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Es gilt, einen literarischen Schatz zu heben: William Gass' Roman Der Tunnel von 1995, ein Meisterwerk und eine "Great American Novel", ausgezeichnet mit dem National Book Award und in der Kritik heiß umstritten - die Geschichte eines Naziforschers, der in sich den Faschisten entdeckt. "Gass' monumentaler Roman ist unzweifelhaft brillant: hypnotisch, poetisch, schwierig, manchmal auch rasend komisch - das letzte Meisterwerk der amerikanischen Postmoderne." Tages-Anzeiger Zürich "Der wichtigste Roman eines Amerikaners dieser Generation." The New Republic

Produktbeschreibung
Es gilt, einen literarischen Schatz zu heben: William Gass' Roman Der Tunnel von 1995, ein Meisterwerk und eine "Great American Novel", ausgezeichnet mit dem National Book Award und in der Kritik heiß umstritten - die Geschichte eines Naziforschers, der in sich den Faschisten entdeckt.
"Gass' monumentaler Roman ist unzweifelhaft brillant: hypnotisch, poetisch, schwierig, manchmal auch rasend komisch - das letzte Meisterwerk der amerikanischen Postmoderne."
Tages-Anzeiger Zürich
"Der wichtigste Roman eines Amerikaners dieser Generation."
The New Republic
Autorenporträt
Gass, William H.
William Howard Gass, geb. 1924 in Fargo, North Dakota, wuchs in Ohio auf. Studium der Literaturwissenschaften, 1954 Promotion an der Cornell University mit einer Arbeit über Metaphern. Gass, Rilke-Spezialist und -Übersetzer,lehrte an mehreren Hochschulen, zuletzt von 1969 bis 1999 als Professor an der Washington University in St. Louis, Missouri.Für seinen Roman Der Tunnel erhielt er 1996 den American Book Award. Auch für sein essayistisches Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Pushcart Prize und dem National Book Critics Circle Award.William Gass starb im Dezember 2017.

Stingl, Nikolaus
Nikolaus Stingl, geb. 1952 in B.-Baden, übersetzte unter anderem William Gaddis, William Gass, Graham Greene, Cormac McCarthy und Thomas Pynchon. Er wurde mit dem Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis, dem Literaturpreis der Landeshauptstadt Stuttgart, dem Paul- Celan-Preis und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet.
Rezensionen
Fast hätten wir
uns amüsiert

Ein Ungetüm der Moderne, ein Hexensabbat mit Nazis und
Holocaust: „Der Tunnel“ des Amerikaners William H. Gass
ist jetzt auf Deutsch erschienen Von Ulrich Baron

Als William H. Gass Anfang 1995 in den USA seinen Roman „The Tunnel“ in einer mit 652 großformatigen Seiten vergleichsweise schlanken Ausgabe veröffentlichte, waren die Meinungen der Kritiker geteilt. Der eine feierte das Werk des Philosophieprofessors als den wichtigsten Roman eines Amerikaners seiner Generation, ein anderer hoffte, nun endlich „modernism’s last gasp“ überstanden zu haben. Robert Kelly delegierte sein Urteil im New York Times Book Review an die Geschichte: „It will be years before we know what to make of it.“ Vor der war freilich selbst einem begeisterten Rezensenten wie Michael Silverblatt ein wenig bange. Er versah seine hymnische Besprechung in der Los Angeles Times mit Lesetipps, die vor allem auf jene traditionell geschriebenen Erinnerungspassagen abzielten, die auch ein Rezensent der New York Times als Lichtblicke inmitten der „endlosen Windungen“ von Gass’ Prosa empfahl: „hypnotische“ Beschwörungen einer amerikanischen Kleinstadtjugend aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise.

In diesen Passagen aus dem von Staubstürmen und Massenarmut heimgesuchten Mittleren Westen setzte Gass dort an, wo Willa Cather einst aufgehört hatte, und liefert Gegenstücke zu den autobiographischen Erzählungen der Kanadierin Alice Munro. Es sind Momentaufnahmen einer Familie auf dem Abstieg. Das Geschäft der Großeltern geht den Bach hinunter; die Farm eines Onkels bietet zeitweiligen Unterschlupf, doch der Vater wird invalide, und die Mutter säuft sich um Verstand und Leben. Dazwischen wirbeln Staubstürme und Heuschreckenschwärme, ein Blitzschlag überstäubt die Mutter mit pulverisiertem Fensterglas. Der Schock eines tödlichen Verkehrsunfalls gerinnt zu Bildern. Es drohen Hamsterfahrten am Wochenende und öde Urlaubsreisen.

