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Die Biographie eines unangepassten Soldaten: Vom Kadett im Kaiserreich zum Offizier in der Weimarer Republik, vom General im Nationalsozialismus zum Politikberater und Rüstungslobbyist in der Bundesrepublik. Gerhard Graf von Schwerin war Freikorpskämpfer und Putschist, diente in der Reichswehr und der Wehrmacht, erhielt höchste Auszeichnungen und brachte es zum General der Panzertruppe. Gleichzeitig geriet er immer wieder mit seinen Vorgesetzten aneinander und hatte Kontakte zu Angehörigen des militärischen Widerstands gegen Hitler. Seine Kooperation mit den Westalliierten während der…mehr

Produktbeschreibung
Die Biographie eines unangepassten Soldaten: Vom Kadett im Kaiserreich zum Offizier in der Weimarer Republik, vom General im Nationalsozialismus zum Politikberater und Rüstungslobbyist in der Bundesrepublik. Gerhard Graf von Schwerin war Freikorpskämpfer und Putschist, diente in der Reichswehr und der Wehrmacht, erhielt höchste Auszeichnungen und brachte es zum General der Panzertruppe. Gleichzeitig geriet er immer wieder mit seinen Vorgesetzten aneinander und hatte Kontakte zu Angehörigen des militärischen Widerstands gegen Hitler. Seine Kooperation mit den Westalliierten während der Kriegsgefangenschaft fiel nach 1945 immer wieder auf ihn zurück. Machte sie ihn zunächst zu einem Vordenker der militärischen Westintegration und zum ersten Sicherheitsberater Konrad Adenauers, wurde sie später zum Stolperstein für Schwerins Ambitionen in der Bundeswehr. Unter Auswertung einer breiten Quellenbasis schildert Peter M. Quadflieg die Karrierepfade dieses ungewöhnlichen Generals, Lobbyisten verschiedener Rüstungsunternehmen, V-Manns der CIA, Vertrauten von Franz Josef Strauß und FDP-Beraters.
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Autorenporträt
Peter M. Quadflieg ist promovierter Historiker und Referendar beim Hessischen Landesarchiv.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Aachens Retter und Dönhoffs Held
Wie Wehrmachtsgeneral Gerhard Graf von Schwerin zum Widerstandsangehörigen mutierte

Wie sich die Zeiten ändern! Mehr als 1000 ehemalige Angehörige der 116. Panzerdivision der Wehrmacht waren 1963 dabei, als in Aachen eine Straße nach Gerhard Graf von Schwerin benannt wurde, der die Stadt im September 1944 kampflos an die Amerikaner übergeben habe: eigenverantwortlich, nur seinem Gewissen verpflichtet, in einem Akt militärischen Widerstands. 44 Jahre später, 2007, machte die Stadt die Ehrung rückgängig. Nicht nur hatte in der Zwischenzeit der Mythos des Retters von Aachen erhebliche Kratzer bekommen, sondern zum Bild des Helden passte auch nicht, dass auf Grundlage eines Divisionsbefehls am 13. September 1944 zwei Aachener Jungen von Angehörigen der Einheit als angebliche Plünderer erschossen worden waren und dass der Divisionskommandeur Kenntnis hatte von diesen Erschießungen, welche die Staatsanwaltschaft in einem späten Ermittlungsverfahren als Mord wertete.

Gerhard Graf von Schwerin war 2007 schon lange tot; er starb 1980. In seiner Heroisierung nach 1945 und dem tiefen Fall, der dieser Heroisierung postum folgte, steht Schwerin indes nicht allein. Die Beispiele für einen solchen fundamentalen Erinnerungswandel, für die Neubewertung von Biographien, gerade auch mit Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus und individuelles Handeln in den Jahren zwischen 1933 und 1945, sind mittlerweile Legion. Bis auf lokale Ebene wird in unzähligen Untersuchungen und Forschungsaufträgen nicht nur die NS-Vergangenheit von Personen und Institutionen thematisiert, sondern mindestens ebenso sehr auch die Wirkungsgeschichte dieser Vergangenheit, der individuelle und kollektive Umgang mit dieser Vergangenheit nach 1945.

Peter Quadflieg hat 2007 im Auftrag der Stadt Aachen an einem Gutachten über Graf Schwerin und das Kriegsende in Aachen mitgewirkt. Die nun vorliegende Biographie geht freilich weit darüber hinaus. Allerdings ist auch dieses Buch charakterisiert durch seine doppelte Perspektive. Es wird nicht nur eine Lebensgeschichte erzählt, sondern, gerade mit Blick auf die erste Lebenshälfte, die Jahre zwischen 1899 und 1945, die permanente Konstruktion und Rekonstruktion dieser Lebensgeschichte in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit, die, wie die Aachener Entwicklungen am Beginn des 21. Jahrhunderts zeigen, mit dem Tod des Protagonisten nicht endeten.

