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Zwei junge Leute, Alida und Asle, irren durch einen norwegischen Küstenort. Es ist Spätherbst, es ist kalt, und Alida ist hochschwanger. Bei sich haben sie nichts als die zwei Bündel, die Asle geschnürt hat, und den Kasten mit der Geige, einem Erbstück seines Vaters. Aber niemand will den beiden Unterschlupf gewähren. Während sie müde durch den Regen gehen, wird ihre Verzweiflung immer größer. Erinnerungen begleiten sie - an glücklichere Zeiten, als sie sich kennengelernt haben und sofort von ihrer Bestimmung füreinander wussten, aber auch an Trauriges und Dunkles. Als sie von einer alten Frau…mehr

Produktbeschreibung
Zwei junge Leute, Alida und Asle, irren durch einen norwegischen Küstenort. Es ist Spätherbst, es ist kalt, und Alida ist hochschwanger. Bei sich haben sie nichts als die zwei Bündel, die Asle geschnürt hat, und den Kasten mit der Geige, einem Erbstück seines Vaters. Aber niemand will den beiden Unterschlupf gewähren. Während sie müde durch den Regen gehen, wird ihre Verzweiflung immer größer. Erinnerungen begleiten sie - an glücklichere Zeiten, als sie sich kennengelernt haben und sofort von ihrer Bestimmung füreinander wussten, aber auch an Trauriges und Dunkles. Als sie von einer alten Frau einmal, zweimal als Unverheiratete beschimpft werden, lässt sich Asle nicht mehr abweisen und dringt mit Alida zu ihr ins Haus.

Diese doppelbödige, melancholische Geschichte voller Bibelanklänge lebt von einer melodiösen Einfachheit der Sprache. "Schlaflos" ist die hinreißend schöne Liebesgeschichte zweier junger Leute - ein einzigartiges, kunstvoll verdichtetes und dennoch allumfassendes Buch.
Autorenporträt
Jon Fosse, geboren 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund. Lebt seit Mitte der siebziger Jahre in Bergen. Er studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und war Dozent an der Akademie für kreatives Schreiben in Hordaland. Seit Anfang der neunziger Jahre ist er freier Schriftsteller. Er schreibt Romane, Theaterstücke, Gedichtsammlungen, Essays und Kinderbüchern. Fosse erhielt den Ibsen-Preis sowie 2000 den österreichischen Theaterpreis "Nestroy". 2000 wurde Fosse außerdem der Nordische Theaterpreis verliehen. 2003 wurde er mit dem Ehrenpreis des Norwegischen Kulturrats sowie mit dem norwegischen Amanda-Ehrenpreis ausgezeichent und in Frankreich als "Chevalier de l'Ordre National du Mérite" geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Die tödlichen menschlichen Kümmernisse
Jon Fosses kalte Liebes-Parabel / Von Pia Reinacher

Alles könnte auch nur ein Traumspiel sein. Ob es eine reale Geschichte ist, die uns der Norweger Jon Fosse erzählt, ist jedenfalls bis zum Schluss nicht klar. Alles könnte auch ein inszeniertes inneres Geschehen sein, in den unübersichtlichen Räumen des Unbewussten spielend, ein archetypisches Bühnenszenario, das die Grundnöte menschlicher Existenz variiert: Verlorenheit, Einsamkeit, Hartherzigkeit, Hoffnungslosigkeit und der zum Scheitern verurteilte Versuch, den Abgrund durch die Kraft der Liebe zu überwinden. Ob real oder geträumt: Das Oszillieren zwischen beiden Ebenen ist einer der großen Vorzüge dieser kleinen Erzählung "Schlaflos".