Als Robert Kelly das Urteil späteren Jahren überließ, hatten andere es schon gefällt: Man würde sich solche Passagen herauspicken, die den avantgardistischen Impetus unterlaufen, das anything goes eines ungefilterten Bewusstseinsstroms, der das Werk in seiner deutschen Ausgabe auf 1092 großformatige Seiten anschwellen ließ.

In einem Interview kokettierte Gass 1974 mit seiner Unfähigkeit, szenisch zu erzählen: „I haven’t the dramatic imagination at all. Even my characters tend to turn away from each other and talk to the void.“ Ins Leere spricht auch der Held seines Romans, der amerikanische Historiker William Frederick Kohler. Während ihm das Vorwort zu seinem Opus Maximum „Schuld und Unschuld in Hitlerdeutschland“ über den Kopf wächst, beginnt er einen Tunnel unterm Haus zu graben. Dieser minimalistische rote Faden lässt viel Raum für Reflexionen, in denen sich Erinnern und Begehren, Enttäuschung und Weltekel mischen. Viel Raum auch für gotteslästerliche Limericks, typographische Spielereien, antisemitische Sottisen und Massen von kleinen und großen Obszönitäten.

Kohler hat in Nazideutschland Geschichte studiert, in der „Reichskristallnacht“ Schaufenster eingeworfen und ist im Zweiten Weltkrieg zum Experten für „dirty fascist things“ befördert worden. Er ist der Nazi-Ideologie näher gekommen, als ihm gut getan hat, aber Hitlerdeutschland nie so nahe, dass seine Erinnerungen zeithistorisch bewanderten Lesern glaubhaft erscheinen würden.

Gass zeichnet ein grotesk verengtes Zerrbild Hitlerdeutschlands, durch das eine brueghelsche Gestalt irrlichtert – der Geschichtsprofessor „Magus“ Tabor, auch „Mad Meg“ genannt. Das ist der englische Name von Pieter Brueghels Bild „De Dulle Griet“ (Die tolle Grete), das eine geharnischte Wahnsinnige inmitten ihrer infernalischen Wahnwelt zeigt. Die Anspielung ist nicht schlecht gewählt. Kohlers Lehrer ist halb Charismatiker, halb irrer Syphilitiker. In seinem mahlstromhaften Redefluss mischt sich Geschichtsphilosophie mit Obszönitäten. Doch die Gestalt und ihr englischer Spitzname passen nicht zur einer deutschen Universität der 1930er Jahre. Sie sind unverkennbar Kopfgeburten eines vielseitig gebildeten Amerikaners, der, wie sein Held, ein „Leben auf einem Stuhl“ geführt hat.

Dabei hätte Kohler, der seine Nase sonst überall hineinsteckt, ein idealer Augen-, Ohren- und Nasenzeuge der Atmosphäre in Hitlerdeutschland sein müssen. Erst unlängst hat Timothy Garton Ash die Bedeutung solch konkreter Erfahrung für den Zeithistoriker beschrieben: „Nur der Geruch der verschiedenen Orte und Zeiten bleibt für die Geschichtsschreibung noch immer weitgehend verloren, obwohl dies ein prägender Eindruck für jeden Augenzeugen ist.“ Gerade solch einen prägenden Eindruck kann Gass nicht vermitteln. Weder als Zeitzeuge noch als Geschichtsforscher überzeugend, ist Kohler ein dickes Denkgefäß voller sexueller Fantasien und Frustrationen, voller Abscheu für seine Frau, seine Kollegen und sich selbst. „Tönerne, Füße“, so gesteht Kohler ein, „hatten alle meine Helden“. Nur die Gestalten seiner Jugenderinnerungen scheinen im wirklichen Leben zu wurzeln.

