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"Ich übte mich darin, nichts ernst zu nehmen. Ein Mann darf viele kleine Fehler machen. Und es spielt keine Rolle. Wenn die Fehler aber groß sind und auf seinem Leben lasten, bleibt ihm nur noch übrig, sich nicht ernst zu nehmen. Nur so muss er nicht leiden. Anhaltendes Leiden kann tödlich sein." Havanna in den 90er Jahren, eine Stadt am Rande des Abgrunds. Es gibt weder Seife noch Wasser, noch Essen, noch Arbeit, noch Geld. Der Erzähler Pedro Juan, arbeitsloser Journalist Anfang vierzig und Alter Ego des Autors, lebt wie alle vom Nichts: vom Hunger, vom Zeittotschlagen, von Gelegenheitsjobs,…mehr

Produktbeschreibung
"Ich übte mich darin, nichts ernst zu nehmen. Ein Mann darf viele kleine Fehler machen. Und es spielt keine Rolle. Wenn die Fehler aber groß sind und auf seinem Leben lasten, bleibt ihm nur noch übrig, sich nicht ernst zu nehmen. Nur so muss er nicht leiden. Anhaltendes Leiden kann tödlich sein."
Havanna in den 90er Jahren, eine Stadt am Rande des Abgrunds. Es gibt weder Seife noch Wasser, noch Essen, noch Arbeit, noch Geld. Der Erzähler Pedro Juan, arbeitsloser Journalist Anfang vierzig und Alter Ego des Autors, lebt wie alle vom Nichts: vom Hunger, vom Zeittotschlagen, von Gelegenheitsjobs, die kein Geld einbringen, von Rum, Zigaretten und vom Vögeln. Vor allem von Letzterem. Denn wenn es in Castros Stadt noch etwas im Überfluss gibt, sind es herrliche, schamlose und selbstbewusste Frauen. Pedro Juan Gutiérrez beschreibt in bunten Farben die Nachtseite der Revolution. "Schmutzige Havanna Trilogie" ist ein Roman über das nackte Leben: drastisch, abstoßend und anziehend, und schön - wie der Anblick vom Dachbalkon des Erzählers auf die Uferpromenade des Malecón, wo bröckelnde Häuserzeilen im Abendlicht baden.
Autorenporträt
Pedro Juan Gutiérrez, geb. 1950 in Cuba, beginnt mit 11 Jahren als Eis- und Zigarettenverkäufer, ist später fünf Jahre Soldat, arbeitet als Schwimm- und Kajaklehrer, als Zuckerrohrschneider und Landarbeiter, als Bauinstallateur und technischer Zeichner. Gutiérrez ist Maler, Bildhauer, Dichter und Journalist. Der Autor mehrerer Romane lebt in Havanna.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2002

Symphonie der Sauereien
Pedro Juan Gutiérrez und die schmutzige Wahrheit über Havanna

Havanna stinkt. Daß das Leuchten der einstmals für ihre Luxushotels und Casinos berühmten Inselmetropole längst vergangen ist, dürfte auch auf dieser Seite des Atlantiks bekannt sein, seit bröckelige kubanische Fassaden die Zuschauermassen in die Kinosäle lockte. Viel verdankt der morbid-ruinöse Zauber von Filmen wie "Buena Vista Social Club" jedoch dem Umstand, daß sich Gerüche nicht auf Zelluloid bannen lassen. In der Tropenschwüle jenseits der Leinwand blasen die Abfallberge vor den kolonialen Portalen zum Angriff auf den Würgreflex.

