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In dem Begleitband zum Zyklus Die zahnlose Zeit erläutert der Autor für Anfänger und fortgeschrittene van-der-Heijden-Fans, wie sein großes Opus entstand. Der Band beschreibt zusätzlich die sich kreuzenden Lebenswege aller Protagonisten der Zahnlosen Zeit.

Produktbeschreibung
In dem Begleitband zum Zyklus Die zahnlose Zeit erläutert der Autor für Anfänger und fortgeschrittene van-der-Heijden-Fans, wie sein großes Opus entstand. Der Band beschreibt zusätzlich die sich kreuzenden Lebenswege aller Protagonisten der Zahnlosen Zeit.
Autorenporträt
Heijden, A. F. Th. van derAdrianus Franciscus Theodorus van der Heijden wurde am 15. Oktober 1951 in der Nähe von Eindhoven geboren. Er übersiedelte nach dem Abitur (1969) und einem abgebrochenen Psychologiestudium nach Amsterdam, wo er mit Unterbrechungen bis heute lebt.1979 debütierte er mit dem Erzählungsband Eine Gondel in der Herrengracht.Adri van der Heijden ist durch seine weitgespannten, raffiniert konstruierten, spannend-realistischen Romane zum Chronisten der Nachkriegszeit in den Niederlanden geworden. In seiner Literatur wird für alle nachvollziehbar die Zeit von 1945 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts lebendig.Auch in Deutschland gilt er als überragender Erzähler, als »der wohl sprachmächtigste Dichter, den die Niederlande augenblicklich besitzen, der mit Sicherheit sinnlichste, der nun seit fast zwanzig Jahren stampfend, dampfend den Weg vom Himmel durch die Welt der Kloake ausmistet und ausmißt, ein Saft- und Kraftgenie, wie Holland es seit dem Barock nicht mehr hatte«. (Der Tagesspiegel)Diese Anerkennung verdankt sich den Romanen Die Schlacht um die Blaubrücke (deutsch 2001), Fallende Eltern (deutsch 1997), Der Anwalt der Hähne (deutsch 1995), Das Gefahrendreieck (deutsch 2000), Der Widerborst (deutsch 1993), Der Gerichtshof der Barmherzigkeit (deutsch 2003) sowie Unterm Pflaster der Sumpf (deutsch 2003). Der Autor fasste den Zyklus unter dem Titel Die zahnlose Zeit zusammen.Zu Beginn des 21. Jahrhunderts eröffnete van der Heijden mit Die Movo-Tapes (deutsch 2007) eine neue Romanreihe. »Der lang erwartete Auftakt zu van der Heijdens neuem Zyklus. Völker, macht Platz in den Regalen!« (Elmar Krekeler, Die Welt) 2007 erschien auf deutsch die »transatlantische Tragödie« Das Scherbengericht.Am Pfingstsonntag 2010 starb das einzige Kind van der Heijdens und seiner Frau Mirjam nach einem Verkehrsunfall. In dem 2011 auf niederländisch und deutsch erschienen »Requiemroman« Tonio setzt er seinem Sohn ein herzzerreißendes Denkmal: Ein Roman, der belegt

: angesichts des Todes ist Literatur überlebensnotwendig.Das Werk A. F. Th. van der Heijdens wurde vielfach ausgezeichnet; genauso wie Helga van Beuningen für ihre überragenden Übersetzungen dieses Werks.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2003

Gott erschuf die Welt in sieben Bänden
Ursprung des holländischen Trauerspiels: A. F. Th. van der Heijdens gewaltiger Romanzyklus "Die zahnlose Zeit" liegt jetzt vollständig vor

Kein Ende in Sicht", lautet der letzte Satz. Wer endlich hier, auf der letzten Seite von A. F. Th. van der Heijdens Roman "Unterm Pflaster der Sumpf" angekommen ist, dem wird dieser Satz nicht wie eine Drohung, sondern eher wie ein Versprechen klingen. Sonst wäre er wohl kaum bis hierhin vorgedrungen - allein die Langstrecke dieses Buchs umfaßt achthundert Seiten, dabei ist es nur der "Teil 3.2" eines Romanzyklus, der aus sieben Büchern mit insgesamt dreieinhalbtausend Seiten besteht. Kein Ende in Sicht? Mit der gleichzeitigen Übersetzung der zusammengehörenden Romane "Der Gerichtshof der Barmherzigkeit" und "Unterm Pflaster der Sumpf" (beide im Original von 1996) liegt eines der ehrgeizigsten europäischen Erzählprojekte der letzten zwanzig Jahre vollständig auf deutsch vor: "Die zahnlose Zeit", wie der Obertitel heißt, ist nichts Geringeres als die Erschaffung der Welt in sieben Bänden, eine Wiederaufführung des Schauspiels Genesis auf der niederländischen Provinzbühne mit Albert Egberts, van der Heijdens alter ego, in der Hauptrolle des aus dem Stand der Unschuld in die Wirren des sexuellen Befreiungskampfs gestürzten Dampfplauderers. Das Ende ist nun in Sicht, und doch stehen wir Leser erst am Anfang.

