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  • Buch mit Kunststoff-Einband

Produktdetails
  • Forschungen zur osteuropäischen Geschichte Bd.55
  • Verlag: Harrassowitz
  • 2000.
  • Seitenzahl: 771
  • Deutsch
  • Abmessung: 250mm
  • Gewicht: 1400g
  • ISBN-13: 9783447043045
  • ISBN-10: 3447043040
  • Artikelnr.: 09713896
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2000

Feingesponnenes Netz dialektischer Apologetik
Ein Versuch, die Ostforschung im "Dritten Reich" zu entlasten und Hitlers Polen-Politik zu entschuldigen

Martin Burkert: Die Ostwissenschaften im Dritten Reich. Teil I: Zwischen Verbot und Duldung. Die schwierige Gratwanderung der Ostwissenschaften zwischen 1933 und 1939. Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Band 55. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2000. 771 Seiten, 148,- Mark.

Das Ansehen der Ostforschung unterliegt einem anhaltenden Kursverfall. Vakante Stellen an den Universitäten bleiben unbesetzt oder werden umgewidmet. Außeruniversitäre Institutionen leiden unter finanzieller Auszehrung. Das Herder-Institut in Marburg mußte den Status einer Forschungsstätte gegen den einer wissenschaftlichen Informationsbörse austauschen. Den landesgeschichtlichen Kommissionen ist der Generationswechsel von den heimatvertriebenen Wissenschaftlern zu den Nachkriegswissenschaftlern kaum geglückt.

Wer nach den Ursachen des Elends dieses interdisziplinären Faches fragt, muß den kritischen Blick zurück in die Weimarer Republik werfen. Zwar spricht man von Ostforschung erst seit Beginn der NS-Zeit, doch ist sie weitgehend identisch mit der aus den zwanziger Jahren stammenden, auf Ostmitteleuropa - insbesondere auf Polen - orientierten Volks- und Kulturraumforschung. Diese war Ausdruck eines nach 1918 verunsicherten Nationalbewußtseins, das sich auf die hoffnungsvolle und dann enttäuschte Erwartung des durch Monarchie und Armee zu vollendenden Bismarckschen Reichsgedankens gründete.

Auf der Suche nach einem neuen Fundament nationalen Selbstverständnisses, auf dem sich ein größeres Deutschland wiedererrichten ließ, entdeckte man das Volk mit seinen vermeintlich dauerhaften Kulturleistungen. Den Beweis dafür schien das assimilationsresistente Deutschtum außerhalb der Grenzen in Ost- und Südosteuropa zu liefern. Unter Bezug auf eine seit Karl dem Großen perpetuierte, als systematisch postulierte deutsche Besiedlung zwischen Ostsee und Adria wurden Revisions- und Hegemonialansprüche ethnologisch und ethnographisch begründet.

Diese Volkstums- und Kulturraumtheorie fand, rassistisch pervertiert, Eingang in nationalsozialistische Programmatik und Politik. Ihre Protagonisten waren als Vordenker und Mithelfer in die östlichen Germanisierungsmaßnahmen während des Zweiten Weltkrieges involviert. Die Ostforschung blieb auch nach 1945 eine politisierte Wissenschaft, indem sie mit tradierten siedlungs-, volkstums- und kulturraumgeschichtlichen Argumenten das Recht der Vertriebenen auf Heimat und den Anspruch auf Revision der Oder-Neiße-Grenze zu begründen suchte.

Nach langem Zögern ist die Verwobenheit der Ostforschung mit der Politik auf den Historikertagen in Frankfurt am Main 1998 und in Aachen 2000 öffentlich thematisiert und als solche nicht bezweifelt worden. Die Zunft hat den von den Medien honorierten Mut zur historischen Selbstfindung nicht ohne selbstgefällige Genugtuung registriert.

Doch die Einsicht in das Unabweisbare wird nun durch das Buch von Martin Burkert als Ergebnis wissenschaftlicher Manipulation in politischer Absicht in Frage gestellt. Der Autor hat in das Werk über ein Jahrzehnt intensiver Aktenstudien investiert, die ihren Niederschlag in einer Fülle von Zitaten, die wissenschaftliche Seriosität suggerieren, fanden. Nur der Spezialist vermag in der Verknüpfung dieser Zitate das feingesponnene Netz dialektischer Apologetik zu erkennen, ohne sich darin zu verfangen.