„Der Tunnel“ enthält Kohlers Confessiones. Hinter jeder Seite von „Schuld und Unschuld in Hitlerdeutschland“ möchte er mit seinen Notizen „eine geheime, gleichsam als deren Eingeweide dienende Seite haben . . . nicht die Spitze, sondern sozusagen das Innere des Eisbergs“. Dazu greift er nach den Sternen, zitiert Rilke, Proust und zahllose andere Vertreter der Weltliteratur. Was er aber zu fassen bekommt, gleicht eher den Hinterlassenschaften der Hauskatze, die diese in seinem Tunnel deponiert hat.

Was der Mann, der darüber räsoniert, dass durch den Holocaust auch „Tausende von Dieben, Mördern, Wucherern Trickbetrügern, Homos, Pennern, Pressern, mürrischen Büroangestellten, Rechtsverdrehern, Säufern, Drogensüchtigen, Don Juans, Winzlingen, Schuldnern, vorzeitig Ejakulierenden, Flunkerern, frigiden Frauen, Gecken, Nörglern, Nägelkauern und Bettnässern, Vogelscheuchen, Fanatikern, Betrügern, Tyrannen, Krüppeln, Liebhaberinnen genau das“ bekommen hätten, „was sie verdienten“, daraufhin mit der Katze macht, kann man auf Seite 849 lesen. Das Zitat zum Holocaust zeigt nicht zuletzt, warum dieses Werk so dick ist. Er sammle „rassistische Entgleisungen wie Briefmarken“, bekennt Kohler: „Mein Rassismus erstreckt sich also auf die ganze Menschheit.“

Wer so viel bringt, wird vielen etwas bringen, doch das Thema Holocaust ist hier ein Popanz, ein Werbeballon für ein Projekt, das über ein Vierteljahrhundert hin von der Guggenheim Foundation und anderen Stiftungen alimentiert worden ist. Ein Kritiker unterstellte gar, Gass habe auf das Verbot seines Buchs spekuliert. Zumindest hat er sich öffentlich ausgemalt, dass manche Leser ihm in seine erzählerischen Fallen gehen, Autor und Protagonist verwechseln und ihm Kohlers Anstößigkeiten anlasten würden. Doch dieser Spieß lässt sich umdrehen, denn der Protagonist ist nicht einmal mit sich selbst identisch.

Das Kind, das die 1930 einsetzenden Staubstürme in den USA erlebt hat, hätte sich beeilen müssen, um noch im Vorkriegsdeutschland forschen zu können. Der Junge, der sich „vom verdrießlichen Alter von zwölf Jahren aus“ wünschte, „dass die Hindenburg noch einmal explodieren würde“, kann weder als Student Augenzeuge der Reichskristallnacht geworden sein noch am 1. Juni 1940 seine Frau Martha geheiratet haben.

Der Absturz des Luftschiffs Hindenburg in Lakehurst geschah am 6. Mai 1937, und der verdrießliche Zwölfjährige dürfte eher der am 30. Juli 1924 geborene William Howard Gass gewesen sein. Nun spricht nichts dagegen, seine Protagonisten mit eigenen Lebenserfahrungen auszustatten, so lange dabei Kunst und Fiktion dem aus dem Leben Gegriffenen standhalten. Authentisch, als Roman lesbar und empfehlenswert erschien „Der Tunnel“ aber auch seinen am Roman der Moderne geschulten amerikanischen Kritikern vor allem dort, wo der Autor offenkundig auf eigene Erfahrungen zurückgriff. Eine größere Blamage hätte das traditionelle realistische Erzählen seinen Verächtern, zu denen auch Gass sich zählt, kaum zufügen können.

„Der Tunnel“ ist ein Buch über die verheerenden Nachwirkungen einer unglücklichen Kindheit im Leben eines enttäuschten Mannes, der sich mit dem Postulat, das „wahre Gedicht“ sei eine „aus dem Wirrwarr des Lebens gebildete Gemeinschaft von Worten“, die poetische Lizenz zum ausufernden „Gekritzel“ erteilt. Sinnbild dieses Lebens ist ein erbärmlich entgleister Kindergeburtstag, den Kohler mit den Worten kommentiert: „Jungejunge. Fast hätten wir uns prima amüsiert.“ Doch wenn er eine „Göttin der hochgestiegenen Galle“ anruft und fragt, „was ist noch heilig, wo alles eine Kloake ist?“ - muss das jedes Mal abendfüllend ausfallen?

