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Zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte gehört die bewusste Zerstörung, die Überformung von Strukturen, Bauwerken und Objekten von symbolischer, politischer oder religiöser Bedeutung mit dem Ziel der Identitätsstörung. Der Umgang mit den zerstörten Gebäuden und Strukturen spiegelt die Absicht, neue Identitäten zu schaffen bzw. an frühere anzuknüpfen. Das Phänomen der Zerstörung symbolträchtiger Bauten und der Umgang mit ihnen sowie der sie umgebenden Strukturen ist in gleicher Weise von Sprach- und Begrifflosigkeit gekennzeichnet. So wie der Begriff "Ikonoklasmus" für den Bereich der…mehr

Produktbeschreibung
Zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte gehört die bewusste Zerstörung, die Überformung von Strukturen, Bauwerken und Objekten von symbolischer, politischer oder religiöser Bedeutung mit dem Ziel der Identitätsstörung. Der Umgang mit den zerstörten Gebäuden und Strukturen spiegelt die Absicht, neue Identitäten zu schaffen bzw. an frühere anzuknüpfen. Das Phänomen der Zerstörung symbolträchtiger Bauten und der Umgang mit ihnen sowie der sie umgebenden Strukturen ist in gleicher Weise von Sprach- und Begrifflosigkeit gekennzeichnet. So wie der Begriff "Ikonoklasmus" für den Bereich der Kunstobjekte genutzt wird, fragt sich, ob der Begriff "Schleifung" für den zerstörerischen Umgang mit historisch-politischen Baudenkmälern zutreffend wäre. Anhand von Beispielen aus Deutschland und Polen hat diese Fragen ein Workshop im Deutschen Historischen Museum untersucht. Polen und Deutschland bieten sich nicht nur wegen der nachbarschaftlichen Nähe an, sondern insbesondere wegen der Vergleichbarkeit von Gemeinsamkeiten und Gegensätzen in der Zerstörung und im Umgang mit dem Zerstörten. Experten aus beiden Ländern stellen Beispiele des Abrisses und des Wiederaufbaus historischer Bauten und Ensembles heraus und diskutieren, ob sich aus Ähnlichkeiten der Entwicklungen definitorische Typisierungen beschreiben lassen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.12.2005

