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"Warum schätzen wir Privatheit, warum sollen wir sie schätzen? Vor dem Hintergrund moderner, liberaler Gesellschaften wird eine normative Theorie des Privaten begründet, die den Schutz des Privaten als funktional auf die Möglichkeit eines autonomen Lebens bezogen sieht. Dabei werden unterschiedliche Dimensionen des Privaten entwickelt: die dezisionale Privatheit individueller Entscheidungen und Lebensweisen; die informationelle Privatheit als Kontrolle über Wissen, das andere von einer Person haben; und die lokale Privatheit geschützter Räume. Probleme der Privatheit von Beziehungen kommen…mehr

Produktbeschreibung
"Warum schätzen wir Privatheit, warum sollen wir sie schätzen? Vor dem Hintergrund moderner, liberaler Gesellschaften wird eine normative Theorie des Privaten begründet, die den Schutz des Privaten als funktional auf die Möglichkeit eines autonomen Lebens bezogen sieht. Dabei werden unterschiedliche Dimensionen des Privaten entwickelt: die dezisionale Privatheit individueller Entscheidungen und Lebensweisen; die informationelle Privatheit als Kontrolle über Wissen, das andere von einer Person haben; und die lokale Privatheit geschützter Räume. Probleme der Privatheit von Beziehungen kommen ebenso zur Sprache wie Fragen des Datenschutzes und die normativen Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit."
Autorenporträt
Rössler, BeateBeate Rössler, geboren 1958, ist Professorin für Philosophie an der Universität Amsterdam und leitet dort die Fachgruppe »Philosophy and Public Affairs«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2001

Kann man hier nicht endlich mal seine Ruhe haben?
Die Schwierigkeit, für sich zu sein und es trotzdem allen recht zu machen: Beate Rösslers ingeniöse Studie über den Wert des Privaten

In der Philosophie wird der Wert des Privaten zumeist stiefmütterlich behandelt. Obwohl Beate Rössler, wie es das Thema erwarten läßt, ihre Zelte im Haus des politischen Liberalismus aufschlägt, genauer gesagt: unter der Hegemonie des Liberalismus als politischer Philosophie, dürfte der ein oder andere Liberale verwundert sein, wie sich Beate Rössler ein Zusammenleben vorstellt. Die Wiederentdeckung des "Privaten" ist für Rössler an die Rahmenbedingungen eines liberalen, demokratischen Rechtsstaats in der Moderne geknüpft. Sie dränge sich nicht zuletzt auf wegen eines Phänomens, das die Autorin als "Intimisierung des Öffentlichkeit" bezeichnet. Was die amerikanische Philosophin Wendy Brown noch mit einem kulturellen Befremden von der Omnipräsenz des Handys im Alltag der Italiener berichtet, spielt sich so oder so ähnlich längst auch in anderen westlichen Gesellschaften ab.

Man beobachte täglich Szenen wie diese: Junge Männer auf ihren Motorrollern, die im dichtesten Verkehr Hindernisse umfahren, dabei telefonieren (und rauchen); Gruppen gut angezogener Menschen in einem Café, die sich angeregt miteinander zu unterhalten scheinen, tatsächlich aber über ihre jeweiligen Handys mit Abwesenden sprechen; Mütter mit Kinderwagen beim Schaufensterbummel, gleichzeitig in ein Telefongespräch vertieft. Während Handybenutzer, nach Rösslers Diagnose, ihr privates Telefonat in der Öffentlichkeit als etwas Privates inszenierten, gehe es bei den nachmittäglichen Talkshows um eine Veröffentlichung des Privaten. Dem unfreiwilligen Beobachter oder Zuhörer des Handygesprächs werde eine Haltung abverlangt, die sich nicht grundsätzlich von traditionelleren Gepflogenheiten im öffentlichen Raum unterscheide: an Privatem partiell teilzunehmen, ohne sich dabei zur Einmischung aufgefordert zu sehen.

