Spannende Neuinterpretation verschollener Rundfunkgeschichten
Der Journalist Harald Wieser lässt Geschichten, die der 1892 geborene Philosoph Walter Benjamin einst fürs Radio schrieb, wieder aufleben. Die spannende und einfühlsame Lesung der Radiotexte über Kaspar Hauser, den Untergang von Pompeji, die Eigenarten von Hunden u. a. wurde im Dezember 2002 mit großem Erfolg von Radio Bremen gesendet.
Kurzweilige und lehrreiche Hör-Reise in die Welt des Wissens, nicht nur für Kinder.
Der Journalist Harald Wieser lässt Geschichten, die der 1892 geborene Philosoph Walter Benjamin einst fürs Radio schrieb, wieder aufleben. Die spannende und einfühlsame Lesung der Radiotexte über Kaspar Hauser, den Untergang von Pompeji, die Eigenarten von Hunden u. a. wurde im Dezember 2002 mit großem Erfolg von Radio Bremen gesendet.
Kurzweilige und lehrreiche Hör-Reise in die Welt des Wissens, nicht nur für Kinder.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Diese von Rolf Tiedemann gesammelten und 1985 unter dem Titel "Aufklärung für Kinder" veröffentlichten Rundfunktexte Walter Benjamins waren für Till Bartels Ohren eine "Wohltat", wenngleich der Rezensent befürchtet, dass die Miniaturen die "Konzentrationsfähigkeit" heutiger Kinder überfordern könnte. "Behutsam" hat der Journalist Harald Wiesner eine Auswahl der "dichten", dem "Fremden und andern" gegenüber Respekt vermittelnden Texte bearbeitet und in ihrem ursprünglichen Medium, der gesprochenen Sprache, wiederbelebt, lobt der Rezensent. Er legt die beiden CDs - hier Harald Wiesers Essay im Booklet folgend - nachdrücklich auch Erwachsenen ans Herz.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2004DAS HÖRBUCH
Hinter der Maske
Trotz Schnecke im Ohr: Walter Benjamin klärt Kinder auf
Leider sind die etwa dreißig Radio-Vorträge, in denen Walter Benjamin zwischen 1929 und 1932 „Aufklärung für Kinder” betrieb, in den Schallarchiven nicht erhalten. Reizvoll ist die Vorstellung, man könnte lauschend beobachten, wie der Medientheoretiker im damals neuen Medium Radio agierte. Dass er laienhafter gesprochen hat als Harald Wieser auf der vorliegenden Auswahl des Hoffmann und Campe Verlags, ist schwer vorstellbar.
Weniger, um dem Hörer das Begreifen zu erleichtern als zur Vermeidung von Versprechern und aus dem angestrengten Bemühen heraus, deutlich zu artikulieren, liest Wieser wie eine Schnecke. Schlimm genug, dass er nach jedem Satz eine Pause macht, bei jedem Komma aber den Speichel zu sortieren, grenzt an Arbeitsverweigerung. Vielleicht stellt sich mancher ein Hörbuch für Kinder so vor. Wahrscheinlich ist aber doch, dass Kinderohren Worten ebenso schnell folgen können wie Erwachsenenohren.
Dennoch kann man dieses Hörbuch nicht rundheraus ablehnen. Dafür ist Walter Benjamin ein zu guter Erzähler und also zu guter Pädagoge, wobei man ihn aber nicht zum idealen Lehrer und nettesten Menschen stilisieren muss, wie Wieser es im Beiheft tut. Benjamin vermag es, den zu behandelnden Gegenstand mit leichter Hand verständlich und plastisch darzustellen. Ob er dem Hörer das Zigeunerleben näher bringt, E.T.A Hoffmanns Geistergestalten erklärt oder von Pompejis Untergang berichtet, sein Erzählgestus ist so unterhaltsam wie verbindlich.
