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Produktdetails
  • Verlag: Brill Schöningh
  • Artikelnr. des Verlages: 1918937
  • 1999
  • Seitenzahl: 257
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 360g
  • ISBN-13: 9783506740083
  • ISBN-10: 3506740083
  • Artikelnr.: 26135855

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2000

Wandel durch Kirchturmpolitik
Wie der Vatikan in den siebziger Jahren drauf und dran war, die DDR anzuerkennen

Karl-Joseph Hummel (Herausgeber): Vatikanische Ostpolitik unter Johannes XXIII. und Paul VI. 1958-1978. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1999. 257 Seiten, 58,- Mark.

Es gehört zu den gesicherten Erkenntnissen der zeitgeschichtlichen Forschung, dass der deutsche Katholizismus zwischen 1945 und 1989 eine der stärksten Klammern der deutschen Einheit war. Die Gründe dafür sind vielschichtig: sie reichen von der uneingeschränkten Ablehnung des Kommunismus als Weltanschauung über die Verschränkung von staatlichen und kirchlichen Interessen zu Zeiten Adenauers, die Legitimation der DDR möglichst zu schwächen, bis zu den legendären "Dienstbesprechungen" der Spitze des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) mit Repräsentanten der Berliner Ordinarienkonferenz, die erst 1989 mit der Wiedervereinigung endeten.

Es fehlte indes nicht viel, und der Vatikan hätte in den siebziger Jahren der DDR jene Anerkennung zuteil werden lassen, die ihr selbst die SPD-geführten Bundesregierungen mit hartnäckiger Unterstützung der Deutschen Bischofskonferenz (West) versagte: die Legitimation von Mauer, Selbstschussanlagen und Todesstreifen zwischen den beiden Teilen Deutschlands als einer endgültigen Grenze zweier souveräner Staaten. Nicht völkerrechtlich, aber faktisch: 1976 verlieh Papst Paul VI. ohne erkennbare Vorleistungen des DDR-Regimes der Berliner Ordinarienkonferenz probeweise den Status einer Regionalkonferenz mit eigenen Statuten; im Juni 1978 beschloss derselbe Papst, mit Datum vom 25. August die auf dem Gebiet der DDR liegenden Teile der (Erz)Bistümer Fulda, Osnabrück, Paderborn und Würzburg endgültig der Jurisdiktion der westdeutschen Bischöfe zu entziehen und die bisherigen Bischöflichen Ämter Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen in Apostolische Administraturen, Vorstufen von selbstständigen Bistümern, umzuwandeln. Ausgeführt wurde diese Entscheidung nicht mehr. Zunächst fuhr Kardinalstaatssekretär Casaroli, dessen Rolle als "Architekt" der so genannten vatikanischen Ostpolitik oft überschätzt wird, in Urlaub. Dann, am 6. August 1978, starb der Papst, ohne die vorbereiteten Dokumente unterzeichnet zu haben.

Insgesamt war Paul VI., der keinen Zweifel an der unabsehbaren Dauer des imperium sovieticum hatte, mit seiner "Ostpolitik" weit gekommen. Auf Drängen des polnischen Episkopats hatte Montini 1972 - nach der Ratifizierung des Warschauer Vertrags - die ehemals deutschen kirchlichen Territorien jenseits der Oder-Neiße-Linie reorganisiert. Neu geordnet wurden nur die einst deutschen, nicht aber die ehemals polnischen, nun im Westen der Sowjetunion liegenden Gebiete. Damals traten an die Stelle der im Päpstlichen Jahrbuch "zu Deutschland gehörenden" Diözesen Breslau und Ermland sowie der Freien Prälatur Schneidemühl die vier neuen polnischen Bistümer Oppeln, Landsberg (Warthe), Stettin-Kammin und Köslin-Kolberg. Ermland blieb Bistum, Breslau als Erzdiözese wurde neu umschrieben, und Görlitz, das vorher zu Breslau gehörte, wurde zur ersten Apostolischen Administratur auf dem Boden der DDR. Damit hatte der Vatikan als erster westlicher Staat den völkerrechtlichen Vorbehalt eines endgültigen Friedensvertrages für Gesamtdeutschland negiert. Dass eine Regelung für die in Polen verbliebenen deutschen Katholiken und Worte des Trostes für die Heimatvertriebenen unterblieben, fiel daher nicht mehr ins Gewicht.

