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Jahrelang schlug er sich als Klavierspieler in Stummfilmkinos und mit Konzerten in provinziellen Musikzirkeln durch; später enthob ihn ein obskurer Posten in der staatlichen Administration der drückendsten Geldnöte; zu seinem vierzigsten Geburtstag legten seine Freunde zusammen, um den Druck seiner ersten längeren Erzählung zu finanzieren; zwischen vier Ehen und einigen Amouren suchte er immer wieder Unterschlupf bei seiner Mutter - Felisberto Hernandez scheint die Ecken und Nischen geradezu gesucht zu haben, im Leben wie in seiner Literatur. Da tingelt zum Beispiel ein erfolgloser Pianist als…mehr

Produktbeschreibung
Jahrelang schlug er sich als Klavierspieler in Stummfilmkinos und mit Konzerten in provinziellen Musikzirkeln durch; später enthob ihn ein obskurer Posten in der staatlichen Administration der drückendsten Geldnöte; zu seinem vierzigsten Geburtstag legten seine Freunde zusammen, um den Druck seiner ersten längeren Erzählung zu finanzieren; zwischen vier Ehen und einigen Amouren suchte er immer wieder Unterschlupf bei seiner Mutter - Felisberto Hernandez scheint die Ecken und Nischen geradezu gesucht zu haben, im Leben wie in seiner Literatur. Da tingelt zum Beispiel ein erfolgloser Pianist als ebenso unbeachteter Strumpfverkäufer durch die Provinz, bis er eines Tages in einem Laden angesichts der ausbleibenden Bestellung in Tränen ausbricht - und darin eine unverhoffte Verkaufsstrategie entdeckt.
So spät der Uruguayer in der Welt bekannt wurde - mit seinem unorthodoxen schmalen Werk hat Felisberto Hernandez so unterschiedliche Köpfe wie Julio Cortazar, Gabriel García Mßrquez und Italo Calvino fasziniert.
Dieses Buch ist eine Einladung, den genialisch Sonderbaren, den erfindungsreichen Grübler und Panerotiker, den Humoristen des erstaunten Seitenblicks kennenzulernen - und einige der schönsten Erzählungen der lateinamerikanischen Literatur.
Autorenporträt
Hernández, Felisberto
Felisberto Hernández, 1902 in Montevideo geboren und 1964 dort gestorben, kam in der Mitte seines Lebens für einige Zeit nach Paris, aber sein eigentlicher Erfahrungs- und Wirkungskreis ist die Provinz, wo sie am wenigsten von hauptstädtischen Winden durchweht ist. Kein Zufall, daß er in Paris Julio Cortázar - nicht getroffen hat.

Ammar, Angelica
Angelica Ammar, geboren 1972 in München, studierte Ethnologie und Romanistik in München, Madrid und Paris. Seit 2007 lebt sie in Barcelona und ist dort als Übersetzerin tätig.

Botond, Anneliese
Anneliese Botond (1922-2006) studierte und promovierte in Paris. Sie war als Lektorin und Übersetzerin für Französische und Lateinamerikanische Literatur tätig.

Giersberg, Sabine
Sabine Giersberg, geboren 1964 in Bonn, studierte nach dem Übersetzerdiplom Lusitanistik und Hispanistik in Mainz. Seit 1999 ist sie als freie Übersetzerin aus dem Spanischen und Portugiesischen tätig. Sabine Giersberg lebt bei Heidelberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2006

