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Diese Untersuchung religiöser Werke bleibt einmal nicht bei der bloßen Katalogisierung stehen. An der Schnittstelle von Philosophie, Religion und Komposition arbeiten die Autoren jene umfassende Reflexivität heraus, durch die Neue Musik zur spekulativen Theologie wird. Das Spektrum des brillant argumentierenden Buches reicht dabei von Strawinsky über Penderecki und Bernd Alois Zimmermann bis hin zu Lachenmann, Messiaen und Stockhausen. Sacral music of the 20th century. At the interface of philosophy, religion and composition, the authors develop the comprehensive reflexivity through which New…mehr

Produktbeschreibung
Diese Untersuchung religiöser Werke bleibt einmal nicht bei der bloßen Katalogisierung stehen. An der Schnittstelle von Philosophie, Religion und Komposition arbeiten die Autoren jene umfassende Reflexivität heraus, durch die Neue Musik zur spekulativen Theologie wird. Das Spektrum des brillant argumentierenden Buches reicht dabei von Strawinsky über Penderecki und Bernd Alois Zimmermann bis hin zu Lachenmann, Messiaen und Stockhausen. Sacral music of the 20th century. At the interface of philosophy, religion and composition, the authors develop the comprehensive reflexivity through which New Music becomes speculative theology. Their brilliant argumentation extends from Stravinsky, Penderecki and Bernd Alois Zimmermann to Lachenmann, Messiaen and Stockhausen.
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Autorenporträt
Clytus Gottwald, geb. 1924; 1960-1990 Gründer und Leiter des Vokalensembles Schola Cantorum Stuttgart, das vor allem durch Ur- und Erstaufführungen Neuer Musik hervorgetreten ist; 1967-1988 Redakteur für Neue Musik beim SDR Stuttgart; Stipendiat der DFG auf dem Forschungsgebiet musikalische Paläographie, zu dem er zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt hat. Mitglied des IRCAM, Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Wenn es zu fest wird, steigt er aus
Clytus Gottwald sucht Adorno im Unterstrom der Neuen Musik / Von Gerhard R. Koch

Bilde, Künstler, rede nicht!" - Goethes Diktum hatte fatale Auswirkungen, indem es das Denken dem Machen hintanstellte, war aber auch schon zu seiner Zeit historisch falsch: Seit der Renaissance bestimmt Reflexion die Arbeit des Künstlers mit, führt frühaufklärerische Rationalität zur Ablösung von mittelalterlichem Ordo-Denken und seinem ästhetischen Äquivalent: den in höchster Reinheit sich darstellenden religiösen Topoi. Schon in der immer unverstellteren Darstellung des menschlichen Körpers in Malerei und Plastik ab dem sechzehnten Jahrhundert schwingt ein häretisches Moment mit: Der Mensch ist autonom schön, nicht nur sündiger Leib. Die Geschichte der Kunst steht im Zeichen der Emanzipation; selbst das Werk Bachs zeugt mehr von enormer kompositorischer Elaboration als von Frömmigkeit.

Spätestens von 1800 an hat religiös motivierte Kunst ihr Anachronistisches als gefällig devotionalienhaftes Nachstellen religiöser Situationen in Wort, Ton und Bild - ob bei den Nazarenern oder im Cäcilianismus. Selbst die großen Werke der Sakralmusik haben ihr Uneigentliches: Zu Recht nannte Adorno Beethovens "Missa Solemnis" ein "verfremdetes Hauptwerk", Schubert tat sich mit dem "Credo in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam" schwer.

Gleichwohl durchzieht ein Strang geistlicher Musik das zwanzigste Jahrhundert, spielen Spirituelles, Mystisches, Erbauliches und Asketisches in vielen Farben mit. Bei manchen Komponisten wird dies sogar als Rückgriff auf liturgische Formen und tönende Ikonographie manifest, bei anderen könnte man hingegen fast von einem ästhetischen "Credo quia absurdum" sprechen, ja von Krypto-Geistlichkeit. Solch antiaffirmativer religiöser Kunst fühlt sich nicht zuletzt Clytus Gottwald verbunden, zunächst epochaler Interpret: 1960 gründete er in Stuttgart die legendäre Schola Cantorum, mit der er sich zunächst vor allem der oft schier hermetischen vorbarocken Vokalpolyphonie zuwandte. Ab 1965 wurde das Ensemble aus sechzehn Solostimmen ("eine Horde von Stars") zum entscheidenden Vermittler, ja zum selber innovativen Initiatior neuer Vokalmusik: Boulez, Kagel, Schnebel, Lachenmann, Penderecki, Ligeti, Holliger und viele andere schrieben für diese Formation, ungeahnte Explorationen in Musik und Sprache, auch Aktion ergaben sich. Den sakralen Traditionen der A-cappella-Musik blieb die Schola bis zu ihrer Auflösung 1988 verhaftet. Doch wenn Holliger seinen "Psalm" (nach Celan) einen "Lobgesang, gesungen mit durchschnittener Kehle" nannte, dann war klar, um was es hier ging: theologia crucis, nicht ecclesia triumphans.

