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Die Hand voller Vogelherzen Durch die neuen Gedichte von Peter Härtling ziehen sich Bilder des Abschiedes, des Aufbruchs, der Reise, einer letzten Reise, auf die das Ich zusteuert: "Allmählich entfallen mir / die Gegenden."Ungeduldig, denn die Zeit verrinnt, und doch ängstlich, denn es gibt keine Wiederkehr, bereitet sich das Ich auf diese Wegstrecke vor und begegnet sich noch einmal selbst, oft genug als Kind, sieht die Schwester, den Vater, die Freunde, die Frau. Immer knapper, lakonischer, abgeklärter werden die Gedichte Peter Härtlings, sie halten Rückschau, mustern das Leben, notieren die…mehr

Produktbeschreibung
Die Hand voller Vogelherzen Durch die neuen Gedichte von Peter Härtling ziehen sich Bilder des Abschiedes, des Aufbruchs, der Reise, einer letzten Reise, auf die das Ich zusteuert: "Allmählich entfallen mir / die Gegenden."Ungeduldig, denn die Zeit verrinnt, und doch ängstlich, denn es gibt keine Wiederkehr, bereitet sich das Ich auf diese Wegstrecke vor und begegnet sich noch einmal selbst, oft genug als Kind, sieht die Schwester, den Vater, die Freunde, die Frau. Immer knapper, lakonischer, abgeklärter werden die Gedichte Peter Härtlings, sie halten Rückschau, mustern das Leben, notieren die Beschädigungen, aber auch das Glück.
Immer wieder nehmen sie Motive der _Melchinger__Winterreise_ auf, des letzten Theaterstücks von Härtling, in dem er Stationen aus seiner Biografie mit der Franz Schuberts und Motiven Walter Benjamins zu einem suggestiven Drama verknüpfte. Zwischen Paradies und Katastrophe schwebend, "bodenlos heiter", bereiten sich diese Gedichte auf die letzte Passage vor, dunkel und schön zugleich.
Mein Schlaf dehnt sich aus bis zu dem Rand, über den alle, die sich in meinen Traum drängen, stürzen werden, fort von mir, zurück in ihr LebenDie neuen Gedichte von Peter Härtling sind Beschwörungen der Schwelle, des Übergangs, heiter, nicht ohne Angst, aber mit großer Freiheit.
Autorenporträt
Peter Härtling, geboren 1933 in Chemnitz, arbeitete als Redakteur bei Zeitungen und Zeitschriften. 1967 wurde er Cheflektor des S. Fischer Verlages in Frankfurt am Main und war dort von 1968 bis 1973 Sprecher der Geschäftsführung. Seit 1974 arbeitet er als freier Schriftsteller. Das gesamte literarische Werk von Peter Härtling ist lieferbar im Verlag Kiepenheuer & Witsch, zuletzt erschienen Liebste Fenchel! Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn in Etüden und Intermezzi, 2011, und Tage mit Echo. Zwei Erzählungen, 2013. Peter Härtling wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Hessischen Kulturpreis 2014 und dem Elisabeth-Langgässer-Preis 2015. Peter Härtling verstarb am 10. Juli 2017.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2000