Der erfolgreiche Dramatiker leistet dabei auch als Schriftsteller Beachtliches. Das Signal zur Doppelwertigkeit der Geschichte ist schon im Titel angelegt. Todmüde sind nämlich die beiden jungen Leute Alida und Asle, die durch den norwegischen Küstenort ihrer Heimat irren, wo man sie verstößt, dann mit dem Boot durch die Fjorde flüchten und jetzt durch ein fremdes Dorf taumeln. Sie suchen eine Unterkunft. Die hochschwangere Alida wird schon bald niederkommen. Tatsächlich hält das blutjunge Paar ständig Ausschau nach einem Bett, einer Bank, einer ruhigen Stelle oder auch nur einem schwankenden Schiff, wo man ausschlafen könnte. Beide halluzinieren zwischen Schlaf und Traum, so erschöpft, dass jede Rast die Möglichkeit des Abgleitens in einen unwirklichen Dämmerzustand in sich birgt. Die abgeschiedene Landschaft, durch die sie sich bewegen, scheint ständig ins Halbdunkle getaucht. Es ist kalt. Meistens regnet es, eine quälend melancholische Stimmung liegt über allem und spiegelt das düstere Wesen der Menschen.

An diesen Stellen zeigt sich im Schriftsteller der Dramatiker, der weiß, wie man suggestive Stimmungen erzeugt. Holzschnittartig sind seine wenigen Figuren, wortkarg die Dialoge, verstörend die Tableaus, die er aufbaut. Der leicht altertümelnde, der Zeit entzogene Ton seiner Sprache verleiht dem Geschehen eine allgemeingültige Dimension. Es geht ihm mehr um das Erzeugen eines Klangs als um den wortreichen Effekt. Die Repetition ähnlicher, oft völlig schmuckloser Versatzstücke erzeugt dabei eine hypnotische Wirkung, der man sich schwer entziehen kann. Gezielt arbeitet Fosse dabei mit Anspielungen auf Mythen und Märchen, mehr noch, er brennt sein Bild auf die Folie der biblischen Geschichte von Josef und Maria ein.

Einsam sind Alida und Asle in der Welt. Niemand will sie. Das Mädchen wurde von der Mutter nie geliebt. Sie zog ihm die Schwester Oline vor und sieht in Alida die Schlampe, die nach dem Vorbild des Vaters geraten ist. Dieser hat die Familie verlassen, als das Mädchen erst drei Jahre alt war. Er ist nicht mehr wiedergekommen. Die Erinnerung an die Stimme von Aslak, der dem Kind Lieder vorsang, ist das Einzige, woran es sich erinnert. Ihn meint sie zu hören, als sie Asle kennenlernt, der dem Mädchen auf der Fiedel vorspielt. Er ist Waise, auch er mutterseelenallein. Sein Vater, der Geiger, hat sich sein Geld als Fischer verdient und ist bei einem Herbststurm ertrunken.

Die Mutter, durch so viel Kummer geknickt, wird kränklich, ihre Augen werden immer größer, dann stirbt auch sie. Was dem Sechzehnjährigen bleibt, ist die Fiedel, die er vom Vater erbte - und Alida. Sein einziger Gedanke, als er die Mutter tot und verloren daliegen sieht, gilt dem Mädchen mit dem schwarzen Haar und den schwarzen Augen. Wie vorbestimmt sind die beiden füreinander, vorbestimmt durch die Fatalität des Schicksals, und Fosse symbolisiert dies in den sprechenden Namen Alida und Asle, die wie zwei symmetrische Hälften des einen Ganzen zueinander passen.

Die tödliche Zwangsläufigkeit menschlicher Kümmernisse, das ist Jon Fosses Thema, das er in der Odyssee der beiden Verlorenen abbildet. Nirgends finden sie Hilfe. Es ist, wie wenn ihr Verhängnis unvermeidlich, der Untergang unausweichlich wäre. Ihr Schicksal ist vorbestimmt, aber unverschuldet, ihr Unglück unabwendbar, aber Folge der versteinerten Herzen der Menschen. Diese Erkenntnis wird uns aufgezwungen durch die Kraft der minimalistischen Erzählbewegungen. Der ausschweifende Ausbau einer Fabel ist nicht Jon Fosses Sache. Seine Wirkung erzielt er vielmehr durch die Variation weniger Motive, die er gleichsam zu einer Partitur des stampfenden Unglücks komponiert. Im Schlussbild präsentiert er kommentarlos sein Modell der Welt - ein ewiger Kreislauf des Bösen, des Schreckens, der Gleichgültigkeit. Wir sehen Alida und Asle mit dem eben geborenen Kind, das den Namen des im Meer ertrunkenen Vaters trägt. "Jetzt sind nur noch wir da, sagt Alida, du und ich und der kleine Sigvald." Das Ende dieser poetisch aufgeladenen, meditativen Parabel über die Bedingungen menschlicher Existenz kommt abrupt und bleibt unversöhnlich.