Die schwarzen Seelen der Stühle
Monsieur Teste in Uruguay: Felisberto Hernández’ Erzählkunst in der Sammlung „Die Frau, die mir gleicht”
Eine der Fotografien aus seinen frühen Jahren zeigt Felisberto Hernández am Klavier. Die Kamera nähert sich von schräg oben. Man sieht den Haarschopf, seine Stirn und die gespreizten Finger auf den Tasten – aber alles wirkt seltsam verzerrt, wie durch ein Wasserglas betrachtet. Ein wenig mag dieses Bild von seiner Art des Schreibens erzählen. Der uruguayische Schriftsteller durchbricht unsere festgefügten Vorstellungen und zeigt die Widersprüchlichkeit der Dinge, Charaktere und Ansichten.
Als Hernández 1902 in Montevideo geboren wurde, war die Familie gerade auf einem finanziellen Tiefpunkt angelangt. Ein Wunder fast, dass der junge Felisberto schon früh Unterricht am Klavier erhielt. Jahrelang tingelte er als Klavierspieler durch die Lande, versuchte sich als Pianist für Stummfilme oder in schäbigen Kaffeehausorchestern. Das Schreiben lief immer nebenher. Traut man den Anekdoten seiner Freunde, kam er mit dem alltäglichen Leben nur schlecht zurande. Längere Aufenthalte in Paris, vier Ehen und zahllose Geliebte zeugen von einer inneren Unruhe, die sich auch in seinen Erzählungen findet.
„Ich fürchte sehr”, schreibt Paul Valéry einmal in seinem „Monsieur Teste”, „dass wir aus vielen Dingen bestehen, die uns nicht kennen. Und in ihnen kennen wir uns selbst nicht.” Es ist ein Freund, der dem Geistesmenschen Teste, diesem Fanatiker der Präzision, seine Ahnung vom Rätsel des Ich entgegenhält. Hernández’ Ich-Erzähler könnte dem Freund gewiss zur Seite springen. Zwar forscht er dem Denken mit dem gleichen Eifer nach wie Teste, seine Ahnung aber von der „ständigen Unruhe des Geistes” lässt ihn weit skeptischer erscheinen als Valérys Figur. Der Kopf wird ihm bisweilen ebenso fremd wie der eigene Körper. In der späten Skizzensammlung „Tagebuch eines Lumpen” gipfelt die Suche nach dem wahren Ich in der nüchternen Einsicht: „Ich weiß nicht, wo ich bin, oder wie ich bin, oder worin dieses Gefühl, ich zu sein, besteht. . . manchmal fühle ich es ganz sicher, dann wieder verfolgen mich Zweifel. . . ”.
In den Möbeln nistet die Nacht
Felisberto Hernández war weit davon entfernt, ein eigenes philosophisches System zu entwickeln. Trotzdem lässt sich in einem der eher ironischen Stücke ein schöner gedanklicher Splitter finden, der einiges über die Poetik des Autors erzählt. Hier beginnt der „Stein der Weisen” über die Geheimnisse des Denkens zu spekulieren. Seine These: Es existieren nicht einfach nur harte und weiche Dinge, sondern zwischen ihnen gibt es eine Progression, unzählbare naturgegebene Grade. Diese „Theorie der Abstufung” widerstrebt dem menschlichen Verstand, der gern große Abstände setzt und in Extremen denkt. Doch sie speist Hernandez’ Schreiben.
Die Texte dieses großen Schriftstellers entfalten sich allesamt jenseits eines Denkens in bloßen Gegensätzen. Der überkommenen Vorstellung von Licht und Schatten, Wirklichkeit und Traum hält er die Erfahrung der Schwebe vor, tastet sich vorwärts an Fluchtlinien und Konturen, in die Zwischenräume der Worte hinein. Hier entpuppt sich das feste Ich als Schimäre und die Wirklichkeit als etwas durchweg Flüssiges.
So anspruchsvoll diese Überlegungen manchmal auch klingen mögen – Hernández’ Erzählungen sind frei von allen überdehnten Begriffen. Dem unruhigen Denken zum Trotz begibt er sich immer wieder in Bodennähe und reißt die Augen weit auf, um die winzigen Dinge zu betrachten. Mehr noch, die Dinge entwickeln in seinen Sätzen ein eigenes Leben. Kaum lehnt sich der Erzähler zurück, um abzuwarten, was geschieht, schon gerät das Interieur in Bewegung: „Die Nacht stieg vom Boden, zwischen den Möbeln auf, wo sich die schwarzen Seelen der Stühle zerstreuten. Und wie kleine harmlose Gespenster begannen da die weißen Überzüge ruhig zu schweben.” Der „Stein der Weisen” würde es so erklären: Die Unterscheidung zwischen lebendig und leblos ist zu einfach. Alles ist Abstufung, je weicher, desto mehr Leben, je härter, desto weniger.
Aber es sind nicht nur die Dinge, die Hernández’ Prosa ihre eigentümliche Stimmung verleihen, auch das Wissen um die perspektivische Macht der Erinnerung zeichnet seine erzählerische Unterwasserwelt aus. Wer zu viel Zeit im „Erinnerungstheater” verbringt, läuft Gefahr, sich in der Vergangenheit zu verlieren und ihre Bilder, die unvollkommen sind und nicht zusammenhängen, durch seine Deutungen zu verfälschen. In „Das verlorene Pferd”, einer Erzählung über Kindheit und erste Liebe, zeigt Hernández sehr schön, wie das vergangene Leben sein Recht einfordert: „Ich war dazu verdammt, dem Jetzt anzugehören; wollte ich diese Begebenheiten wiederholen, wären es nie dieselben. Diese Begebenheiten gehörten einer anderen Welt an.”
Es gehört zu den vielen Vorzügen dieses Sammelbandes, die Erzählungen nicht einfach chronologisch darzubieten. Die Anordnung folgt einer Komposition, die der literarischen Kunst Hernández’ nicht unähnlich ist. Kleine Motive und Ideen spinnen sich über die Seiten, es gibt Figuren, die verschwinden, um in einer anderen Erzählung wieder aufzutauchen. Die behutsamen Übersetzungen machen auch im Deutschen spürbar, wie genau der Schriftsteller an seinen Sätzen gefeilt hat. So wie „Frau Margarita” aus der Erzählung „Das überschwemmte Haus” ihre Erinnerungen und Gedanken dem Wasser anvertraut, übergibt Felisberto Hernández die seinen der Sprache.
Bis zu seinem Tod im Jahr 1964 blieb Hernández dieser Vorstellung vom Schreiben treu. Die suggestive Kraft seiner Zeilen ist auch in jenen Texten spürbar, die er am Ende, gezeichnet von einer schweren Krankheit, nur noch skizzieren konnte. Ein wenig gleicht sie der sprachlichen Energie, die Valéry in seines Monsieur Testes Rede gefunden hat: „Er erzählte, und man fühlte sich innerhalb seiner Gedanken, vermengt mit den Dingen: man fühlte sich entfernt, den Häusern untermischt, der Weite des Raumes, den bewegten Farben der Straße, den Ecken . . . ”. NICO BLEUTGE
FELISBERTO HERNÁNDEZ: Die Frau, die mir gleicht. Gesammelte Erzählungen. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar, Anneliese Botond und Sabine Giersberg. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 401 Seiten, 24,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2006