Am Anfang war bekanntlich das Wort, und das Wort, das bei van der Heijdens Gegenschöpfung eben nicht Fleisch wird, heißt "Impotenz". Für Albert Egberts, der vom Nimweger Kneipendunst inzwischen in Amsterdamer Nachtklubluft gewechselte Bummelstudent und Lebenssinnsucher, dreht sich auch mit Mitte Zwanzig immer noch alles um seine unzuverlässige Manneskraft. Doch anders als im Vorgängerband "Das Gefahrendreieck" bedrohen nun nicht mehr Pubertätstraumata und andere psychologische Blockaden die Funktionstüchtigkeit seines Geschlechts, sondern eine Geliebte, die gegen Geld immer zu seiner vollsten Befriedigung herbeieilt: Heroin, "seine Heldin", die ihn mit der Nadel penetriert. Nachdem eine Verflossene Alberts "zehntausendsten Lebenstag" auf den 22. September 1977 datiert hat, nutzt dieser seine unverhofft bescherte Feierstunde zu einer Kneipentour, die ihm dauerhaft die teuflischen Dienste eines türkischen Dealers einträgt. Drei Jahre später endet Albert so, wie man ihm schon im Prologband "Die Schlacht an der Blaubrücke" von 1983 begegnete: als autoknackender Junkie, kaputt, vorbestraft und voller Haß auf eine Gesellschaft, die er doch allem Moralisieren zum Trotz für sein eigenes Elend nicht zur Verantwortung ziehen kann.

Denn ihre Korruptheit hat auch Alberts eigene Seele bis auf den Grund getränkt; seine Drogenexzesse finanziert er unter anderem durch Kurierdienste für einen europaweit operierenden Kinderschmuggelring. Und selbst die anwachsende Fremdenfeindlichkeit, die er in Gestalt des Neonazis und Intimfeinds Arend-Jan Bartscheer hautnah miterlebt, reißt Albert lange nicht aus seiner philosophisch verbrämten Passivität. Sein eigenes Künstlertum hat er, wie jede Form der Produktivitität außer dem findigen Gelderwerb, längst begraben und an einen Ghostwriter delegiert, der seine Anekdoten als Rohstoff seines Schreibens verwerten und mit seinem rhetorischen Handwerk zu Literatur veredeln soll. Albert arbeitet derweil lieber an einer "Enzyklopädie der Vulva", deren Recherche sich vorwiegend in Form von Sexorgien vollzieht, frei nach dem Motto: "Der erotische Visionär bekommt keinen Orgasmus, er sieht Orgasmen". Der Leser nolens volens auch.

Ironischerweise trägt der junge, hilfreiche Schriftsteller mit Patrizio Canaponi das gleiche italienische Pseudonym wie van der Heijden zu Beginn seiner Karriere, so daß sich Kreatur und Schöpfer als Romanfiguren gewissermaßen auf Augenhöhe begegnen. In diesem metafiktionalen Spiel wird der Realismusbegriff, der stets schon Gegenstand der Debatten und Studien von Albert und seinen Freunden war, noch einmal auf die erzählerische Probe gestellt, da unklar bleibt, inwieweit die Geschichte, die wir lesen, auch schon durch den Filter von Canaponis Virtuosität gegangen ist: "Blattgold hilft einem nicht weiter, wenn man eine Welt voller Scheiße und Mistkäfer schildern muß", bemerkt Albert dazu.

Van der Heijden führt sein düsteres Panorama der Niederlande in die achtziger Jahre hinein, wo der bereits 1995 erschienene Abschlußband "Der Anwalt der Hähne" zeitlich anknüpft. Die innere Stagnation des Landes bei gleichzeitiger äußerer Modernisierung spiegelt sich in der Biographie Alberts, dessen Dasein sich weniger in der linearen Entwicklungslinie eines Bildungsromans als in Danteschen Höllenkreisen abzuspielen scheint. Was er einmal als "Leben in die Breite" verwirklichen wollte, den unendlich ausgedehnten Augenblick, der der Zeit ein Schnippchen schlägt und das Leben gegen den Uhrzeigersinn dehnt, das wird erzählerisch diesmal weniger durch Proustsche Erinnerungssprünge, als vielmehr durch häufigen Perspektivwechsel und durch Stimmenvielfalt umgesetzt.