Doch auch wenn die eingespielten Grenzen zwischem öffentlich und privat durch (exhibistionitische) Talkshows oder Real-People-Formate im Fernsehen (Big Brother) stärker unter Druck geraten als durch die Handykultur, so interpretiert die Autorin diese Tendenzen gerade nicht als Auflösung jener Grenzen im Sinne eines Realitätsverlusts. Die hier zu beobachtende Enttabuisierung des Privaten stelle eben nicht nur die ausgeplauderten Sorgen und Konflikte, sondern auch die Frage der angemessenen Grenzziehung zur Debatte.

Daß die Re-Privatisierung des einmal öffentlich Gewordenen allerdings ein mindestens ebenso großes Problem darstellen kann wie die Politisierung des ehemals Verborgenen, betrachtet Rössler als unvermeidbare Zumutung moderner Gesellschaften. Diese Zumutung aber als Aufgabe und Chance zu begreifen, ist wiederum ihre Antwort auf die tiefsitzende Skepsis vieler Feministinnen gegenüber dem Schutz der Privatsphäre. An dieser Stelle gewinnt ihr Begriff des Privaten erste Konturen, distanziert sie sich doch von einer Spielart des Liberalismus, die den Begriff von Privatheit an die bekannte "geschlechtsspezifische Arbeitsteilung" knüpft. Denn nicht nur bei Aristoteles finde sich die häusliche Sphäre unter die "(unangenehmen) Gesetze der Natur und der Reproduktion" gestellt und damit dem Weiblichen zugeordnet. Das gleiche Schubladendenken gehöre auch "zum klassischen Inventar der Selbstbeschreibung liberaler bürgerlicher Gesellschaften". Von Locke über Mill bis hin zu Rawls stehe die "rechtlich-konventionelle" Idee des Privaten, gedacht zum Schutz gleicher Freiheitsrechte für alle Individuen, (natürlich in unterschiedlichem Maße) im Widerspruch zu dem "quasi-natürlichen" Begriff von Privatheit, der sich mit den Geschlechterstereotypen des klassischen Familienbilds verbindet.

Den essentialistischen Privatheitsbegriff verabschiedend, präzisiert die Autorin auch dessen "rechtlich-konventionelle" Bedeutung noch einmal, indem sie ihr den Zweck der Selbstverwirklichung einschreibt. Denn ihre Vorstellung vom liberalen Schutz der Privatsphäre erschöpft sich ebensowenig in der Garantie negativer Freiheitsrechte, wie Freiheit für sie in der negativen Bestimmung des Fehlens von äußerem Zwang aufgeht. Die Freiheit, die liberale Gesellschaften ihren Mitgliedern gebotenermaßen einräumten, sei diejenige, "ihr Leben nach jeweils eigenen Vorstellungen des Guten" zu leben. Neben der Abwesenheit von externen Hindernissen nennt Rössler zwei weitere Bedingungen für den Gebrauch der eigenen Freiheit: zunächst die "mentale Fähigkeit", wollen und handeln zu können, und dann die reale Existenz von Handlungsoptionen. Beide im Anschluß an Isaiah Berlin entwickelte Dimensionen einer modernen Freiheitsidee, die sich aber beispielsweise auch in den Theorien von John Rawls oder Amartya Sen wiederfinden, verpflichten eine liberale (und, wie Rössler betont: egalitäre) Gesellschaft natürlich auf wesentlich mehr als nur auf den Schutz von Person und Eigentum. Der liberale und demokratische Staat kann kein Nachtwächterstaat sein, soviel stellt sie klar. Er muß sich beispielsweise aktiv um den Abbau ökonomischer Ungleichheit und struktureller Machtverhältnisse kümmern, insofern diese die tatsächliche Wahrnehmung von Handlungsoptionen verhindern und damit Freiheit vernichten.