Strumpf der Illusion
Im Puppenhaus: Die Erzählungen des Felisberto Hernández

Adios, und seien Sie glücklich; ich glaube, Sie haben es ziemlich nötig. Margarita." Mit dieser merkwürdigen Wendung verabschiedet die reiche Witwe den Schriftsteller, den sie für einige Wochen in ihre Dienste genommen hatte: als mehr oder weniger stummen Zuhörer, als eine Mischung aus Beichtvater und Analytiker, und vor allem als eine Art Rudersklaven, der die ungeheuer korpulente Frau immer wieder, wie in einem strengen Ritual, um ihre künstlich angelegte Insel fahren muß. Die Frau, die ihren geliebten Mann bei einem Unfall verlor, hat sich in dem Glauben eingerichtet, das Wasser wolle ihr Botschaften zukommen lassen, sei vielleicht eine höhere Form des Daseins, in dem ihr Mann fortexistiere und mit ihr kommunizieren wolle: Nach dem Plan eines berühmten Architekten hat sie ihr Haus unter Wasser setzen lassen.

Es gibt viele solcher Menschen in den Erzählungen von Felisberto Hernández, die es nicht offenbar nicht nötig haben, glücklich zu sein, die sich vielmehr in einer sehr individuellen Form des Unglücklichseins eingerichtet haben - wie diese Margarita aus "Das überschwemmte Haus", die man zunächst für eine Wahnsinnige, für eine schrullige Dame mit Dach- oder besser Wasserschaden hält, bis dann deren skurrile Ophelia-Existenz als quasi-religiöses Einsiedlertum verständlich wird.

Und Hernández selbst? Der uruguayische Schriftsteller, 1902 in Montevideo geboren, 1964 dort gestorben, war wohl kein glücklicher Mensch, obgleich er es wohl sehr nötig gehabt hätte. Der Autor, der heute als einer der Pioniere der lateinamerikanischen Moderne gilt, hochgeschätzt von Julio Cortázar oder Gabriel García Márquez, führte ein unstetes, unruhiges Leben: Insgesamt vier Ehen scheitern, zu Ruhm und Geld ist er zu Lebzeiten nur in bescheidenem Maße gelangt. Schon seine Familie hatte immer wieder unter finanziellen Engpässen zu leiden, der Jugendliche, als Pianist hochbegabt, verdingt sich als Klavierspieler in Stummfilmkinos; statt eine glanzvolle Karriere als Solist zu machen, arbeitet er jahrelang als Kaffeehausmusiker und tingelt durch die Provinz - eine demütigende, ernüchternde Erfahrung, die sich in vielen Erzählungen niedergeschlagen hat.

