Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 7,50 €
  • Broschiertes Buch

Dieses Buch war für das Frühjahr 1946 gleichzeitig in den USA und Großbritannien angekündigt - und konnte aus politischen Gründen nicht erscheinen. Denn White, »einer der besten Kriegsreporter des Zweiten Weltkriegs« (Philip Knightley), ließ sich nicht mit dem abspeisen, was die militärische Führung ihn sehen lassen wollte, sondern war auf eigene Faust unterwegs. Er sieht, wie General Pattons 3. US-Armee nach Deutschland vorrückt, den letzten Widerstand mit allen Mitteln brechend. Er ist bei den Befreiern des KZ Buchenwald und beschreibt die Kapitulation der Wehrmachtsführung genauso wie…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch war für das Frühjahr 1946 gleichzeitig in den USA und Großbritannien angekündigt - und konnte aus politischen Gründen nicht erscheinen. Denn White, »einer der besten Kriegsreporter des Zweiten Weltkriegs« (Philip Knightley), ließ sich nicht mit dem abspeisen, was die militärische Führung ihn sehen lassen wollte, sondern war auf eigene Faust unterwegs. Er sieht, wie General Pattons 3. US-Armee nach Deutschland vorrückt, den letzten Widerstand mit allen Mitteln brechend. Er ist bei den Befreiern des KZ Buchenwald und beschreibt die Kapitulation der Wehrmachtsführung genauso wie Übergriffe der Sieger gegen die geschlagenen Deutschen. White beobachtet präzise und kühl und schreibt ebenso leidenschaftlich wie mitreißend. Vor allem aber zieht er seine eigenen Schlüsse aus der politischen Lage 1945.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2005