Jon Fosse: "Schlaflos". Eine Erzählung. Aus dem Norwegischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. 80 S., geb., 14, 90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.10.2008

Alles ist vorherbestimmt
„Schlaflos”: Jon Fosse erzählt eine biblische Geschichte
Es ist kalt an diesem Herbsttag, es wird langsam dunkel, und es fängt an zu regnen. Asle und Alida irren durch die Straßen der Stadt Bjørgvin und suchen eine Unterkunft. Alida ist hochschwanger, beide sind sehr jung, um die siebzehn, und haben ihr Heimatdorf verlassen, weil sie dort niemand mehr haben wollte. Asles Eltern sind tot, und aus dem Bootshaus, in dem Asle zuletzt wohnte, hat ihn der neue Besitzer vertrieben. Alidas Vater ist ebenfalls tot, vom Fjord ist er eines Tages nicht mehr zurückgekommen. Mit ihrer Mutter versteht sie sich schlecht – so schlecht, dass sogar in der größten Not kein Platz für die Schwangere im Haus ist. In der Stadt kommt es allerdings noch schlimmer, denn niemand hat eine Bleibe für das Paar, vielmehr werden sie ausgelacht und beschimpft. Bis Asle den beiden gewaltsam eine Wohnung verschafft.
Jon Fosse bringt auf nur 79 Seiten alles unter, was ein kleines Leben an großem Schmerz und großen Fragen bieten kann. In seiner Erzählung „Schlaflos” finden eine Tragödie, eine Liebesgeschichte und eine Bibelvariation Platz, Wuchtiges und Leichtes, Klares und Hintergründiges, Archaisches und Verspieltes kommen zusammen. In den letzten Jahren wurden die Stücke des norwegischen Dramatikers und Schriftstellers an allen europäischen Bühnen rauf- und runtergespielt, und auch seine Romane und Erzählungen fanden höchstes Lob für ihre kraftvolle Einfachheit. Man hat bei Fosse allerdings auch Eigentlichkeitskitsch vermutet und die inszenierte Schlichtheit seiner Texte als Markenstrategie abgetan.
So muss es sein
Tatsächlich haben seine Bücher einen hohen Wiedererkennungswert, nicht nur, was ihren Stoff betrifft: Männer fahren auf den Fjord und kommen nicht wieder, Frauen gebären unter Schmerzen, und arme Leute führen ein entbehrungsreiches, manchmal auch erfülltes Leben. Vor allem aber die Form macht die Musik. „Asle und Alida gingen umher in den Straßen Bjørgvins, über der Schulter trug Asle ein Bündel mit all ihrer Habe und in der Hand den Fiedelkasten mit der Fiedel, die er vom Vater, dem Sigvald ererbt hatte” – in den ersten zwei Zeilen schwingen schon die ganze Verlorenheit und das Unglück mit, das die Erzählung in rhythmischen Wiederholungen immer weiter steigert. Die kargen Sätze, die gänzlich ohne komplexe Nebensatzkonstruktionen auskommen, scheinen sich in einem immergleichen großen Kreis zu drehen, genauso wie das müde Paar, das am Ende wieder dort anklopft, wo es begonnen hat. Genauso wie auch das Leben sich in einem großen Kreis dreht. Asle wird Spielmann wie sein Vater und Großvater, und Alida weiß: „Alles ist vorbestimmt und so muss es sein”. Jon Fosse schreibt so, als ob er mit seinen Sätzen zu einer vorsprachlichen Gefühlswelt durchdringen wolle, einem Zustand gänzlicher Reinheit, in dem Worte eigentlich gar nicht nötig sind.