Wenn auch nicht völlig bruchlos, so durchlief Schwerin doch vom Eintritt in die preußische Kadettenanstalt in Cöslin mit noch nicht einmal 13 Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs eine Militärkarriere, die zwar in den Jahren der Weimarer Republik ins Stocken geriet, sich aber nach 1933 im Zeichen der nationalsozialistischen Aufrüstungspolitik rasch beschleunigte und den jungen Offizier bald in den Generalstab des Heeres führte. Nicht zuletzt dort und in dem Berliner Freundeskreis der Familie geriet Schwerin in Kontakt mit Angehörigen der Militäropposition, unter ihnen Erwin Planck und Hans Oster, ohne jedoch in konspirative Aktivitäten eingebunden zu werden. Der aufstrebende Generalstabsoffizier nützte dennoch eine England-Reise im Frühsommer 1939, um verschiedene Gesprächspartner aus dem englischen Establishment vor der Gefahr eines Krieges und den Folgen des Appeasement zu warnen.

Das Buch macht deutlich, dass Schwerin den nationalsozialistischen Kriegskurs kritisierte. Das verwandte er nach 1945 im Rahmen seines Entnazifizierungsverfahrens zu seiner Entlastung und brachte auch entsprechende Bestätigungen englischer Gesprächspartner bei. Viel weiter ging er jedoch zunächst nicht, denn bis Ende der 1950er Jahre rechnete sich der ehemalige General Chancen auf eine Fortsetzung seiner militärischen Laufbahn in der Bundeswehr aus. Da schien es Schwerin nicht unbedingt hilfreich, als Mann des Widerstands wahrgenommen zu werden.

Erst als keine Aussicht mehr auf Übernahme in die Bundeswehr bestand, machte sich der General a. D., der nun als Rüstungslobbyist sein Geld verdiente, zum Angehörigen des Widerstands, in dessen Auftrag er 1939 nach England gefahren sei. Auf Unterstützung bei dem Bemühen, sich in den Widerstand hineinzuschreiben, stieß Schwerin bei der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" und ihrer Herausgeberin Marion Dönhoff. Der Graf passte in das von der Gräfin gepflegte, zum Teil sogar geschaffene Bild des Widerstands. Nach seinem Tod tauchte Schwerin sogar in Dönhoffs Erinnerungen an die "Freunde" vom 20. Juli auf, und so fand er, auch durch unkritisches Zitieren, seinen Weg an die Seite von Adam von Trott oder Helmuth James von Moltke.

Von 1942 an führte der Graf eine Division in Russland. Zu einer Beteiligung des Verbandes an Kriegsverbrechen sagt das Buch kaum etwas. Wichtiger sind dem Verfasser die Entwicklungen im Umfeld des 20. Juli 1944, als die mittlerweile als 116. Panzerdivision neu aufgestellte Einheit in Frankreich eingesetzt war, wo am 6. Juni die alliierte Invasion in der Normandie begonnen hatte. Aus operativ-militärischen Gründen wurde Schwerins Division im Juli 1944 nicht unmittelbar für den Kampf gegen den Vorstoß der Alliierten verwendet. Daraus wurde nach 1945 nicht nur die Legende, Generalfeldmarschall Erwin Rommel habe die Division bewusst zurückgehalten, um sie nach dem Attentat des 20. Juli zur Abschirmung von Paris und damit zur Stabilisierung des Staatsstreichs einsetzen zu können.

Vielmehr war nach dem Untergang des Nationalsozialismus - zuerst in einer auf Bitten Schwerins verfassten Entlastungserklärung durch Rommels Stabschef Hans Speidel - von aktivem Widerstandshandeln Schwerins die Rede. Das diente auch anderen hohen Offizieren zum Nachweis breiter Widerstandsaktivitäten der deutschen Generalität in Frankreich. Die weitere Entwicklung des Bildes folgte dem gleichen Muster wie bei der England-Reise 1939. Bis Ende der 1950er Jahre blieb Schwerin zurückhaltend, betonte zwar seine - unstrittige - antinationalsozialistische Grundhaltung, wollte jedoch nicht als Widerstandsangehöriger im engeren Sinne gesehen werden. Erst nachdem für ihn die Tür zur Bundeswehr zugefallen war, betonte er immer stärker seine Kontakte zum militärischen Widerstand 1944.

Natürlich erhalten auch die kurze Zeit des Grafen als Adenauers Sicherheitsberater 1950 und seine Rolle bei der Planung der westdeutschen Wiederbewaffnung bei Quadflieg angemessenen Raum. Doch seinen Kern hat das Buch in der präzisen Auseinandersetzung mit dem Handeln Schwerins vor 1945 und den eigenen oder fremden Biographiekonstruktionen, ihren Motiven und Wirkungen nach 1945. In dieser Perspektive erzählt es eine paradigmatische Geschichte.

ECKART CONZE

Peter M. Quadflieg: Gerhard Graf von Schwerin. Wehrmachtsgeneral, Kanzlerberater, Lobbyist. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2016. 498 S., 58,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eckart Conze erkennt eine paradigmatische Geschichte, wenn Peter M. Quadflieg sich intensiv mit der Biografie Gerhard Graf von Schwerins vor 1945 auseinandersetzt, mit der Konstruktion einer Biografie durch Schwerin, seinen Motiven und Wirkungen nach '45. Dass der Verfasser wenig über die Beteiligung Schwerins an Kriegsverbrechen in Russland sagt, fällt Conze auf. Mehr aber interessiert ihn die "Neubewertung" einer Biografie als Konstrukt. Wie Schwerin erst militärisch Karriere machte und sich dann, nach Ausbleiben einer Übernahme in die Bundeswehr, als Widerständler inszenierte, kann der Autor Conze gut nachvollziehbar machen.

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