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Die Biologie ist zur neuen Leitwissenschaft geworden, und Jahrtausende philosophischer Reflexion über den Menschen können als Makulatur eingestampft werden - so jedenfalls die Ansicht vieler Evolutionstheoretiker und Soziobiologen. Denn nur wer die Gene kenne, verstünde den Menschen. In der Tat beansprucht der evolutionäre Ansatz, Grundfragen der philosophischen Anthropologie zu beantworten: Wie erkennen wir die Welt? Warum kann und soll der Mensch moralisch handeln? Wie kann ein gesellschaftliches Zusammenleben funktionieren?
Auch wenn es richtig ist, hybride Universalerklärungen
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Produktbeschreibung
Die Biologie ist zur neuen Leitwissenschaft geworden, und Jahrtausende philosophischer Reflexion über den Menschen können als Makulatur eingestampft werden - so jedenfalls die Ansicht vieler Evolutionstheoretiker und Soziobiologen. Denn nur wer die Gene kenne, verstünde den Menschen. In der Tat beansprucht der evolutionäre Ansatz, Grundfragen der philosophischen Anthropologie zu beantworten: Wie erkennen wir die Welt? Warum kann und soll der Mensch moralisch handeln? Wie kann ein gesellschaftliches Zusammenleben funktionieren?

Auch wenn es richtig ist, hybride Universalerklärungen zurückzuweisen, darf die große Leistungsfähigkeit der Evolutionstheorie nicht verkannt werden. Sich unter Berufung auf menschliche Freiheit und Autonomie der Kultursphäre von evolutionären Erklärungen einfach abzugrenzen genügt nicht. Vielmehr sollte die philosophische Anthropologie neu bedenken, was solche Erklärungen für die klassischen Einsichten der Anthropologie bedeuten. Christian Illies stellt sich dieser Herausforderung und argumentiert, daß die philosophische und die evolutionstheoretische Herangehensweise konstruktiver miteinander verbunden werden können, als von beiden Seiten oft angenommen wird.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.05.2007

Warum sind wir hilfsbereit?
Christian Illies fragt nach Moral und Natur
Evolutionstheoretische oder soziobiologische Erklärungen der Moral haben oft etwas Verwegenes, sie haben den Charme eines Film-noir-Existentialisten, der die bürgerlichen Konventionen und den erbaulichen Überbau durchschaut und weiß, wie es wirklich um die menschliche Natur steht. Dem biologistischen Extremisten ist die Moral eine simple Naturnotwendigkeit. Der Mensch ist nur wegen seines lieben Selbst hilfsbereit, akzeptiert das soziale Gefüge aus pragmatischem Eigennutz und ist eigentlich nicht böse, nur manchmal halt etwas aggressiv.
Solche reduktionistischen Naturalisierungskonzepte widerlegt Christian Illies, Philosophieprofessor in Eindhoven, so überzeugend und entspannt, dass man die Aufregung, die einst etwa der Traktat über das „Selfish Gene” von Richard Dawkins auslösen konnte, nur noch schwer verstehen kann. In seinen Grenzerkundungen zwischen philosophischer Begründung des Menschen als ein animal morale und den evolutionären, soziobiologischen und genetischen Erklärungen der humanen Moralfähigkeit, macht Illies klar, wie viel die Naturwissenschaften zur Moralanthropologie empirisch beitragen können.
Sobald es jedoch um normative Aussagen geht, stößt die naturwissenschaftliche Deutung an ihre Grenzen. Illies entwirft daher eine „Konvergenzanthropologie”, die der Tatsache Rechnung trägt, dass der Mensch ein normatives Selbstverständnis haben muss, denn „es gehört zu unseren menschlichen Eigentümlichkeiten, kein lediglich deskriptives Bild von uns zu haben. Wir sind nun einmal mit dem Wissen um die Zukunft ausgestattet.” Der Mensch will nicht nur wissen, was er ist, das Wissen um sich selbst ist immer auch an die Frage geknüpft, wie man als Mensch sein soll. Eine philosophisch taugliche Anthropologie ist ohne das Moment der normativen Selbstbildung nicht denkbar.
Illies’ Konvergenzanthropologie ist aber gleichzeitig empiriefreundlich, denn sie „knüpft mit ihrem Programm insofern an die Tradition klassischer Anthropologien an, als es darum geht, den Menschen aus seinen höchsten Vermögen und Leistungen heraus zu verstehen. Sie ist aber keine reine Vernunftanthropologie, da sie die Aufgabe ernst nimmt, Vernunfteinsichten mit empirischem Wissen zu verbinden, da wir ein evolutionsgeschichtlich gewordenes Naturwesen sind, dessen Vermögen kausal erklärt werden kann – einschließlich der Anlage zum moralischen Handeln.”
Auf der Grundlage dieser Einsicht weist Illies in seiner Auseinandersetzung mit den biologischen Disziplinen auf einige Fehlschlüsse hin, die immer wieder gezogen werden. Die empirisch beschreibbare Disposition zum moralischen Handeln erlaubt keine einfachen Rückschlüsse auf die Struktur des moralischen Handeln selbst, erklärt weder die Regeln und Gründe des Handelns noch „den” Menschen.
Man mag die Thesen von Christian Illies für selbstverständlich und wenig aufregend halten, doch unterschätzt man dabei die Leistung, die Übergangszonen zwischen biologischer und philosophischer Anthropologie sorgfältig und teilweise neu kartiert zu haben, so dass man sich nun besser zurecht findet, komme man aus der Philosophie oder aus der Biologie. OLIVER MÜLLER
CHRISTIAN ILLIES: Philosophische Anthropologie im biologischen Zeitalter. Zur Konvergenz von Moral und Natur. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 361 Seiten, 13 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2007

