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Ruth Erat erzählt in ihrem Debüt davon, wie die erwachsenen Schwestern zu einem weihnachtlichen Besuch ins Dorf ihrer Eltern kommen, das nicht mehr das alte ist. Erinnerungen werden in Gang gesetzt, auf längst vergessene Fragen endlich Antworten gesucht. Warum waren hinter einer intakten Fassade die Brüchigkeiten und Versuchungen nicht sichtbar, denen nachgeben muß, wer ein eigenes Leben führen will?

Produktbeschreibung
Ruth Erat erzählt in ihrem Debüt davon, wie die erwachsenen Schwestern zu einem weihnachtlichen Besuch ins Dorf ihrer Eltern kommen, das nicht mehr das alte ist. Erinnerungen werden in Gang gesetzt, auf längst vergessene Fragen endlich Antworten gesucht. Warum waren hinter einer intakten Fassade die Brüchigkeiten und Versuchungen nicht sichtbar, denen nachgeben muß, wer ein eigenes Leben führen will?
Autorenporträt
Ruth Erat, aufgewachsen in Bern und Arbon, Philosophie-Studium an der Uni Zürich, Promotion mit einer Arbeit über Mechthild vonMagdeburg, Lehrerin am Lehrerseminar Rorschach, Malerin und Schriftstellerin. 1999 Teilnahme am Ingeborg Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Bisher erschienen,u.a.: Moosbrand, Suhrkamp Verlag Frankfurt 1999. Auszeichnungen: ArbeiterLiteraturpreis, Anerkennungspreis der St.Gallischen Kulturstiftung, Buchpreis desKantons Bern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2000

Heimwehdrohung
Doch die Katastrophe befreit: Ruth Erats "Moosbrand"

Das Stück ist bekannt, seine Besetzung auch, denn Jahr für Jahr wird es in unzähligen Familien zur selben Zeit als eine Art Kammerspiel aufgeführt. Wobei freilich offen bleibt, ob es sich beim gefühlsbefrachteten Weihnachtsfest im Einzelfall um eine Komödie oder ein Trauerspiel handelt. Für Ruth Erat, Seminarlehrerin und Malerin im schweizerischen Rheineck, sind die winterlichen Feiertage "Vampirtage", an denen sich Familienmitglieder nach einem einstudierten Zeremoniell treffen, um einander alle Vitalität zu rauben.

In ihrem bemerkenswerten Prosadebüt führt Ruth Erat ihre Leser in die feine Schweizer Gesellschaft. Schauplatz des Geschehens ist das herrschaftliche Haus Moosegg, hoch über dem Rheintal gelegen und seit Generationen im Besitz der Familie Conrad, die sich ihrer Sonderstellung nur zu bewusst ist: Ein Haus sei ein Auftrag, hämmert die Mutter ihren Töchtern ein, und das Fabrikantentum sei keine Frage der Ausbildung, echten helvetischen Aristokraten liege es vielmehr in den Genen. Mit solchen Ansichten verharrt die alte Dame in verklärten Erinnerungen, die längst von der Gegenwart eingeholt wurden. Ihr Ehemann Raimund, einst als Retter des Familienunternehmens gepriesen, hat die Zwirnfabrik nicht vor dem Konkurs bewahren können und ist selbst Opfer zunehmender Hinfälligkeit. Mit einem Ledergurt muss der Verwirrte an seinem Stuhl festgebunden werden, um den sich während der Mahlzeiten Scherben und Essensreste ansammeln.

Auch die nächste Generation entspricht nicht den hochfliegenden Plänen der mütterlichen Familie. Der anfallskranke Sohn, jüngstes von drei Kindern, hat den Verlockungen des Alkohols nicht widerstanden und gilt seit langem als verschollen; niemand wartet auf die Rückkehr des verlorenen Erben. So ruht alle Verantwortung auf den beiden Töchtern, den eigentlichen Hauptfiguren der Erzählung. In diesen ungleichen Schwestern zeichnet Ruth Erat ein einfühlsames Doppelporträt von Kindern des Wirtschaftswunders.