Struktur und Spannung soll die solcherart zahnlos gewordene Narration durch Kriminalplots gewinnen, die wie ein hartes Skelett den Muskelspielen der Amsterdamer Boheme untergeschoben sind. Im "Gerichtshof der Barmherzigkeit" wird die auf einen authentischen Fall zurückgehenden Geschichte der Henny A. erzählt, die des Mordes an ihrer alten Mutter beschuldigt und in einem Indizienprozeß schließlich verurteilt wird. Vor allem durch die virtuos inszenierten inneren Monologe der Angeklagten und die eindringlichen Verhörszenen wird der Leser in den Fall hineingezogen, während es lange im ungewissen bleibt, ob es sich um einen Justizirrtum handelt. Als Schwachpunkt fällt jedoch der äußerst dünne Faden auf, der Hennys Fall mit Albert verknüpft, der als faszinierter Zuschauer im Gerichtssaal sitzt, weil er sein eigenes Schicksal dort gespiegelt sieht.

Der zweite Roman scheint die Aufdeckung eines Kinderpornorings in gleicher Weise als cliffhanger für den eher eintönigen Junkiealltag Alberts einsetzen zu wollen, doch diese Nebenhandlung versickert ebenso wie eine brutale Vergewaltigung am Ende des ersten Bands rasch im titelgebenden "Sumpf" des Großstadt- und Künstlerromans. Während Albert zwischen Entzug und Rückfall schwankt, verwickeln sich seine Jugendfreunde Felix "Flix" Boezaardt und Thjum Schwantje - inzwischen ein homosexuelles Paar - während eines Aufenthalts in Neapel in ein tödliches Spiel um Kunst, Macht und Liebe. Flix, ein Bildhauer, glaubt, durch das Eingipsen seiner Modelle die Bewegungen des Körpers im Augenblick des Todes festhalten zu können - eine Wahnidee, der er schließlich seinen Freund opfert. Die hier behauptete Nähe von Kunst und Verbrechen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß van der Heijden selbst alles andere als ein unmoralischer Beobachter ist, dem menschliches Leid nur Material ist. Das tiefe Mitleid, mit dem er die Huren und die Penner oder den schauderhaften Kindesmißbrauch schildert, spricht eine ganz andere Sprache. Das gleiche gilt für die einfühlsame Schilderung der seelischen Folgen einer Vergewaltigung, die nicht zu den vielen pornographischen Passagen paßt, in denen der Wert einer Frau allein an ihrer Willigkeit bemessen zu werden scheint. Ekelresistenz beim Randgruppensex ist hier oft die erste Forderung an den idealen Leser.

Das Barocke seines Schreibens trifft nicht nur die allen Sinnen huldigende Sprachgewalt, nicht nur die verschnörkelten Handlungsstränge mit ihrer Abschweifungslust. Vielmehr noch ist die emblematische Rhetorik van der Heijden in Fleisch und Blut übergegangen: Wie die Schere in der "Schlacht um die Blaubrücke" oder das "Gefahrendreieck" im gleichnamigen Roman sind es auch hier rätselhaft mehrdeutige Bilder, picturae - die in den Baum gehängte Baßgitarre des militanten Bruders, der "Schmetterling" der weiblichen Geschlechtsorgane -, an denen sich die Erzählung wie eine subscriptio entzündet. Auch das kann zur Schwäche werden.

Kaum etwas bleibt ungedeutet, die Erzählung liefert stets schon ihre eigene Lektüreanweisung mit. Selten darf der Leser den Figuren einen Gedanken voraus sein. Wenn sich etwa der drogenkranke Albert nur noch von Gelée royale ernährt, folgt die Deutung auf dem Fuße: "Albert hatte Bücher konsultiert. Eine Offenbarung. Larven von Arbeitsbienen, die mit diesem Gelee anstatt mit gewöhnlichem Bienenbrot gefüttert wurden, entwickelten sich zu Königinnen. Nicht Arbeit adelte, sondern Adel entstand durch die Nahrung, die die Arbeiter zu sich nahmen." Und wem Winke mit dem Zaunpfahl noch nicht reichen: "Durch das Gelée royale war Albert von einer Arbeiterlarve zur Königin aufgestiegen."

