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Die Begegnung zwischen Karl Kraus und der böhmischen Baronesse Sidonie Nádheerny´ am 8. September 1913 im Wiener Café Imperial veränderte das Leben des Herausgebers der Fackel vollkommen: Der Katastrophe des als Weltuntergang erfahrenen Kriegs gab er in der Tragödie Die letzten Tage der Menschheit (1918/19) öffentlich seine Stimme. Dem privaten Glück der als "Wiedergeburtstag" gefeierten Begegnung aber verdanken wir Gedichte, die er von 1916 an in neun Bänden veröffentlichte.
Mehr als vier Dutzend dieser "Worte in Versen" sind an "Sidi" gerichtet. Sie hat 1936 ein Verzeichnis darüber
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Produktbeschreibung
Die Begegnung zwischen Karl Kraus und der böhmischen Baronesse Sidonie Nádheerny´ am 8. September 1913 im Wiener Café Imperial veränderte das Leben des Herausgebers der Fackel vollkommen: Der Katastrophe des als Weltuntergang erfahrenen Kriegs gab er in der Tragödie Die letzten Tage der Menschheit (1918/19) öffentlich seine Stimme. Dem privaten Glück der als "Wiedergeburtstag" gefeierten Begegnung aber verdanken wir Gedichte, die er von 1916 an in neun Bänden veröffentlichte.

Mehr als vier Dutzend dieser "Worte in Versen" sind an "Sidi" gerichtet. Sie hat 1936 ein Verzeichnis darüber angelegt, die Anlässe beschrieben, gelegentlich aber auch verschwiegen. Die Texte werden hier erstmals nach den überlieferten Manuskripten wiedergegeben, denn für die Veröffentlichung in der Fackel hatte ihr Autor alle persönlichen Anspielungen verschleiert, ja, in vielen Fällen verzichtete er auf den Druck in der Zeitschrift, um sie nur in der intimeren Öffentlichkeit der "Worte in Versen" erscheinen zu lassen.

Ein kurzes biographisches Nachwort, Faksimiles von Gedichthandschriften sowie zeitgenössische Porträts von Karl Kraus und Sidonie Nádherny´ ergänzen den Band.
Autorenporträt
Karl Kraus wurde am 28. April 1874 im nordböhmischen Gitschin / Österreich-Ungarn (heute: Jicín / Tschechien) als Sohn eines jüdischen Papierfabrikanten geboren. In Wien studierte er seit 1877 Jura, Philosophie und Germanistik, schloß das Studium jedoch nicht ab. Schon während der Studienzeit veröffentlichte er literaturkritische Beiträge u.a. in der Zeitschrift Die Gesellschaft. Daneben betätigte er sich als Dramatiker, Lyriker und Vortragskünstler und hatte Kontakt zu Mitgliedern der Gruppe "Jung-Wien", u.a. Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal, von denen er sich aber 1897 in der Satire Die demolierte Literatur distanzierte. 1899 gründete er die Zeitschrift Die Fackel. Sie war zeitlebens die wichtigste Veröffentlichungsplattform für seine kulturkritischen Beiträge. Er starb am 12. Juni 1936 in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2004

Was weiß die Welt über Weiber?
Als Gott gläubig wurde: Karl Kraus' Gedichte an Sidonie Nádherný

"Wenn nur nicht die Wiese im Park wegen Aufreizung gegen den Staat - ist sie denn das nicht? - konfisziert wird." Gemeint in dieser leicht übermütigen Passage aus einem Brief, den Karl Kraus Ende November 1915 an seine Freundin Sidonie Nádherný schrieb, war kein von der k. u. k. Kriegsmaschinerie bedrohtes Grundstück, sondern ein den Park des böhmischen Schloß Janowitz melancholisch evozierendes Naturgedicht. "Wiese im Park", das prompt im nächsten Heft der satirischen Zeitschrift "Die Fackel" erschien, war der Briefpartnerin und Herrin von Janowitz von dem verliebten Herausgeber gewidmet worden. Ernstlich befürchtet hat Kraus eine wirkliche Konfiskation, die die Nummern der sogenannten Kriegs-"Fackeln" durch die berüchtigten weißen Flecke zunehmend verunstalten sollte, wohl nicht. Aber nach seinem strategischen Schweigen in den ersten Kriegsmonaten, als nicht nur mittelmäßige Poeten versmäßig lärmten, sondern auch der weniger um die erotische Gunst als um die geistige Neigung der Freundin werbende Rivale Rilke den "Schlacht-Gott" besang, mochte er die lyrische Stille der Verse als umstürzlerisch empfunden haben.