Moral steckt uns in den Knochen

Etwas oder jemanden als Produkt der Evolution zu bezeichnen ist das eine. Entwicklungen auch konkret nachzeichnen zu können ist das andere. Hier liegt eine oft anzutreffende Schwierigkeit der Evolutionsbiologie, die nicht erst angesichts des Problems der kulturellen Evolution virulent wird, aber in den Erklärungsversuchen der Entstehung menschlicher Eigenschaften besonders deutlich hervortritt. "Just-so stories" hat Stephen Jay Gould diese phantasievollen, meist evolutionspsychologisch instrumentierten Geschichten treffend genannt, die schnell vom Boden überprüfbarer Empirie abheben.

Auch Christian Illies kommt auf solche Parforceritte zu sprechen ("Philosophische Anthropologie im biologischen Zeitalter". Zur Konvergenz von Moral und Natur. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 361 S., br., 13,- [Euro]). Aber er nimmt diese Schwächen nicht zum Anlass, den biologisch-evolutionären Anspruch in Sachen Anthropologie vorschnell beiseite zu schieben. In dieser Zurückhaltung liegt ein Vorzug seiner Arbeit: Er hält sich nicht an einzelne, von ihm bündig umrissene Positionen - schließlich ist auf diesem Gebiet viel in Bewegung -, sondern konzentriert sich bei seinem kritischen Überblick auf wesentliche Grenzziehungen.

Dazu gehört auch, dass die philosophische Anthropologie, als deren Anwalt Illies auftritt, nicht mit eigenen Einsichten auftrumpft. Es geht vielmehr darum, ihre Stellung gegenüber der objektivierenden naturwissenschaftlichen Perspektive auf den Menschen zu bestimmen - und damit gewissermaßen die Hausaufgaben zu erledigen, die Darwin hinterlassen hat. Die entscheidende Frage ist deshalb, ob und wo die objektivierende Perspektive ihre Grenzen findet. Illies arbeitet klar heraus, dass mit dieser Frage bereits ein Blickpunkt markiert ist, der im objektivierenden Blick auf uns selbst keinen Ort hat. Wir können uns als Naturwesen in den Blick nehmen, aber die Gründe, warum wir das tun (sollen), sind nicht zu verwechseln mit Ursachen, die uns als Teil der Natur, nämlich als entwickelte Organismen, bestimmen. Jeder Versuch aber, diesen Raum der Gründe auf jenen der Ursachen zusammenschnurren zu lassen, verstrickt sich in Widersprüche. Die naturalisierte Vernunft ist sich immer schon jenen Schritt voraus, der ins Konzept ihrer Naturalisierung nicht passt. Die Position hinter unserem eigenen Rücken, wo die Ansprüche der Vernunft als bloß evolutionär vorgespurte funktionale Adaptationen "entzaubert" werden, bleibt ein fiktiver Ort.