Ein erzählerisches Unternehmen solchen Ausmaßes scheint sich durch seine schiere Größe jeder ästhetischen Kritik zu entziehen. Tatsächlich ist die Vollendung des Zyklus eine Leistung, die nicht genug zu loben ist - nicht nur des Autors, sondern auch der kongenialen Übersetzerin und des Verlags. Hier zu mäkeln schiene so, als wolle man den schleppenden Handlungsverlauf des "Manns ohne Eigenschaften" oder die Figurenkonstellation der "Suche nach der verlorerenen Zeit" bekritteln. Dennoch: Gerade diese beiden Bände zeigen auch die Grenzen des literarischen Kraftgenies van den Heijden auf, die Probleme seines megalomanen Anspruchs, als "zweiter Schöpfer unter Jupiter", wie Shaftesbury es vor über dreihundert Jahren formulierte, die Welt noch einmal neu zu erschaffen.

Die Probleme des Zyklus liegen dabei weniger in der fehlenden formalen Strenge als in der Verknüpfung der Bände untereinander, die jetzt ebenso wie die Entstehungsgeschichte anhand eines Registerbands nachvollzogen werden kann. Viele Anspielungen bleiben unverständlich, wenn man nicht die Vorgänger gelesen hat. Der Kenner wiederum wird sich über die zahlreichen, zum Teil fast wörtlichen Wiederholungen ärgern, die der Autor wohl aus Nachsicht mit dem Erinnerungsvermögen oder dem Zeitbudget seiner Leser eingefügt hat. Vorausdeutungen in früheren Bänden - etwa auf Thjums Tod und Flix' Haftstrafe in der "Schlacht um die Blaubrücke" - gehen wiederum auf Kosten der Spannung. Die Verbindung eines solchen Hyperrealismus der Erinnerung mit der reißbrettartigen Konstruktion eines stimmigen Paralleluniversums wird bei wachsendem Umfang immer mehr zur Bürde.

Der Lesegenuß wird sich daher auch an der Vorkenntnis bemessen; vielleicht fallen die Einwände am wenigsten für den ins Gewicht, dem der erste Zeitzahn gezogen wird. Das mag gerade das Faszinosum eines solchen aus den Ebenen und Untiefen der zeitgenössischen Literaturlandschaft weit herausragenden Gebirgsmassivs ausmachen: Daß man eben von jedem Gipfel aus einen anderen Blick hat. Und wenn es zwischen den Steilwänden nicht immer wieder Täler gäbe, hätte der Leser keine Freude am Klettern.

A. F. Th. van der Heijden: "Der Gerichtshof der Barmherzigkeit". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 680 S., geb., 29,80 [Euro].

A. F. Th. van der Heijden: "Unterm Pflaster der Sumpf". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 816 S., geb., 29,80 [Euro].

A. F. Th. van der Heijden: "Gruppenporträt". Wer ist wer in der "Zahnlosen Zeit"? Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 160 S., kt., 8,- [Euro].

In Kürze wird der gesamte Zyklus "Die zahnlose Zeit" einschließlich des "Gruppenporträts" für 128 Euro auch als Kassette erhältlich sein.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Der Begriff "Gruppenporträt" ist mehr als ein fotografischer Begriff, behauptet Hermann Wallmann, auch wenn er natürlich, wie im Untertitel angedeutet, erst einmal dazu taugt, das Personal von van der Heijdens großem Romanzyklus "Die zahnlose Zeit" kennen zu lernen. Zugleich steht der Begriff jedoch für das Prinzip einer chorischen Erzählweise, erläutert Wallmann, das heißt es gibt nicht eine, sondern eine kollektive Erzählinstanz, die gleichsam einen Ausgleich bietet für sämtliche "Identitätsdiffusionen" des Romans. Denn nichts behalte in diesem "seine (ja auch sprachliche) Gestalt", versichert Wallmann. Insgesamt ein sehr nützliches Bändchen, meint der Kritiker und ausgewiesene van der Heijden-Fan, das außerdem einen autobiografisch-werkgeschichtlichen Text des Autors enthalte, daneben Auszüge aus dem Briefwechsel mit der Übersetzerin, das besagte Personenverzeichnis sowie Stadtpläne der wichtigsten Schauplätze sowie einen chronologischen Lebenslauf des Protagonisten - eines Lebens, wie Wallmann spitzfindig anmerkt, das eigentlich mehr in die Breite als in die Länge angelegt sei.

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