Zwischen zwei der sechs Beiträge herrscht übrigens eine spannende Korrespondenz: Mit Kaspar Hauser und dem Mann mit der eisernen Maske unterrichtet Benjamin über Figuren, deren wahre Identität rätselhaft ist und wohl auf immer im Verborgenen bleiben wird. Hier macht sich die Lust des Philosophen am Spiel bemerkbar, von der Platon spricht, an Fragen, auf die eine Antwort zu finden aussichtslos scheint. Darin überschneidet sich die unersättliche Wissbegierde des Kindes, die prosaische Menschen Naivität nennen, mit der philosophischen Tätigkeit. Indem Benjamin gerade diese Geschichten über fragwürdige Identitäten wählt, weckt er das Kind im Manne und hält es im Kinde wach. So lauscht man ihm, mit der Schnecke im Ohr, gern.
TOBIAS LEHMKUHL
WALTER BENJAMIN: Aufklärung für Kinder. Gelesen von Harald Wieser. Hoffmann und Campe, Hamburg 2003. 2 CD, 114 Minuten, 15,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Hinter der Maske
Trotz Schnecke im Ohr: Walter Benjamin klärt Kinder auf
Leider sind die etwa dreißig Radio-Vorträge, in denen Walter Benjamin zwischen 1929 und 1932 „Aufklärung für Kinder” betrieb, in den Schallarchiven nicht erhalten. Reizvoll ist die Vorstellung, man könnte lauschend beobachten, wie der Medientheoretiker im damals neuen Medium Radio agierte. Dass er laienhafter gesprochen hat als Harald Wieser auf der vorliegenden Auswahl des Hoffmann und Campe Verlags, ist schwer vorstellbar.
Weniger, um dem Hörer das Begreifen zu erleichtern als zur Vermeidung von Versprechern und aus dem angestrengten Bemühen heraus, deutlich zu artikulieren, liest Wieser wie eine Schnecke. Schlimm genug, dass er nach jedem Satz eine Pause macht, bei jedem Komma aber den Speichel zu sortieren, grenzt an Arbeitsverweigerung. Vielleicht stellt sich mancher ein Hörbuch für Kinder so vor. Wahrscheinlich ist aber doch, dass Kinderohren Worten ebenso schnell folgen können wie Erwachsenenohren.
Dennoch kann man dieses Hörbuch nicht rundheraus ablehnen. Dafür ist Walter Benjamin ein zu guter Erzähler und also zu guter Pädagoge, wobei man ihn aber nicht zum idealen Lehrer und nettesten Menschen stilisieren muss, wie Wieser es im Beiheft tut. Benjamin vermag es, den zu behandelnden Gegenstand mit leichter Hand verständlich und plastisch darzustellen. Ob er dem Hörer das Zigeunerleben näher bringt, E.T.A Hoffmanns Geistergestalten erklärt oder von Pompejis Untergang berichtet, sein Erzählgestus ist so unterhaltsam wie verbindlich.
Zwischen zwei der sechs Beiträge herrscht übrigens eine spannende Korrespondenz: Mit Kaspar Hauser und dem Mann mit der eisernen Maske unterrichtet Benjamin über Figuren, deren wahre Identität rätselhaft ist und wohl auf immer im Verborgenen bleiben wird. Hier macht sich die Lust des Philosophen am Spiel bemerkbar, von der Platon spricht, an Fragen, auf die eine Antwort zu finden aussichtslos scheint. Darin überschneidet sich die unersättliche Wissbegierde des Kindes, die prosaische Menschen Naivität nennen, mit der philosophischen Tätigkeit. Indem Benjamin gerade diese Geschichten über fragwürdige Identitäten wählt, weckt er das Kind im Manne und hält es im Kinde wach. So lauscht man ihm, mit der Schnecke im Ohr, gern.
TOBIAS LEHMKUHL
WALTER BENJAMIN: Aufklärung für Kinder. Gelesen von Harald Wieser. Hoffmann und Campe, Hamburg 2003. 2 CD, 114 Minuten, 15,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de