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Die Theologisierung der Politik - religiös motivierte Kriege - ein Präsident als Vollstrecker göttlichen Willens und "Heilsbringer"LangtextDas Jahr 1914: Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" wird zur Aufführung an Bühnen ausserhalb Bayreuths freigegeben und der Erste Weltkrieg beginnt. Beide Ereignisse sind in beunruhigender Weise miteinander verbunden. Die Rezeption des "Parsifal" und die Auseinandersetzung mit dem Kriegsereignis haben einen gemeinsamen ideologischen Nenner: die Vermischung mit dem Religiösen und die Sakralisierung des Denkens. Das Kunstwerk "Parsifal" entpuppt sich in…mehr

Produktbeschreibung
Die Theologisierung der Politik - religiös motivierte Kriege - ein Präsident als Vollstrecker göttlichen Willens und "Heilsbringer"LangtextDas Jahr 1914: Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" wird zur Aufführung an Bühnen ausserhalb Bayreuths freigegeben und der Erste Weltkrieg beginnt. Beide Ereignisse sind in beunruhigender Weise miteinander verbunden. Die Rezeption des "Parsifal" und die Auseinandersetzung mit dem Kriegsereignis haben einen gemeinsamen ideologischen Nenner: die Vermischung mit dem Religiösen und die Sakralisierung des Denkens. Das Kunstwerk "Parsifal" entpuppt sich in dieser Analyse als ein aktuelles, brisantes politisches Stück, in dem sich Denken und Mentalität einer ganzen Epoche zu einem geistigen Panorama verdichten. Hier haben sie alle ihren Auftritt: von Arthur Schopenhauer und Houston Stewart Chamberlain, über Oswald Spengler, Otto Weininger und Walther Rathenau bis hin zu Adolf Hitler. Verhängnisvoll waren schließlich in der Parsifal-Wahrnehmung und in der "geistigen Mobilmachung" die Ausblendung der Wirklichkeit und die Suspendierung der Vernunft.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wagnerianer und Antiwagnerianer werden sich freuen, denkt Gangolf Hübinger, denn viel interessantes Material hat Nora Eckert "anschaulich" aufbereitet. Das Problem ihres Buches sei die These: Wagners "Parsifal", uraufgeführt 1914 und Ursache eines "kunstreligiösen Rausches", der ganz Deutschland erfasste, ist laut Eckert der unmittelbare Auftakt für die "rauschhaften Kriegsbegeisterung" einige Monate später und letztlich für die Ereignisse von 1933 gewesen. Dass ein Zusammenhang existiert, will Hübinger gar nicht abstreiten, nur ist er enttäuscht, dass Eckert anstatt des angekündigten "Panoramablicks" auf die deutsche Mentalitätslage anno 1914 vor allem Kurzschlüsse und Pauschalisierungen (etwa: "Man wähnte sich in heiliger Zeit.") zu bieten habe. Der Zusammenhang zwischen der Wagner-Oper und dem Zeitgeschehen sei leider nicht der Ausgangspunkt für eine "geschärfte Rundsicht auf die Topografie der deutschen Kultur", sondern schon der Endpunkt der Argumentation.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2003

Die Rückkehr des Kaisers zum Herrn der Ringe
Vom Heilssucher zum Heilsbringer: Nora Eckert erblickt durch Wagners „Parsifal” die deutschen Tragödien des zwanzigsten Jahrhunderts
Am 1. Januar 1914 wurde Richard Wagners Weihefestspiel „Parsifal” für Aufführungen außerhalb Bayreuths freigegeben, und ganz Deutschland fiel in einen kunstreligiösen Rausch. Der Opernbesuch geriet zum Gottesdienst. Im Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 sieht die Journalistin und Wagnerforscherin Nora Eckert eine Wiederaufführung. Rauschhafte Kriegsbegeisterung zeuge vom kollektiven Wunsch nach Erlösung. Die Heilsutopie des Gralstempels habe sich in politische Mobilisierung umgesetzt. Wenn sich auch Januar und August 1914 nicht kausal aufeinander beziehen lassen, so seien beide Ereignisse doch um so folgenreicher durch „eine Art epochaler Mentalität” miteinander verbunden. Diese Mentalität will Eckert mit einem „Panoramablick” auf das zeitgenössische Denken neu entschlüsseln.
