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Die Heidelberger Sozialwissenschaften der zwanziger Jahre waren Ausgangspunkt eines großen intellektuellen Aufbruchs hin zur einer modernen Gesellschaft. Große Namen wie Alfred Weber, Karl Mannheim und Norbert Elias stehen für diese Neugierde und gedankliche Experimentierfreude. Der Soziologe Reinhard Blomert stellt dieses ungewöhnliche Kapitel deutscher Ideengeschichte zum ersten Mal im Zusammenhang vor.
Alfred Weber, Karl Mannheim und Norbert Elias: Drei große Namen stehen für die intellektuelle Neugierde und gedankliche Experimentierfreude der Sozial- und Staatswissenschaften an der
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Produktbeschreibung
Die Heidelberger Sozialwissenschaften der zwanziger Jahre waren Ausgangspunkt eines großen intellektuellen Aufbruchs hin zur einer modernen Gesellschaft. Große Namen wie Alfred Weber, Karl Mannheim und Norbert Elias stehen für diese Neugierde und gedankliche Experimentierfreude. Der Soziologe Reinhard Blomert stellt dieses ungewöhnliche Kapitel deutscher Ideengeschichte zum ersten Mal im Zusammenhang vor.

Alfred Weber, Karl Mannheim und Norbert Elias: Drei große Namen stehen für die intellektuelle Neugierde und gedankliche Experimentierfreude der Sozial- und Staatswissenschaften an der Heidelberger Universität in den zwanziger Jahren. Hier ließ man sich nicht auf bestimmte Themen und Methoden festlegen und verstand sich, im Gegensatz zu den Kollegen in Frankfurt, bewußt nicht als "Schule". Über Fragen der Nationalökonomie und der Kultursoziologie wurde genauso engagiert diskutiert wie über das Selbstverständnis der Angestellten. Reinhard Blomert schildert die Geschichte des Instituts und die Biographien seiner Mitarbeiter. Eine besondere Entdeckung ist der vollständig abgedruckte Entwurf zu einer Studie über die Geschichte der modernen Naturwissenschaften, an der Norbert Elias in Heidelberg arbeitete. Dieses Buch ruft ein Kapitel deutscher Ideengeschichte in Erinnerung, das auch als Gegenentwurf zum linken und rechten Totalitarismus seiner Zeit neu entdeckt werden muß.
Autorenporträt
Reinhard Blomert, geboren 1951 in Rheine/Westfalen, ist Soziologe und lehrt an der Humboldt-Universität Berlin mit den Forschungsschwerpunkten Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Geldes. Er ist Gründungsmitglied der Studiengruppe "Zivilisation und Gesellschaft" und publizierte neben regelmäßigen Beiträgen für verschiedene Periodika eine Studie zur theoretischen Konstruktion bei Norbert Elias (1991, 2. Aufl).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Eine Schule verstören, das wollte er gern
Doch Alfred Weber machte selbst keine / Von Stefan Breuer

Das Gruppenfoto vom Mai 1927 zeigt eine eindrucksvolle Mannschaft: an der Spitze der Patriarch des "Institutes für Sozial- und Staatswissenschaften" (InSoSta), Alfred Weber, flankiert von Gustav Radbruch, Else Jaffé und Willy Hellpach, in den Reihen darunter zahlreiche weitere Zelebritäten wie Marianne Weber, Emil Lederer, Arnold Bergstraesser, Karl Mannheim sowie - vermutlich - Erich Fromm und Norbert Elias. Nicht alle gehörten zu dem 1924 auf Initiative Alfred Webers an der Heidelberger Universität gegründeten Institut; und nicht alle, die an diesem Institut forschten oder lehrten, haben für das Foto posiert oder konnten auf ihm identifiziert werden - Arthur Salz, Edgar Salin, Carl Brinkmann, um nur einige zu nennen. Dennoch zeigt das Foto, womit man es zu tun hat: mit einer der bedeutendsten sozialwissenschaftlichen Einrichtungen der Zwischenkriegszeit, die das geistige Leben der Weimarer Republik stark beeinflusst hat.

