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Ist Empathie eine innere Qualität oder etwas, was man sagt und tut, eine Praxis? Hilft sie anderen oder steht sie uns nur gut zu Gesicht? Leslie Jamison schreibt über das Verhältnis von Ärzten und Patienten, über Elendstourismus, über weiblichen Schmerz, und sie stellt dabei die Frage nach den Möglichkeiten und den Grenzen der Einfühlung. Ihre radikal aufrichtigen Texte kombinieren Reportage, Kulturkritik und persönliches Erzählen in der Tradition von Autoren wie Susan Sontag, Joan Didion oder zuletzt David Foster Wallace und John Jeremiah Sullivan. Und während sie Antworten nur provisorisch…mehr

Produktbeschreibung
Ist Empathie eine innere Qualität oder etwas, was man sagt und tut, eine Praxis? Hilft sie anderen oder steht sie uns nur gut zu Gesicht? Leslie Jamison schreibt über das Verhältnis von Ärzten und Patienten, über Elendstourismus, über weiblichen Schmerz, und sie stellt dabei die Frage nach den Möglichkeiten und den Grenzen der Einfühlung. Ihre radikal aufrichtigen Texte kombinieren Reportage, Kulturkritik und persönliches Erzählen in der Tradition von Autoren wie Susan Sontag, Joan Didion oder zuletzt David Foster Wallace und John Jeremiah Sullivan. Und während sie Antworten nur provisorisch akzeptiert, als Anlass für immer neue Fragen, führt sie buchstäblich ihren eigenen Körper ins Feld.
Autorenporträt
Leslie Jamison, geboren 1983 und aufgewachsen in Los Angeles, ist die Autorin von "Die Empathie-Tests. Über Einfühlung und das Leiden anderer" (2015), "Die Klarheit" (2018) und dem Roman "Der Gin-Trailer" (2019). Sie schreibt u. a. für die New York Times, The Atlantic und Harper's, leitet das Non-Fiction-Programm der Columbia University und lebt mit ihrer Familie in New York.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Hymnisch bespricht Rezensentin Ruth Fühner Leslie Jamisons Essays über Empathie, die zugleich "verletzlich" und distanziert von Schmerz und Mitgefühl erzählen. Bewundernd stellt die Kritikerin fest, wie es der Autorin gelingt, ganz ohne Melodramatik oder Sarkasmus verschiedene Bereiche des Leidens auszuloten: Jamisons zwischen Reportage und Kulturtheorie angelegte Analysen über Alltagsgewalt, Reality-Shows, die das Leiden Drogenabhängiger dramaturgisch inszenieren oder Jugendliche, die des Mordes schuldig gesprochen werden sind ebenso brillant wie ihre Betrachtungen über die Verbindung von Weiblichkeit und Schmerz, die sie auch mit Blick auf das eigene Leben schildert, lobt die Kritikerin. Allerdings muss Fühner gestehen, dass ihr trotz zahlreicher meisterlicher, bisweilen "riskanter" Reflexionen über verschiedene Bereiche des Schmerzes ein Blick auf das Verhältnis von Empathie und moralischer Praxis fehlt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2015

Hautnah
In ihrem Band „Die Empathie-Tests“ erkundet
die junge Amerikanerin Leslie Jamison unsere Gefühlswelt.
Ihre fulminanten Essays sind das Buch der Stunde
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Die Gefühle, die sich stets pünktlich zum Fest einstellen, hat der Schriftsteller John Irving einmal als „Weihnachtsrisiken“ bezeichnet. Sentimentalität, dieses klebrige Gefühl, ist so etwas wie der Lebkuchen des Herzens, eine Kalorienbombe an Rührseligkeit. Der emotionale Überschwang, der sich hier Bahn bricht, ist das ganze Jahr über streng verboten und wird wie der Christbaumschmuck in den Keller verbannt. Doch warum ist das eigentlich so? Weshalb ist es den Tränen nur zu bestimmten Anlässen erlaubt, ungehemmt zu fließen? Könnte es nicht vielmehr sein, „dass der Honig selbst Tiefe in sich trägt“?