Daß die Arbeit Gottwalds, der Schola und der ihnen nahestehenden Komponisten in Stuttgart stattfand, war kein Zufall: Zum Pietismus gehören Zweifel, Askese, Ablehnung "weltlichen" Gepränges, letztlich eine Art negativer Theologie. Entsprechend klar war die Gegenwelt: die Sakralmusik des neunzehnten Jahrhunderts mit ihrer Erbaulichkeitstendenz, das, was Hegel "warme Nebenerfüllung" nennt.

Aber Gottwald, von 1967 an leitend veranstaltender Südfunk-Redakteur für neue Musik, ist auch scharfsinniger Musikwissenschaftler, zudem philosophisch-theologisch hochkompetenter Ästhetiker und Theoretiker, dem es um den Diskurs der Avantgarde, intensiven Dialog mit den Komponisten geht. Sein Dank im Vorwort seines neuen Buchs gilt "den Komponistenfreunden Schnebel, Holliger, Boulez und Kagel". Er hätte noch viele Namen nennen können.

So wie die Scholastik zwischen deus absconditus und deus revelatus unterschied, so durchforscht Gottwald die Avantgarde nach der manifesten und der latenten, womöglich virtuellen Theologie. Doch ist der Analytiker alles andere als ein "Sinnhuber", eher kritisch-skeptischer Sinnsucher, wissend, daß sakrale Botschaft, durch Plakativität gefährdet, allenfalls mit verlogener Heilsgewißheit aufwarten kann. Ganz ohne Pathos ist der Titel "Neue Musik als spekulative Theologie - Religion und Avantgarde im 20. Jahrhundert" indes nicht. Man spürt, wie nahe ihm Blochs "Atheismus im Christentum" ist, wie sehr er institutionalisierter Glaubensgewißheit mißtraut - und doch nicht umhinkann, zumindest den Schein jenseitiger Aura retten zu wollen, noch bei Nonos "Diario polacco II" in San Marco in Venedig.

Adornos Prinzip immanenter Kritik prägt auch Gottwalds Denken. Sogar der hochgeschätzte Klaus Huber wird kritisiert, weil er glaubte, "Ganzheits-Erfahrung" wider Individualismus und Rationalismus mobilisieren zu sollen. Auch am Anekdotischen, die eigenen Verdienste Spiegelnden liegt ihm nicht. Triftig allenfalls notiert er zu Ligetis epochalem "Lux aeterna": "Ich weiß nicht, ob es je geschrieben worden wäre, wenn ich, der Auftraggeber, nicht, was mit meiner damaligen Stellung als Kirchenmusiker zusammenhing, das Geistliche zur Bedingung gemacht hätte."

Es gibt wenige (Musik-)Ästhetiker, die so mikroskopisch genau wissen, wovon sie reden, wie Gottwald. Zahlreiche unerhörte Kompositionen hat er bestellt, minuziös dechiffriert und geprobt, uraufgeführt und weitergetragen. Und nicht nur die zum Teil aberwitzig komplexen Strukturen, auch die kaum minder vielschichtigen semantischen Konnotationen waren ihm bewußt: wie er das Paradoxon als Grundmuster von Kagels "akustischer Theologie" ("Die Erschöpfung der Welt") hervorhebt, Messiaens Katholizität mehr mit Plotin als dem Marienkult verknüpft, bei Stockhausen einen durchgängigen religiösen Unterstrom, gespeist auch von Hermann Hesse, ausfindig macht, Pendereckis Sakralität weniger als kirchenfromm denn als Politikum nach Auschwitz interpretiert - dies beeindruckt als Durchdringung von kompositorischer Einsicht, philosophischer Reflexion und geistesgeschichtlicher, auch theologischer Ableitung. Daß er letztlich Sympathien für einen ganz adornohaft alles ordohaft Verfestigte in Frage stellenden Pietismus hat, bleibt unverborgen. Insofern könnte man seinen Begriff von spekulativer Theologie durchaus negativ nennen. Dazu gehört das Desinteresse an allen Formen von Popularkultur, einschließlich nichtchristlicher, esoterischer Weltvorstellungen, aber auch die wiederum adornonahe Idee, daß solch fundamentale Überlegungen primär an den großen, schier kanonischen Werken der Avantgarde zu verifizieren seien. Joseph Beuys' Idee, daß alle Künstler seien, wäre Gottwald vermutlich zu vage idealistisch.