Reinhard Blomert hat die Geschichte dieses Instituts mit großem Forschungsaufwand und viel Sympathie nachgezeichnet. Er hat Zeitzeugen befragt, Archive und Nachlässe ausgewertet und dabei manchen Fund gemacht wie die - im Anfang erstmals abgedruckte - Disposition von Norbert Elias zur geplanten Habilitation bei Alfred Weber, die sich mit der Entstehung der modernen Naturwissenschaften in der italienischen Renaissance befassen sollte. Hauptwerke der Leitfiguren werden vorgestellt, aber auch Dissertationen und kleinere Beiträge finden Beachtung, so dass ein lebendiges Bild der in dieser Zeit betriebenen Forschung entsteht.

Zu den Themen, mit denen man sich am InSoSta befasste, gehörte natürlich das Thema der Weber-Brüder, die Bürokratie. Daneben aber gab es rege Debatten über den "neuen Mittelstand", die Angestellten und deren politische Präferenzen, die, wie man damals fälschlich meinte, vor allem dem Nationalsozialismus zugute kämen; über Refeudalisierungstendenzen in der Wirtschaft (Carl Brinkmann); über den Konservatismus (Karl Mannheim); und nicht zuletzt: über die Soziologie der Kultur, des Wissens und der Intellektuellen (Alfred Weber, Karl Mannheim). Blomert behandelt dies alles sachkundig und mit klarem Blick für die Differenzen, die etwa zwischen Alfred Webers (,Neoplatonismus') und Mannheims Funktionalismus bestanden. Darüber hinaus vermag er deutlich zu machen, wie stark das erst nach den Heidelberger Jahren entstandene Werk von Norbert Elias durch seine Zeit bei Weber und Mannheim geprägt ist.

In einem weiteren Kapitel wird die Verflechtung des Instituts in die großen politischen Auseinandersetzungen betrachtet. Hier geht es zum einen um den Fall Gumbel, der allerdings schon mehrfach Gegenstand von Darstellungen war; zum anderen um die Beziehungen zum rechtsradikalen "Tatkreis", die dadurch gegeben waren, dass zwei Redakteure dieser Zeitschrift - Ernst Wilhelm Eschmann und Giselher Wirsing - als Assistenten bei Alfred Weber und Carl Brinkmann arbeiteten. Sehr aufschlussreich ist dabei ein Briefwechsel zwischen Alfred Weber und Hans Zehrer, in dem der Erstere dem Letzteren unmissverständlich vorbuchstabiert, welche Folgen die von der "Tat" angestrebte Vernichtung des Liberalismus auch und gerade für ihn selbst haben würde (und dann tatsächlich hatte). Dass sich dabei die politische Lage von Heidelberg aus etwas einfacher darstellte als von Berlin aus, wird von Blomert ebenfalls nicht verschwiegen.

Ein weiterer Abschnitt ist dem "Fall" Bergstraesser gewidmet, bei dem es um die politische Haltung des späteren Freiburger Politikprofessors gegenüber dem aufkommenden Nationalsozialismus geht. Blomert legt hier in einer subtilen Rekonstruktion das Gespinst von Verdächtigungen bloß, das die political correctness von damals um Bergstraesser knüpfte, und tritt vorschnellen Verurteilungen entgegen, indem er plausibel macht, dass dessen politische Sympathien keineswegs Hitler galten, sondern der - ebenfalls von der "Tat" favorisierten - "Querfront"-Strategie, die den General von Schleicher, die Gewerkschaften und den Strasser-Flügel der NSDAP zusammenspannen wollte. Ein besonders trauriges Kapitel deutscher Universitätsgeschichte ist die 1936 erfolgte, vor allem durch Intrigen des Historikers Günther Franz beschleunigte Entfernung Bergstraessers aus seinem Amt als Inhaber der Goethe-Gedächtnis-Professur.