Auf ihre Kosten kommen dabei die Wagnerianer und Antiwagnerianer, denn viel Material zum „Parsifal-Fieber” wird anschaulich ausgebreitet. Die Opernhäuser von Breslau bis Brüssel und Petersburg bis Prag konkurrieren um die wahrhaftigsten Inszenierungen. In Berlin treten gleich zwei Häuser an. Kontrastreiche Rezensentenstimmen kommen zu Wort, sie rühmen die Ergriffenheit der nach Offenbarung lechzenden Besucher, oder aber sie sehen wie Lion Feuchtwanger in „Parsifal” einen neuen Höhepunkt der äußerst profanen Wagnerindustrie, ein „stilisiertes Oberammergau”. Ein solcher Vergleich geht der Autorin zu weit. Keine Frömmigkeitsfolklore, sondern die Inszenierung eines nationalen Heiligtums gibt ihr die Denkrichtung vor. Aus Wagners archaischen Seelenbildern gewinne die Nation ihr Identitätsgefühl.
Die Titelblattkomposition aus Parsifal-Partitur und preußischen Pickelhauben findet ihre Entsprechung im Kapitel über Gralsgemeinschaft und Volksgemeinschaft, beide verbinde eine „exklusive und mythische Konstitution”. Diese pseudosoziologische Parallele führt allerdings zu dem Kurzschluss, die Reichsparteitage der Nationalsozialisten haben als sakralisierte Gralsfeiern zu gelten. Das Fernrohr auf den „panoramatischen Horizont” der deutschen Seelenlagen ist mithin gar nicht auf den August 1914 scharf gestellt. Die Kulturdiskurse um die Ideen von 1914 selbst erscheinen eher als blasse Durchgangsphase ins Geisterreich von 1933. Weniger auf ihre Kosten dürften deshalb diejenigen kommen, die am Wagnerismus des Fin-de-Siécle und an der Dialektik von Mythos und Moderne interessiert sind.
Was erfahren wir Neues über den mentalen Wirkungszusammenhang von Gralseuphorie und geistiger Mobilisierung zum Großen Krieg? Verwiesen wird auf die intellektuelle Massenproduktion von 13 000 Titel, ein gewaltiger Kampf mit der Feder an der Schreibtischfront. Ob auch mit Parsifal gefochten wurde und ob das blühende Verlagsgewerbe der Feldpostliteratur neben Goethe auch Wagner in die Tornister stopfte, lässt sich nach der Lektüre von „Parsifal 1914” kaum klären. Man wähnte sich in heiliger Zeit, heißt es pauschal. Aber immer wieder verrutscht der Zeithorizont. Gralskönig Amfortas findet sich zwischen Benito Mussolini und Oswald Spengler wieder. Das verweist auf das europäische Grunddilemma, die Wege aus der Urkatastrophe, die der Weltkrieg fraglos für das 20. Jahrhundert gewesen ist, zu finden. Die Wege in den „Kulturkrieg” lassen sich ertragreicher mit Barbara Beßlich und die Strukturen des neuen Nationalismus mit Stefan Breuer erschließen.
Bei ihrer Wanderung durch die ideologischen Formationen der deutschen Selbstbeobachtung zwischen 1871 und 1933 gelangt Eckert am Ende dort an, wo viele neuere Studien ihren Ausgang genommen haben, beim Altmeister Fritz Stern. Stern hätte ihr auch bei der Strukturierung ihres Themas helfen können, die Devise aus dem ersten Kapitel, „alles hängt irgendwie zusammen”, wäre dann nicht ganz so unbefangen zur konzeptionellen Leitlinie geraten. Was hat zum Beispiel Adolf Bartels’ Werben für die „Rationalisierung des Geschlechtsverkehrs” von 1913 mit dem ekstatischen Augusterlebnis zu tun, wenn es das denn in dem unterstellten Erlösungstaumel überhaupt so gegeben hat?
Aber im Ernst: Lässt sich mit „Parsifal” eine stimmige Unheilsgeschichte „von Wagner zu Hitler” erzählen? Das Schlusswort erhält Houston Stewart Chamberlain. Er steht für die Verwandllung des Heilssuchers in den nationalen Heilsbringer. Völlig zu Recht ist es eine der Leitfragen des Buches, warum solche ideologischen Umrüstungen so sehr den Seelenhaushalt der Deutschen lenken konnten. Vermutungen über politischen Eskapismus und eine Reduktion der wilhelminischen Kunstreligion auf Flucht aus der Zeit, Entzug der Gegenwärtigkeit und Wirklichkeitsabwehr klingen als Antwort dann aber wenig originell.
Ein Panoramablick verspricht eine geschärfte Rundsicht auf die Topographie der deutschen Kultur. Beim Schwenk von der Parsifal-Bühne auf die Generalmobilmachung und die Schützengräben des Ersten Weltkrieges bleibt der Eindruck zurück, das Fernrohr sei nicht allzu geschickt aufgestellt gewesen.
GANGOLF HÜBINGER
NORA ECKERT: Parsifal 1914. Über Heilsbringer, Volkes Wille und die Instrumentalisierung des Krieges. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2003. 270 Seiten, 22 Euro.
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