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Diese Texte über Kunst und Welt verraten Alissa Walsers genauen, vorsichtig zuerst den eigenen Horizont öffnenden Blick. Unaufdringlich, manchmal selbstironisch, vor allem aber aufrichtig, erzählt sie von den Bedingungen ihres Schreibens. Doch dieser Band ist mehr als Selbstreflektion. Die Autorin äußert sich auch zu den Werken anderer; sie beobachtet die Natur, die Gesellschaft, die Menschen, die sie umgeben; sie verweist auf entlegene Zusammenhänge, sucht und findet in jedem der vierundzwanzig hier veröffentlichten Texte aufs Neue das Außerordentliche im abgemessenen Lauf der Dinge.

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Produktbeschreibung
Diese Texte über Kunst und Welt verraten Alissa Walsers genauen, vorsichtig zuerst den eigenen Horizont öffnenden Blick. Unaufdringlich, manchmal selbstironisch, vor allem aber aufrichtig, erzählt sie von den Bedingungen ihres Schreibens. Doch dieser Band ist mehr als Selbstreflektion. Die Autorin äußert sich auch zu den Werken anderer; sie beobachtet die Natur, die Gesellschaft, die Menschen, die sie umgeben; sie verweist auf entlegene Zusammenhänge, sucht und findet in jedem der vierundzwanzig hier veröffentlichten Texte aufs Neue das Außerordentliche im abgemessenen Lauf der Dinge.
Autorenporträt
Alissa Walser, geboren 1961, studierte in New York und Wien Malerei. Seit 1987 lebt sie als Übersetzerin und Malerin in Frankfurt am Main. Für ihre Erzählung "Geschenkt" wurden ihr 1992 der Ingeborg-Bachmann-Preis und der Bettina-von-Arnim-Preis verliehen. 1994 erschien ihr Buch "Dies ist nicht meine ganze Geschichte", im Frühjahr 2000 folgte der Erzählband "Die kleinere Hälfte der Welt". Als Übersetzerin hat Alissa Walser außerdem die Tagebücher von Sylvia Plath sowie Theaterstücke unter anderem von Joyce Carol Oates, Edward Albee, Marsha Norman und Christopher Hampton ins Deutsche übertragen. 2009 erhielt sie für Ihre Übersetzung der Gedichte Sylvia Plaths den Paul-Scheerbart-Preis. Ihre eigenen Erzählungen wurden in englischer Übersetzung unter anderem in literarischen Zeitungen wie Open City und Grand Street veröffentlicht. Nach ihrem Roman "Am Anfang war die Nacht Musik", für den sie den Spycher-Literaturpreis-Leuk 2010 erhalten hat. Nach dem Erzählungsband "Immer ich" erschi

en zuletzt "Von den Tieren im Notieren".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2015

Ein Grundkurs in Realitätsvermiesung
Hinter dieser Kulturkritik steckt große romantische Sehnsucht: Alissa Walsers Aufzeichnungen zu Kunst und Gesellschaft

Das Lamentieren über die "Vermassung" der Gesellschaft gehört zu den Grundfiguren der deutschen Kulturkritik. Seine Blütezeit hatte dieser Begriff in den fünfziger Jahren, oft in Zusammenhang mit der Klage über die "Entfremdung" und die Gefahren der Technik und Medien. In den letzten zwanzig, dreißig Jahren war allerdings kaum noch von "Vermassung" die Rede; zur Beschreibung der Vielfalt und Uneinheitlichkeit des gesellschaftlichen Lebens schien der Begriff wohl nicht mehr zu taugen.

So dachte man jedenfalls - bis zur Lektüre der Essays von Alissa Walser. Die mehrfach preisgekrönte Erzählerin, Übersetzerin und Malerin klagt darin über "unsere Zeit, (...) in der die Vermassung sich auf mehr und mehr Lebensbereiche ausdehnt". Da ist es also wieder, das alte Wort, das hier keineswegs versehentlich zwischen die Zeilen gerutscht ist, sondern den Ausgangspunkt für einen ziemlichen Rundumschlag bildet: von einem kapitalistisch-kompetitiven Zeitgeist ist da die Rede ("das Ich", das "seinen Sinn nur noch im ,besser als du' begreift"); von einer dumpfen Geist- und Interesselosigkeit der Jugend ("weil heutzutage Schüler nicht mehr lesen"); und - kaum überraschend - vom Internet, das lediglich der Flucht aus einer "unzumutbaren, weil unveränderbaren" Wirklichkeit diene. Wen wundert es da noch, dass sich die Depression mittlerweile zur unheilbaren "Volkskrankheit" entwickelt hat?

