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Vom Wirtschaftswunder zur Wiedervereinigung: Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist eine einzige Erfolgsstory. So sagt es die Geschichtsschreibung. Nur: Es stimmt nicht, sagt Wolfgang Herles. Seine Darstellung ist bewusst gegen den Strich gebürstet, darauf gerichtet, zu erklären, wo unsere Geschichte geschönt wird - bis heute. Herles zeigt, wieso seit Konrad Adenauer der Sozialstaat aus dem Ruder läuft. Wie der Staat immer mehr zur Beute der Parteien geworden ist. Was die Wiedervereinigung alles zerstört hat. Warum den meisten Deutschen Sicherheit immer wichtiger war als Freiheit. Warum wir bis…mehr

Produktbeschreibung
Vom Wirtschaftswunder zur Wiedervereinigung: Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist eine einzige Erfolgsstory. So sagt es die Geschichtsschreibung. Nur: Es stimmt nicht, sagt Wolfgang Herles. Seine Darstellung ist bewusst gegen den Strich gebürstet, darauf gerichtet, zu erklären, wo unsere Geschichte geschönt wird - bis heute. Herles zeigt, wieso seit Konrad Adenauer der Sozialstaat aus dem Ruder läuft. Wie der Staat immer mehr zur Beute der Parteien geworden ist. Was die Wiedervereinigung alles zerstört hat. Warum den meisten Deutschen Sicherheit immer wichtiger war als Freiheit. Warum wir bis heute - außer bei Fußballweltmeisterschaften - kein vernünftiges Verhältnis zur Nation hinkriegen.
Autorenporträt
Herles, Wolfgang
Wolfgang Herles, Jahrgang 1950, ist einer der profiliertesten deutschen Fernsehjournalisten. Seit über 40 Jahren, zunächst beim Bayerischen Rundfunk, dann beim ZDF, moderierte er politische Magazine, Elefantenrunden und Talkshows sowie zehn Jahre lang das Kulturmagazin Aspekte und zuletzt die Literatursendung Das blaue Sofa. Herles ist Autor mehrerer politischer Sachbücher und Romane. Er lebt in München und Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.09.2008