Am Ende des materialreichen Buches wirft Blomert die Frage auf, warum aus dem InSoSta,im Gegensatz etwa zum Frankfurter Institut für Sozialforschung, keine "Schule" im akademischen Sinne geworden ist. Er nennt sachliche und persönliche Gründe. Alfred Weber, leitender Geist des Instituts, habe sich in manchen Punkten vom Werk des Bruders Max abgesetzt, dessen Wirkung aber nicht auslöschen können, so dass es in Heidelberg zwei Weber-Traditionen gab. Der wichtigste Schüler, Edgar Salin, habe seine Loyalität zwischen ihm und Stefan George aufgeteilt, während Bergstraesser kein Schüler geworden sei, sich vielmehr wegen politischer Ambitionen von Alfred Webers kultursoziologischen Fragen entfernt habe. Insgesamt hätten sich die Heidelberger Sozialwissenschaften nicht für synthetische Systembildungen geeignet, ihr Charakteristikum sei die offene Diskussion kontroverser Standpunkte gewesen.

Das sind gewichtige Gründe. Und doch reichen sie nicht aus. Für eine Schulbildung war das, was Alfred Weber an Eigenem zu bieten hatte, einfach nicht hinreichend. Nicht der Neoplatonismus, wohl aber seine aus Jugendbewegung, Lebensphilosophie und Konkurrenz gegen den Bruder gespeiste Abneigung gegen Definitionen, Typen, ja gegen exaktes Denken überhaupt hinderte ihn, ein OEuvre mit unverwechselbaren Konturen zu schaffen. Die bildungsbürgerliche Goethereligion, die Blomert ihm bescheinigt, war eher die Holzwolle, mit der er die klaffenden Lücken seiner Arbeiten zu stopfen versuchte, als die Barriere, die ihn von erfolgreicher Forschung abgehalten hätte. Starkes, langsames Bohren von harten Brettern war seine Sache nicht: fast alles, was er wissenschaftlich zustande gebracht hat, liest sich, als wäre es im Café zwischen etlichen Aperitifs geschrieben und nicht in der Bibliothek zwischen Bücherregalen. Grandseigneur und Plaudertasche zugleich, hätte Alfred Weber einen guten Bundespräsidenten abgegeben. Als Schulgründer aber war er eine Fehlbesetzung. Noch immer gilt, was Talcott Parsons (nach Gottfried Eisermann) 1954 bei einem Kolloquium Alfred Weber antwortete, als dieser ihn unter Tränen fragte, ob er denn alles verurteilen wolle, was er geschaffen habe: "Durrrchaus nücht, nur würrrde ich es nücht Soziologie nennen."

Reinhard Blomert: "Intellektuelle im Aufbruch". Karl Mannheim, Alfred Weber, Norbert Elias und die Heidelberger Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit. Carl Hanser Verlag, München 1999. 472 S., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Stefan Breuer schildert in seiner Rezension das Heidelberger für Sozial- und Staatswissenschaften als eine der bedeutendsten soziologischen Einrichtungen im Deutschland der Zwischenkriegszeit. Blomert widme sich dem Institut "mit großem Forschungsaufwand und Sympathie". Hauptpersonen seien Alfred Weber (der Bruder des ebenfalls in Heidelberg lehrenden großen Max Weber) Karl Mannheim und ihr Schüler Norbert Elias, dessen Beeinflussung durch seine Lehrer Blomert überzeugend aufzeige. Ferner setze sich Blomert mit der Karriere Arnold Bergstraessers nach der Machtübernahme der Nazis auseinander. Am Ende seines "materialreichen" Buchs stelle Blomert die Frage, warum sich aus Alfred Webers Institut keine "Schule" etwa im Sinne der Frankfurter Schule entwickelt habe. Rezensent Breuer hat da seine eigene These: Weber sei "Grand Seigneur und Plaudertasche" gewesen, seine eigenen Werke wiesen "klaffende Lücken" auf und hätten für eine Schul-Bildung nicht genug Bestand.

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