Auch Papier ist in der Regel duftneutral. Dennoch bereitet der kubanische Erzähler, Dichter und Journalist Pedro Juan Gutiérrez mit seinem ersten Roman "Schmutzige Havanna Trilogie" jeglicher Art von touristischen Träumen ein böses Erwachen. Denn Centro Habana, Heimat von Pedro Juan, dem literarischen Alter ego Gutiérrez', spottet allen Klischees vom karibischen Paradies. Dieses Viertel, das nach Schweiß, Müll, Sperma und Exkrementen riecht, in dem Halbwüchsige zum Zweck der Erbschleicherei mit achtzigjährigen Witwen kopulieren und ungewaschene, narbengezeichnete negros, vom deutschen Übersetzer eher politisch als sprachlich korrekt mit "Schwarze" wiedergegeben, ihre Nachbarinnen vergewaltigen, nachdem sie ihnen die halbe Gebärmutter herausgerissen haben, ist nichts für Schöngeister. Zu letzteren ist Pedro Juan, der Hinterhofintellektuelle, der Gossenliterat, mit Sicherheit auch nicht zu zählen. Aus Protest gegen die Beengungen, die er als Journalist erfährt, ist ihm fast jeder Weg recht, sich im Kuba des Jahres 1994 über Wasser zu halten: dem Kuba der Stromsperren, Versorgungsengpässe, der Straßenprostitution, des Massenexodus auf selbstgezimmerten Flößen.

Vom Fleischresteverwerter und Müllmann bis zum Stricher für alternde Sextouristinnen und zum Hobbyzuhälter, der seine eigene Freundin auf den Strich schickt, läßt Pedro Juan keinen Gelegenheitsjob aus. Wer in Centro Habana nicht wahnsinnig werden oder an Langeweile krepieren will, so weiß er, kennt nur wenige Auswege: schlafen, sich besaufen oder besinnungslosen Sex.

Daß mangels anderer Optionen der Suff zuweilen nur mit Holzschutzmittel und die größten Schweinereien nur mit der häßlichsten, dicksten Nachbarin zu erreichen sind, ist mit sportlicher Fassung zu tragen. Denn schlimmer wäre es, die Wirklichkeit ebenso wie die im grotesken Widerspruch zu ihr stehenden Phrasen einer obsoleten staatlichen Propaganda zu tief ins Bewußtsein dringen zu lassen.

Das Havanna des 1950 geborenen Pedro Juan Gutiérrez ist eine Vorhölle der Gewalt und der Abscheulichkeiten, ein Zerrspiegel, in dem der von der Revolution erträumten Utopie des "Neuen Menschen" eine Fratze entgegenschlägt, die möglicherweise ihr wahres Gesicht ausmacht. Vor diesem Hintergrund ist die Freude am Suhlen im Dreck, das Spiel mit Tabus und Ekelschwellen ebenso wie der aggressive Machismo des Autors mehr als ein effekthascherischer Selbstzweck. Gutiérrez' Obszönität ist ein blasphemisches Aufbegehren gegen die Verlogenheit politischer ebenso wie poetischer Doktrin. Poetisch ist daher sein schmutziges Havanna durchaus, wenngleich nur im Sinne einer konvulsivischen Schönheit, wie sie Breton forderte. "Nur eine wirre, unanständige, grausame, obszöne Kunst ist imstande, uns das andere Gesicht der Welt zu zeigen, das wir nie sehen oder sehen wollen", heißt es in einem Kapitel mit dem programmatischen Titel "Ich, der Scheißeaufwühler".

Dieses Konzept ist die einzige Klammer, die den Text literarisch zusammenhält. Denn die sogenannte "Trilogie" ist im Grunde nichts als eine wahllose, in drei ursprünglich wohl unabhängige Bücher eingeteilte Zusammenwürfelung von Episoden ohne inhaltliche oder selbst zeitliche Entwicklung. Das Inferno auf Erden: ein ziel- und sinnloses Auf-der-Stelle-Treten. Das macht die Lektüre zuweilen mühsam und treibt den autobiographisch geprägten Text immer wieder an die Grenzen einer aus bloßen Wirklichkeitsfragmenten zusammengesetzten Anti-Literatur. "Literatur zu schreiben, die aussieht, als wäre sie keine", ist aber zugleich das erklärte künstlerische Credo des Autors, der sich damit auf Vorbilder wie Dos Passos und Capote beruft.