Das Titelgedicht dieser mit zahlreichen Fotos und einem Faksimile reichausgestatteten Edition war erst das siebte der Freundin gewidmete, dem noch gut fünfzig folgen sollten. Sie entsprechen alle zusammen zwar keinem Buch von Karl Kraus, bilden aber ein Ganzes, dessen Drucklegung er zweifellos zugestimmt hätte. Ausgewählt wurden die Gedichte, deren Großteil im Wortlaut der Handschriften statt in den für "Die Fackel" und für die Gedichtbände "Worte in Versen" veränderten, manchmal verschlüsselten Fassungen zum ersten Mal gesammelt erscheinen, grundsätzlich bereits von ihrer ersten Adressatin. Am 1. Oktober 1947 schrieb Sidonie Nádherný Albert Bloch, dem amerikanischen Maler und berühmten "Leser aus Kansas", der in der "Fackel" nach 1918 öfter zu Wort kam, sie würde ihm vielleicht eines Tages "die wahren Manuscript-Titel u. Daten aller mir gewidmeten Gedichte" senden. "In einem Band zusammengefaßt", würden sie "eine biographische Lebensgeschichte darstellen".

Nun hat Friedrich Pfäfflin, langjähriger Nachlaßverwalter von Karl Kraus und Herausgeber seiner Briefe an Sidonie Nádherný, diese Idee in gewohnter vorzüglicher Weise verwirklicht. In einem einfühlsamen Nachwort skizziert er diese schwierige, brüchige, aber schließlich doch resistente Beziehung, die 1913 begann und erst 1936 mit dem Tod von Kraus endete. Datierungen der Gedichte und Notizen über Entstehung und Motive, die Sidonie Nádherný in einem Schreibheft festhielt, sowie betreffende Passagen aus ihrem Tagebuch und aus Kraus' Briefen an sie bilden den Kern der überaus nützlichen Erläuterungen.

Die vielen lyrischen Liebes- und Naturgedichte in der Sammlung wirken weniger durch Bilderreichtum als durch das Vorherrschen von Paradoxien und Widersprüchen. In den Gedichten, wo Sidonie Nádherný im Mittelpunkt steht, wird selbst die Negation immer wieder eingesetzt, um die Geliebte eben durch das zu charakterisieren, was sie nicht ist. Dieses rhetorische Mittel prägt besonders das Gedicht, dessen erstes Verspaar "Du bist sie, die ich nie gekannt, / die ich nicht nahm, die ich nicht hatte" lautet. Sowohl in der ersten Zeile als auch im Titel ist aber der geliebte Name ("sie, die" und "Sie die" gleich Sidi) geborgen und verborgen. Es ist, als ob der an der irdischen Beziehung verzweifelnde Lyriker eine negative Liebestheologie entwerfen wollte. In der Schlußzeile eines anderen Gedichts heißt es dann spielerisch-blasphemisch: "Es glaubt ja Gott an dich. So sag' ich Amen". Der Sprachdenker Kraus läßt solche gedanklichen Widersprüche sonst aus einem ernstem Spiel mit den Worten entstehen. So geht es einmal um die überraschende Nähe von "Lust" und "Verlust", ein andermal um einen "Fehler" der Geliebten, der dem Liebenden bei einer anderen "fehlen" würde.

Die überwiegend traditionellen Strophenformen und Reimschemen werden auch manchmal durch eine kühne Metaphorik aufgelockert. In einem der regelmäßig zum Namenstag der Geliebten komponierten Akrosticha figuriert diese plötzlich als der männliche Teil der geistig-erotischen Beziehung: "Sag, hat nicht jeder Tag, an dem du lebst / In meinem Leben deinen Namen? / Dankt meines Geistes Frucht nicht deinem Samen / Ob heute du, ob morgen zu mir strebst". Die Assoziation nicht nur des Weibes, sondern auch des weiblichen Reimes mit dem männlichen Samen läßt sich wie eine Revision des früh geschätzten Otto Weininger lesen, dessen strenge Trennung vom Männlichen und Weiblichen in dem problematischen Werk Geschlecht und Charakter damit implizit unterlaufen wird. Die Anfangszeilen des Gedichtes "Dank" scheinen eine derartige Kritik auf die Spitze treiben zu wollen: "Was weiß die Welt, wie Weiber sich erwärmen! / Mit seinem Maß nur mag der Mann sie messen". Die bei Weininger auf die Chiffren "M" und "W" reduzierten sexuellen Prinzipien werden durch die stabreimenden Worte wieder aufgefüllt, wobei "W" sowohl semantisch als auch zahlenmäßig "M" überwindet.