Aufbau - seelisch unmöglich?
Der Städtebau der Nachkriegszeit in Polen und Deutschland
„Wiederaufbau? Technisch, geldlich nicht möglich, sage ich Ihnen; doch was sage ich? - seelisch unmöglich.” Otto Bartnings baupolitische Maxime in seinen „Ketzerischen Gedanken am Rande des Trümmerhaufens” von 1946 war so eindeutig wie nüchtern. Von ganz anderen Prämissen ging damals der Generalkonservator von Polen, Jan Zachwatowicz, aus: „Wir dürfen nicht erlauben, dass man uns unsere Kulturdenkmäler raubt. Wir werden sie rekonstruieren, wir werden sie von Grund auf wieder aufbauen, um den nächsten Generationen, wenn schon nicht die authentische Substanz, so doch wenigstens die genaue Form dieser Denkmäler, die in Dokumenten und in unserem Gedächtnis noch leben, zu übermitteln.”
Zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte gehört die bewusste Zerstörung von symbolisch aufgeladenen Bauwerken und städtischen Topographien, um an ihrer Stelle neue identitätsstiftende Gebäudestrukturen zu setzen. Selbst die Peterskirche von Rom konnte erst entstehen, weil eine der bedeutendsten Kirchen der Christenheit zerstört wurde. Wie will man nun die Freisetzung kreativer und destruktiver Energien im Städtebau nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnen, gerade vor dem Hintergrund längst etablierter Kategorien wie des spätantik-byzantinischen Ikonoklasmus, des reformatorischen Bildersturms und des Vandalismus in der Französischen Revolution? Die Initiatoren einer vom Deutschen Historischen Museum sowie vom Deutschen Polen-Institut ausgerichteten Tagung ließen sich von der Militärsprache inspirieren und schlagen den Terminus der „Schleifung” vor, um die Sache, den zerstörerischen Umgang mit historisch-politischen Baudenkmälern im 20. Jahrhundert, zu treffen.
In vierzehn thesenfreudigen Essays von Historikern, Museologen, Denkmalpflegern und Kunsthistorikern werden weniger abgeschlossene Forschungsergebnisse präsentiert, auch sind die meisten der behandelten Themen so neu nicht. Originell ist hingegen der Rahmen, der beherzte Ansatz, diese Problematik aus einer vergleichenden deutsch-polnischen Perspektive zu betrachten. Natürlich steht - wenn es um Identitätsstiftung oder Vernichtung von Geschichte durch Neubauten geht - die Berliner Schlossfrage immer wieder im Zentrum der Argumentationen.
Das Geschenk der Bomben
Polarisierung bestimmte die Handlungsmuster der Verantwortlichen im Kalten Krieg. Vielleicht wären auch im Westen zahlreiche Schlösser, wie das von Stuttgart, dem Erdboden gleichgemacht worden, wenn die SED-Machthaber auf die Idee gekommen wären, das Hohenzollernschloss zu rekonstruieren. Darüber hinaus reicht die thematische Palette von der städtebaulichen Behandlung zerstörter oder beschädigter Kirchen in Frankfurt am Main oder Potsdam bis zur ambitionierten Wiederherstellung der Altstädte von Danzig und Warschau. Auch Ground Zero in Lower Manhattan sowie die deutsche Provinz in Freudenstadt und Helgoland fehlen nicht.
Werner Durth erinnert daran, dass der Luftkrieg der Alliierten von vielen deutschen Planern nicht allein mit Entsetzen, sondern auch mit Erleichterung aufgenommen wurde. Übermächtig war das kollektive Verlangen nach einer durchgreifenden Modernisierung der verwinkelten Stadtlandschaften. Was in den Reformbewegungen der zwanziger Jahre schon konkret geplant worden war, konnte nun in den fünfziger Jahren endlich vollzogen werden. Zumeist waren es verkehrstechnische Prämissen, unter denen bei der Neuformung des Stadtgrundrisses wichtige Bauten weichen mussten. Auch das Berliner Stadtschloss sei von den Planern nicht aus ideologischen Gründen der damnatio memoriae abgerissen worden, sondern aus pragmatischen Motiven, um so im Zentrum Raum für Massenaufmärsche zu gewinnen.
In Polen hingegen sollten historische Denkmäler zu „Nationalreliquien” aufsteigen. Ihre Authentizität war nicht mit der Originalität der materiellen Substanz gleichzusetzen, sondern mit der Funktion und der ideologischen Bedeutung des Objektes im kollektiven Bewusstsein. So schuf man nach dem Krieg in Danzig unter Ausschluss der späteren preußischen Zutaten eine polnisch-königliche Stadt des 16. und 17. Jahrhunderts, obwohl es dieses Danzig so nie gegeben hatte. Ebenso setzte sich in Warschau eine romantische Rekonstruktion durch, die Andrzej Tomaszewski beschreibt. Alle heutigen Warschau-Touristen sind sich bewusst, keine echten Denkmäler zu besichtigen, sondern eine romantische Vision. Inzwischen macht die Wiederbelebung dieser Vision vor fast fünfzig Jahren den unverwechselbaren Charakter Warschaus aus.
Dass der Sammelband über keinerlei Abbildungen verfügt, ist zu monieren. Dafür sind die Diskussionsbeiträge abgedruckt, die so manche interessante Ergänzung bergen. So wissen nur wenige, dass ein aus der Nazizeit stammendes Gebäude, die Residenz des Generalgouverneurs Hans Frank auf dem Krakauer Wawel, zum Bestandteil eines Ensembles gehört, das zum Weltkulturerbe der Unesco erklärt worden ist
STEFAN LAUBE
DIETER BINGEN, HANS-MARTIN HINZ (Hrsg.): Die Schleifung. Zerstörung und Wiederaufbau historischer Bauten in Deutschland und Polen. Harrasowitz Verlag, Wiesbaden 2005. 226 Seiten, 19,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Warum wurde das Berliner Stadtschloss abgerissen? Keineswegs, behauptet in einem Essay Werner Durth, habe es sich um einen Akt der damnatio memoriae gehandelt. Man brauchte - ganz pragmatisch - einfach Platz für Massenaufmärsche im Zentrum der ostdeutschen Hauptstadt. Der Essay, in dem diese und andere städtebaulichen Thesen zu finden sind (etwa die, dass die Stadtplaner über die tabula rasa der Bombenverheerungen des Krieges froh gewesen seien, weil sie nun ihre Visionen verwirklichen konnten), ist Bestandteil des Sammelbandes "Die Schleifung. Zerstörung und Wiederaufbau historischer Bauten in Deutschland und Polen". Rezensent Stefan Laube hat die vierzehn Essays des Bandes - Ergebnis einer Tagung, die vom Deutschen Historischen Museum und vom Deutschen Polen-Institut veranstaltet wurde -, mit Vergnügen gelesen. Gerade die deutsch-polnische Doppelperspektive empfand er als erfrischend und belehrend, auch wenn kaum "abgeschlossene Forschungsergebnisse" vorgelegt werden, auch manche These "so neu nicht" ist. Wie ging man in Deutschland und Polen jeweils mit der städtebaulich fixierten Vergangenheit um? Warschau zum Beispiel präsentiert sich über seine Denkmäler dem Besucher ganz bewusst nicht als historischer Ort, sondern als "romantische Vision". Die Verfasser der Essays sind Historiker, Museologen, Denkmalpfleger und Kunsthistoriker, die "thematische Palette" reicht von Helgoland über Frankfurt am Main und Danzig bis zu Ground Zero. Monieren muss der Rezensent allerdings, dass die Herausgeber auf Abbildungen verzichtet haben.

© Perlentaucher Medien GmbH
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