Aus dieser rundheraus ablehnenden Perspektive entwickelt Walser einige allgemeine Überlegungen zur Poetik, die ihrerseits eingebunden sind in ein vielgestaltiges, beim ersten Lesen kaum überschaubares Sammelsurium von Aufzeichnungen zu unterschiedlichsten Aspekten der Gesellschaft, des Lebens und der Kunst. Der heutige Alltag - so konstatiert Walser in dem Stück "Messen Messed-up Missed" - sei ein großer "Geschichten-Erlediger, -Entzauberer". Dies liege daran, dass ihm eine "ausschließlich auf Erledigung ausgerichtete Mentalität" eigen ist, dass er bloß nach "Metern und Stunden" rechne. Aus dieser geistlosen Herrschaft des Effizienten und Rationalen resultiere die Notwendigkeit einer weitreichenden Absonderung der Kunst: Um eine Wiederverzauberung der Geschichten zu erreichen, müsse man "einen im Alltag gewonnenen Maßstab ver-rücken"; bei Literatur gehe es darum, "aus den Zahlen und Figuren eine neue Konjugation zu gewinnen" - denn "nur ver-rückte Maßstäbe ergeben Sinn".

Überraschend für eine Autorin, die bisher vor allem durch ihre komplexe literarische Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und ihren Verhältnissen, mit Fragen der Sexualität und Identität bekanntgeworden ist, erweist sich Walser mit diesen Worten als Romantikerin reinsten Wassers; dabei scheint sie sich ebenso an Novalis ("Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren") wie an Hesses "Steppenwolf" ("Nur für Verrückte!") zu orientieren. Entsprechend ist auch der Wirkungsanspruch dieser Kunst groß, um nicht zu sagen ,vermessen': Es geht um nichts Geringeres als um eine Verschiebung der "Außenrealität - jetzt die des Lesenden".

Walsers Ansatz wirft gleich mehrere Fragen auf. Es beginnt schon bei der zeitdiagnostischen Prämisse: Dass unsere Gegenwart, trotz all ihrer Unzulänglichkeiten, Hässlichkeiten und Gemeinheiten, so ganz und gar falsch ist - wer verfügt heute noch über ein derart klares, einfaches Gesellschaftsbild? Fast gewinnt man den Eindruck, Walser gehe es mit der Behauptung immenser gesellschaftlicher Probleme nur darum, die immense Aufgabe zu rechtfertigen, die sie der Kunst und vor allem der Literatur aufbürden will; das wäre dann eine Strategie der Relevanz-Erzeugung über den Umweg der Kulturkritik. Sie stünde damit in Gesellschaft von Sibylle Lewitscharoff oder Uwe Tellkamp: Die scharfe Aburteilung der Gegenwart geht bei ihnen mit einer fast schon religiös anmutenden Aufwertung des Dichterworts einher.

Walser entwickelt in ihren Essays keine wegweisenden Perspektiven, nicht für die Zeit, nicht für die Kunst; eher beweint sie, was ihr fehlt. Über ihren Roman "Am Anfang war die Nacht Musik" (2010) schreibt sie: "Die Sicht auf die heutige Welt ist erfüllt von allem, was ihr je gegeben wurde. Mich reizte der Blick auf das, was ihr genommen wurde. Das Stumme, das Blinde und alles, was nicht zu erklären ist." Äußerungen wie diese erwecken den Eindruck, Walser plage ein geradezu romantisches Heimweh; als strebe ihr Denken und Fühlen, mit Novalis gesprochen, "immer nach Hause".

Aber der Weg ins Goldene Zeitalter war, ist und bleibt versperrt; und vielleicht liegt darin eine weitere Erklärung für Walsers Wut. Odo Marquard hat beschrieben, wie übertriebene "Sollforderungen" als "Realitätsvermiesung" wirken können; er spricht in diesem Zusammenhang von einem "Negativierungsmechanismus" und verweist auf die Eigenwürde des Hier und Jetzt: "Weil die vorhandene Wirklichkeit der Himmel auf Erden sein soll und nicht ist, gilt sie als Hölle auf Erden, als ob es dazwischen nichts gäbe, um dessen Bestand zu zittern und den zu verteidigen sich lohnte: die Erde auf Erden." Das altbackene Gerede von ,Vermassung' verblasst vor der Schönheit dieser nüchternen Apologie.

KAI SINA

Alissa Walser: "Von den

Tieren im Notieren".

Piper Verlag, München 2015. 160 S., geb., 16,99 [Euro].

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"Selbstironische, feministische Kurzprosa vereint das lesenswerte Buch, das einen Blick in die Schreibwerkstatt einer Autorin erlaubt.", Kleine Zeitung, 28.11.2015