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Wir meinen Fontanes "Effi Briest", Kafkas "Process" oder Musils "Mann ohne Eigenschaften" zu kennen. Doch ihre Übersetzungen ins Englische oder Französische rücken sie in ein neues Licht. Weil sie das Original "anders lesen", können wir es auch anders lesen. Die Übersetzungen entfalten seinen Sinn, statt ihn - wie es der Gemeinplatz will - zu reduzieren. In der aktuellen Übersetzungsdebatte bezieht Peter Utz damit eine neue Position: Die Übersetzer sind sinnstiftende Leser, die uns unerwartete Blicke auf die eigene Literatur eröffnen.

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Produktbeschreibung
Wir meinen Fontanes "Effi Briest", Kafkas "Process" oder Musils "Mann ohne Eigenschaften" zu kennen. Doch ihre Übersetzungen ins Englische oder Französische rücken sie in ein neues Licht. Weil sie das Original "anders lesen", können wir es auch anders lesen. Die Übersetzungen entfalten seinen Sinn, statt ihn - wie es der Gemeinplatz will - zu reduzieren. In der aktuellen Übersetzungsdebatte bezieht Peter Utz damit eine neue Position: Die Übersetzer sind sinnstiftende Leser, die uns unerwartete Blicke auf die eigene Literatur eröffnen.
Autorenporträt
Peter Utz, geboren 1954, studierte Germanistik und Geschichte in Bern und München. Seit 1987 ist er Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Lausanne, 2004/05 war er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2008

Eine Sprache, nicht von dieser Welt

Was machen eigentlich literarische Übersetzer: Schaffen Sie ein neues Kunstwerk, oder bieten sie nur einen Kompromiss an? Zwei Bücher geben dazu anregend Auskunft.

Im Anfang war die Übersetzung, nicht das originale Wort: Dieser Satz über die Entstehung der Kultur gilt spätestens, seit Gott zur Strafe für den Turmbau zu Babel die Sprache der Menschen verwirrte. Und er gilt erneut seit Goethes "Faust", dem Drama schlechthin über den Deutungsakt der Welt und in der Welt, der mit einem Übersetzungsversuch beginnt. Der amerikanische Semiologe Charles Peirce hat den Gedanken, dass Deutung zugleich immer schon Übersetzung ist, systematisch gefasst. "Eine der glücklichsten und brillantesten Ideen", schreibt der Sprachwissenschaftler Roman Jakobson über Peirce, "welche die allgemeine Sprachwissenschaft von dem amerikanischen Denker empfangen hat, ist die Definition der Bedeutung als Übersetzung eines Zeichens in ein anderes Zeichensystem."

Das heißt aber: Um die Bedeutung eines Zeichens zu bestimmen, muss man es durch ein anderes Zeichen oder Zeichenensemble ersetzen, das seinerseits wieder durch ein Zeichen oder Zeichenensemble interpretiert werden kann, und so fort. Die Hermeneutiken des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts haben sich diese Einsicht freilich nur sehr begrenzt zu eigen gemacht. Zumeist gilt ihnen der Satz, dass Übersetzen nicht Verstehen, sondern Verfälschen des Originals ist, traduttore - tradittore. Oder, mit einem berühmt gewordenen Wort des amerikanischen Dichters Robert Frost: Lost in translation - in der Übersetzung geht Sinn verloren. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer hat es auf den Punkt gebracht: "Jede Übersetzung, die ihre Aufgabe ernst nimmt, ist klarer und flacher als das Original."

Das Buch von Peter Utz nimmt die genaue Gegenposition ein. Es plädiert für den Zugewinn an Bedeutung, den jede Übersetzung eines Originals für dieses schafft; und für die Zugehörigkeit dieses komplementären Sinns, dieses Mehrwerts, zum übersetzten Werk selbst. "Übersetzen ist ein sinnstiftendes Lesen", ist seine These, die Übersetzer seien die genauesten Leser. Das Buch von Utz votiert für die Öffnung eines Bedeutungsspielraums zwischen Ausgangstext und Zieltext im Übersetzungsvorgang, die Entfaltung eines Bedeutungsfächers, und zwar möglichst durch verschiedene Übersetzungen desselben Werkes. Insofern könnte man das Verfahren der Sinnerweiterung durch Übersetzung als eine neue Variante literaturwissenschaftlicher Hermeneutik, als eine neue Verstehensmethode auffassen, die der vergleichenden Literaturwissenschaft zuzuordnen ist.

