Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 8,90 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Jorge Luis Borges hat nicht nur weltweiten Ruhm als Lyriker und Erzähler erlangt, sondern zugleich auch als umfassend gebildeter Historiker und Erklärer der Dichtung. Dieses Buch enthält seine sechs brillanten Harvard-Vorlesungen aus den Jahren 1967/1968 und gibt eine konzentrierte Zusammenfassung von Borges´ Idee der Dichtung. Ein poetologisches und autobiographisches Zeugnis eines der großen Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts.

Produktbeschreibung
Jorge Luis Borges hat nicht nur weltweiten Ruhm als Lyriker und Erzähler erlangt, sondern zugleich auch als umfassend gebildeter Historiker und Erklärer der Dichtung. Dieses Buch enthält seine sechs brillanten Harvard-Vorlesungen aus den Jahren 1967/1968 und gibt eine konzentrierte Zusammenfassung von Borges´ Idee der Dichtung. Ein poetologisches und autobiographisches Zeugnis eines der großen Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts.
Autorenporträt
Jorge Luis Borges, geb. 1899 in Buenos Aires, gründete schon als junger Mann mit Freunden zusammen literarische Zeitschriften. Sein erster Gedichtband erschien 1923. Von 1950-1953 war er Präsident des argentinischen Schriftstellerverbands und von 1955-1973 Direktor der Nationalbibliothek von Buenos Aires. 1961 erhielt er, zusammen mit Beckett, den Internationalen Literaturpreis Formentor, dem bis zu seinem Tod 1986 in Buenos Aires zahlreiche internationale Ehrungen folgten. Kaum ein Schriftsteller des 20. Jahrhunderts hat so viele andere Autoren beeinflusst wie Borges.
Jorge Louis Borges begann früh zu schreiben - Essays, Gedichte, Erzählungen. Er unternahm viele Reisen und lernte Englisch, Frazösisch, Deutsch und Latein.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Als das Wort die Nacht verdunkelte
Mit Keats fing alles an: Jorge Luis Borges' Lesekunst / Von Heinrich Detering

Zwischen Oktober 1967 und April 1968, inmitten der Zeit von Vietnamkrieg und Studentenrebellion, hat Jorge Luis Borges in Harvard fünf englische Vorträge gehalten, die erst vor kurzem nach den wiedergefundenen Tonbandaufnahmen publiziert wurden und die Lesern dieser Zeitung schon als Vorabdruck bekannt sind. Glaubt man seinen Selbstkommentaren, dann ist Borges um diese Zeit ein unsicherer Mann gewesen. Nichts als einige "Vorkehrungen und Zweifel" habe er anzubieten, versichert er zu Beginn, ein "sehr schüchterner Denker". Sei ihm doch einmal eine wirklich kühne Metapher gelungen, habe er sie vorsichtshalber "einem entlegenen Perser oder Norweger zugeschrieben", schließlich "könnten die Perser oder Norweger diese Metapher ja tatsächlich erfunden haben"; und da könnte der Satz zu Ende sein, nur Borges kann ihm die wunderbar selbstironische Wendung geben, "oder weit bessere".

Die Selbstironie, mit der sich der gerade Achtundsechzigjährige eingangs als zerstreuter Greis inszeniert und auf sein vorgeblich so schlechtes Gedächtnis verweist - hier ist sie Teil eines intellektuellen Spiels, das beim Handwerk des Dichters beginnt und in dem es bald um die letzten Dinge der Poesie geht (und nicht nur dieser). Plaudernd spricht Borges zum Beispiel über Lord Byrons Vers "She walks in beauty, like the night". "Diese Zeile", bemerkt er, "ist so vollkommen, daß wir sie für selbstverständlich halten. Wir denken: ,Also, das hätten wir auch schreiben können, wenn wir gewollt hätten.' Aber nur Byron wollte es schreiben." Dieser Gedanke ist so vollkommen, daß wir ihn für selbstverständlich halten. Aber nur Borges hat ihn so gedacht.

