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Es ist zur Mode geworden, sich in immer kürzer werdenden Abständen über bestimmte historische Ereignisse oder Lebensformen zu definieren. Alle jenen "Generationen" gemein ist allerdings der - sympathisierende oder abgrenzende - Bezug auf die 68er.
Dieses Buch stellt die wichtigsten Texte zur Verfügung, die damals prägend waren - und die auch heute noch - über das historische Interesse hinaus - von Belang sind.

Produktbeschreibung
Es ist zur Mode geworden, sich in immer kürzer werdenden Abständen über bestimmte historische Ereignisse oder Lebensformen zu definieren. Alle jenen "Generationen" gemein ist allerdings der - sympathisierende oder abgrenzende - Bezug auf die 68er.

Dieses Buch stellt die wichtigsten Texte zur Verfügung, die damals prägend waren - und die auch heute noch - über das historische Interesse hinaus - von Belang sind.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.10.2004

Und aus niemals wird gestern noch
Eher Reader als Enzyklopädie: Das ratlose Erinnerungsbuch „1968”
Die Geschichte hat für jede Missetat ihre Nemesis, heißt es bei Theodor Mommsen. Für die bis zur Lächerlichkeit übertriebene Wertschätzung der französischen Aufklärung könnte sie in der Art liegen, in der heute ihre klangvollen Namen in kuriosen Dimensionen verschandelt werden. Der knapp fünfhundert Seiten umfassende Paperback-Band der „edition suhrkamp” mit dem schlichten Titel „1968” stellt sich als „Eine Enzyklopädie” vor. 1968 hätte man den Konvolut als „Reader” bezeichnet.
1968 war man sich auch unter gesprächsfähigen Zeitgenossen darüber einig geworden, dass man Max Webers Diktum von der Politik als dem langsamen Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß nicht mehr zitieren dürfe, da dies nun schon zu oft geschehen sei. Eben dieses Zitat stellt Herausgeber Rolf Sievers seinem Vorwort voran, dessen erste Zeilen dann freilich - wie unhistorisch auch immer - alles das heraufbeschwören, was die Nach-Achtundsechziger zum Ruin ihres Ansehens verlauten ließen: „1968 - eine Zeitikone mit verwackeltem Sinn: Dieser Band versammelt Materialien zu einer Hermeneutik dieses umkämpften Erinnerungsorts.” Da springen schwergewichtige Worte und Begriffe aus ganz unterschiedlichen Zeiten hintereinander her und man möchte bei jedem einzelnen wie der New Yorker Privatdetektiv Nero Wolfe seinen Assistenten Goodwin fragen: Archie, wo hast du dieses Wort her und welche Vorstellung hast du von seiner Bedeutung?
Die Umbruchszeit der 60er Jahre war die hohe Zeit der Suhrkamp-Kultur. Hatte die einst berühmte „edition suhrkamp” anfangs noch Günter Eich und T.S. Eliot unter ihren Autoren, so waren es später die Klassiker der Frankfurter Schule und Bertolt Brecht, die ihre bunten Bändchen zum sicheren Bestandteil jeder Studentenbude, jeder Wohngemeinschaft werden ließen. Die Suhrkamp-Kultur dominiert auch diese Textsammlung, der leider ein Register fehlt, weshalb man sie nach Jacob Bernays einen Zyklopen nennen möchte, dem auch noch das eine Auge fehlt. Was geboten wird, steht da unkommentiert und der Nachweis der Quellen ist lückenhaft. Dafür hat der Herausgeber am Rand jeder Seite Notizen zu Ereignissen aus dem Jahr 1968 untergebracht. Es ist ein Erinnerungsbuch.
Erinnert wird allerdings weniger an das, was damals alle erlebt haben, sondern an das, was in dem Jahr, davor und danach, viele gelesen haben. Karl Marx wird nach einer Ausgabe von 1969 abgedruckt, Rosa Luxemburg, wie sie im Kursbuch von 1967 erschien, Georg Lukacs, wie ihn ein Raubdruck aus dem selben Jahr in Amsterdam herausbrachte. Korrekt, aber gegen die Intention des Titels enthält der Band einige Seiten aus Handkes „Publikumsbeschimpfung” von 1966, er schließt gar mit dem „Gespräch über Tod und Leben” aus dem Marat-Stück von Peter Weiss, das 1964 herausgekommen war. Die letzten Worte: „Und während wir weiter als je / von unserem Ziel entfernt sind / ist in den Augen der andern / (weist über den Zuschauerraum) / die Revolution schon gewonnen.” Ein Schlusswort wie das des Bischofs aus Brechts Schneider von Ulm.
Und dann kam Helmut Kohl
