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Wie eine junge Frau aus Kiew loszog, in Moskau ihr Glück zu suchenVon Sehnsucht nach dem freien Künstlerdasein gepackt, folgt die junge Elephantina ihrem Idol in die Katakomben Moskaus. Der rotgesichtige Dichterguru Pomidor, ein Mann in den besten Jahren, prominenter Kopf der Avantgarde, hat sie die »neue Achmatowa« genannt. Vergessen das provinzielle Kiew, die öde Kunstschule. Durch Bahnhöfe, Theatergarderoben und Museen von einer Schlafstatt zur nächsten irrend, findet die nonnenhaft gekleidete Nomadin eine Wohnung, die sie schon bald in eine Künstlerkolonie verwandelt. Dichterabende in…mehr

Produktbeschreibung
Wie eine junge Frau aus Kiew loszog, in Moskau ihr Glück zu suchenVon Sehnsucht nach dem freien Künstlerdasein gepackt, folgt die junge Elephantina ihrem Idol in die Katakomben Moskaus. Der rotgesichtige Dichterguru Pomidor, ein Mann in den besten Jahren, prominenter Kopf der Avantgarde, hat sie die »neue Achmatowa« genannt. Vergessen das provinzielle Kiew, die öde Kunstschule. Durch Bahnhöfe, Theatergarderoben und Museen von einer Schlafstatt zur nächsten irrend, findet die nonnenhaft gekleidete Nomadin eine Wohnung, die sie schon bald in eine Künstlerkolonie verwandelt. Dichterabende in überfüllten Studentenklubs mit Spitzeln in den hinteren Reihen, verbotene Kunstaktionen in Moskau und Umgebung, die Begegnung mit Allen Ginsberg, eine Vorladung beim KGB - doch all das ist nur die Kulisse, vor der Elephantina sich nach Pomidor verzehrt. Eine éducation sentimentale in kräftigen Farben, episodenreich und voller Temperament und Gelächter.
Autorenporträt
Kissina, JuliaJulia Kissina, 1966 in Kiew geboren, gehörte in den 80er Jahren zum Kreis der Moskauer Konzeptualisten um Vladimir Sorokin und Pawel Pepperstein und machte sich mit spektakulären Kunstaktionen und als Fotokünstlerin auch international einen Namen. 2005 erschienen auf Deutsch Vergiß Tarantino sowie das Kinderbuch Milin und die Zauberkreide. Sie lebt in New York und Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Andreas Breitenstein ist hellauf begeistert von Julia Kissinas neuem Roman, dem zweiten Teil ihrer Trilogie über die späte Sowjetzeit. Derart gelacht und gefiebert hat Breitenstein lange nicht über spätsowjetische Zustände, bei denen es immer um die kleine Transzendenz und ein utopisch-romantisches Selbstverständnis geht, wie der Rezensent schnell begreift. Tyrannei und Subversion, Komödie und Tragödie, Farce und Litanei und alle anderen Klischees kommen vor und werden von der Erzählerin, einem laut Breitenstein von Kunstreligion und Moderne beseelten Teenager, gerne bestätigt. Wie die Neoavantgarde der Achtziger mit Musendienst und Manifesten ablief, erfährt der Rezensent von Kissina "durch die rosarote Brille". Bloß gut, meint Breitenstein, dass die Autorin all das Übersteuerte der Handlung mit weltgeschichtlichen Ereignissen, mit ihrer Herzenswärme und mit formaler und sprachlicher Meisterschaft erdet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.07.2016