Dieses halblaute Nachdenken vor Zuhörern führt unmerklich ins Zentrum von Borges' Welt - nicht nur in sein Denken und Schreiben, sondern, wenn überhaupt irgendein Text, auch ins Innere seiner Person. Ein Bruder der Romantiker wie ihrer postmodernen Wiedergänger spricht hier, ein Liebhaber Schopenhauers, Nietzsches und der Bibel. Und er spricht als ein freier Geist wie wenige. Je länger er redet, desto weiter treten die vorsichtigen Relativierungen zurück, desto deutlicher zeichnen sich Grundlinien einer Konfession ab. "Vielleicht", erwägt er einmal, "gab es einen Moment, da das Wort ,Licht' zu blitzen schien und das Wort ,Nacht' dunkel war." Fünf Seiten später ist aus der Vermutung eine Gewißheit geworden, und die Idee, "daß Wörter als Magie begannen und durch die Dichtung wieder zu Magie werden, halte ich also für wahr".

Daß Borges "in Wahrheit keine Offenbarungen anzubieten" habe, erfahren die Hörer gleich zu Beginn. Daß aber diese Wahrheit selbst schon Teil jener romantischen Ironie ist, die den ganzen Zyklus bestimmt, bemerkt man spätestens in einer Kindheitserinnerung aus Buenos Aires. Damals, als der Knabe aus dem Mund seines Vaters zum ersten Mal Verse von Keats gehört hat, geschah etwas Unwiderrufliches mit "meinem ganzen Wesen, meinem Fleisch und Blut": Da "wurde mir die Dichtung offenbart". Seither ist "die zentrale Tatsache meines Lebens die Existenz von Wörtern gewesen" und die Gewißheit, daß Dichtung "der Ausdruck von Schönheit mittels kunstvoll verbundener Wörter" ist - und sonst nichts. Im Jahr der Revolution war das erzreaktionär. Erst im Rückblick zeigt sich, wie gering der Abstand zu den Proklamationen, wie sie gleichzeitig im fernen Paris Roland Barthes verfaßte, im Grunde war.

Als "Credo" überschreibt Borges diesen letzten Vortrag; und das ist kein zu starkes Wort für das, was hier von der Dichtung erhofft und geglaubt wird. Um nicht weniger geht es als um das Versprechen reiner Schönheit, eines zeitlosen, vollkommenen Glücks. Was Dichtung vermittelt, ist weder eine Bedeutung (die erst der Leser "dem Vers hinzufügt") noch irgendeine Wahrheit, schon gar nicht diejenige des Autors. Beim Lesen der "Leaves of Grass", so denkt sich Borges, müsse Whitman wohl geseufzt haben: "Ach! Wenn ich doch nur Walt Whitman wäre, ein Kosmos, Manhattans Sohn!" Nein, nicht auf die Umstände des Gedichts kommt es hier an, sondern auf seine Schönheitsoffenbarung. Die aber ist wie alle Offenbarung ohne Zeit; in ihrer stehenden Gegenwart herrscht reines Jetzt. Mit Nietzsche empfindet Borges deshalb schon das bloße Bewußtsein einer Geschichtlichkeit als "eine Form des Unglaubens, eine Form des Skeptizismus . . . Ich glaube, die alte Vorstellung - Vollkommenheit der Kunst ohne Ansehung des Datums zu akzeptieren - war großmütiger." Um Großmut geht es, um das Glück und um den Glauben, "daß doch Dinge von ewiger Schönheit erreichbar sind".

Wenn Borges solche Dinge an Lieblingsgedichten umkreist, scheint es manchmal, als vergesse er, daß er hier in eigener Sache reden sollte, als werde er zum Vermittler der Stimmen, die durch ihn hindurch sprechen - aus der Ferne einer Vergessenheit heraus, die er spielerisch übertreibt und die doch nur den Tod meint. "Von Browning, einem heute vielleicht vergessenen Dichter", sind Strophen zu hören, vom "heute vergessenen Byron" und "von einem meiner toten Meister, Rafael Cansinos-Asséns". Die toten Meister - aus diesem Lebenden sprechen ihre Verse, weil sie in seiner Erinnerung wie in ihrer eigenen Welt alle gleich gegenwärtig sind. Homer und Beowulf reden hier durch- und miteinander, Tschuang-Tse, Hamlet und Góngora, Don Quijote und Omar Khayyám. In der Welt, aus der heraus diese Stimmen kommen, gibt es keine Zeit.