Das normative Ideal der Modernität prägt aber Rösslers Verständnis des Privaten noch weitergehend. So muß die Freiheit, um deretwillen das Private als Wert geschätzt wird, nicht nur mit einer anspruchsvollen Gleichheitskonzeption vereinbar sein, sie darf sich auch nach den besten philosophischen Standards nicht als unvernünftig erweisen. Das Leben eines Menschen, der sich heute dieser, morgen jener Illusion hingibt, der seine Entscheidungen vollständig von spontanen Bedürfnissen oder Ängsten abhängig macht, würden wir nicht "frei" nennen. Zu einem selbstbestimmten Leben, so macht die Autorin deutlich, gehört auch ein aufgeklärtes Selbstverhältnis. Freiheit als schützenswertes Gut lasse sich deshalb in einer modernen Gesellschaft nur als "Autonomie" begreifen. In diesem Sinne sei Autonomie der "Wert" oder das "telos" von Freiheit in der Moderne. Wem allerdings hier die kantische Autonomieformel der freiwilligen Unterwerfung unter selbstgewählte, allgemeine Gesetze in den Sinn kommt oder die Unterscheidung zwischen einem ethischen und moralischen Vernunftgebrauch, wie sie Habermas im Anschluß an Kant trifft, der wird durch die prominente Stellung des Autonomiebegriffs in Rösslers Theorie des Privaten nun mindestens partiell in die Irre geführt.

Einer der geschicktesten und spannendsten Schachzüge in diesem Buch ist die Aufhebung des traditionellen moralphilosophischen Gegensatzes von "Autonomie" und "Authentizität". Ihrem Bekenntnis zum Liberalismus entsprechend, erklärt Rössler den Wert der Authentizität und das damit verbundene Ideal der ethischen Selbstverwirklichung zu einer "strukturellen Komponente" der Autonomie, ordnet sie dieser also scheinbar unter. In Wirklichkeit aber wandelt sich das Selbstverhältnis, das einer autonom entscheidenden und handelnden Person durch diese "erweiterte" Begriffsbestimmung zugeschrieben wird, ganz grundlegend. Von der Vorstellung eines zwischen Pflicht und Neigung aufgeriebenen, durch die rigide Unterdrückung seiner Leidenschaften ausgetrockneten Subjekts hin zu einer Person, die gerade um ihres autonomen Selbstverständnisses willen den Kontakt zu scheinbar irrationalen Impulsen sucht. An die Stelle der Selbstgesetzgebung tritt die Reflexion auf eigene Wünsche. Zum Maßstab für Authentizität wird die Fähigkeit, sich mit den für gut befundenen Wünschen identifizieren zu können. Und auch der Blick auf die Genese der eigenen Wünsche, nötigenfalls deren Aufarbeitung, beschreibt die Autorin als Teil jenes Identifikationsprozesses, der Autonomie mitbegründet.

Ihrer Deutung der Freiheit als (authentischer) Autonomie liegt also eine überaus komplexe Anschauung dessen zugrunde, was die Identität und Individualität von Personen ausmacht. Inwieweit sie nicht einfach mit einem "Kern" der Person gleichgesetzt werden können, zeigt Rösslers Analyse der unterschiedlichen Dimensionen von Privatheit. Äußerst aufschlußreich sind die von Rössler skizzierten, unterschiedlichen Rechtsfälle, anhand deren in den Vereinigten Staaten beziehungsweise in Deutschland die juristische Auseinandersetzung um Privatheit exemplarisch geführt wird.

Während in Amerika seit einem Urteil zum Schwangerschaftsabbruch von 1973 die Berufung auf "Privatheit" vor allem mit dem Recht in Zusammenhang gebracht werde, "Entscheidungen und Handlungen, die fundamental die individuelle Persönlichkeit betreffen", ohne Einmischung des Staates vornehmen zu können, konzentriere sich die Diskussion hierzulande auf den "Großen Lauschangriff". Die von der amerikanischen Rechtstheorie fokussierte "dezisionale Privatheit" sei als "Schutz autonomer Handlungen und Entscheidungen" zu verstehen. Einen ganz anderen Aspekt der persönlichen Integrität hingegen berühre die in Deutschland verhandelte Frage, "ob und wenn ja, wie weit der Staat seine Mitglieder beobachten und belauschen darf". In der deutschen Debatte gehe es, so Rössler, wesentlich um eine "Kontrolle über die Authentizität von Selbstdarstellungen", eine Facette des Problems, für die sie den Begriff der "informationellen Privatheit" bereitstellt.