Selbst mit seiner Wirkung über den spanischsprachigen Raum hinaus hat Hernández irgendwie kein Glück gehabt. Für den großen Boom lateinamerikanischer Literatur in Europa seit den siebziger Jahren kam er zu früh. Und wenn Suhrkamp nun mit einer Auswahl seiner Erzählungen - nach einem kleinem Band von 1985 - einen neuen Versuch unternimmt, dann könnte das wiederum zu spät kommen. Denn die zu beobachtende Verengung des weltliterarischen Horizonts auf das Anglo-Amerikanische scheint einer Neuentdeckung nicht günstig - zumal, wenn selbst so herausragende Gegenwartsautoren wie der Argentinier Ricardo Piglia oder der Kuba-Mexikaner José Manuel Prieto hierzulande kaum Beachtung finden. Und gegenüber diesen virtuos mit Formen, Genres und Traditionen jonglierenden Autoren wirkt Hernández wie aus der Zeit gefallen - oder besser, als würde man durch alte, funktionslos gewordene Kulissen oder in symbolisch aufgeladenen, "metaphysischen" Rätselbildern De Chiricos herumwandern.

Zwar täuscht dieser Eindruck des Musealen und Starren - die Psychodynamik, die in den Figuren am Werk ist, ist überaus vital -, doch das Setting der Erzählungen selbst legt solche Wahrnehmungen nahe. Hernández hat ein Faible für Tableaus, für erstarrtes, krampfartig stillgestelltes Leben, während umgekehrt die Dinge sich zu bewegen und zu sprechen anfangen. Schon in der langen Eingangserzählung "Das verlorene Pferd", eine proustische Reminiszenz an den Klavierunterricht des Zehnjährigen, zeichnet Hernández die Erinnerung als Theater, als das Betreten einer Seelenkulisse, in der die Figuren wie Schaupieler auf- und abtreten: "Als ich an jenem Abend begann, mich zu erinnern und ein anderer zu sein, sah ich mein vergangenes Leben wie in einem Nebenzimmer." In diesem Zimmer sieht er den Jungen und seine Lehrerin in einem erotisch aufgeladenen Ringen um Macht, eine Urszene späterer Verwicklungen.

Solche direkt autobiographischen Erzählungen sind eher selten, obwohl der Ich-Erzähler der meisten Texte äußere Züge des Autors trägt. Eine immer wiederkehrende Grundkonstellation ist die, daß ein Künstler, meist ein Pianist, aus Geldnöten in die Dienste eines reichen Hauses tritt und sich dort einem fremden Leben wie ein Zaungast nähert - ein Beobachter, der allerdings beim Versuch, das Sonderbare zu verstehen, darin eindringt und dessen fragile Balance zu stören droht. In "Der Balkon" wird der Erzähler nach einem Auftritt in der Provinz von einem Herrn angesprochen und zu einem Privatkonzert für dessen zurückgezogen lebende und neurotische Tochter eingeladen. Während seines mehrtägigen Aufenthalts stellt er fest, daß diese eine Liebesbeziehung zu ihrem Balkon aufgebaut hat, zu dem er selbst nun in eine heikle Konkurrenz tritt.

In Erzählungen wie dieser - die wie viele aus seinem bekanntesten Band "Niemand zündete die Lampe an" von 1947 entnommen ist - geht es nicht um die Schilderung des Absurden oder Skurrilen, auch nicht um eine symbolische Erzählweise. Nur selten verläßt die Handlung endgültig den Boden der Wirklichkeit. "Magisch" an diesem Realismus ist eher, daß die Figuren eine irrationale, vormoderne Sicht auf die Wirklichkeit haben - und sich aber zugleich modernster Technik bedienen wie Margarita in ihrem mit neuester Pump- und Hydrotechnik und Zimmertelefon ausgestatteten Wasserhaus. Hernández zeigt so - in fast mustergültiger Anwendung der zufälligerweise zeitgleich erschienenen "Dialektik der Aufklärung" von Adorno und Horkheimer -, wie technische Vernunft auf dem neuesten Stand wieder selbst zum Mythos wird, obwohl er wohl weniger eine geschichtsphilosophische als eine psychologische Wahrheit gestaltet. Hinzu kommt allerdings eine unfreiwillig komisch wirkende Konsum- und Kulturkritik, etwa in der Erzählung "Möbel ,Kanarienvogel'", in der Passanten von perfiden Werbeleuten per Droge dauerplappernde Radiosender in den Kopf eingepflanzt werden - da ist wohl mit dem verkannten Künstler der Haß auf die mediale Konkurrenz durchgegangen.

