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Wie sieht die Subgeschichte der Frühaufklärung aus? Mathurin Veyssière La Croze war Benediktiner in Paris und dann Bibliothekar des preußischen Königs in Berlin. Er gilt als einer der großen Orientalisten seiner Zeit, zugleich als Kirchen- und Missionshistoriker von Rang. Das Nachspüren seiner Fluchtwege, Netzwerke und intellektuellen Interessen ermöglicht einen Einblick in die Verbindung von gelehrten Debatten mit persönlichen Beziehungen zu Juden, Atheisten oder Sozinianern. Der Leser erhält einen Eindruck von der Vermittlertätigkeit zwischen der Republique des lettres und der "clandestinen"…mehr

Produktbeschreibung
Wie sieht die Subgeschichte der Frühaufklärung aus? Mathurin Veyssière La Croze war Benediktiner in Paris und dann Bibliothekar des preußischen Königs in Berlin. Er gilt als einer der großen Orientalisten seiner Zeit, zugleich als Kirchen- und Missionshistoriker von Rang. Das Nachspüren seiner Fluchtwege, Netzwerke und intellektuellen Interessen ermöglicht einen Einblick in die Verbindung von gelehrten Debatten mit persönlichen Beziehungen zu Juden, Atheisten oder Sozinianern. Der Leser erhält einen Eindruck von der Vermittlertätigkeit zwischen der Republique des lettres und der "clandestinen" Welt der Geheimschriften, Glaubensflüchtlinge und Heterodoxien. Den Anlaß zur Nachforschung bietet eine französische Versbearbeitung der Ringparabel, in der die Toleranzfrage im Kontext der Situation der exilierten Hugenotten nach 1685 gestellt wird. Die Suche nach dem Autor der Bearbeitung endet schließlich im Holland der Buchfabrikanten und Refugiés um 1720.

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Autorenporträt
Martin Mulsow, Jg. 1959; Humanismusforscher; Professor am Historischen Seminar der Rutgers University (USA); 2002/3 Fellow am Institute for Advanced Study in Princeton. 2004 Vertretung der Professur für Renaissancephilosophie an der Universität München. 2005 Gastprofessur an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2002

Der Herr der drei Ringe
Martin Mulsow spürt in dem Polyhistor La Croze einen clandestinen Vorläufer Lessings auf

Drei Ringe sind nicht einfach drei Ringe, wie jeder weiß, der den dritten Akt des "Nathan" mit der dritten Novelle des "Decamerone" verglichen hat. Und sie sind es auch nie gewesen, weder davor, als in alten Exempelbüchern der wahre und wirklich Wunder wirkende Ring noch die Hauptsache war, noch bevor es zu Lessings letzten Zutaten kam, also dazwischen. Dazwischen? Liegt überhaupt etwas Greifbares zwischen Boccaccio und Lessing? Allerdings, und zwar eine nicht uninteressante Karriere des bildsamen Stoffs, wie wir seit neuestem wissen.

Den Namen Mathurin Veyssière La Croze werden, wie Martin Mulsow, Verfasser der jüngsten Studie über denselben, richtig vermutet, auch die Freunde der Ringparabel in ihrer Mehrzahl nicht kennen. Am wenigsten werden sie wissen, daß eine Versnovelle "Les trois anneaux", geschrieben von seiner Hand, in Krakau liegt, die zwar ausdrücklich auf Boccaccio verweist, aber nicht mehr wie dieser das Blitzgescheite einer noch Potentaten entwaffnenden Antwort feiert, sondern in eine klare Moral mündet und also tatsächlich den Schritt zur Parabel getan hat. Aber damit nicht genug. Der Krakauer Fund wird für Mulsow der Eingang zu einer einigermaßen verschütteten Ring-Überlieferung: der Einstieg in ein literarisches Souterrain, an dem am Ende gar nicht so sehr die drei Ringe, sondern die Gewölbe und heimlichen Winkel selbst, sprich die clandestinen Milieus, interessieren, in denen sie weitergereicht wurden.

La Croze (1661 bis 1739), entsprungener Mönch des berühmten Pariser Mauriner-Klosters Saint-Germain des Prés, war 1696 über Basel nach Berlin gelangt und hatte dort eine Anstellung als Bibliothekar, später gelegentlich auch als Prinzenerzieher am preußischen Hof gefunden. Bei Zeitgenossen wie Leibniz, der ihn etwa zu weiteren sinologischen Studien ermunterte, hat er sich bald einen Namen als Orientalist und Kirchenhistoriker gemacht, wobei ihn vor allem heterodoxe Formen des Christentums beschäftigten, von den Nestorianern bis zu den Antitrinitariern der Gegenwart, den Sozinianern. Aber La Crozes Engagement in diesen Dingen war nicht rein theoretischer Art, ihm entsprachen Kontakte zu skeptisch bis atheistisch denkenden Zirkeln, die offenbar bis in die Pariser Zeit zurückreichten - Zirkel, die sich in Berlin oder Den Haag nicht zuletzt aus hugenottischen Exulanten rekrutierten und in denen Mulsow dann auch die Fortschreibung der drei Ringe lokalisiert.