  Diese Fragen stellt die 32-jährige Leslie Jamison in einem ihrer Essays. „Süßlich“ heißt dieser Aufsatz, weil Jamison bei dem Versuch einer Rehabilitierung des großen Gefühls gleich zwei guilty pleasures zusammendenkt: ihre Sucht nach dem rauschhaften Glücksgefühl, das ihr künstlicher Süßstoff verschafft, und ihre lasterhafte Leidenschaft für die wohligen Schauer der Melodramatik. Gemeinsam ist beiden das schlechte Image ebenso wie die Künstlichkeit. Und schädlich sind sie auch: Süßstoff ist krebserregend, und Sentimentalität gilt als eine Art Nervengift, das uns gerade nicht das Herz öffnet, sondern nur den Voyeurismus bedient und letztlich so etwas ist wie psychoaktives Doping, ein Booster fürs Ego.
  Doch die Wirkmacht der Sentimentalität, die „als schneller Schuss, wie ein Shot Tequila oder eine Nase Koks“ durch die offenen Poren flutet und alle inneren Widerstände hinwegspült, ist gerade das, was Jamison an ihr fasziniert. Dabei geht es ihr nicht darum, vor lauter Gefühl zu zerfließen, sondern um die kathartische Wirkung, die sie sich davon verspricht. Das Übermaß könnte einer inneren Reinigung dienen, uns die Augen öffnen für das wahre Wesen der Sentimentalität, die Arthur Schnitzler einmal „das Gefühl der Gefühllosen“ genannt hat. Denn mag auch der Kitsch in all seinen Pastelltönen „die arschkriecherische Frucht der Westentaschen-Pastorale“ sein, schreibt Jamison, und damit „ein Modus der Bestärkung der eigenen Identität“ – noch viel mehr treffe das auf sein Gegenteil zu, die postmoderne Ironie. Unter Berufung auf den Schriftsteller David Foster Wallace bringt Jamison die Sentimentalität gegen den Panzer der Ironie in Stellung und streitet für eine neue Kultur der Empfindsamkeit.  
  Empathie ist der Schlüsselbegriff der fulminanten Texte im Buch der jungen Autorin, die an der Columbia University in New York Literatur lehrt. „Die Empathie-Tests“, so der Titel, versammelt Aufsätze, die Leslie Jamison zwischen 2006 und 2012 in Zeitschriften wie Harper’s Bazaar oder Vice veröffentlicht hat. Die amerikanische Ausgabe führte schnell die Bestsellerliste der New York Times an. Und in der Tat, die „Empathie-Test“ sind so etwas wie das Buch der Stunde. Das liegt zunächst am Thema. Nicht erst angesichts des gegenwärtigen Flüchtlingsdramas ist Empathie zu einem Zauberwort geworden. Von der Fähigkeit zur Einfühlung erhoffen wir uns die Erfüllung eines universellen Gleichheitsversprechens. Sich in den anderen hineinzuversetzen erscheint als Voraussetzung, um in einer globalisierten Welt Gerechtigkeit zu schaffen. Kulturelle Unterschiede sollen dabei nicht eingeebnet, sondern respektiert werden.