Arbeitet man sich nun durch die ungemein kenntnisreiche, ebenso skrupulös wie mutig vorgenommene Begründung der Dreidimensionalität des Privaten - zu den genannten Aspekten "dezisionaler" und "informationeller" Privatheit tritt die Bestimmung als "lokaler" Zuflucht des privaten Zuhauses oder des eigenen Zimmers - so fällt mehreres auf: Innerhalb der unterschiedlichen Funktionen des Privaten, einerseits Entscheidungsfreiheit, andererseits "echte" Selbstdarstellung zu garantieren, scheint sich der ursprüngliche Gegensatz zwischen Autonomie und Authentizität zu reproduzieren. Obwohl den Dimensionen des Privaten prinzipiell ein gleicher Stellenwert eingeräumt wird, ist nicht zu übersehen, daß die Autorin aus der Problematik der authentischen Selbstdarstellung und, damit unmittelbar zusammenhängend, der gelungenen "Selbsterfindung" konzeptionell mehr Kapital zu schlagen weiß, um nicht zu sagen, sie lägen ihr mehr am Herzen. Die gute und richtige Intuition, die Rössler auf diesem Weg verfolgt, speist sich offensichtlich aus der Einsicht, daß die Abhängigkeit von anderen, besonders auch von nahestehenden, weit über das hinausgeht, was eine kommunikative Vernunftmoral gegen die Gefährdung des selbstbestimmten Lebens einzuwenden hätte. Selbst die idealsten Liebes-, Freundschafts- oder Familienbeziehungen, die gleichermaßen emotionale Kraftquelle, Medium der (gemeinsamen) Selbstverständigung wie beispielhaft gerechte Gemeinschaften sein mögen, scheinen für das Identitätsgefühl des Subjekts bedrohlich werden zu können.

In Rösslers Argumentation für den Wert des Privaten bildet das Woolfsche Motiv des "room of one's own", Sinnbild eines kreativen Rückzugs vor den Blicken der Außenwelt, die literarische Klammer zwischen Privatheit und einer als Authentizität interpretierten Autonomie. Vielleicht hätte aber das moralische Gefühl der Scham, das Sartre in seiner berühmten Analyse des Blicks mitthematisiert, ihrer Phänomenologie des Privaten gerade im Hinblick auf die Problematik der Selbstdarstellung einen noch überzeugenderen Weg gewiesen, die Heteronomie der Autonomie zu denken.

BETTINA ENGELS

Beate Rössler: "Der Wert des Privaten". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 380 S., br., 27,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Am Handy und dem Umgang damit wird es deutlich, so Bettina Engels' Einstieg in ihre ausführliche Rezension dieses Buches: die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichkeit verlaufen anders als früher. Um die Neubeschreibung dieser Grenzen aus philosophisch liberaler Perspektive ist es Beate Rösslers Untersuchung zu tun. Das Private will sie dabei, anders als manche Feministin, bewahrt wissen, jedoch vom geschlechterspezifischen Vorurteil (das die Frau dem Privaten zuschlägt) auf die Ebene der für alle gleich geltenden Möglichkeit der Freiheit gehoben wissen. Die Freiheit wird dabei verstanden als Ermöglichung der autonomen Setzung eigener Ziele und als Voraussetzung für Selbstverwirklichung. Verschiedene Aspekte oder Formen der Freiheit kommen dadurch ins Spiel und für "einen der geschicktesten und spannendsten Schachzüge" der Autorin hält es Engels, auf diese Weise den Gegensatz von "Autonomie" und "Authentizität" neu zu konturieren. Dass dabei Rösslers "überaus komplexe Anschauung" von "Identität und Individualität" der Person nie unterlaufen wird, überzeugt die Rezensentin ganz besonders: nie verschließe die Autorin den Blick vor der Gefährdung der Autonomie noch in den geglücktesten zwischenmenschlichen Beziehungen. Einzig das Motiv der "Scham" scheint Engels in diesem Zusammenhang zu kurz zu kommen. Dies aber bleibt der einzige Gegenvorschlag zu einem Buch, von dem die Rezensentin ganz offenkundig begeistert ist.

© Perlentaucher Medien GmbH"
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