Bodenlose Heiterkeit
Locker gefügt, lichtdurchlässig: Peter Härtlings neue Gedichte
Balkone und Gedichte gewähren Ausblicke. Eines der 55 durchnummerierten Gedichte in Peter Härtlings jüngstem Lyrikband (hinzukommen drei „Nachträge für den Maler Axel Arndt”) beginnt: „Ein Balkon aus Papier, / handtellergroß, / für jeden Morgen. ” Der tägliche, all-tägliche Vers, „diese ein wenig / fahrige Mühe, / den Tag zu gewinnen”, wird für das Ich zum Standort und Aussichtspunkt. „Nein, / kein Land mehr, / das im Schauen / weit wird. / Die Gegend / nimmt ab / und genügt mir. ” Wo der Boden zu schwanken beginnt, die gewohnten Halt gebenden Wirklichkeiten sich auflösen, bleibt das selbst gemachte Wortgespinst als letzte Bastion. Das einst souverän über die Sprache gebietende Subjekt verliert seine Selbstständigkeit an das eigene Produkt, das es nun tragen soll – wenigstens über diesen einen Tag hinweg.
Wir haben es mit einer Sequenz locker gefügter, leise hingesprochener, meist nur wenige Zeilen umfassender, eben „handtellergroßer” Texte zu tun, von denen keiner aus der Reihe tanzt. Das Zurückgenommene, die Einsilbigkeit des an der Grenze des Lebens Stehenden sprechen aus ihnen, eines, der den Wörtern nicht mehr auf den Leim geht: Sie sind „Nahrung für / mein wachsendes Schweigen”.
Das Fundament, das diese Verse bieten, ist somit nicht das Ergebnis solider Handwerkskunst, selbstgewisser Autorschaft. Es ist brüchig, von Leerstellen durchsetzt. Aber zugleich scheint die Schwerkraft des Ichs, das sich auf diesem unsicheren Grund bewegt, wunderbar vermindert. Das wird gleich im ersten Gedicht sehr sinnfällig verdeutlicht. Aus dem „mouches volantes”, die die Sehschärfe alter Augen trüben, sind hier „Fische im Augenwasser” geworden, die neuerdings in Schwärmen den Blick füllen. Das Gedicht endet mit der Feststellung: „Ich habe / ein zweites Leben / begonnen. ” Die altersbedingte Beeinträchtigung der Geh- und Sehfähigkeit hat nicht Stillstand, sondern den Beginn einer neuen Daseinsweise zur Folge.
In langen Jahren aufgehäufter Lebens- und Kunstballast wird abgeworfen, die zahllosen geschriebenen Sätze lösen sich von ihrem Formulierer ab. Das gilt auch für die Entwicklungsgestalten, die das Ich durchlief, vor allem für den jungen Mann, „der hinter mir / her / läuft” – das Auge auf eine Zukunft gerichtet, die sich in der Figur dessen, der er werden will, vollendet. Dem Altgewordenen aber ist keine Vollendung abzulesen, sondern eine Leichtigkeit, die es ermöglicht, einander loszuwerden. Die Koffer sind leer, mit denen das Ich dieser Gedichte zu seiner letzten Reise aufbricht.
Es handelt sich um fünfundfünfzig Variationen eines einzigen Themas: des „Alterns als Problem für Künstler” (und nicht nur für Künstler). In ihrer durchlässigen Form sind sie der Durchlässigkeit des psychophysischen Zustands, den sie beschreiben, adäquat. Man geht durch eine Allee schon stark gelichteter Bäume. Sie geben den Blick frei auf eine Himmelsbläue, die von der Farbe des Nichts kaum mehr zu unterscheiden ist. Mit einer besonders geglückten Formel wird die Verfassung des Ichs als „bodenlos heiter” charakterisiert. Die Heiterkeit verdankt sich dem Schwebenden des „zweiten Lebens”.
Aber auch das Bodenlose kommt zu Wort. In manchen dieser Verse wird die Grenze zum nackten Schmerz überschritten, vor dem uns, wie die Betäubungsspritze beim Zahnarzt, der ästhetische Vorbehalt schützt: „Keine Träume mehr, / wuchernd, / nur noch Bruch, / Geröll, / Abdrücke von Schreien / im Mulm. / Das Gesicht halbiert / und den Mund / ohne Zunge. / Sobald ich erwache, / fürchte ich mich / vorm Schlaf. ” Hier spricht das Ich in der Rolle (aber ist es eine?) des todgeweihten Patienten. Aber auf diesen trostlosen Winterreise-Ton sind nur wenige der Variationen gestimmt. Das Glück des Leichtwerdens vor dem Abschied überwiegt – wie in dem (für mich) schönsten Stück des Bandes: „Allmählich entfallen mir / die Gegenden. / Nur noch die eine, / der Hügel, / auf dem mein Engel / seine Flügel / abstreift, / dort, wo Wege sich gabeln, / Koffer offen liegen, / gefüllt mit Schnee, / bereit / für meine Reise. ”
ALBERT VON SCHIRNDING
PETER HÄRTLING: Ein Balkon aus Papier. Gedichte. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000. 64 S. , 29,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Vor dem Altern braucht man sich nicht zwangsläufig zu fürchten. Das ist, summa summarum, die erfreuliche Quintessenz der Kritik von Albert von Schirnding zu der neuen Gedichtsammlung von Peter Härtling, die sich mit diesem Themenkomplex befasst. Das Alter, so interpretiert der Rezensent die Verse, ist vielmehr ein Leichterwerden, denn `in langen Jahren aufgehäufter Lebens- und Kunstballast wird abgeworfen`, die üblichen Altersgebrechen haben nicht `Stillstand, sondern den Beginn einer neuen Daseinsweise zur Folge`. Zwar bringt er auch ein Beispiel für ein Gedicht mit anderem Tenor, wo nämlich beängstigende menschliche Grenzerfahrungen an der Schwelle zum Tod gestaltet werden, weist jedoch sofort darauf hin, dass `auf diesen trostlosen Winterreiseton nur wenige der Variationen gestimmt` sind. Dem Rezensenten gefallen die Gedichte, ihre Botschaft, ihre sprachliche Gestaltung, die Übereinstimmung von Sprache und Inhalt. Die Textproben sind so gewählt, dass sie dem Leser der Kritik etwas von der Stimmung der Gedichte, wie sie vom Kritiker empfunden wird, vermitteln können.

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