Französische Versfassungen der Novelle sind aus diesen Zirkeln heraus 1717 und 1721 im Druck erschienen, anonym zunächst, doch so, daß die dahinterstehenden Personen noch ausgemacht werden können; Mulsow entdeckt hier den Hugenotten de Julien-Scopon als Urheber, aber auch als Geistesverwandten La Crozes, dessen eigener Text die Druckfassungen leicht variiert. Nicht ohne Belang ist die Kreuzung, die der Stoff auf dem Wege seiner Aneignung durch die Frühaufklärung mit Swifts "Tonnenmärchen", in dem es um die drei Konfessionen des Westens geht, und den "Drei Betrügern", also einem Grundtext der Religionskritik, durchgemacht hat. Denn erst jetzt transportiert die Geschichte etwa den Affekt gegen die Theologenpresse - als ob es um "Gründe" und nicht immer nur um "Geschichte, Treu und Glauben" ginge, wie Lessing lehren wird; erst jetzt auch führt sie auf die Moral: "Sur ce sujet ne dragonnons personne" - das Toleranzgebot in Religionssachen, das entschieden Lessings, aber gewiß nicht Boccaccios Pointe ist.

Mulsow nimmt, wie er selbst sagt, den Weg der Ringe "nur zum Anlaß", um im Ausgang von ihm exemplarisch das Halbdunkel jener Milieus, für welche sie von Interesse waren, ein wenig zu lichten. Er tut dies mit echter Entdeckerfreude und vor allem mit stupender Gelehrsamkeit; das letztere freilich auch auf Kosten der Übersicht, denn sein Leser weiß am Ende nicht immer, ob er sich gerade auf der Hauptstraße, einem Neben- oder Panoramaweg oder doch nur auf einer Sackgasse zurück in den Zettelkasten befindet. Manchmal, wenn gerade ein "Kragen platzt" oder jemand "Alarm schlägt", soll der Leser mit kolloquialen Phrasen bei Laune gehalten werden, die so wenig erbauen wie sprachliche Schnitzer nach Art der "Patristiker", zu denen die Kirchenväter umgetauft werden - so, als ob die Mitglieder einer Ethnie schon Ethnologen seien.

Nicht Mulsows, sondern ein allgemeines Methodenproblem ist die Frage, welchen Erkenntniswert welche Kenntnis von Einzelheiten in welchem Kontext jeweils noch hat: man könnte von einem Tristram-Shandy-Effekt der Detailhistorie sprechen, von einer Absorption der Bearbeitung durch das unter der Lupe immer größer werdende Objekt, von dem zuletzt nicht mehr ganz klar ist, warum eigentlich es in jede seiner Gewandfalten hinein akribisch verfolgt werden soll. Für Mulsows Gegenstand, der recht eigentlich die Anfänge der Aufklärung in Deutschland samt ihrem internationalen Beziehungsgeflecht betrifft, gilt das letztere freilich nur mit Einschränkungen, denn dieser Gegenstand hat sein unbestreitbares Gewicht und Interesse schon als solcher. Freilich: "zufällige Geschichtswahrheiten" beantworten die Frage, um die es bei den Ringen geht, alleine noch nicht. Nur daß Lessings rigide Scheidung von Vernunft und Geschichte das letzte Wort nicht unbedingt sein muß. Drei Ringe sind drei Ringe: je an ihrem geschichtlichen Ort.

THOMAS SÖREN HOFFMANN

Martin Mulsow: "Die drei Ringe". Toleranz und clandestine Gelehrsamkeit bei Mathurin Veyssière La Croze. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2001. 168 S., br., 40,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Symbol der drei Ringe kennen wir von Boccaccio und Lessings "Nathan", Martin Mulsow hat nun ein Zwischenglied entdeckt. Mathurin Veyssière La Croze nämlich ist der Verfasser einer Versnovelle mit dem Titel "Les trois anneaux". Er war ein 1661 geborener, aus einem Pariser Kloster "entsprungener Mönch", dann Bibliothekar in Berlin, Orientalist und Kenner häretischer Glaubensrichtungen. Im Kontext atheistischer Zirkel ist die Versnovelle entstanden, die La Croze noch einmal variiert hat. Die entschiedene Veränderung zu Bocaccio liegt in der klaren, parabelhaften Moral: dem religiösen Toleranzgebot. Das eigentliche Interesse Mulsows liegt freilich darin, so der Rezensent Thomas Sören Hoffmann, Licht ins weitgehend unerforschte Dunkel der Milieus zu bringen. Er bescheinigt ihm "Entdeckerfreude" und "stupende Gelehrsamkeit", nur an der Übersichtlichkeit hapert es, klagt Hoffmann, immer wieder. Lesenswert findet er diesen Bericht über die Anfänge der Aufklärung in Deutschland dennoch.

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