Das Buch von Peter Utz gewinnt seine Evidenz freilich nicht in erster Linie durch ein theoretisches Konzept, sondern vor allem durch mikrologische, geduldige Arbeit am Text. Die vier Kernkapitel behandeln vier Werke des deutschen - und man darf vielleicht sagen: des weltliterarischen - Höhenkamms und deren verschiedene Übersetzungen ins Französische und ins Englische. Der überzeugende methodologische Einfall von Utz besteht darin, dass er nur ganz wenige Kernstellen der Übersetzungsvarianz auswählt und in minutiöser Analyse mit dem poetologischen Grundtenor des jeweiligen Werkes konfrontiert. Utz beginnt mit einer Untersuchung der schon im neunzehnten Jahrhundert sehr zahlreichen Übersetzungen von E.T.A. Hoffmanns "Sandmann" ins Französische und setzt diese ins Verhältnis zu dem poetologisch wie thematisch bedeutsamen Begriff des Unheimlichen, wie er seit Sigmund Freuds legendärer Deutung des "Sandmanns" der Hoffmann'schen Poetologie zugeschlagen wird. Ein zweites Kapitel gilt Fontanes Roman "Effi Briest". Hier geht es, poetologisch gesehen, um jene eigentümliche Zitierkultur in den Gründerjahren des preußischen Kaiserreichs, die Fontane durch Übersetzung von Ereignissen, Fakten und Handlungen in ein Universum von (oft fremdsprachlichen) Gemeinplätzen, von geflügelten Worten pflegt - und an der, als einem Diskursgemenge, die französischen wie englischen Übersetzungen gewissermaßen mitarbeiten: "Der Dialog mit dem Fremden steht bereits im Original." Utz wählt dann Franz Kafkas "Process". Als Schlüsselstelle für den Zugewinn an Bedeutung durch translatorische Varianz dient ihm jene Szene im Dom, in der Joseph K. mit dem Gefängnisgeistlichen die mögliche Interpretation der Legende "Vor dem Gesetz" diskutiert - zwischen "Unveränderlichkeit der Schrift" und deren unendlichen "Auslegungen", also Übersetzungen, durch die Schriftgelehrten. Das letzte und vielleicht wichtigste Kapitel gilt Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften". Poetologischer wie philosophischer Kern dieses Romans ist der Begriff des "Gleichnisses" als innersprachliche wie weltformelhafte Übersetzungsfigur, an der sich Autor und Übersetzer abarbeiten. Utz zeigt, wie dieser Roman das Übersetzen als Schreib- und Erzählprozess zum Thema macht und sich so auf eine Poetik des Gleichnisses, eine Übertragung der einen Vorstellung in die andere, hin orientiert.

Man kann es als eine besondere Gunst für das Projekt des Übersetzens als eines Deutungsgestus von Welt ansehen, um das es hier geht, dass gleichzeitig mit dem Buch von Peter Utz ein Werk Umberto Ecos auf Deutsch erschienen ist, das eine entgegengesetzte These vertritt: "Quasi dasselbe mit anderen Worten". Utz argumentiert vom Standpunkt des vergleichenden Literaturwissenschaftlers aus, der sich von Übersetzungen eines Originals durch mehrere Übersetzer und in mehrere Sprachen einen hermeneutischen Gewinn für das Original verspricht. Umberto Eco dagegen ist, als Übersetzer, der er gelegentlich ist, und als literarischer Autor, der selbst in viele Sprachen übersetzt wurde, gerade nicht an Ambiguität, sondern an der Korrektheit, Treue und Angemessenheit der Übersetzungen interessiert. Für Utz ist Übersetzung ein wichtiges Mittel der Optimierung der Hermeneutik. Für Umberto Eco dagegen erweist sich umgekehrt Hermeneutik, also die Auslegung des zu übersetzenden Textes, nur als die Vorbedingung für eine möglichst eindeutige Übersetzung. So kann das Projekt von Utz nur lauten: ",Autrement dit': das Gewinnversprechen des literarischen Übersetzens". Ecos Gegenthese postuliert knapp und bündig: "Bereicherungen des Textes durch Übersetzungen sind zu vermeiden." Während es Peter Utz um den Überschuss des Verstehens geht, ist Eco an einem pragmatischen Kompromiss interessiert. Er benutzt den Greenblattschen Begriff des Aushandelns (negotiations) für das Finden eines Mittelwerts zwischen Ausgangstext und Zieltext.