Wenn er seinen Kollegen Culp obszöne Nonnen-Limericks schreiben oder ausprobieren lässt, was für barbarische Verse sich über Auschwitz dichten lassen, fragt man sich, ob das Ringen um eine adäquate Übertragung überall der Mühe wert war. Gerade die von Kohler präsentierten hirnlosen Reimereien (wie Auschwitz und „Jew-Blitz“) und marottenhaften Alliterationen erzwingen Kompromisse bei der Wortwahl, die in Nikolaus Stingls sonst durchweg souveräner Übersetzung wie Stolpersteine wirken.

Was man über einen „Faschismus des Herzens“ erfährt, über die protofaschistische „Partei der Enttäuschten“ (PdE), für die sich Kohler bei seinen Landsleuten gute Chancen ausrechnet, belegt heute nur noch, wie weit die Erforschung des Nationalsozialismus solche Gedankenspielereien inzwischen hinter sich gelassen hat. Und was an typographischen Faxen und Einfügungen von graphischen Elementen Ende der 1960er Jahre gewagt erschienen sein mag, erinnerte heute an die Kinderkrankheiten des Desktop-Publishing.

Ohne szenisches Erzählen, ohne Wechsel der Figurenperspektive erinnert der selbstreferenzielle Textverlauf über weite Strecken an die nicht zweckdienlichen Verwirrungen, die ein Charlie Brown mit seiner Drachenschnur anrichtet. Doch dann und wann folgen Passagen, die höchste Achtung verdienen. Ein abgerissenes Rad, das bei einem Unfall durch die Luft flog, erscheint in Kohlers Erinnerung wie eine Frisbee-Scheibe, die in seiner Jugend noch gar nicht erfunden war: „Die Erinnerung sieht, was ich ganz anders sah“, konstatiert er, und „dass die Erinnerung stets in Altmännersprache schreibt“.

Anhand einer typischen Provinzstadt seiner Jugendzeit lässt Gass Kohler daran denken, wie an Straßen jene Bäume verschwanden, nach denen sie benannt waren: „Oak Knoll vernichtete sowohl den Hügel als auch die Eichen, nach denen sie benannt war.“ Auf den Karten der Grundstücksspekulanten florierten Peachtrees und „Drives, Courts, Lanes, Ways, Terraces und Hollows“, wo in der Wirklichkeit nur konturlose Vorstadt war. Kohler malt sich den Tag aus, „an dem sich in der Squire Lane Bordelle breitmachen, Antiquitätenhändler die Ellenwood bevölkern, die Sagamore nach Fritten, Fett und Benzin riecht“. Auch Stadtgeschichte erscheint hier als physischer Verfall voller übler Gerüche, gegen die kein Pfirsichbaum ankommt.

Im Nusskern längst verschwundener Bäume hat Gass eingefangen, wie Zeiten und Dinge sich änderten, „bis die Namen zu Lügnern wurden wie die Menschen, denen sie dienten, und den Immobilienmakler verrieten wie der Ausschlag die Krankheit“. Das erinnert an Hofmannsthals Chandos-Brief, wo die Wörter „wie modrige Pilze“ zerfallen. Aber dieser Zerfall der Wörter wird bei Gass konkret, wird zeitkritische Diagnose.

Aus den Massen des Abraums, die Kohler bei der Arbeit an seinem Tunnel zutage befördert, blitzt dann und wann ein weißer Diamant auf, Splitter einer Geschichte, die aus diesem Buch zutage drängt, welches, wie sein Protagonist, dicker ist als es ihm gut tut. Eine Abmagerungskur wäre wünschenswert, und denkt man dabei an den „Essential James Joyce“, so wäre das Rache des geplagten Lesers und Ehrung zugleich.

William H. Gass

Der Tunnel

Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 1092 Seiten, 36,95 Euro.

Stark ist dieser Roman überall
dort, wo Gass offenkundig auf
eigene Erfahrung zurückgreift

Ein abgerissenes Rad erscheint
als Frisbee-Scheibe, die es zum
Unfall-Zeitpunkt noch nicht gab

Unwirtliche Welt, moderne Welt: William H. Gass Foto: Patrick Gaillardin/Picturetank

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