Heroischer Blödsinn
In ihrem überschäumenden Roman „Elephantinas Moskauer Jahre“ berichtet Julia Kissina
von ihrer wilden Jugend vor dem Hintergrund der zerfallenden Sowjetunion
VON MEIKE FESSMANN
Schwer was los in diesem Roman, der zwischen Kiew und Moskau spielt, in den fernen Achtzigerjahren, als Russland und die Ukraine noch zur Sowjetunion gehörten. Schwer was los, aber nicht nur wegen der politischen Ereignisse, die Liveticker-mäßig durchs Bild laufen, sondern vor allem wegen seiner hinreißenden Ich-Erzählerin. Elephantina nennt sie sich, ist jung und völlig elektrisiert von sich selbst und der Welt. Sie schäumt vor Übermut und „heroischem Blödsinn“, sie traut sich einfach alles zu, kultiviert ihren Eigensinn und den unerschütterlichen Glauben, ausgesprochen einzigartig zu sein.
  Zugleich ist sie unsicher bis in die letzte Pore. Aus lauter Angst, etwas Dummes zu sagen, hält sie oft genug den Mund. Das ist weiter kein Problem. Denn die Gurus der Avantgarde haben selber viel zu sagen. Eine von Kunst und Poesie besessene junge Frau ist die ideale Empfängerin verschrobener Botschaften. Man kann sie ruhig mal die „neue Achmatowa“ nennen, auch wenn deren „fader Klassizismus“ ihren Widerwillen erregt: „Vor meinen Augen buckelten die Hyänen der Verzweiflung.“
  „Elephantinas Moskauer Jahre“ ist ein wahrer Hexenkessel von Roman: klug, witzig, fantasievoll, szenenstark. In einer überschäumenden Sprache, die keinerlei Hemmungen kennt, erzählt die 1966 in Kiew geborene, in Berlin und New York lebende Künstlerin und Schriftstellerin vom Elan der Jugend. Deren Energie brennt umso glutvoller, als sie auf eine Zeitstimmung trifft, in der alles möglich zu sein scheint. Der Zerfall der Sowjetunion bildet den Hintergrund dieser weiblichen Coming-of-Age-Phantasmagorie. Und das Strahlen von Tschernobyl ist ihre zentrale Metapher. In einem magnetisierenden Präsens, das keine Hierarchien kennt, bleibt die Vergangenheit präsent – mitsamt der wilden Jugend.
  „Damals war jeder in alles und jeden verliebt, sogar in die pure Luft“, schwärmt Elephantina in der registerreichen Übersetzung von Ingolf Hoppmann und Olga Kouvchinnikova. Mit Leib und Seele verfällt sie einem Moskauer Großmaulpoeten, dem sie trotz seiner Hässlichkeit zu Füßen liegt. Das Problem ihrer Jungfräulichkeit bleibt ungelöst. Ohnehin fühlt sie sich geschlechtslos, mal wie Tizians durchgeistigte Pesaro-Madonna, mal wie Jane Birkin. Für ihren Liebesschmerz greift sie dennoch ungehemmt zu weiblicher Metaphorik: „Mein Herz verglühte vor süßer Angst, es öffnete sich wie eine Feuerblume, erklomm die höchsten Klippen – und stürzte entkräftet in die Tiefe. Kurz, es benahm sich, medizinisch ausgedrückt, wie eine Gebärmutter beim Orgasmus.“ Später wird das Organ zur „Vase mit Ohren“ verulkt und mit dem flammenden Bekenntnis verquickt, sie wolle leben wie Arthur Rimbaud und Unsterblichkeit erlangen statt Kinder zu gebären.
  Zwischen allem herrscht Verwandlungsfreude, auch Religionen und Kulturen vermischen sich. Klar, dass die großen Heroen der russischen Literatur beschworen werden, von Chlebnikow über Bulgakow bis Mandelstam, Pasternak, Majakowski und Andrej Belyj. Von Carlos Castaneda ist die Rede, von Zen-Buddhismus und Haikus. Einen leibhaftigen Auftritt hat Allen Ginsberg. Er kommt nach Moskau und wird sofort eingemeindet in das Netz der Ähnlichkeiten, das alles mit allem verknüpft. Der amerikanische Puschkin sei er, sagt der eine, der amerikanische Goethe, der andere, und der dritte meint, er sei der amerikanische Verlaine. Das Äußere des Beatniks enttäuscht. Er sieht aus wie ein „kahlköpfiger Opa“, dieser „Klassiker des faulenden Kapitalismus“.
  Es gibt Momente, da wachsen einem die Analogie-Orgien über den Kopf. Man möchte einmal beherzt „Ruhe“ brüllen. Zum Glück ist man damit nicht allein. Auch die Erzählerin merkt irgendwann, dass sie den Wahnsinn streift, wenn sie so weitermacht. Dabei kommt sie auf die kluge Idee, es könnte diese Angst sein, die das Analogie-Karussell anhält: Sie hat „keinen Namen“ und „ist immer sie selbst.“ Interessante Gedanken, wie etwa die Überlegung, dass Dichtung den Dingen einen „emotionalen Sinn“ verleiht, stehen neben vergnügtem Nonsens. Auch die Zusammenstellung historischer Ereignisse lebt davon, dass Wichtiges neben Unwichtigem steht, etwa die Geburt Lady Gagas 1986 neben Gorbatschows Forderung, die Atomwaffen abzuschaffen.
  Nach „Frühling auf dem Mond“ ist „Elephantinas Moskauer Jahre“ der zweite Roman von Julia Kissina, der bei Suhrkamp erscheint. Davor war die Autorin, die auch als Aktions- und Fotokünstlerin unterwegs ist, durch verschiedene Verlage gepilgert. Ihr 2005 bei Aufbau erschienener Erzählungsband „Vergiss Tarantino“ zeigt ihre Nähe zu Wladimir Sorokin und Pawel Pepperstein deutlicher, als es ihre Romane tun. Man darf gespannt sein, was sie sich noch alles einfallen lässt, langweilig wird es mit ihr nie.
„Mein Herz verglühte
vor süßer Angst, öffnete sich
wie eine Feuerblume . . .“
Die Geburt von Lady Gaga
steht neben Gorbatschows Appell,
Atomwaffen abzuschaffen
Ähnlich wie Julia Kissina in ihrem Roman versammelt auch die
russische Künstlergruppe AES+F den geballten Wahnsinn der politischen
Geschichte in ihren Arbeiten (www.aesf.co). „Tondo#16“
heißt diese Digitalcollage aus der Serie „Last Riot 2“.
Foto: AES+F
          
    
    
Julia Kissina: Elephantinas Moskauer Jahre. Roman. Aus dem Russischen von Ingolf Hoppmann und Olga Kouvchinnikova. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 240 Seiten, 22,95 Euro.
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»Es gibt kaum ein Buch, das den Konnex von Tyrannei und Eigenbrötelei besser ausleuchtet als dieser Roman.« Andreas Breitenstein Neue Zürcher Zeitung 20160914