Kubanische Literatur interessiert Gutiérrez eigenen Angaben zufolge überhaupt nicht. Kein Wunder ist, daß der Autor innerhalb der kubanischen Literaturszene als eigenbrötlerisches Enfant terrible gilt. Auf der Insel sind seine Bücher weder verlegt noch offiziell erhältlich. Nach dem Erscheinen der "Schmutzigen Havanna Trilogie" wurde er von seinem Posten als Journalist suspendiert. Emigriert ist er trotzdem nicht, im Gegensatz zu einem beträchtlichen Teil der kubanischen Intellektuellen. Eben die Tatsache, daß er dem Leser das "tägliche Nichts" Kubas nicht aus der vor Repressalien sicheren Distanz des Exils, sondern aus der ungeschminkten Innenperspektive ins Gesicht schleudert, verleiht Gutiérrez' erstem ins Deutsche übersetzten Buch ein hohes Maß an Authentizität und macht es zu einer der interessantesten kubanischen Neuerscheinungen seit langem.

FLORIAN BORCHMEYER.

Pedro Juan Gutiérrez: "Schmutzige Havanna Trilogie". Aus dem Spanischen übersetzt von Harald Riemann. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2002. 414 S., geb., 20,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Kuba in der Krise. Fidel Castros karibischer Vorzeige-Staat versinkt im wirtschaftlichen Chaos. Entsetzlicher Mangel bestimmt den Alltag der Menschen der Insel. Weder Seife noch Nahrung geschweige denn Geld gibt es in Havanna. Und zu tun gibt es sowieso nichts. So streunt auch das Alter Ego des Autors durch die halbverfallenen Straßen und frönt der einzigen Beschäftigung, die den Cubanos geblieben zu sein scheint: dem Sex. Der Maler, Bildhauer, Dichter und Journalist Gutiérrez schickt den Leser auf eine ziemlich perverse Tour durch seine Heimatstadt. Hart an der Grenze zur Pornografie schildert er die überschäumende Freude am Sex seiner Landsleute in geradezu surrealer Drastik. Kein Buch für Zartbesaitete, aber ein Einblick in die Abgründe menschlichen Seins, gleichermaßen abstoßend und faszinierend. (www.parship.de)

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Georg Sütterlin ist nicht so recht glücklich mit diesem Buch, das bereits 1998 in Spanien "Furore" machte und jetzt auf Deutsch vorliegt. Der Band, der aus einzelnen Geschichten besteht, die aus der Perspektive eines arbeitslosen Journalisten geschildert werden, überzeugt ihn dort am meisten, wo er, durchaus an der sozialistischen Wirklichkeit orientiert, über die "brutalisierte Unterschicht" Kubas erzählt. Das Macho-Gehabe der Hauptfigur dagegen geht ihm sehr auf die Nerven. Er findet die Betonung seiner Härte und die permanente Selbstinszenierung als "einfacher Mann der Tropen" ziemlich "uninteressant". Die Sexualprotzerei schließlich, mit der sich der Protagonist penetrant in Szene setzt, ist für den Leser eine "harte Probe", so Sütterlin abgestoßen. Er fragt sich, was der Autor damit erreichen will, wenn er diese "mechanisch-aggressive" Sexualität in überdeutlich "kruder" Sprache schildert und findet, dass das Buch dadurch "zunehmend Schlagseite" bekommt, auch wenn der Autor damit nach eigenen Angaben ein "gewisses Machotum lächerlich" machen will, wie Sütterlin mitteilt. Die Schilderungen der "demoralisierten, verelendeten Bevölkerung" der Altstadt Havannas aber findet er durchaus "überzeugend", und er sieht in ihnen entgegen der erklärten Absicht des Autors einen "vernichtenden" politischen Kommentar über das sozialistische Kuba enthalten.

© Perlentaucher Medien GmbH
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