Wer erwartete, Aussagen über die Intensität des Wechselspiels von Ostforschung und Politik zu erfahren, worüber sich trefflich streiten ließe, sieht sich enttäuscht. Statt dessen sucht der Autor den Nachweis zu führen, daß die Ostforschung bis 1939 mit ihrem unstrittig zeitgeistgebundenen Revisionismus in grundsätzlichem Gegensatz zu Hitlers Polen-Politik gestanden habe. Diese sei vielmehr - manifestiert im 1934 abgeschlossenen Nichtangriffspakt - von der Maxime deutsch-polnischer freundnachbarschaftlicher Partnerschaft zwecks gemeinsamen Kampfes gegen die Sowjetunion bestimmt gewesen. Ein solches Bestreben, so der Autor, durfte nicht um der Rückführung Danzigs in deutsche Jurisdiktion und um 200 000 "abgetrennter" Volksgenossen wegen konterkariert werden.

Folgt man dem Autor, dann lehnte Hitler territoriale Revisionen im Osten allein schon wegen der damit verbundenen Integration slawischer Bevölkerungsteile in das Reich aus rassenideologischen Erwägungen heraus ab. Tatsächlich hatte es unter dem autoritären polnischen Regime bis 1935 Bekundungen für ein enges Zusammengehen mit Deutschland allerdings unter Bedingungen gegeben, wie sie ein Kampfgefährte Pilsudskis formulierte: "Polen und Deutschland können die Grundlage eines riesigen mitteleuropäischen Blockes bilden . . . Deutschland würde in ihm naturgemäß die erste Stelle einnehmen, die zweite würde Polen zufallen." Die Slowakei, Ungarn und Rumänien sind ein Beispiel dafür, wie sich ein solches Verhältnis gestaltet hätte.

Jüngere Forscher haben nachgewiesen, daß namhafte Ostforscher den Hitler-Pilsudski-Pakt stets als Moratorium verstanden und sich auf den Tag X danach mit Programmen für eine auf Kosten Polens zu gestaltende Ostraumpolitik unter dem Vorzeichen einer durchgreifenden Germanisierung eingestellt haben. Auch sie lehnten Assimilierung und Rassenmischung ab, weshalb eine auf Anregung mehrerer Kollegen von Theodor Schieder verfaßte Denkschrift die Ausweisung der Polen aus Westpreußen nach Übersee und die "Entjudung" der Städte vorsah. Es gab also keinen grundsätzlichen Dissens zwischen den volkstumspolitischen Vorstellungen der Ostforschung und denen der NS-Führung.

Burkerts Schrift liegt kein eigentlich wissenschaftliches, sondern ein politisches Erkenntnisinteresse zugrunde, was nur unterschwellig deutlich wird. Wir haben es mit dem untauglichen Versuch zu tun, die Ostforschung von dem Odium des Zusammenwirkens mit dem NS-Regime zu befreien. Dies konnte nur mit Aussicht auf Überzeugungskraft durch das bewußte Ausblenden der ostkundlichen Fachliteratur der Zwischenkriegszeit geschehen. Aktenzeugnisse läßt der Autor durch betroffene Zeitzeugen wie Theodor Oberländer, die sich der Befragung durch andere Historiker entzogen haben, in selbstentschuldender Absicht deuten. Geradezu irrwitzig mutet der Versuch an, die NS-Machthaber von allen Aggressionsabsichten gegenüber Polen freizusprechen und die Verantwortung für den 1. September 1939 der Regierung in Warschau zuzudiktieren, weil sie sich einmal dem gemeinsamen Kampf gegen die Sowjetunion versagt und sich dann auch noch als Konkurrent um die Hegemonie in Südosteuropa erwiesen habe. Der Autor ist überzeugt, "daß der Ort des Konfliktes zwischen Hitler und Polen in Südosteuropa lag und nicht in der deutsch-polnischen Überschneidungszone".

HANS-ERICH VOLKMANN

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Hans-Erich Volkmann schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: Gerade erst hat die Ostforschung angefangen, ihre Verwicklung in den Nationalsozialismus zuzugeben und zu erforschen, da kommt Martin Burkert mit diesem Buch und versucht alles wieder rückgängig zu machen. Der Rezensent hebt noch einmal den Moment hervor, an dem die Ostwissenschaft mit ihrer Volks- und Kulturraumtheorie "rassisch pervertiert" ist. Doch diese Erkenntnis werde nun von Burkert mittels "wissenschaftlicher Manipulation" wieder in Frage gestellt. Burkert behaupte gar, die Ostforschung habe "in grundsätzlichem Gegensatz zu Hitlers Polen-Politik" gestanden. Volkmann will von dieser Art Apologetik schlicht nichts wissen.

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