Dieser - wie durch eine kulturthematische Vorsehung ausgelöste - imaginäre Dialog zwischen den beiden Büchern macht auf ein wichtiges Problem aufmerksam, das im gegenwärtigen Konflikt zwischen Globalisierung und Multikulturalität besonders virulent ist. Es ist die Frage, in welcher Weise Literatur, als Mimesis des Wirklichen, und Übersetzung, als Mimesis eines anderen Textes, miteinander zusammenhängen - und welches Verständnis des literarischen Kunstwerks aus dem Zusammenspiel beider zu gewinnen wäre. Es ist die Frage, die das Problem des Übersetzens im Feld der Kulturtechniken allererst situiert und positioniert. Wenn es zutrifft, was Aristoteles behauptet, dass die Lust, die den Menschen zum Kulturwesen macht, die Lust an der Nachahmung ist, dann steht das Verhältnis zwischen Mimesis des Wirklichen und Mimesis von Texten in der Tat im Zentrum des Prozesses der Kultur: als Inbegriff von Ambiguität.

Es ist offensichtlich, dass dieser Gedanke, hervorgelockt durch Ecos Kompromiss-These, die Grundidee des Buches von Utz ist. Dieser erhärtet sie dadurch, dass er die Poetologie seiner Autoren auf die Komplementarität von Erzählen und Übersetzen zuspitzt und aus der Tätigkeit des Übersetzens in andere semiotische Systeme rekonstruiert, in das System oder die Systeme des Autors selbst, in das des Lesers und nicht zuletzt in das des Übersetzers. Man könnte es auch die Frage nach dem Dritten nennen, das entsteht, wenn ein Text aus einer Ausgangssprache in eine Zielsprache übertragen wird, als ein Verstehensertrag zwischen den Kulturen. Schleiermacher hat diesen Zwiespalt, der entweder zum Konflikt oder zum Kompromiss wird, so beschrieben: "Entweder der Übersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe und bewegt den Leser ihm entgegen. Oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen."

Utz lässt die Lücke zwischen Ausgangstext und Zieltext vibrierend offen, Eco will sie so weit wie möglich schließen. So sucht jeder auf seine Weise nach der verlorenen dritten Sprache, die in diesem Zwischenraum zwischen Original und Übertragung nistet: als ein dynamisch sich öffnender Fächer von Bedeutungen oder aber als im Kompromiss verborgene, nie erreichbare Utopie, die Sprache des eigentlichen Sinns, der nicht von dieser Welt ist. "Der Wunsch nach Übersetzung", hat Jacques Derrida einmal gesagt, "ist undenkbar ohne die Korrespondenz mit einem Denken Gottes." Damit beruft er sich aber auf Walter Benjamin: "Die Interlinearversion des heiligen Textes ist das Urbild oder Ideal aller Übersetzung."

Das Buch von Utz ist ein sorgfältig angelegter Versuch, die Strategien der literarischen Hermeneutik zu erweitern und zu differenzieren. Die Texte der Weltliteratur, die es, nach schon so vielen Deutungen, noch einmal behandelt, liest man, in dichter Lektüre, mit neuen Augen. Die Lust am Text, seit einiger Zeit in unserer Welt durch die Lust an der Theorie weitgehend verdrängt, kommt hier wieder zu ihrem Recht.

GERHARD NEUMANN

Peter Utz: "Anders gesagt - autrement dit -

in other words". Übersetzt gelesen: Hoffmann,

Fontane, Kafka, Musil. Carl Hanser Verlag,

München 2007. 336 S., br., 19,90 [Euro].

