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Die Griechenlandaufnahmen von Walter Hege und Herbert List entstanden in den 1920er und 1930er Jahren. Damals bewegte sich die Rezeption der antiken Tempelarchitektur zwischen der orstellung einer ehemals heiligen Stätte und romantischer Ruinenästhetik. Durch Heges Objektiv sehen wir die Tempel als Metapher für politische Macht und den Herrschaftsanspruch der frühen Athener Demokratie. Hege hat den gängigen, den konservativen Mythos gestützt. Im Gegensatz dazu sind die Architekturfragmente in Lists photographischer Ästhetik komponierte Stillleben. List spielte in Griechenland bewusst mit dem…mehr

Produktbeschreibung
Die Griechenlandaufnahmen von Walter Hege und Herbert List entstanden in den 1920er und 1930er Jahren. Damals bewegte sich die Rezeption der antiken Tempelarchitektur zwischen der orstellung einer ehemals heiligen Stätte und romantischer Ruinenästhetik. Durch Heges Objektiv sehen wir die Tempel als Metapher für politische Macht und den Herrschaftsanspruch der frühen Athener Demokratie. Hege hat den gängigen, den konservativen Mythos gestützt. Im Gegensatz dazu sind die Architekturfragmente in Lists photographischer Ästhetik komponierte Stillleben. List spielte in Griechenland bewusst mit dem Zufall als Kompositionselement, mit Gegenlichtaufnahmen und gelegentlich mit Doppelbelichtungen. Seine Ruinenaufnahmen inszenieren eine eigene Idylle. Hege interessierte sich für den Tempel als Raumkörper, als historisch bedeutende, architektonische Leistung, List für dessen Oberflächen, für das Ruinöse des Tempelfragments. Beide Photographen schufen keine objektiven Abbilder, sondern interpretierten und inszenierten die griechischen Tempel mit Hilfe der Kamera. Sie stehen exemplarisch für zwei photographische Grundüberzeugungen: kontextgebundene Abbildungsgenauigkeit versus Verfremdung durch enge Bildausschnitte oder: Realismus versus Abstraktion. Die Arbeit wird so zu einer Musteruntersuchung zweier Ansätze innerhalb der Architekturphotographie.
Autorenporträt
Dr. Matthias Harder, geb. 1965, studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Klassische Archäologie in Kiel und Berlin; seit 1995 freier Ausstellungsmacher und seit 2004 Leiter der Helmut Newton Foundation in Berlin, publiziert regelmäßig in internationalen Kunstzeitschriften sowie Essays in Büchern und Ausstellungskatalogen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2004

Im Gegenlicht, wie bereits erwähnt
Erstmals im Doppelpack: Walter Hege und Herbert List, die Fotografen griechischer Tempel

Ihre Bildbände stehen in vielen Bücherschränken, seit geraumer Zeit gibt es eingehende Untersuchungen über jeden der beiden, aber erstmals werden sie durch das vorliegende Buch einander gegenübergestellt - die Fotografen Werner Hege und Herbert List. Das, was beide verbindet und woran sich daher Gemeinsamkeiten und Unterschiede am deutlichsten zeigen, ist das, wodurch sie ohnehin am ehesten bekannt sind, nämlich ihre Aufnahmen griechischer Skulpturen und vor allem griechischer Tempelarchitektur. Durch diese Bilder ist das Griechenland-Bild vieler geprägt worden, ja, sie dienen zum Teil immer noch als wissenschaftliche Dokumentation. Durch die Gegenüberstellung treten die Charakteristika beider deutlicher hervor, und das ist das große Verdienst des Buches.

Natürlich: Trotz des scheinbar ruhig-nüchternen Eindrucks, den insbesondere Heges Aufnahmen machen, ist es schon immer klar gewesen, daß sie keine Eins-zu-eins-Wiedergabe der Gegenstände selbst sein können, sondern Inszenierung sind. Um die Spezifizierung dieses Sachverhalts hatte sich schon früher die Archäologin Gerhild Hübner verdient gemacht, und durch Harders Buch wird dieser Befund jetzt vertieft. Das geschieht durch verschiedene Kriterien, angefangen vom rein Technisch-Fotografischen - Licht und Schatten, Gesichtswinkel, Tageszeit, Objektive, Standpunkt, Format, Ausschnitte - bis zur Skizzierung der Lebensläufe der beiden Künstler, ihrer weiteren Werke und deren Genese. Besonders plastisch ist die Gegenüberstellung mit Fotografien zum Teil derselben Gegenstände von unterschiedlichen Fotografen unterschiedlicher Epochen, darunter die besonders eindrucksvollen der Griechin Nelly.

Heges Absicht - auch durch seine Zusammenarbeit mit bedeutenden Archäologen, insbesondere mit Gerhart Rodenwaldt - war wirklich die, zu dokumentieren. Dabei war allerdings das Ergebnis oft eine statuarische Kühle, die der Lebendigkeit von Architektur und Kunstwerk nicht immer gerecht wurde. Lists Absicht war umgekehrt die Verlebendigung des Vorgefundenen, wodurch seine Fotografien dann gelegentlich romantischen, surrealistischen, manieristischen Charakter bekamen. Das läßt sich auch an anderen Werken der Künstler beobachten: Während Hege schon mit den berühmten Aufnahmen deutscher Dome und deren Plastik prägend gewirkt hat - sein Bamberger Reiter hat ja fast kanonischen Rang bekommen -, hat List zahlreiche Fotobände anderer, gefälligerer Motive publiziert. Gar nicht gefällig freilich war er, als er das zerstörte München 1945 fotografisch festhielt, und viele seiner Porträtaufnahmen sind klassisch geworden.