Im Fall von Asle und Alida heißt das wohl: namenloses Unglück, denn die Tragik kommt durch das ins Spiel, was nicht gesagt wird. Neben die biblische Wohnungssuche schiebt sich ein erdrückender Schuldgletscher, weil in Bjørgvin – anders als in Bethlehem – der Zutritt zum Haus einer bösen alten Frau schließlich erzwungen wird. Asle muss „der Frau den Mund zuhalten”, und dann ist sie weg. Der Autor lässt offen, was mit ihr passiert ist. In solchen abgründigen Leerstellen liegt durchaus eine Stärke von „Schlaflos”, weil die Heilsgeschichte still und leise von einer heillosen Gewalt zersetzt wird.
Ein unendlich ferner Ort
Die Dialoge, die mit deutlichem Kunstwillen punktlos und versähnlich gesetzt sind, treiben den Minimalismus auf die Spitze: „Sollen wir bisschen was essen, sagt Asle / Ich habe Hunger, sagt er / Ich hab wohl auch Hunger, sagt Alida.” Die viel gepriesene Sogkraft der Fosse-Prosa liegt in diesen allerkleinsten Wortbruchstücken, die auch in der deutschen Übersetzung ihre Wirkung entfalten: das „bisschen was” ohne Artikel, und ein „wohl auch”, in dem die Zaghaftigkeit dieses Paars anklingt, das auf der Straße sitzt und sich trotzdem noch an seiner großen Liebe wärmt. Man würde die beiden ja gerne als verstrahlte Outcasts bezeichnen, hätte aber das ungute Gefühl, nach den falschen Vokabeln gegriffen zu haben. Die Figuren sind an einem unendlich fernen Ort gefangen – Bjørgvin ist der historische Name der Stadt Bergen –, und können ihrer Schicksalsmühle auch sprachlich nicht entkommen.
Dieses kalkuliert Altertümelnde nimmt letztlich gegen die Erzählung ein. Jon Fosse will ein zeitenthobenes Gleichnis von Liebe und Schuld schreiben und landet in einer Art Mittelalter-Kulisse: Das Paar ist nicht „nach Schick und Brauch” verheiratet, das Mädchen hat „dichtes wallendes Haar” und der Junge spielt nach alter Väter Sitte zum Tanz auf. Vor allem aber drückt „Schlaflos” so nachdrücklich auf den Empathie-Knopf, dass die Rechnung bei all der kunstvollen Schlichtheit einfach nicht mehr aufgehen kann. So allein, so hilflos, so müde, so schuldlos schuldig zeichnet Jon Fosse dieses Paar, dass man ihm vor allem eins vorhalten möchte: emotionale Erpressung. JUTTA PERSON
JON FOSSE: Schlaflos. Erzählung. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 79 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Für Andreas Breitenstein ist Jon Fosses Erzählung "Schlaflos" symptomatisch für die Unfähigkeit unserer Zeit, das "Tragische dingfest" zu machen. Der norwegische Autor wurde gern mit Ibsen verglichen, was angesichts der naturalistischen und psychologischen und nicht zuletzt direkt an Ibsen angelehnten symbolistischen und mystischen Motive auch gerechtfertigt ist, wie der Rezensent findet. In der vorliegenden Erzählung, die offenkundig die Weihnachtsgeschichte aufgreift, versucht sich ein aus seinem Dorf verstoßenes junges Paar, das Nachwuchs erwartet, ein neues Leben in der Stadt aufzubauen. Ohne Aussicht auf Erlösung vollstreckt der Autor in seiner "schwermütigen Parabel" von Schuld und Sühne, Geburt und Tod das Unglück seiner Figuren und bei aller schlichten "Schönheit" und "filigranen" Konstruktion, die der Text aufweist, bleibt er doch für den unzufriedenen Rezensenten zu blutleer und exempelhaft, um zu bewegen.

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