Republik auf der Couch
Die Entdeckung schizoider Züge in der deutschen Politik
Wer bisher nicht wusste, dass ein Land eine Neurose haben kann, der sollte Wolfgang Herles’ neues Buch lesen. In seiner Diagnose beruft er sich auf die Wirtschaftspsychologie, deren Forschungen ergeben haben, dass nicht nur Individuen, sondern auch Kollektive neurotisch sein können. Der Autor ist gründlich vorgegangen. Er lässt die soziale und politische Entwicklung Deutschlands seit der Nachkriegszeit Revue passieren: von den Jahren der Besatzung und der Adenauer-Ära bis zur Jetztzeit. Kein Wechsel der politischen Konstellationen wird ausgelassen. In diesen Teilen des Buches liefert der Autor eine gestraffte Geschichte des Landes. Und durch all die Jahre nimmt er den angeblich neurotischen roten Faden wahr. Viele Entscheidungen begründeten sich auf Lebenslügen, wenngleich die frühen Politiker noch von anderem Kaliber gewesen seien.
Von gelegentlichen Würdigungen abgesehen, weist er auf all die Fragwürdigkeit hin, auf die – aus wirtschaftsliberaler Sicht – falsch gestellten Weichen. Dazu zählt er Adenauers Verzicht auf das Prinzip der Kapitaldeckung bei der Rente und er schließt den kooperativen Föderalismus ein, der vorsieht, dass die reichen Länder den armen Ausgleichszahlungen leisten. Der Autor geißelt die in seinen Augen zu rasch und undurchdacht vollzogene Vereinigung – ein Thema, zu dem er vor vier Jahren ein Buch geschrieben hat – und bemängelt insgesamt den von Anfang an fehlenden „Liberalismus” in Deutschland und die nach seinem Geschmack zu stark sozial geprägte Politik der großen Parteien.
Immerhin, auch wenn Herles die Schröder-Politik widersprüchlich sieht, attestiert er diesem Kanzler, am Ende weiter gegangen zu sein, als jeder Vorgänger, worüber ja, wenngleich mit unterschiedlicher Interpretation, überwiegend Konsens herrscht. Empfindlich reagiert er auf jede Betonung des Nationalen und plädiert für den aus der Mode gekommenen Verfassungspatriotismus.
Sein kühnes Verdikt, Deutschland sei neurotisch, gründet sich auf die Arbeit von Manfred Kets de Vries und Danny Miller. Die beiden Wissenschaftler haben bei ihren Forschungen untersucht, wie psychologische Faktoren sich auf die Geschäftsentwicklung eines Unternehmens auswirken. Dabei stießen sie auf fünf neurotische Ausprägungen, die nahezu den Formen individueller Neurosen entsprechen. Sie fanden paranoide, zwanghafte, dramatische, depressive und schizoide Organisationen.
Herles entscheidet sich für das Prädikat schizoid. Hierbei sprechen die Forscher von einer unsicheren, zurückgezogenen und unverbindlichen Führung. Das Oberhaupt schwanke zwischen Vorschlägen der bevorzugten Untergebenen. Deshalb kämen keine klaren Direktiven. Die Strategie werde von wechselnden Bündnissen karrierebewusster Manager der zweiten Reihe bestimmt, die eigene Projekte vorantrieben und die entscheidungsschwache Führung zu beeinflussen versuchten. Eine solche Organisation bringe nicht viel zustande und treibe so dahin. Wenn sie wirksame Reformen in Angriff nehme, bedürfe es nur einer neuen Gruppe aufsteigender Manager, die die Reformen wieder rückgängig machten. Eine Strategie, die sich an den wirklichen Herausforderungen ausrichte, gebe es nicht, in erster Linie gehe es um Einzelinteressen und um Macht.
Herles zufolge kann man auch den Zustand der deutschen Politik nicht besser beschreiben. Zusätzlich sieht er in der Politik hierzulande auch noch zwanghafte Züge. Es herrsche ein Übermaß an Regularien und Vorschriften, die alle Bereiche beträfen und kaum Freiräume ließen. Auch die Bürger, die mit daran Schuld trügen, kommen nicht ungeschoren davon. Denn die neurotische Republik und die Neurosen der einzelnen Wähler korrespondierten miteinander. Herles, kommt zum Schluss: Populismus ist im Wesentlichen nichts anderes als die Anerkennung von Neurosen als Leitlinien der Politik.
Starker Tobak! Und ist denn keine Hilfe in Sicht? Nicht wirklich, meint Herles. Das Ziel aber sollten Veränderungen der Dispositionen und Mentalitäten sein. So wie ein Verhaltenstherapeut gegen Flugangst oder Klaustrophobie vorgehe. Doch glaubt der Autor andererseits, dass es leichter sei, mit einem von Höhenangst besessenen Menschen auf den Eiffelturm zu steigen, als einen deutschen Gewerkschafter von der notwendigen Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu überzeugen. Man muss Herles nicht in allem folgen und kann dennoch seine Geistesgegenwart und seinen scharfen Verstand anerkennen. ELKE NICOLINI
WOLFGANG HERLES: Neurose D. Eine andere Geschichte Deutschlands. Piper Verlag, München 2008. 299 S., 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Distanziert aber amüsiert steht Rezensentin Elke Nicolini den Thesen Wolfgang Herles gegenüber. In seinem Buch "Neurose D." spielt er den Therapeuten und schreibt Deutschland nicht nur zwanghafte, sondern vor allem schizoide Züge in der Politik zu. Dabei stütze sich Herles auf die Herangehensweise von Wirtschaftspsychologen, die die Auswirkungen ganzer Kollektive auf die Unternehmensentwicklung untersuchen. Herles diagnostiziert, dass Deutschland an einer "unsicheren, zurückgezogenen und unverbindlichen Führung" leide (schizoid); sowie an einem Übermaß an Bürokratie (zwanghaft). Das gilt seiner Ansicht nach nicht nur für das heutige Deutschland, es begann schon in der Adenauer-Ära, lesen wir. Eine Heilung sei laut Herles nicht möglich, allerdings sollten neue Denkweisen das Ziel sein. Nicolini gibt zu, dass die Argumentation etwas verwirrend ist, schreibt Herles aber dennoch "Geistesgegenwart" und "scharfen Verstand" zu.

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