In "Die Hortensien" wird die Schwelle zum Wahnsystem dann überschritten. Die Hauptfigur Horacio, ein früherer Kaufhausbesitzer, hat eine Obsession für Schaufensterpuppen und stellt seiner Frau daheim eine künstliche Doppelgängerin an die Seite. Was anfänglich die Züge eines neckischen, erotischen Spiels zwischen den Eheleuten hat, steigert sich zu Realitätsverlust und sexueller Perversion - wobei auch hier der technische Perfektionismus (der befreundete Puppenhersteller muß immer raffiniertere Simulationen erzeugen, die er auch andernorts erfolgreich vermarktet) mit magischem Denken, der Belebung toter Gegenstände einhergeht. Hernández verwendet mit Vorliebe solche romantischen Motive - Doppelgänger, Maschinenmenschen -, die an die schwarze Romantik, an E.T.A. Hoffmann oder Poe, erinnern und zugleich zentrale Erfahrungen der Moderne aufnehmen: die Fragmentierung und Verselbständigung von Körpergliedern, die Faszination für Puppen, Prothesen und Automaten als Reflexe der Mechanisierung des Lebens und der Desintegration des Subjekts. So wird der Fetischist Horacio am Ende selbst zur Marionette, mit "wie Glas starren Augen" und "Gliederpuppenruhe".

Von einigen frühen, kurzen Prosastücken der zwanziger über die reifen Erzählungen der vierziger und fünfziger Jahre bis zu den postum veröffentlichten Prosafragmenten des "Tagebuchs eines Lumpen", in denen ein irritierender Zerfall der Erzählstimme in "Ich", "Körper" und "Kopfpartie" zu verfolgen ist, kann sich auch der deutschsprachige Leser einen Überblick verschaffen. "Einzigartig", "faszinierend" sicherlich, aber das sagt sich so leicht. Warum aber soll man einen solchen Autor lesen, wenn es doch so viele andere gibt, bei denen dem Erzähler der Kopf noch etwas sicherer und lebensfroher auf dessen Körper sitzt? Vielleicht darum: Weil man bei Hernández sehen kann, wie rasch sich die vermeintlich so festgefügte Einheit der Welt und des Ich auflöst, wenn man sie nur genau genug betrachtet - und mit ihr auch das Glück, das in der trügerischen Annahme besteht, daß Ich und Welt zusammenpassen.

In der Erzählung "Das Krokodil" muß sich der Ex-Virtuose einmal als Vertreter durchschlagen: Feilzubieten hat er Damenstrümpfe der Marke "Illusion". Die Tragik dieses - vielleicht im Grunde jedes - großen Schriftstellers liegt darin, daß er selbst immer an der Auflösung jedes Scheins von Glück mitwirkt. Felisberto Hernández sagt es so: "Aber ich habe den Eindruck, daß ich immer besser beschreibe, was in mir vorgeht; nur bedauerlich, daß es mir immer schlechter geht."

Felisberto Hernández: "Die Frau, die mir gleicht". Gesammelte Erzählungen. Aus dem Spanischen übersetzt von Angelica Ammar, Anneliese Botond und Sabine Giersberg. Mit einem Nachwort von Angelica Ammar. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 402 S., geb., 24,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Es ist alles in allem ein ziemliches Unglück mit Felisberto Hernandez, stellt Richard Kämmerlings fest. Er will damit gar nichts gegen die Qualität der Literatur des 1964 gestorbenen uruguayischen Autors sagen. Nur was den endlichen Durchbruch in Deutschland angeht, hat er so seine Zweifel. Schon zu Lebzeiten ging es Hernandez in seiner Heimat nicht besonders gut: die Anerkennung stellte sich spät ein, im Ausland eigentlich bis heute nicht. In Zeiten, in denen das Interesse an lateinamerikanischer Literatur wieder deutlich abgeflacht ist, komme dieser Band nun, fürchtet Kämmerlings, zu spät. Lesenswert aber ist er nach Ansicht des Rezensenten schon, vielleicht gerade weil er keiner Mode - schon gar der des "magischen Realismus" - so recht zuzurechnen ist. Wenn es in den Erzählungen nicht mit rechten Dingen zugehe, habe das eher mit dem Wahnsinn der Figuren zu tun, ihrer verrückten Verlebendigung der Dinge, als mit Magie. Interessant auch, wie der etwas aus der Welt gefallene Wahn oft mit der neuesten Technik kontrastiert wird, wenn nicht sogar kooperiert. Fragt sich dennoch, warum man diesen Autor nun unbedingt lesen sollte. Weil, so findet jedenfalls der Rezensent, bei wenigen Autoren die Instabilität von Welt und Subjekt so überzeugend dargestellt wird.

© Perlentaucher Medien GmbH