Immerhin haben Hege und List das gemeinsam, daß sie ihr fotografisches Arbeiten in Athen und Griechenland erst begannen, nachdem sie sich dort einige Zeit aufgehalten hatten und dabei bewußt nicht fotografierten. Auf diese Weise haben sie sozusagen physisch das Leben und den Charakter der Städte und der Landschaft in sich aufgenommen und waren so in der Lage, den anschließenden Blick auf die antiken Kunstwerke authentisch zu vermitteln - weil sie also selber die Dinge unvermittelt sahen, ist von ihren Bildern die Prägekraft ausgegangen, die das Griechenland-Verständnis vieler Betrachter ihrer Fotografien bis heute bestimmt. Gewiß, es ist jeweils Inszenierung, aber jeweils eine von vielen möglichen Inszenierungen. Die griechische Kunst ermöglicht, wie jede große Kunst, ganz unterschiedliche Sichtweisen, von denen die eine so wahr ist wie die andere. Die Künstler Werner Hege und Herbert List haben in den Gegenständen ihrer Bilder das gesehen, was in den Gegenständen selbst schon vorhanden war.

Das Buch ist prachtvoll ausgestattet, es hat zahlreiche Reproduktionen wundervoller oder auch nur instruktiver Fotografien, der Verfasser argumentiert überzeugend. Allerdings wäre ein Register wünschenswert, und erst recht wäre ein Lektor dringend vonnöten gewesen. Zwar hätten auch ihn die in unendlicher Fülle auftretenden Ausdrücke aus dem Wörterbuch des Papiermenschen wie "beinhalten, exemplarische Beispiele, zum Tragen kommen, Stellenwert, zeitgleich" möglicherweise schon nicht mehr gestört, wohl aber hätte er etwas gegen die schwerfällige Zitierweise und vor allem gegen zahlreiche und ungelenke Weitschweifigkeit und Wiederholungen unternehmen können, die sogar dem Verfasser selber aufgefallen sind und die er mit häufig auftretendem "wie bereits erwähnt" und ähnlichem wiedergutmachen will. Und mußte wirklich Hugo von Hofmannsthal etwas hilflos "Literat" genannt werden?

Auch was über Stefan George mitgeteilt wird, zeugt nicht gerade von enger Vertrautheit, sonst hätte nicht in schöner Einfachheit gesagt werden können, der "politische Anspruch" Georges sei "später von der nationalsozialistischen Ideologie aufgegriffen und funktionalisiert" worden. Aber interessant und zum Teil durchaus rätselhaft ist es schon, was über die sehr unterschiedliche politische Stellung Heges und Lists mitgeteilt wird. Hege, Parteigenosse schon vor 1933, hatte auch mit Leni Riefenstahl zusammengearbeitet, und in der Tat entsprachen seine kühl-klassizistischen und manchmal heroischen Fotografien durchaus einem Segment der nationalsozialistischen und erst recht des italienischen faschistischen Kunstverständnisses. Mit Recht aber, wenn auch mit einem zaghaft-verlegenen Unterton, wendet sich Harder gegen Vorwürfe, die Hege für den gesamten Nazismus in Verantwortung nehmen wollen. Aber das ist natürlich ein sehr weites Feld.

Eine andere Ambivalenz betrifft List. Er war homosexuell, und seine Bilder von schönen (neu-)griechischen Jünglingen machten aus dieser Neigung auch kein Geheimnis. Schon deshalb war er im Nationalsozialismus schwer gefährdet. Zudem fiel er unter die Nürnberger Rassegesetze, allerdings war er gemäß der widerwärtigen Nazi-Terminologie kein "reiner" Jude, hatte daher zwar berufliche Schwierigkeiten, ging auch in eine Art Halb-Emigration nach Frankreich, kehrte aber zurück, wurde im Krieg eingezogen, konnte gleichwohl fotografische Reisen im von Deutschland besetzten Europa machen und publizierte sogar in der Propagandazeitschrift "Signal". So verkörpern beide Fotografen nicht nur unterschiedliche künstlerische Auffassungen bei der Gestaltung ihrer sonst identischen Gegenstände, auch ihre persönlichen Schicksale waren in derselben politischen Situation sehr voreinander verschieden - und in sich selbst uneindeutig. Uneindeutigkeit dann auch im Künstlerischen: Leni Riefenstahl war "der Bildsprache von List näher als derjenigen von Hege".

WOLFGANG SCHULLER

Matthias Harder: "Walter Hege und Herbert List". Griechische Tempelarchitektur in photographischer Inszenierung. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2003. 367 S., geb., 54,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das "große Verdienst" dieses Buches, lobt Rezensent Wolfgang Schuller, ist es, dass hier durch die erstmalige Gegenüberstellung der beiden Fotografen Walter Hege und Herbert List "die Charakteristika beider" deutlich werde. Beide sind, wie Schuller berichtet, insbesondere für ihre Aufnahmen griechischer Skulpturen und Tempelarchitektur bekannt. "Interessant" findet der Rezensent auch, was über die sehr unterschiedliche politische Stellung beider, und ihr kompliziertes Verhältnis zum Nationalsozialismus mitgeteilt wird: List war homosexuell und fiel zudem unter die Nürnberger Rassegesetze, berichtet Schuller, Hege dagegen war schon vor 1933 Parteigenosse, doch Leni Riefenstahl war der Bildsprache von List näher. Das Buch ist "prachtvoll" ausgestattet, lobt Schuller, es enthalte zahlreiche Reproduktionen "wundervoller" Fotografien, und der Verfasser argumentiere "überzeugend". Allerdings hat Schuller ein Register vermisst, und "erst recht" einen Lektor, der etwas gegen "zahlreiche und ungelenke Weitschweifigkeiten und Wiederholungen" hätte unternehmen können.

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