  Doch was Jamisons Erkundungen ihrer Gefühlswelt so interessant macht, ist, dass sie uns bei diesen Tauchgängen unter die eigene Haut einige Illusionen über das Wesen der Empathie raubt. Denn bei näherer Betrachtung erweist sich das, was wir für naturhaft gegeben halten, für einen ebenso unmittelbaren wie unhintergehbaren emotionalen Wärmestrom, als überaus komplex, ja als eine Kulturtechnik, die gelernt sein will. Jamison schreibt: „Empathie ist nichts, was uns einfach so zustößt, kein Meteoritenschauer von kreuz und quer durchs Gehirn feuernden Synapsen, sondern basiert auf einer Entscheidung, die wir treffen: einem anderen Menschen Aufmerksamkeit zu zollen, aus uns herauszutreten. Empathie ist das Produkt einer Anstrengung, dieser glanzlosen Cousine des Impulses.“
  Das klingt harmlos, doch um die Brisanz zu entdecken, die sich in dieser Abklärungsemphase verbirgt, muss man sich nur einige der erregten Debatten des Jahres in Erinnerung rufen. Als im Mai das Satire-Magazin Charlie Hebdo in New York mit einem Preis geehrt wurde und eine prominente Phalanx von Unterzeichnern gegen die Auszeichnung protestierte, entbrannte ein heftiger Streit. Die einen beriefen sich auf das Toleranzgebot und argumentierten, man dürfe eine Zeitschrift nicht prämieren, die mit ihren Mohammed-Karikaturen die religiösen Gefühle auch derjenigen Muslime verletzte, die genauso entsetzt waren über die Terrorakte von Paris wie Nicht-Muslime. Mit einer solchen Instinktlosigkeit wiederhole man das imperialistische Muster. Die anderen führten die Meinungsfreiheit ins Feld und unterstellten ihren Gegnern positiven Rassismus. Es ging also um die Machtfrage, darum, inwieweit man die Ungleichheit zwischen der Minderheit und der Mehrheit berücksichtigen soll und muss, um die Bereitschaft zur Empathie.
  Das Thema Selbstzensur kam einige Monate später erneut auf den Tisch, als der WDR eine Folge der Talkshow „Hart aber Fair“ aus seiner Mediathek entfernte und damit auf Vorwürfe reagierte, die Sendung habe einen frauenfeindlichen Tenor gehabt. Und wieder ging es um die Frage, wie viel Sensibilität und Einfühlung angemessen ist und an welchem Punkt das bloße Gefühl, gekränkt worden zu sein, selbst zu einem Instrument moralischer Erpressung wird.
  Amerikanische Studenten fordern neuerdings sogenannte „Trigger Warnings“ für bestimmte Studieninhalte, weil sie nicht belastet werden möchten mit Themen, die ihren Werten widersprechen und ihr moralisches Empfinden verletzen. Und ihre bloggenden deutschen Kommilitonen machten im Fall Herfried Münkler Texte öffentlich, die im Unterricht behandelt wurden, an deren politisch unkorrektem Inhalt sie jedoch Anstoß nahmen. Sie wollten dadurch Druck aufbauen gegen ihren Lehrer. Dies sind weitere aktuelle Beispiele dafür, wie Empathie ihre Unschuld verlieren kann und Denkverbote befördert. Leslie Jamison würde hier von „erzwungener Symmetrie“ sprechen oder auch von „Inpathie“, wie sie das nennt. Inpathie ist in ihrer Definition das Gegenteil von Einfühlung, gibt sich aber deren Anstrich. Man versetzt sich nicht in einen anderen hinein, sondern importiert dessen Probleme mit dem strategischen Ziel, sich auch dann zum schutzwürdigen Opfer zu stilisieren, wenn man gar keiner benachteiligten Minderheit angehört. All jene, die im Fernsehen Mitgefühl erheischen, um es als Machtmittel zu missbrauchen, bezeichnet Jamison daher als „Kuratoren der Entrüstung“.
  In ihrem Leit-Essay, der dem Band den Titel gibt, veranschaulicht sie die Janusgesichtigkeit der Einfühlung. Jamison jobbt während des Studiums als „standardized patient“, als Simulationspatient. Nach einem festen Drehbuch täuscht sie Krankheitssymptome vor, damit Medizinstudenten Patientengespräche trainieren können. Das Ganze erinnert an das berühmte Privatsprachen-Argument von Ludwig Wittgenstein. In seinen „Philosophischen Untersuchungen“ kommt Wittgenstein zu dem Ergebnis, dass inneres Erleben nur über äußeres Verhalten zugänglich sei. Empathie werde mir dann zuteil, wenn ich die allgemein anerkannten Verhaltensnormen einhalte, in denen Schmerz zum Ausdruck gebracht wird. Dass Gefühle zu einem gewissen Teil soziale Konstrukte sind, eine Art Rollentext, ist eine der Erkenntnisse, die Jamison aus dem Krankenhaus mitnimmt. Parallel dazu vergleicht sie das dort Erlebte mit ihren Empathie-Erwartungen und stellt dabei fest, dass Anteilnahme nicht nur nötig ist, um „Emotionen zu verstehen, sondern auch um herauszufinden, was für Emotionen tatsächlich da waren“. Einfühlung sei auch ein Tauschhandel, und manchmal fügten sich junge Mädchen körperlichen Schmerz zu, um eine Art „Empathie-Sozialhilfe“ in Anspruch zu nehmen.