In keine Vergangenheit also führt Borges' Lesekunst, sondern in die Gegenwart der Wörter: als blicke er schon hinaus aus der Höhle, in deren Schattenbilder wir uns verguckt haben. Stets zitiert er dabei nur nach der Bibliothek in seinem Kopf - und stets mit Kautelen wie "ich wünschte, ich könnte mich erinnern" oder "ich wünschte, ich hätte das Buch hier". Zur Not wäre die gesuchte Übersetzung in Harvard wohl zu beschaffen gewesen. Doch in eine zeitlos-imaginäre Bibliothek mischt man besser keine realen Ausleihexemplare hinein.

Daß diesem Propheten der Poesie "die Idee von einer Heiligen Schrift . . . nicht ganz falsch" vorkommt, leuchtet unter diesen Umständen ebenso ein wie die unorthodoxe Buchstäblichkeit, mit der er sie aufgreift. Dabei geht dieses Credo so leicht mit Skepsis zusammen wie Stevenson mit den Evangelien. Einmal nur vergibt Borges einen emphatischen Superlativ und preist "den Größten unter allen, die die spanische Sprache zur Dichtung verwendet haben. Ich spreche natürlich von San Juan de la Cruz", natürlich, welcher Zuhörer hätte hier an einen anderen Namen denken können als an den des heiligen Johannes vom Kreuz, des poetischen Mystikers! In solchem Licht erscheint selbst die Koketterie der Bescheidenheitstopoi noch als ein Teil von ihnen - die graziöse Verkleidung einer Demut, die den Abstand zwischen den toten Meistern und den eigenen Bemühungen immerfort wahrnimmt. Darin, mehr noch als im Witz seiner Einfälle und der Eleganz seiner Formulierungen, liegt vielleicht der tiefste Zauber dieses zauberhaften Buches: daß hier im leisen Parlando nichts Geringeres entsteht als der Versuch, "mein eigenes Leben zu rechtfertigen".

In einer noch immer nur halblauten Schlußwendung wünscht sich Borges die Wiederkehr einer Poesie, in der Gesang und Erzählung wieder so eins wären, wie sie es bei Homer und Vergil waren. Vielleicht werde dann auch "den Menschen an der Schönheit liegen, nicht an den Umständen der Schönheit". Im Advent 1967 gibt Borges dieser Hoffnung Ausdruck. Übrigens gebe es, hat er schon bei früherer Gelegenheit bemerkt, für die Wörter "eine Art Gastlichkeit in unserer Vorstellungskraft". Zu Weihnachten, das immer so reich an Leselust ist und so arm an Lesezeit, ist dieses kleine, unerschöpfliche Buch der freundlichste Gast, den man sich wünschen kann.

Jorge Luis Borges: "Das Handwerk des Dichters". Aus dem Englischen übersetzt von Gisbert Haefs. Hanser Verlag, München 2002. 104 S., geb., 12,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Dieses "kleine, unerschöpfliche Buch" ist für Rezensent Heinrich Detering der "freundlichste Gast" den er sich wünschen kann. Auch, weil Borges darin, wie wir lesen, selbst "die Gastfreundlichkeit unserer Vorstellungskraft" beschwört. Deterings Informationen zufolge versammelt der Band fünf Vorträge über, die Borges zwischen Oktober 1967 und April 1968 in Harvard gehalten hat und die er als "halblautes Nachdenken vor Zuhörern" bezeichnet. Plaudernd spreche Borges beispielsweise in den erst vor kurzem aus wiedergefundenen Tonbandaufzeichnungen publizierten Texten über Literatur und führte den Rezensenten "unmerklich in das Zentrum seiner Welt". Und zwar nicht nur in sein Denken und Schreiben, sondern auch "ins Innere seiner Person". Die Vorträge sind für Detering ein intellektuelles Spiel, das "beim Handwerk des Dichtens beginnt" und in dem es für ihn bald "um die letzten Dinge" geht. Vor allem aber geht es auch um die Kunst des Lesens, erfahren wir. Mit einigem Genuss rekapituliert der Rezensent einige von Borges' Lesefrüchten, dessen Lesekunst ihn eigenem Bekunden zufolge nicht in die Vergangenheit, sondern in die "Gegenwart der Wörter" führte.

© Perlentaucher Medien GmbH"
"Schön wie Schnee. Befreiend. Klar. Man muss die Bücher einsaugen wie schneidend kalte Luft." Holger Kreitling, Die Welt, 22.02.03