Für die Deutsche Bischofskonferenz war nun Gefahr im Verzug. Denn ebenso wie das Ministerium für Staatssicherheit der DDR war man seit Ende der sechziger Jahre über die langfristigen Vorhaben des Vatikans im Bilde. Wegen des Fehlens eines Friedensvertrages könne es zwar nur Übergangslösungen geben, hielt der Führungsoffizier von IM "Otto" alias Prälat Otto Groß Ende der sechziger Jahre fest. Doch die waren der Deutschen Bischofskonferenz in dem Maß zuwider, wie sie den Wünschen des SED-Politbüros nach Aufwertung des sozialistischen Staates durch den Aufbau von nationalkirchlichen Strukturen entgegenkamen: außer der langfristigen Errichtung von Bistümern ging es - nicht zuletzt auf Betreiben des Berliner Kardinals Bengsch - um die Erhebung der Berliner Ordinarienkonferenz in den Rang einer nationalen Bischofskonferenz und - wohl gegen den Willen Bengschs, der kein Interesse an einem "Aufpasser aus Rom" hatte - um die Entsendung eines Apostolischen Nuntius nach Ost-Berlin. Auch von diesem Schritt scheint man 1978 nicht mehr sehr weit entfernt gewesen zu sein. Schon im Jahr 1976 konnte der damalige DDR-Botschafter in Rom, Klaus Gysi, dem Staatssekretariat für Kirchenfragen in einem Telegramm mitteilen, dass der neue Nuntius Guido del Mestri im "Päpstlichen Jahrbuch" als "Apostolischer Nuntius" in der Bundesrepublik Deutschland" und nicht länger als "Apostolischer Nuntius in Deutschland" bezeichnet werde.

Doch warum das alles? Was waren die Motive des Papstes? Wie verhielten sich Bundesregierung und Bischofskonferenz? Was wusste wer wann? Diese Fragen haben die "Kommission für Zeitgeschichte" veranlasst, Akteure aus den sechziger und siebziger Jahren zu einem Kolloquium mit Historikern über dieses kirchenpolitisch nach wie vor äußerst brisante Thema zu versammeln - schließlich erscheint der Vatikan in einem Licht, das seine Urteilsfähigkeit in deutschen Angelegenheiten als begrenzt und sein kirchenpolitisches Agieren als fatal erweist.

Diesen Tatsachen ins Auge zu schauen scheuten sich die meisten Wissenschaftler, Bischöfe und ehemalige Vatikan-Botschafter, die der Einladung gefolgt waren, nicht. So ist - auch wenn die vatikanischen Archive noch nicht geöffnet sind - ein Dokument kirchlicher Zeitgeschichte entstanden, das an Authentizität seinesgleichen sucht. Dazu trägt maßgeblich bei, dass die "Vatikanische Ostpolitik" nicht nur die schriftlichen Redebeiträge der Augen- und Ohrenzeugen, sondern auch ein ausführliches Protokoll der Diskussion enthält.

Unter Johannes Paul II., der von der Vitalität des Sowjetkommunismus weit weniger überzeugt war als sein Vorvorgänger Paul VI., fand die auf Wandel durch Annäherung bedachte vatikanische Ostpolitik im Übrigen keine Fortsetzung. Der polnische Papst unterstützte vielmehr in seiner Heimat alle Kräfte, die gegen den Kommunismus wirkten und trug so maßgeblich zum Ende der sowjetischen Herrschaft in Osteuropa bei. Neu geordnet wurden die deutschen Diözesen schließlich 1994, in Freiheit.

DANIEL DECKERS

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Hanno Helbing bespricht zwei katholische Werke zusammen: Agostino Casarolis "Wegbereiter zur Zeitenwende" und den von Karl Joseph Hummel herausgegebenen Band "Vatikanische Ostpolitik unter Johannes XXIII. und Paul VI. 1958 - 1978"
Agostino Kardinal Casaroli , lange Zeit der "