verarbeitung durch unterschiedliche epistemologische Strategien stehen im Zentrum dieses Buches. Bei der Auseinandersetzung mit den »Türken« kam der Beschäftigung mit ihrer Religion eine Schlüsselrolle zu. Der Autor untersucht die Deutungsmuster der »türkischen Religion«, ihre Rückwirkungen auf die binnenchristlichen Diskussionen und fragt, wie sich diese auf…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem späten 14. Jahrhundert, verstärkt seit der Eroberung Konstantinopels durch das Osmanische Reich, sah sich das »christliche Europa« einer wachsenden äußeren Bedrohung gegenüber. Der Zusammenhang zwischen dieser Bedrohung und ihrer Verarbeitung durch unterschiedliche epistemologische Strategien stehen im Zentrum dieses Buches. Bei der Auseinandersetzung mit den »Türken« kam der Beschäftigung mit ihrer Religion eine Schlüsselrolle zu. Der Autor untersucht die Deutungsmuster der »türkischen Religion«, ihre Rückwirkungen auf die binnenchristlichen Diskussionen und fragt, wie sich diese auf das Selbstbild der Christen auswirkten. Verdankt sich der »Erfolg« der Reformation auch dem durch die Osmanen evozierten endzeitlichen Szenario? Ist die These »Ohne Türken keine Reformation« richtig?
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Autorenporträt
Dr. Thomas Kaufmann ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Göttingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2008

Der Sultan kam nur bis zum Kahlenberg
Thomas Kaufmann sichtet christliche Meinungen über "die Türken"

Das christliche Türkenbild hat stets zwischen Furcht und Faszination geschwankt. Die Eroberung von Byzanz durch Sultan Mehmet II. im Jahre 1453 schockierte das Abendland und vereitelte auch die ökumenische Union zwischen Papst und Patriarch. Seither bedrohten die Türken das Reich vom Osten her, und es sollte mehr als zweihundert Jahre dauern, bis in der Schlacht am Kahlenberg bei Wien (1683) die Gefahr eines weiteren türkischen Vorstoßes nach Mitteleuropa endgültig abgewehrt werden konnte - nachdem der Balkan und das östliche Mittelmeer bereits fest in osmanischer Hand waren.

Die Beurteilung dieser Gefahr aus dem Osten stellte christliche Theologen und Publizisten beider Konfessionen vor nicht geringe Probleme: War die Türkengefahr eine Strafe Gottes für das unbußfertige Verhalten der Christen? Waren sie gar ein Vorbote der Endzeit? Sollte man dann die Türken überhaupt bekämpfen? Im Werk Martin Luthers spiegeln sich diese Unsicherheiten wider. Der junge Reformator hatte 1520/21 noch gemeint: "Widder die Turcken streitten ist nit andersz denn widder got streben, der durch den Turcken unszer sund strafft." Aber da hatte der neue Sultan Süleyman (der Prächtige) Belgrad noch nicht erobert.

Wenige Jahre später (1529) stand er schon vor Wien. Im Angesicht dieser Bedrohung ist sich Luther nun sicher, "das der Tuercke gewislich sey der letzte und ergeste zorn des teuffels widder Christum", und weissagt, dass dieser bald bezwungen sein werde und "das der iuengst tag muesse fuer der thuer sein". 1541, Süleyman hatte gerade die ungarische Hauptstadt Ofen (Buda) besetzt, formulierte Luther sogar ein Fürbittengebet für die Soldaten, die - so gestärkt - gegen "ein gros heer Teuffel" in die Schlacht ziehen sollten.

Dass diese Ambivalenzen im frühneu-zeitlichen Umgang mit dem Osmanischen Reich und dessen Religion an der Wende zur Neuzeit typisch für die lutherische Theologie (und nicht nur für diese) waren, hat der Göttinger Reformationshistoriker Thomas Kaufmann in einer instruktiven Untersuchung der Gattung des "Türckenbüchleins" aufgedeckt.

Leider hält Kaufmann es in diesem etwas aus dem Leim gegangenen Buch - den einundsiebzig Seiten Text stehen hundertachtundzwanzig Seiten Anmerkungen gegenüber - nicht für nötig, seine Leser mit den Hauptvertretern der Gattung bekanntzumachen. Wer kennt schon "den Siebenbürgener" Georg von Ungarn oder Bartholomäus Georgievits? Er verzichtet überhaupt auf einen chronologischen Überblick und entfaltet stattdessen aus den vergilbten Seiten der Traktate, Flugblätter und Pamphlete das darin verborgene Pop-up-Buch aus Vorurteilen und Klischees, gut gemeinter Aufklärung und demagogischer Fehlinformation. Diese Halbwahrheiten schlugen sich übrigens nicht nur in Texten, sondern auch in zahlreichen Illustrationen nieder, und es ist kein geringes Verdienst dieses Bandes, sie einmal, begleitet von knappen Kommentaren, zusammengeführt zu haben.

Kaufmann macht deutlich, dass die "Türckenbüchlein" nicht nur im Hinblick darauf interessant sind, wie man die Vertreter einer anderen Religion, welche mittlerweile die Kontrolle über die Heiligen Stätten der Christenheit übernommen hatte, im christlichen Europa wahrnahm, sondern ebenso als Spiegel der eigenen religiösen Befindlichkeit. Denn die Gefahr für das Corpus Christianum verlangte nach heilsgeschichtlicher Deutung und musste eingepasst werden in Gottes großen Weltenplan, wie man ihn der Heiligen Schrift entnehmen zu können glaubte.

Das war keineswegs nur ein Problem von Intellektuellen: Durch das Läuten der "Türkenglocke", die seit Papst Calixt III. (1455 bis 1458) täglich zur Mittagszeit zum gemeinsamen Gebet rief, war der Hegemonialanspruch der fremden politischen und religiösen Macht auch dem einfachen Kirchenchristen über Jahrhunderte stets präsent. Infolgedessen rückte man näher zusammen und vergaß auf Reichstagen zeitweilig sogar die konfessionellen Differenzen. Indem die publizistische Auseinandersetzung mit den Türken ebenso zur christlichen und nationalen Selbstvergewisserung wie zur politischen und religiösen Abgrenzung nach außen beitrug, ist sie ein Teil des ambivalenten historischen Erbes des modernen Europa.

WOLFRAM KINZIG.

Thomas Kaufmann: "Türckenbüchlein". Zur christlichen Wahrnehmung "türkischer Religion" in Spätmittelalter und Reformation. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008. 299 S., 26 Abb., geb., 59,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen wichtigen Aspekt des ambivalenten historischen Erbes des modernen (lutherischen) Europa sieht Wolfram Kinzig mit dieser "instruktiven" Untersuchung zur Gattung des "Türckenbüchleins" beleuchtet. Nicht nur kann Thomas Kaufmann dem Rezensenten die Bedeutung der Gattung in Bezug auf das christliche Türkenbild erläutern, auch als Spiegel der eigenen Religion erscheint sie Kinzig nach der Lektüre. Zwar beklagt er das Missverhältnis von Text- und Anmerkungsumfang (71:128 Seiten) und vermisst einen chronologischen Überblick und die nähere Bekanntmachung mit Hauptvertretern der Gattung. Das hinter den verschiedenen im Türckenbüchlein vereinten Textsorten und Illustrationen verborgene "Pop-up-Buch" aus Klischees, Aufklärung und gezielter Fehlinformation zugänglich gemacht zu haben, erscheint dem Rezensenten allerdings verdienstvoll genug.

© Perlentaucher Medien GmbH