Meret, die ältere, hat von klein auf die Revolte geübt. Waghalsige Klettertouren, provozierende Miniröcke, heimliche Liebschaften: Alles Verbotene musste diese höhere Tochter hinter dem Rücken der Eltern ausprobieren. Vor allem aber reizte sie der politische Aufstand. Während ihr lebenslustiger Vater den Niedergang des Familienunternehmens aufzuhalten versuchte, zog sie in den Kampf gegen das Kapital, skandierte zur Zeit des Vietnam-Krieges antiamerikanische Parolen und empörte sich über die niedrigen Löhne der Textilarbeiter. Die rebellischen Ideale der Jugend hatten freilich keine lange Lebensdauer, in ihrer Ehe mit einem erfolgreichen Architekten hat Meret längst äußeren Frieden mit dem Establishment geschlossen. Der stillen Armgard bleiben hingegen als Flucht allein vorgetäuschte Migräneanfälle. Ihre Stelle als Kunstlehrerin wurde ihr gekündigt, die von der Mutter in Aussicht gestellte Ehe mit einem angehenden Arzt aus bester Familie erscheint der nicht mehr ganz jungen Frau als ausweglose Falle, so dass sie den einzig möglichen Lebensplan in der Pflege ihres siechen Vaters sieht.

Wie schon Gerhart Hauptmann in seinem Drama "Das Friedensfest" nimmt auch Ruth Erat die familiäre Weihnachtsfeier zum Anlass, die Abgründe hinter der Fassade der Wohlanständigkeit auszuloten und die Lebenslügen von Eltern und Kindern aufzudecken. Die eigentliche Qualität der Erzählung liegt jedoch nicht in ihrem Charakter als Chronique scandaleuse. Lesenswert ist das schmale Buch vor allem wegen seines kunstvollen Aufbaus. Die Autorin vermeidet schrille Töne und belehrende Schlussfolgerungen, setzt ihr Familienbild vielmehr aus unaufdringlichen Skizzen zusammen. Daraus entsteht ein beeindruckendes Panorama, das sich nicht auf die hermetische Innenwelt des Fabrikantenhauses beschränkt, sondern auch die sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen der dörflichen Welt seit den fünfziger Jahren in den Blick nimmt.

Erst am Ende wird deutlich, wie fein die Erzählerin die einzelnen Motive miteinander verflochten hat. So sind Merets Abenteuerlust und erotische Entdeckungsfreude von Anfang an eng mit dem Wasser verbunden; allmählich aber verbindet sich ihre Leidenschaft für das Schwimmen zugleich mit dem Bewusstsein, am Unglück des kleinen Bruders schuld zu sein. Eine Geschichte, die Meret der jüngeren Schwester in Kindheitstagen erzählt hat, wird schließlich zum Schlüssel für Armgards Unfähigkeit, sich von ihrem Elternhaus zu lösen: Heimweh ist eine Strafe, so lautet die wiederholte stille Drohung. Am Ende, nach dem quälenden Ritual der Weihnachtsfeier, wird Haus Moosegg von einem Schwelbrand vernichtet. Personen kommen nicht zu Schaden, doch das Symbol einstigen Wohlstands ist zu Asche zerfallen. Diese Zerstörung ist für die erwachsenen Töchter zugleich eine Befreiung.

SABINE DOERING

Ruth Erat: "Moosbrand". Erzählung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 120 S., br., 14,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Handlung dieses Prosadebüts, dass Rezensentin Sabine Doering "bemerkenswert" findet, klingt in der Nacherzählung der Rezensentin recht konventionell. Die Kritikerin führt uns ins "herrschaftliche Haus Moosegg" und in eine feine, aber schon reichlich morbide Schweizer Fabrikantenfamilie ein. Wir erfahren von den üblichen Irrungen und Wirrungen, die besonders die jüngsten Sprosse solcher untergehenden Familien gemeinhin durchlaufen. Die eigentliche Qualität dieses Buches liegt für die Kritikerin jedoch in seinem "kunstvollen Aufbau" und den unaufdringliche Skizzen, die ihr die Innenwelt der Familie und die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Schweiz der 50er Jahre vor Augen führte.

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