Diese Einsicht könnte dazu verführen, die Vernunft über der Natur schweben zu lassen. Doch dagegen wendet sich Illies gleicherweise mit guten Gründen: Dass wir bis in die feinsten Winkel hinein ein Amalgam von Natur und Kultur sind, das wird uns im "biologischen Zeitalter" immer deutlicher vor Augen geführt. Als Naturwesen oder besser als Wesen, zu deren Naturgeschichte die kulturell beschleunigte Evolution gehört, werden wir uns schrittweise immer besser verständlich. Zwar können wir in dieser Perspektive den Raum der Vernunft, in dem es um Gründe und Normen geht, nicht kassieren. Aber ebenso klar ist, dass dieser Raum nicht außerhalb unserer Naturgeschichte steht.

Die angepeilte Balance kann man wohl auch so beschreiben: Es muss möglich sein, Vernunft und moralischer Selbstgewissheit in objektivierender Perspektive blinde Flecken nachzuweisen. Bloß ist es eine Fiktion, solche Ernüchterung so weit treiben zu können, dass Vernunft und Moral als sekundäres Oberflächenphänomen dastehen: Sie sind kein Schein, sondern Momente unserer Naturgeschichte. Moralbewusstsein ist phylogenetisch eine Rätsel aufgebende Errungenschaft und ontogenetisch eine vielfach formbare und in ihrer Entfaltung störbare Anlage. Über diese moralischen Anlagen, ihre Entwicklung und ihre Formbarkeit wissen wir zunehmend genauer Bescheid. Gemessen an hochfliegenden Erwartungen, mag dieses Wissen einer Ernüchterung gleichkommen.

Aber man kann, wie Illies es vorführt, den Spieß auch umdrehen: Dann werden die konkreten Einsichten in die evolutionäre Faktizität des Moralischen zur Garantie dafür, dass Moralität sich verwirklichen lässt, weil sie nicht einer ursprünglichen und bloß widerspenstigen Natur oktroyiert werden muss, sondern evolutionär in dieser angelegt ist, uns also gleichsam in den Knochen steckt. Gleichzeitig geben diese Einsichten Anhaltspunkte, wie die Entfaltung des moralischen Bewusstseins gestützt werden kann und muss, um die im Untertitel des Buches angeführte Konvergenz von Moral und Natur zu erreichen.

Aus den von Genetik, Neurobiologie, Verhaltensbiologie und anderen Disziplinen angebotenen Einsichten wird so nicht der Schauder angesichts eines unheimlich, also unmenschlich anmutenden neuen Menschen gewonnen, sondern die Zuversicht in seine mögliche moralische Stabilisierbarkeit. Wobei sofort zuzugeben ist, dass dieses Gattungsprojekt auch schieflaufen und nicht gelingende Autonomie, sondern sozialtechnologische beziehungsweise biopolitische Durchregulierung das Ziel abgeben kann. Illies' Auseinandersetzung mit den einschlägigen Ergebnissen und Hypothesen evolutionsbiologischer Prägung ist überzeugend, und die auf den Menschen als natürliches Vernunftwesen gesetzte Hoffnung lässt sich nicht von der Hand weisen. Die Frage des Skeptikers wird wohl am ehesten sein, was man denn damit eigentlich gewonnen habe. Eine Antwort mag lauten: immerhin den Ausblick auf einen soliden Begriff der menschlichen Natur, mit dem man sich Ernüchterungen wie Hoffnungen nicht bloß rhetorisch leisten kann.

HELMUT MAYER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Solide" heißt das Wort, das der Rezensent bei seiner Besprechung dieses Bandes von Christian Illies im Munde führt. Richtig dankbar zeigt sich Helmut Mayer darüber, dass der Autor die biologisch-evolutionären Ansprüche in der Anthropologie nicht einfach zugunsten seines philosophischen Ansatzes über Bord wirft, sondern sowohl die Grenzen der Objektivierung auszuloten, als auch die Einheit von Natur und Kultur zu postulieren sucht. Fein, wenn dann, wie beim Rezensenten, nicht Ernüchterung, sondern Zuversicht sich breit macht angesichts der "evolutionären Faktizität des Moralischen", zu deren Feststellung der Autor in der Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand der Evolutionsbiologie gelangt.

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