So dachten die Sieger
Zwei einzigartige Dokumente: Osmar Whites „Straße des Siegers” und Wladimir Gelfands „Deutschland-Tagebuch”
„Sie betreten Deutschland - keine Fraternisierung”, stand auf einem Schild, das Soldaten aus Pattons 3. Armee im März 1945 an eine notdürftig wiederhergestellte Brücke über die Sauer nagelten. Der Kriegsberichterstatter Osmar White sah es und erinnerte sich, gelesen zu haben, dass die Russen andere Warnschilder verwendeten: „Die Höhle der Bestie”. Nun fragte sich der australische Reporter an der Seite der US-Streitkräfte, „worin der Unterschied bestand”.
Der Anblick zerbombter Städte, der Trümmer von Bitburg, Jülich oder Düren, schien die Soldaten mit „einer Art stiller Genugtuung” zu erfüllen. White „hörte förmlich, wie ihnen durch den Kopf ging: ,Das geschieht ihnen recht‘.” Ein zwanzigjähriger Kampfpilot erzählte dem Reporter aus Australien nach Tiefflugeinsätzen gegen Wehrmachtskolonnen: „Es war wie die Jagd auf Ratten. Ja, Rattenjagd. Du stöberst sie auf. Du holst aus. Du schlägst auf das Ungeziefer drauf. Du tötest es.”
Einen Monat zuvor, im Februar, hatte der sowjetische Leutnant Wladimir Gelfand, in einer Granatwerferstellung auf dem Oderdeich von einem deutschen Frauenbataillon gehört, dass völlig aufgerieben worden sein sollte. In seinem Tagebuch notierte der 21-Jährige: „Ich weiß nicht, was man mit ihnen gemacht hat, aber man sollte sie ohne Erbarmen hinrichten. Unsere Soldaten schlagen vor, diese Schurkinnen durch die Geschlechtsorgane zu pfählen, doch ich würde sie schlicht und einfach liquidieren.”
Und spucke auf Berlin
Ende April 1945, Gelfand hatte soeben Fahrrad fahren gelernt, traf er in einem Berliner Außenbezirk auf eine Gruppe schwer bepackter deutscher Frauen, die unter Tränen auf ihn einredeten. Er wollte unbedingt herausfinden, was sie quälte. „Schreckerfüllt erzählten sie von dem Leid, das ihnen die Sturmtruppen in der ersten Nacht, als die Rote Armee einrückte, zugefügt hatten.” Später wird der junge Leutnant die „Störenfriede und Provokateure” als „Feinde und Halunken” verfluchen: „Diese Bastarde müssen gnadenlos aus unserer Mitte entfernt werden, permanent, täglich gezüchtigt werden.” Im Reichstag aber hinterlässt er eine unmissverständliche Inschrift: „Auf dem Balkon eines Berliner Hauses / Steh ich mit den Kameraden / Und schaue und spucke auf Deutschland / Auf Berlin, das besiegte, spuck ich”.
White wie Gelfand erzählen von den letzten Kämpfen im Frühjahr 1945, von ersten Begegnungen mit den besiegten Deutschen, vom Verhalten ihrer Kameraden. Die beiden unterscheiden sich grundsätzlich: White, Jahrgang 1909, hatte, bevor er nach Deutschland kam, mit „Green Armour” bereits ein erfolgreiches Buch über den Krieg im Pazifik geschrieben und konnte sich weitgehend frei bewegen. Er berichtet von der Befreiung des KZ Buchenwald und der Kapitulation der Wehrmachtsführung, von Vertriebenen und Gesprächen mit mehr oder weniger durchschnittlichen Deutschen. „Die Straße des Siegers” sollte bereits 1946 in den USA und Großbritannien erscheinen, aber die Verleger verzichteten ohne Erklärung auf die Publikation. Erst in den achtziger Jahren holte White das Manuskript wieder hervor und überarbeitete es.
Gelfand hingegen, der sechzehn Monate in Deutschland blieb, hatte 1945 gerade erst begonnen, sich und das Leben kennen zu lernen. Er wurde 1923 in der Ostukraine geboren, seine Eltern gehörten zur proletarisierten jüdischen Minderheit. Im April 1942 meldete er sich zur Front. Seine Erlebnisse und Gedanken hielt er in Heften, auf Notizblöcken und losen Blättern fest. Das bot ihm seelischen Rückhalt und erlaubte ihm, sich im Formulieren zu üben. Noch lange nach seiner Rückkehr in die Heimat, wo er in Perm und Dnepropetrowsk als Berufsschullehrer arbeitete, plante er, das Material für einen großen Kriegsroman zu nutzen. Die Geschichten und Artikel, die er in den siebziger Jahren schrieb, folgen allerdings überwiegend den Vorgaben der offiziellen Erinnerungspolitik. Als Wladimir Gelfand 1983 starb, übernahm sein Sohn Vitali die Sammlung, 1995 wanderte er nach Deutschland aus. Elke Scherstjanoi hat sie für den Aufbau-Verlag durchgesehen, eine Auswahl getroffen und diese um Briefe ergänzt und kommentiert. Zum ersten Mal können wir nun auf Deutsch das Tagebuch eines Offiziers der Roten Armee lesen.
Eines aber ist White und Gelfand gemeinsam. So deutlich sie auf der Seite der Alliierten stehen, so kritisch beobachten sie das Treiben der Siegermächte, Übergriffe, Illusionen, Inkonsequenzen. Im August und September 1945 trafen in Berlin Waggonladungen von Flüchtlingen aus Schlesien und Ostpreußen ein. Eine Frau zupfte White am Ärmel und bettelte um Essen. „Ich fragte mich, ob sie, nur weil sie Deutsche war, weniger Mitleid verdiente als die wandelnden Skelette am Fuß des Hügels in Buchenwald.”
Gelfand, der als Parteimitglied in den Krieg ziehen und zeitweise Politoffizier werden wollte, wirkt durchgängig naiver, befangener. Als Schöngeist und Jude wird er in der Armee gedemütigt, zurückgesetzt, bei Auszeichnungen übergangen. Bestätigung findet er unter den Frauen, denen er mit seinem Aussehen und seinen Manieren imponiert. Er trifft sich mit vielen, pflegt halb Versorgungs-, halb Liebesverhältnisse und genießt die Zärtlichkeiten in vollen Zügen, auch wenn ihm, dessen Verwandte umgebracht worden waren, eine Deutsche rassistische Lehren auftischt. Dennoch bleibt da Distanz: „Mit den deutschen Frauen stimme ich ideologisch und moralisch nicht überein. Es gibt hübsche, ja sogar Schönheiten unter ihnen, doch vermögen sie es nicht, meine Gefühle durch Liebe und Geist in Wallung zu versetzen.” Die Aufzeichnungen zeigen vor allem, wie selbstbewusst die Frontkämpfer der Roten Armee geworden waren. Er wolle, notiert er, „Freiheit!”. Gegen diesen neuen Geist bot Stalin nach dem Sieg die gesamte Unterdrückungs- und Propagandamaschinerie auf. Gelfand glaubte an den „großen Führer” und wurde doch sein Unbehagen nicht los.
Als in einem Kriegsgefangenenlager in Norddeutschland, so berichtet White, ein Film über das KZ Belsen vorgeführt wurde, schrieen die Wehrmachtssoldaten: „Was ist mit den hungernden Indianern?” Gegen diesen Geist der Aufrechnung, gegen den Rückzug in eine Wagenburgmentalität, sind persönliche Erinnerungen nach wie vor das beste Gegengift, ermöglichen sie es doch, die Sicht der anderen zu verstehen. Whites Reportagen und Gelfands Tagebuch zeugen von den Kleinigkeiten, die in den großen Geschichtserzählungen nicht auftauchen, ohne die diese aber unverständlich sind.
JENS BISKY
OSMAR WHITE: Die Straße des Siegers. Eine Reportage aus Deutschland 1945. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer. Mit Originalphotos des Autors. Piper Verlag, München 2005. 294 Seiten, 14 Euro.
WLADIMIR GELFAND: Deutschland-Tagebuch 1945-1946. Aufzeichnungen eines Rotarmisten. Aus dem Russischen von Anja Lutter und Hartmut Schröder. Ausgewählt und kommentiert von Elke Scherstjanoi. Aufbau-Verlag, Berlin 2005, 357 Seiten, 22,90 Euro.
Erst in Berlin lernte Wladimir Gelfand Fahrrad fahren.
Foto: Aufbau Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine uneingeschränkte Empfehlung: Jens Bisky empfindet "persönliche Erinnerungen" an den Zweiten Weltkrieg und sein Ende, weil sie die offiziellen Frontlinien der Wahrnehmung überschreiten können, als geeignetes Mittel gegen jegliche "Wagenburgmentalität" der gegenseitigen Aufrechnung. Und Osmar Whites Reportage aus dem besiegten Deutschland zeichnet sich nicht nur durch eine unumstößliche Parteinahme für die Sieger, sondern zugleich durch eine kritische Bestandsaufnahme ihres Verhaltens und offenherzige Betrachtungen der Deutschen aus. Der Australier White hatte bereits ein Buch über den Krieg im Pazifik geschrieben - ein ebenso erfahrener wie einfühlsamer Beobachter, der die mentale Verfassung von Siegern und Besiegten einfängt. Und ein Buch voller "Kleinigkeiten, die in den großen Geschichtserzählungen nicht auftauchen, ohne die diese aber unverständlich sind".

© Perlentaucher Medien GmbH