Dies ist ein Erinnerungsbuch immerhin, das dem Leser hier und da wieder vor Augen führt, was manch einer schon vergessen hatte, etwa, wie sich Habermas, Enzensberger oder Martin Walser damals zur Politik äußerten. Es wäre einmal zu untersuchen, ob nicht ein verwirrtes Publikum nach Überwindung des ersten Choques allmählich zu Überzeugungen gelangte, die hernach die lange Regierungszeit Helmut Kohls ermöglichten. Jedenfalls haben die 68er, die heute in Berlin in Regierungsämtern sitzen, mit den politischen Stellungnahmen, die Sievers - ohne irgendjemand denunzieren zu wollen - abdruckt, nichts zu tun.
Das Dilemma dieses Bandes - wie der meisten Bücher über ‘68 oder die 68er, sofern sie von links kommen - besteht darin, dass er sich nicht entscheiden kann, ob er eine Ereignisgeschichte dokumentieren oder eine Generation portraitieren will. Das Ereignis war ein elanvoller Versuch, linke Politik durchzusetzen - und unter denen, die das versuchten, waren nur wenige aus der Generation der 68er, so die hier vertretenen Rudi Dutschke, Jürgen Krahl, Daniel Cohn-Bendit. Von größerer Bedeutung für das „Ereignis ‘68” waren Leute wie Herbert Marcuse, Wilhelm Reich und Ernst Bloch, besonders Walter Benjamin. Die berücksichtigt Sievers durchaus. Vergeblich sucht man Frantz Fanon auf diesen Seiten. Sartre gibt es, aber nicht Camus, der für viele 68er in ihrem Bildungsgang eine große Rolle gespielt hatte - wenn auch nicht mehr 1968.
Die Ideen von 1968 waren nicht die Ideen der 68er. Diese Generation der in den Jahren vor und nach 1945 Geborenen, aufgewachsen in den wirtschaftlich erfolgreichen, kulturell angebotsehrgeizigen Fünfziger Jahren, erzogen von Eltern und Lehrern, die noch nicht den Methoden abgeschworen hatten, die in der Nazi-Zeit für gut befunden waren, diese Generation verfügte über die Härte, die Bildung und die Unerschrockenheit, um den fälligen Mentalitätswechsel durchzusetzen, der Adenauers Politik der Westintegration vollendete. Die Formeln linker Politik wurden dabei aufgenommen wie Pflastersteine bei einer Anti-Springer-Demonstration. Ziele verbanden damit nur wenige.
Es trifft sich hübsch, dass auch Georg Büchner mit dem „Hessischen Landboten” in diesem Band 2241 der Edition vertreten ist, die auf den Zusatz „Neue Folge” verzichtet hat. Büchner war der Liebling der 68er. In der Folge der 68er-Bewegung wurde der Darmstädter Büchner-Preis bald als der wichtigste deutsche Literaturpreis wahrgenommen. Büchners Historiendrama „Dantons Tod” freilich ist ein Stück über einen Mann, der wie kein anderer geschaffen war, die Menschen für die Revolution zu begeistern, aber nicht mehr an sie glaubte. Das tat auch Büchner nicht. Hätte er länger gelebt, wäre er wohl als großer Gelehrter in die Medizingeschichte eingegangen, er hätte eine Karriere gemacht, in der kaum noch etwas an den „Hessischen Landboten” erinnert hätte - wie die meisten 68er auch.
JÜRGEN BUSCHE
Rudolf Sievers (Hrsg.): 1968 - Eine Enzyklopädie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 490 Seiten, 15 Euro.
Vermutlich eher kein Meister des entspannten Dialogs: Rudi Dutschke spricht 1968 auf Ralf Dahrendorf ein
Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die sechziger Jahre waren die Blütezeit des Suhrkamp-Verlages, dessen Bände mit Texten von Walter Benjamin, Herbert Marcuse, Ernst Bloch die Regale der Studenten und Hochschulprofessoren füllten. Wenn nun der Suhrkamp-Verlag ein Erinnerungsbuch zu 1968 vorlegt, finden sich darin naturgemäß viele Suhrkamp-Autoren, stellt Jürgen Busche ohne große Überraschung fest. Die von Sievers herausgegebene Anthologie sei weniger ein Erinnerungsbuch an die Ereignisse von 1968 als vielmehr, stellt er nochmal klar, an das, was damals gelesen wurde. Außer den schon genannten natürlich Marx und Luxemburg, Adorno, Horkheimer und so weiter. Ärgerlich allerdings, findet Busche, dass dem Buch Register, Kommentierung und diverse Quellennachweise fehlen, stattdessen habe der Herausgeber persönliche Notizen zu den Ereignissen um 1968 untergebracht. Das stifte eher weitere Verwirrung, wendet Busche ein, weil sich Sievers nicht habe entscheiden können, ob er nun eine Ereignisgeschichte dokumentieren oder ein Generationenporträt habe abliefern wollen. Und überhaupt stammten die Ideen von 68 nicht von den 68ern, moniert er, insofern wirbelten da viele Begriffe arg durcheinander.

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