  Im letzten Kapitel entwickelt Jamison auf den Spuren von Sylvia Plath, Joan Didion und Susan Sontag eine „Große Universaltheorie über den weiblichen Schmerz“. Die Haltung, die sie dabei einnimmt, ist die einer zweifachen Negation. Jamison wendet sich gegen die Romantisierung der Frau zur Leidensikone. Aber sie wendet sich auch gegen jene „postverwundeten“ Frauen, die ihren Schmerz hinter der Maske von Coolness und Härte verbergen, weil sie wissen, dass alle Schmerzposeneinem unemanzipierten Konzept von Weiblichkeit in die Hände spielen. „Ich habe genug vom weiblichen Schmerz“, schreibt Jamison, „und ich habe genug von Leuten, die genug davon haben.“
  Vielleicht sollte man diesen Essay mal Ronja von Rönne zu lesen geben, die im Frühjahr mit einer, gelinde gesagt, unterkomplexen Feminismus-Kritik von sich reden machte. Leslie Jamison ist eine ungemein inspirierende Seelenkundlerin. Wie die großen französischen Moralisten zeigt sie mit ihren brillanten Essays, wie haltlos der klischeehafte Dualismus von Verstand und Gefühl ist. „Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr“, wusste bereits Friedrich Schiller. In der damaligen Literatur der Empfindsamkeit gab es einen Namen für dieses Wissen. Man nannte es Herzensbildung.
                  
Leslie Jamison: Die Empathie-Tests. Über Einfühlung und das Leiden anderer. Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2015. 336 Seiten, 21,90 Euro. E-Book 16,99 Euro.
Die Autorin raubt uns einige
Illusionen über Emotionen,
die wir für so einfach halten
Ich habe genug
vom weiblichen Schmerz,
und ich habe genug
von Leuten, die genug
davon haben.“
„Ich bin ein Mensch. Nichts Menschliches sei mir fremd“, hat sich
Leslie Jamison auf den Unterarm tätowieren lassen.
Schon wird sie als neue Susan Sontag gehandelt.
Foto: Colleen Kinder
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"Halb Essay, halb Reportage, brillante Selbstversuche im Irrsinn der Gegenwart." Richard Kämmerlings, Die Welt, 06.12.15

"Dieses Buch kann anstrengend sein. Es zieht einen mit jedem Essay in eine Welt, die wieder anders anstrengend ist als die zuvor. Als Leser schwankt man zwischen Dankbarkeit für Jamisons Offenheit, für ihre brillanten Beobachtungen, ihre kraftvollen und manchmal poetischen Bilder - und dem Gefühl, dass ihre Analysen etwas Voyeuristisches haben, etwas Übergriffiges. Manchmal muss man das Buch dann weglegen, um sich zu erholen. Um sich vorzubereiten auf das nächste Mal, wenn man nach ihm greift. Denn das will man unbedingt." Fanny Jiménez, Welt, 14.11.15

"In Leslie Jamisons klarer Sprache, in ihrer Mitschrift der Möglichkeiten und Grenzen persönlicher Anteilnahme spiegel sich, in scharfen Konturen und satten wie pastosen Farben, unsere aktue condition humaine." Elke Schmitter, Literatur Spiegel, 26.09.15

"Wenn es noch eine Gelehrtenrepublik gibt, dann ist in ihr ein Licht aufgegangen. Lesen Sie dieses Buch und achten Sie auf diese Autorin." John Jeremiah Sullivan