Nicht jeder Leser läßt sich von solchen Buchstaben- und Vexierspielen betören, und es gab prominente Zeitgenossen, die überhaupt mit diesem Teil des Krausschen Werks wenig anfangen konnten. In seinem berühmten Brief vom Juni 1921 an Max Brod bemerkte Kafka, der in den letzten Jahren seines Lebens "Die Fackel" intensiv las, daß Kraus "langweilige Gedichte" mache. Selbst der geistesverwandte Kritiker Alfred Polgar lehnte ab, als er 1939 gebeten wurde, ein Vorwort zu dem Band "Ausgewählte Gedichte" zu schreiben, da er "gar keine rechte Beziehung zur Krausschen Lyrik" habe.

Zu den wenigen zustimmenden Interpreten der Gedichte gehörte der Jugendfreund von Walter Benjamin Werner Kraft, der bereits in den dreißiger Jahren den Lyriker Kraus publizistisch würdigte. In einem Brief vom 14. Mai 1933 an Albert Bloch erwähnt Kraft aber einen ungedruckt gebliebenen Aufsatz, den er über ein einzelnes der Widmungsgedichte, "Die Krankenschwestern", geschrieben habe. Es gehe darin vor allem um eine kritische Überlegung zu der "Strophe von den ,zehntausend Juden'", in der es heißt: "Der Diener ist schon alt, als hätt er viele Jahre / schon Gott gedient, so sieht er in die fremde Zeit. / Zehntausend Juden sind nicht wert dies eine, wahre, / einfältige Gesicht voll Dienst und Dankbarkeit". Diese biblische Zahl, die als Myriade im Alten Testament öfters vorkommt, bezeichnet manchmal unzählige Todesopfer.

In einer Passage, die er aus seinem Antwortbrief strich, konterte Bloch, daß jene Wendung nicht wörtlich aufzufassen sei, Kraus habe "unmöglich ,Journalisten' oder ,Kommis' setzen" können. Man kann in einer vom Autor unterdrückten, vom Herausgeber wiederhergestellten Strophe des Gedichtes "Gespräche" lesen, daß Kraus nolens volens sich selbst einmal zu dieser Unzahl zählen mußte. Er berichtet, wie der Zwillingsbruder der Freundin, geärgert über die Gegenwart des Dichters, einmal ausruft: "in alles mische sich der Jud". Sidonie Nádherný kommentierte diese Worte in ihrem Schreibheft als "Phantasie". Heute wird man die "zehntausend Juden" und den einen "Jud" auch buchstäblich lesen dürfen und müssen.

Infolge einer Trennung von der Freundin nennt Karl Kraus 1918 das Janowitz der "Wiese im Park" und der anderen Gedichte "die ,Wunderwiege meiner Lyrik', nun ihr Grab". Dank dieser gewissenhaft edierten Ausgabe kann man erleben, wie diese leidenschaftliche Gedankenlyrik wiederaufersteht.

LEO A. LENSING

Karl Kraus: "Wiese im Park". Gedichte an Sidonie Nádherný. Herausgegeben von Friedrich Pfäfflin. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2004. 123 S., geb., 12,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diese Sidonie Nadherny gewidmeten Gedichte von Karl Kraus sind zwar zu Lebzeiten des Autors nicht in einem Band veröffentlicht worden, "zweifellos" wäre es aber von Kraus gutgeheißen worden, meint Leo A. Lensing zu wissen. Er lobt den Herausgeber und Nachlassverwalter von Karl Kraus, Friedrich Pfäfflin für diesen "reichausgestatteten" Band, in dem zahlreiche Fotos und ein Faksimile zu finden sind, und er zeigt sich zudem sehr angetan von dessen "einfühlsamen Nachwort". Hier zeichnet Pfäfflin die nicht unproblematische Beziehung von Kraus und Nadherny nach, die bis zum Tod des Schriftstellers 1936 bestand, erklärt der Rezensent. Bei den Gedichten handelt es sich zumeist um "Liebes- und Natur"-Lyrik, informiert Lensing, der den besonderen Reiz der Verse in den vielen "Paradoxien und Widersprüchen" sieht, die sie prägen. Und so zeigt sich der Rezensent am Ende richtig "dankbar" für diesen Band, dessen "gewissenhafte" Edition er hervorhebt, weil darin diese "leidenschaftliche Gedankenlyrik wiederauferstehen" kann, wie er schwärmt.

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