Umberto Eco: "Quasi dasselbe mit anderen

Worten". Über das Übersetzen. Aus dem

Italienischen übersetzt von Burkhart Kroeber.

Hanser Verlag, München 2007. 460 S., geb., 27,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2007

Der fremde Herr
Peter Utz studiert Übersetzungen deutscher Literatur
„Übersetzen” heißt zwei Herren dienen. Also kann es niemand”, ächzte Franz Rosenzweig über dem Verdeutschen der hebräischen Bibel, in welch zweifachen Dienst er sich mit Martin Buber teilte. Rosenzweig hängte noch einen dritten Satz an: „Also tut es jeder”. Der Satz von der Unmöglichkeit, mehr als einem Herren zu dienen, ist ein christlicher (Matth. 6.24), und schon aus diesem Grunde mag Rosenzweig ihn nicht so ganz geglaubt haben. Die Christen selbst brachten es da weit, etwa im Dienst an Kirche und Staat. Und dabei geschah manchmal etwas, das auch beim Übersetzen passieren kann: Möglicherweise dient man dem einen Herrn, gerade indem, und nicht etwa obwohl man dem anderen dient.
Vielleicht, so sagte sich der Lausanner Germanist Peter Utz, fällt beim Übersetzen etwa von E.T.A. Hoffmann, Fontane, Kafkas, Musil als Dienst zum Beispiel an der französischen und englischen Sprachgemeinschaft, auch noch einiges an Einsicht für den deutschen Leser ab. Und, siehe da: es fällt. Denn Übersetzen ist eine Form der Interpretation; englisch ‚to interpret‘ heißt (auch) ‚übersetzen‘.
Freilich will Utz diese Form des Deutens nicht mit seiner eigentlichen Profession verwechselt sehen und markiert den Unterschied durch den Gegensatz von Tiefe und Oberfläche: „Literaturwissenschaftler sind Sinntaucher”, reklamiert er, „Übersetzer dagegen sind Sprachsurfer”. Das ist unschön und modisch gesagt, eventuell auch etwas voreingenommen für Utz’ eigene Firma, die Wissenschaft. Wie wäre es, im Gegenzug, mit der Opposition von ‚breit‘ und ‚dicht‘? Wo ein Literaturwissenschaftler seine Deutung eines Wortes im ihm beliebenden Maße ausbreiten kann, muss der Übersetzer sie in der Regel in ein einziges Wort verdichten. Diese für Übersetzer schmeichelhaftere Formulierung verweist allerdings auch auf einen Preis: Der Übersetzer muss sich oft festlegen, wo das Original etwas offen lässt, denn nicht jede Sprache erlaubt die selben respektive gleichen Uneindeutigkeiten. Just diese translatorischen Festlegungen können indes bemerkenswert lehrreich sein.
Utz’ Idee, sich deutsche Literatur aus englischen und französischen Übersetzungen zurückspiegeln zu lassen und so etwas über sie zu lernen, erweist sich als vorwiegend aufschlußreich. Die Beispiele, an denen Utz sie zu bewähren sucht, sind recht instruktiv gewählt. Sie entfalten ernste Seiten und heitere, und nebenbei dienen sie dem europäischen Kulturvergleich. Eine Frage, unter Garantie nicht für die Millionenshow: Welche Haarfarbe hat Effi Briest?
ANDREAS DORSCHEL
PETER UTZ: Anders gesagt – autrement dit – in other words. Carl Hanser Verlag, München 2007. 336 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wenn Andreas Dorschel auch mit der Definition vom Übersetzer als "Sprachsurfer" nicht recht einverstanden ist, findet er Peter Utz' Unternehmen, ausgewählte Übersetzungen im Deutschen, Französischen und Englischen zu vergleichen, durchaus lohnenswert. Er lobt die Vergleiche des Schweizer Germanisten verhalten als "überwiegend" erhellend und findet es begrüßenswert, dass das Buch auf alle Fälle den "europäischen Kulturvergleich" fördere.

© Perlentaucher Medien GmbH