All seinen Gedankengängen muß man nicht folgen, manchmal scheint ein wenig der Wunsch mit im Spiel, einen Rest Metaphysik in einer angeblich gottlosen Moderne retten zu wollen. Doch die Spannung zwischen Avantgarde und Religion bleibt bestehen. Also immer noch: Atheismus im Christentum.

Clytus Gottwald: "Neue Musik als spekulative Theologie". Religion und Avantgarde im 20. Jahrhundert. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2003. 178 S., geb., 49,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Andres Briner hat "Besonderes" erwartet und ist nicht enttäuscht worden: Schließlich sei Clytus Gottwald - "Musikforscher, Chorleiter und Komponist" - einer, der sowohl in der Welt der musikalischen Avantgarde als auch in der Theologie bewandert ist. "Dass die musikalische Moderne kaum je vom Begriff Religion her untersucht wird, ist Gottwalds Ausgangspunkt", und von dort, informiert Briner, bricht er auf, um sich in vergleichenden und Einzelstudien den relevanten Vertretern der Neuen Musik zu widmen. "Man staunt über die Fülle", konstatiert der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Gottwald beleuchtet in einem aufschlussreichen Querschnitt zwischen Religion, Philosophie und Komposition die Komplexität geistlicher, oder geistlich reflektierender Werke des 20. Jahrhunderts." neue musik zeitung

"Die hier anzuzeigende Studie mit dem Titel "Neue Musik als spekulative Theologie" stellt hohe Ansprüche, lohnt indessen den Aufwand..." NZZ

"Es gibt wenige (Musik-)Ästhetiker, die so mikroskopisch genau wissen, wovon sie reden, wie Gottwald. All seinen Gedankengängen muß man nicht folgen, manchmal scheint ein wenig der Wunsch im Spiel, einen Rest Metaphysik in einer angeblich gottlosen Moderne retten zu wollen. Doch die Spannung zwischen Avantgarde und Religion bleibt bestehen." FAZ

"Gottwald kann seine Erfahrungen und die vielen Gespräche mit Komponistenfreunden überdenken, beides unter dem vorgeordneten Aspekt einer pietistisch stimulierten Religiosität und mit beträchtlichem philosophisch-literarisch-theologischem Sachverstand zu einer Folge höchst lesenswerter aufschlussreicher Betrachtungen summieren." Österr. Musikzeitschrift
Gottwald beleuchtet in einem aufschlussreichen Querschnitt zwischen Religion, Philosophie und Komposition die Komplexität geistlicher, oder geistlich reflektierender Werke des 20. Jahrhunderts. neue musik zeitung Die hier anzuzeigende Studie mit dem Titel "Neue Musik als spekulative Theologie" stellt hohe Ansprüche, lohnt indessen den Aufwand... NZZ Es gibt wenige (Musik-)Ästhetiker, die so mikroskopisch genau wissen, wovon sie reden, wie Gottwald. All seinen Gedankengängen muß man nicht folgen, manchmal scheint ein wenig der Wunsch im Spiel, einen Rest Metaphysik in einer angeblich gottlosen Moderne retten zu wollen. Doch die Spannung zwischen Avantgarde und Religion bleibt bestehen. FAZ Gottwald kann seine Erfahrungen und die vielen Gespräche mit Komponistenfreunden überdenken, beides unter dem vorgeordneten Aspekt einer pietistisch stimulierten Religiosität und mit beträchtlichem philosophisch-literarisch-theologischem Sachverstand zu einer Folge höchst lesenswerter aufschlussreicher Betrachtungen summieren. Österr. Musikzeitschrift